Ein Kommentar von Gert-Ewen Ungar
Der deutsche Mainstream war voll des Lobes für den Besuch der neuen, "grünen" Außenministerin Annalena Baerbock in Moskau. Die Süddeutsche erkennt einen klugen Auftritt. Chefredakteur bei t-online Florian Harms titelt "Baerbock knallhart" und vermittelt den Eindruck, die junge Außenministerin hätte ihrem altgedienten Amtskollegen mal so richtig deutlich gemacht, wo der Hammer hängt. Der Tagesspiegel meint, selbst der russische Außenminister Lawrow wäre über Baerbock ins Staunen geraten, denn sie hätte sowohl Härte als auch Dialogbereitschaft gegenüber dem "raunzigen" russischen Chefdiplomaten gezeigt. Deutschland ist obenauf, Deutschland redet mit – ist der Eindruck, den die hiesige Berichterstattung vermittelt.
Noch mehr als Lawrow werden allerdings die russischen Journalisten staunen, wenn sie diese Lobeshymnen über den Besuch der deutschen Außenministerin in Moskau in deutschen Medien lesen. Der Eindruck, dass es in Deutschland ein massives Problem mit der Presse- und Medienlandschaft gibt, wird sich durch diese Einseitigkeit der Bewertung noch einmal vertiefen.
Ja, es gab keine der großen Fehltritte Baerbocks. Sie trat in kein Fettnäpfchen und der peinliche Versprecher "Fressefreiheit" im wohl absolut ungünstigsten Moment und Kontext sei ihr verziehen. Sowas passiert eben.
Dass der Auftritt insgesamt rund ablief, liegt allerdings nicht an den herausragenden diplomatischen Fähigkeiten der Außenministerin, sondern daran, dass der Besuch von der ersten bis zur letzten Sekunde komplett durchchoreografiert war. Rhetorisch unbegabt beschränkte sich Baerbock auf das Ablesen vorbereiteter Sprechzettel. Direkte Fragen wurden soweit wie möglich vermieden. Selbst bei der Kranzniederlegung am Grabmal des unbekannten Soldaten liest Baerbock ihren Text vom Blatt und irritiert damit die russische Öffentlichkeit. Spricht sie dagegen einmal frei, dominieren die "Ähs" und "Ohs" und reiht sich ein Verhaspler an den nächsten. Nein, reden kann sie wahrlich nicht.
Das Amt der Chefdiplomatin wirkt nach wie vor viel zu groß für Baerbock, die keinerlei diplomatische Erfahrung mitbringt. Sie kennt die Gepflogenheiten nicht, beherrscht die sprachliche Nuancierung nicht, kennt entgegen der eigenen Selbstdarstellung das internationale Recht nur mangelhaft. Ihr gerinnt alles zu Schwarz und Weiß, zum einfachen Paradigma, zur schlichten, unterkomplexen Formel.
Für das Gelingen dieses Auftritts trägt allein das Protokoll die Verantwortung, nicht Annalena Baerbock. Man kann sich sicher sein, die Führung von Baerbock hat einigen Bediensteten im Auswärtigen Amt schlaflose Nächte bereitet. Man muss anerkennen, die Choreografie ist geglückt, die Außendarstellung der Ministerin ist intakt geblieben. Auch ganz große Baerbock-Fans hatten Schlimmeres erwartet.
Über die inhaltliche Ebene verliert der deutsche Mainstream jedoch kaum ein Wort. Auch das hat seinen Grund, denn erreicht hat Baerbock in Moskau nichts. Im Gegenteil.
Das wichtigste Anliegen der deutschen Außenministerin war, das Normandie-Format wiederzubeleben. Dieses Anliegen ist gescheitert. Der russische Außenminister Lawrow hat deutlich gemacht, dass er dazu keinerlei Veranlassung sieht. Das hat seinen Grund, denn gerade im Zusammenhang mit dem Normandie-Format und den Minsker Abkommen lässt sich deutlich zeigen, wie unzuverlässig Deutschland gegenüber seinem russischen Partner agierte und agiert. Minsk II ist ein genauer Fahrplan zum Frieden, der mit seinen dreizehn Punkten einen exakten Ablauf beschreibt, auf den sich alle unterzeichnenden Parteien geeinigt haben.
Die Republiken im Donbass und Kiew kommunizieren nicht miteinander, also hat eine Trilaterale Kontaktgruppe zwischen den Parteien ausgehandelt, bis schließlich alle ihre Zustimmung geben konnten. Das Zusatzprotokoll wurde von Russland, Deutschland, Frankreich und der Ukraine unterschrieben. Dieses Minsker Abkommen wurde im UN-Sicherheitsrat beraten und angenommen. Es hat damit sogar einen völkerrechtlichen Status.
Der erste von diesen dreizehn Punkten ist der Waffenstillstand, der zweite vereinbart einen Abzug schwerer Waffen hinter die Kontaktlinie, um einen Sicherheitskorridor einzurichten. Als drittes wurde eine unabhängige Beobachtermission der OSZE eingesetzt. Diese Punkte wurden umgesetzt. Ab dem vierten Punkt aber haperte es dann, denn dann hätte die Ukraine der Donbass-Region mehr Autonomie zugestehen müssen. Das ist nicht passiert.
Weiterhin wichen Deutschland, Frankreich – und erst recht die "Europäische Union" (EU) – dann in drastischer Weise vom Geist dieser Vereinbarung ab, indem sie Russland nicht mehr als Vertrags- und Vermittlerpartei, sondern kurzerhand als Konfliktpartei behandelten und dafür obendrein mit Sanktionen belegten. Minsk II wurde am 12. Februar 2015 unterschrieben, wurde am 17. Februar 2015 vom UN-Sicherheitsrat völkerrechtlich verankert – und am 19. Februar verhängte die EU ein neues Sanktionspaket gegen Russland. Das war eine absolute Provokation, die noch dadurch permanent verstärkt wird, dass Deutschland und Frankreich als Garantiemächte dieses Abkommens bisher alles unterlassen haben, um die Regierenden in Kiew zur Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Abkommen zu drängen.
Baerbock hält an dieser fatalen falschen Sicht bis heute fest. Für sie bleibt Russland eine angebliche Konfliktpartei. Entsprechend agiert sie verbal, zumindest dann, wenn sie gerade nicht in Russland ist. In ihrer Rede vor dem Bundestag teilt sie gegen Russland kräftig aus, dekliniert das komplette antirussische Vokabular einmal durch, spricht von regelbasierter Ordnung, deutet auf den Systemkonflikt zwischen liberalen Demokratien und autoritären Staaten, spricht von Werten, für die der Westen stehe, kurz: sie betet die vom transatlantischen Think-Tank DGAP vorgegebene außenpolitische Agenda in ihrer ganzen Fragwürdigkeit einmal hoch und runter. Damit macht sie immerhin deutlich, wer im Hintergrund die Fäden zieht und wer diese Außenministerin steuert. Eines ihrer Ziele ist nun die "Wiederbelebung" des Normandie-Formats. Mit dieser Forderung reiste sie nach Russland, mit dieser Forderung scheiterte sie.
Nein, das Normandie-Format wird vorerst nicht wiederbelebt werden können. Wer nach all der Propaganda der deutschen Medien auch nur für einen Moment in der Lage ist, sich in die Situation Russlands zu versetzen, erkennt deutlich, wie provokant Deutschland agiert hat, wie sehr all die Phrasen von Partnerschaft und Verlässlichkeit in russischen Ohren hohl und schal klingen müssen. Deutschland hat sich mit seinem außenpolitischen Agieren im Zusammenhang mit den Minsker Abkommen als Gesprächspartner auf internationalem Parkett disqualifiziert.
Lawrow macht das deutlich, wenn er auf die gute Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland in den Bereichen Wirtschaft und Technologie verweist und dabei deutsche Außenpolitik unerwähnt lässt. Er macht es deutlich, wenn er vor der Politisierung der Ostseepipeline Nord Stream 2 warnt. Inzwischen ist aller Welt klar, dass nicht Russland dieses Projekt politisch als Druckmittel missbraucht, sondern Deutschland und die EU.
Wenn Lawrow auf die gemeinsamen Interessen verweist, dann aber keinerlei weitere Verabredungen getroffen werden, wird deutlich, was Lawrow von Deutschland künftig erwartet: Nichts.
Der Mainstream hat recht, die Begegnung zwischen der deutschen Außenministerin und dem russischen Außenminister verlief glimpflich. Baerbock hat ihre Qualifikation bewiesen, vom Zettel ablesen zu können. Baerbock hat den aggressiven Ton zeitweilig etwas heruntergeschraubt. Mit ihrem wichtigsten Anliegen ist sie jedoch gescheitert.
Und mehr noch: Deutschland muss sich von Russland in Bezug auf die Achtung der Pressefreiheit ermahnen lassen. Auch an diesem Beispiel zeigt sich, wie unglaubwürdig Deutschland inzwischen auf internationalem Parkett wirkt. Wie geheuchelt es klingt, wenn es von liberaler Demokratie redet, welche mit ihren Werten angeblich in einem Systemkonflikt zu Autokratien steht, zu denen Deutschland natürlich Russland zählt, gleichzeitig aber fundamentale Rechte wie die Pressefreiheit in diesem Deutschland beschnitten werden.
Dass es mit dem deutschen Bekenntnis zum Liberalismus nicht allzu weit her ist, wird allerspätestens am Umgang mit RT DE deutlich. Und nein, die Bundesregierung kann sich nicht dahinter verstecken, dass die zum Internetkonzern Google gehörende Videoplattform Youtube, die sämtliche RT DE–Inhalte kurzerhand gelöscht hat, ja "nur" ein privater und kein staatlicher Anbieter ist. Das Verfassungsgericht und die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages haben deutlich gemacht, dass die Bundesregierung die Grundrechte insbesondere gegenüber den Internet-Giganten aktiv durchsetzen müsse. Sie tut es dennoch nicht.
Baerbock kam mit leeren Händen aus Russland zurück. Es wurde nichts Konkretes verabredet. Keine weiteren Gespräche auf irgendeiner Staatssekretär- oder sonstigen Beamtenebene, kein Thema, das bilateral angegangen wird. Es wurde Baerbock deutlich gemacht, dass Deutschland als Verhandlungspartner ausgeschieden ist. Lawrow ging pfleglich mit Baerbock um, das ist richtig. Wer sich das Ergebnis des Treffens ansieht, versteht auch warum. Mit einem Gesprächspartner, den man weder für vertrauenswürdig noch für verlässlich und entscheidungskompetent hält, ist es nicht notwendig, konfrontativ umzugehen. Man bringt die Sache hinter sich.
Es war eine höfliche Abfuhr, die Baerbock erhalten hat. Russland hält Deutschland heute für nicht kompetent, um in Dingen für ganz Europa zu verhandeln. Die deutschen Gazetten haben diesen Umstand in ihrer Lobhudelei übersehen. Doch es ist nach diesem Besuch völlig klar: Deutschland spricht dabei künftig nicht mehr mit.
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