Ein Kommentar von Anton Gentzen
Die russische Sprache hält für fast jede Gelegenheit im Leben ein passendes Sprichwort bereit. Wenn jemand einen einfachen Sachverhalt nicht begreift oder kaum zu Verwechselndes verwechselt, sagt man in Russland: Er hat sich zwischen drei Bäumen verirrt.
Genau dieses Sprichwort beschreibt die Verwirrung treffend, die in deutschen Amts- und Redaktionsstuben, von den Landesmedienanstalten über das Kanzleramt und das Auswärtige Amt bis hin zu den Mainstreammedien, darüber herrscht, was RT DE ist und von wo es sendet. Dabei fällt es ihnen allen offensichtlich schwer zu begreifen, dass sich die ursprüngliche Konzeption von RT DE verändert hat und die Behörden sich damit selbst einen Bärendienst erwiesen haben.
Als die Verantwortlichen in Moskau nach dem Erfolg der Marke Russia Today auf Englisch, Spanisch, Französisch und Arabisch die Entscheidung trafen, dass es ein Russland gegenüber nicht a priori feindlich gesinntes Massenmedium auch in deutscher Sprache geben sollte, dachten sie an einen unabhängigen Sender, der redaktionell frei ist und in einem der vier deutschsprachigen Länder Europas seinen Sitz hat. Er sollte nicht nur der Form, sondern auch dem Inhalt nach deutschen und europäischen Gesetzen und Vorstellungen über Presse- und Meinungsfreiheit gerecht werden, Ort kontroverser Debatten sein und unterschiedliche Standpunkte widerspiegeln. Man war sich sicher: Es genügt schon, wenn der russische Standpunkt – anders als in den europäischen Medien – gleichberechtigt neben anderen die Chance hat, sich Gehör zu verschaffen, damit das Eis taut und die antirussische Propaganda neutralisiert wird.
Darum tat die Geschäftsführung um den früheren Chefredakteur Ivan Rodionov alles, um deutschen und europäischen Normen zu genügen. Eine von Moskau in redaktionellen und unternehmerischen Entscheidungen völlig unabhängige Fernsehanstalt sollte entstehen, beaufsichtigt von einem Gremium renommierter deutscher, österreichischer und schweizerischer Persönlichkeiten aller politischen Richtungen. Das war die Struktur, die bis 2021 im Entstehen begriffen war.
Diese Linie war auch in den redaktionellen Inhalten des seit 2014 bestehenden Internetangebots sichtbar: Jeder für RT DE publizierende Publizist schrieb, was seinen politischen Überzeugungen entsprach, und dass sich das Kollegium hauptsächlich aus dem linken politischen Spektrum rekrutierte, war unübersehbar. Ein Rainer Rupp, eine Susan Bonath, eine Dagmar Henn schreiben für "Putins Propagandasender" nichts anderes, als sie Jahre zuvor und auch heute noch auch andernorts schreiben und publizieren, sei es die Junge Welt oder der eigene Blog im Internet. RT DE hat diesen in der deutschen Medienlandschaft unterdrückten Stimmen nur eine Tribüne gegeben und ihnen dabei ihre Freiheit belassen.
Doch aller Transparenz und allen Argumenten zum Trotz: In der Wahrnehmung der Politik und der etablierten Medien galt RT DE all die Jahre als ein unfreies Vehikel russischer Propaganda, das direkt aus dem Kreml dirigiert wird.
Das fing schon damit an, wie der neue Akteur der deutschen Medienlandschaft 2014 von der Konkurrenz begrüßt wurde: "Das hat uns gerade noch gefehlt", titelte die ZEIT, und tat erschrocken darüber "wie dort gelogen und gebogen wird". Freilich ohne je einen Nachweis für Lügen oder Fakes erbracht zu haben, sieht man einmal von unterschiedlichen Interpretationen von Ereignissen ab, was eher im Bereich kontroverser Debatten denn faktischer Lügen zu verorten ist.
Das Urteil über die Nichtzulassung von RT DE als einem deutschen Sender nach deutschem Recht stand schon fest, als seine rechtliche Konzeption erst entwickelt wurde. Schon im Januar 2019 schrieb das Online-Fachmagazin der Medienbranche, DWDL:
"Allerdings gibt es ein Problem an der ganzen Sache: RT Deutsch erhält ziemlich sicher keine Rundfunklizenz in Deutschland. Der Sender ist aufgrund seiner Finanzierung nämlich nicht lizenzfähig. TV-Sender, die staatsfinanziert sind, dürfen in Deutschland keine Lizenz erhalten."
Und weil es schon so frühzeitig feststand, dass die deutschen "Eliten" keinen deutschen Sender dulden werden, der aus einer anderen Perspektive berichtet und kommentiert, änderte sich die Konzeption. Spätestens 2021 stand fest, dass es keinen deutschen Sender namens RT DE geben wird, dafür einen deutschsprachigen Dienst, der aus Moskau sendet und dort vom "Mutterkonzern" eigenverantwortlich produziert wird.
Das ermöglichte es dem neu als russischen Auslandssender konzipierten Produkt, einen anderen Weg der Lizenzierung zu gehen als den von vornherein erkennbar aussichtslosen. Man muss sich nicht in das Dickicht der Vorschriften vertiefen, denn die Medienanstalt Berlin-Brandenburg selbst stellt die Rechtslage leicht verständlich auf ihrer Homepage dar:
Noch kürzer formuliert: Ein außereuropäischer Sender braucht nur eine Lizenz eines einzigen europäischen Staates, um sein Programm per Satellit, Kabel und Internet in ganz Europa zu verbreiten. Das einzige Erfordernis ist: In dem Staat, der die Lizenz erteilt, muss das Programm "upgestreamt", an den Satelliten übertragen, werden. Dies geschieht für den deutschsprachigen russischen Auslandssender RT DE in Serbien und so erlangte er eine serbische Lizenz, gültig in ganz Europa. Ja, denn Serbien mag zwar kein EU-Mitgliedsstaat sein, es mag gar "prorussisch" sein, wie das russophobe Boulevardblatt BILD den Balkanstaat in einem Unfall ohnmächtiger Wut betitelt, aber es ist eben Mitglied des Europäischen Übereinkommens über das grenzüberschreitende Fernsehen.
Alles, was die Propagandisten in den deutschen Medien und in der deutschen Politik von Anfang an über RT DE behauptet hatten, war für den Start des russischen Auslandssenders RT DE plötzlich von Vorteil: Ja, ein staatlicher Sender. Ja, die Entscheider sitzen in Moskau. Ja, kein deutscher Sender mit eigenständigem Sitz in Berlin oder sonst wo in Deutschland. Die Strategen und Juristen in Moskau haben die Wirklichkeit den Vorurteilen und Narrativen der deutschen Mainstreampropaganda angepasst. Wie Anwälte es im Gericht sagen, wenn das, was die andere Seite behauptet, für den eigenen Mandanten von Vorteil ist: "Wir machen uns den Vortrag zu eigen". Die russischen Juristen gestalteten zudem die Realität danach.
Und nun, deutsche Mainstream-Propagandisten? Nun müssen sie plötzlich gegen das eigene Geschwätz von gestern argumentieren. So wurde quasi über Nacht das deutsche Narrativ umgeschrieben: Aus dem russischen Sender wurde in der Propaganda und den behördlichen Verlautbarungen ein Sender mit Sitz in Deutschland, dessen redaktionelle Entscheidungen vor Ort in Berlin getroffen werden.
Eine unangenehme Situation, alles bestätigen zu müssen, was der deutsche Sender RT DE über seine ursprüngliche Konzeption darlegte und alles zu bestreiten, was man wenige Monate zuvor selbst behauptet hat.
Der zu erwartende Einwand ist, dass es ja wohl in Berlin-Adlershof ein Studio gebe und dort auch Redakteure, Kameraleute, Sprecher und Sprecherinnen arbeiten. Gewiss, doch das ist nicht der Sender. Der RT DE Productions GmbH das Senden verbieten zu wollen, ist in etwa so zielführend, wie Hollywood die Ausstrahlung von Filmen zu untersagen. Die RT DE Productions GmbH sendet nicht. Sie liefert zu.
Und so kann sich jeder Fan und Zuschauer der russischen Stimme im deutschen Äther entspannt zurücklehnen und das ohnmächtige Geifern und Kläffen der Mainstreampropagandisten amüsiert beobachten. RT DE sendet und wird weiter senden und niemand kann etwas dagegen ausrichten.
Wie will die Medienanstalt Berlin-Brandenburg denn ihr Sendeverbot durchsetzen? Das Studio in Adlershof vom SEK stürmen und alles dort zu Kleinholz zertrümmern lassen? Wir bitten darum, damit die deutsche "Fressefreiheit" für jedermann sichtbar wird. Was wird es ändern? Nichts. Das Studio Moskau sendet weiter. Und es ist viel weniger anfällig für jene Selbstzensur, die sich die deutsche Politik erhofft und die sie von ihren journalistischen Hofschranzen gewöhnt ist.
Es wäre seinerzeit klüger gewesen, der deutsche Staat wäre in ernsthafte Verhandlungen über eine innerstaatliche Lizenz für RT DE getreten. Dann gäbe es jetzt ein Aufsichtsgremium aus renommierten Persönlichkeiten aller Parteien und weitaus weniger Bewegungs- und Narrenfreiheit als für den "vogelfreien" Sender RT DE.
Um einen "Feindsender" zu kontrollieren oder verstummen zu lassen, muss man erstmal den Krieg gewinnen.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Mehr zum Thema - RT DE Productions klagt gegen die Entscheidung der MABB, die die Verbreitung des Senders untersagt