von Dagmar Henn
Was gab es einmal für großartige Gespräche im Fernsehen. Nicht nur die klassischen Interviews von Günther Gauss; auch die abendlichen Runden des österreichischen Club 2, die immer mal wieder Skandale auslösten, etwa durch Nina Hagens Bekenntnis zur Selbstbefriedigung (ja, das waren noch die frühen 1980er). Wollte man sagen, das sei dahin – das ist noch weit untertrieben.
Nun lautete der Titel des Interviewformats, das RTL in seiner Sendung Stern TV wiederzubeleben suchte, Der heiße Stuhl, und wie der Titel andeutet, waren die Gebräuche darin etwas ruppig. Allerdings wurde in der Regel ein Opfer gewählt, das sich auch wehren konnte.
Aber wir leben unter Corona, und sollte einmal jemand in einem der großen Medien zu Wort kommen, der nicht begeistert zum vierten Mal geimpft ist, muss sichergestellt sein, dass niemand dadurch vom rechten Wege abkommt. So war das Gegenüber auch gewählt. Es gibt viele durchaus eloquente Menschen, die mit der Impfpflicht, den Maßnahmen oder dem Produkt der Firma BioNTech über Kreuz sind, die dem Interviewer hätten Contra geben können. Es wurde von vornherein dafür gesorgt, dass das nicht geschieht. Der gewählte Gast, Marcus Fuchs aus Dresden, war ruhig, aber nicht angriffslustig.
Der ganze Beitrag ist online nur im dritten Teil der Sendung zu sehen, und man muss davor stundenlang Werbung ertragen, aber die etwas über zwei Minuten, die RTL als Ausschnitt zeigt, genügen eigentlich, um dieses "Gespräch" bewerten zu können. Allein die Verteilung der Redezeit zeigt, dass hier etwas nicht stimmt. Der Interviewer gibt sich als Ankläger und beansprucht drei Viertel der gesamten Zeit für sich. Der "Angeklagte" kann froh sein, wenn er überhaupt einmal zu Wort kommt, und nichts, was er sagt, wird erst einmal als Position akzeptiert.
Davor und danach wird in der Sendung reichlich die Seele massiert für die Impfpflicht, und auch die Behauptung, es seien auf den Demonstrationen gegen die Maßnahmen ganz viele Nazis, wird geliefert. Selbst in der Studiodekoration wird dieser Vorwurf noch wiederholt. Dennoch dürfen die wenigen Aussagen, die abweichen, nicht stehen bleiben (witzigerweise verlangt die versammelte Meute von ihrem Opfer dann noch "Respekt").
Ein Beispiel: Nikolaus Blome, der Interviewer, eröffnet mit einem Vorwurf. "Haben Sie das Gefühl, Sie schulden der Gesellschaft nicht eigentlich so etwas wie eine Impfung? So, wie es eben gesagt wurde, also aus Solidarität mit den anderen?" Darauf Fuchs: "Die Impfung schützt nachweislich weder vor Ansteckung noch vor Übertragung noch vor Tod. Von daher – das sagt das RKI selber, diese Zahlen sind vom RKI selber – und von daher gibt es hier keine Schuldfrage, ganz im Gegenteil, es ist eher die Frage, ob nicht die Impfpflicht völlig ungerechtfertigt ist."
Darauf wieder Blome: "Nichts schützt vor dem Tod, weil der kommt immer. Aber das Impfen schützt natürlich auch Sie vor einem ziemlich schweren Verlauf, bzw. andersherum, wenn Sie als Ungeimpfter jetzt am Ende dieses Jahres mit Sicherheit einmal infiziert sein werden, haben Sie eine Chance 1 auf 10, als Ungeimpfter einen schweren Verlauf zu entwickeln, Kosten aufzuwerfen, im Krankenhaus zu landen und vor allen Dingen für den Rest der Gesellschaft diese komischen ganzen Maßnahmen, die ja freiheitsbeschränkend, einschränkend für alle sind, noch weiter zu verlängern, weil Sie sich nicht impfen lassen."
Nein, ich werde jetzt nicht gegen die Aussagen Blomes argumentieren, den Missbrauch des Wortes Solidarität anprangern oder darauf hinweisen, dass Fuchs schlicht Fakten referiert und seine Aussage mit dem Satz "Nichts schützt vor dem Tod" mitnichten entwertet ist. Nein, es geht hier um das Machtgefälle, das konstruiert wird und das in Frage zu stellen Fuchs viel zu friedlich ist. Darum, dass die ohnehin rare Situation, einmal ein Argument jenseits der offiziellen Propaganda zu Wort kommen zu lassen, nur dazu genutzt wird, um es mit einem unlogischen, aber gewohnt hysterischen Schwall niederzureden. Aber nicht einmal das ist der entscheidende Punkt.
Denn selbst dieses bizarre Nicht-Gespräch, diese völlig respektlose permanente Attacke auf ein Gegenüber, dem gerade einmal ein Viertel der Zeit eingeräumt wird, ist noch Auslöser einer breiten medialen Empörung. So beschwert sich die WAZ beispielsweise, man habe "einem bekannten Querdenker eine Plattform geboten – und zwar ohne eine abschließende Einordnung der skurrilen Aussagen". Der Focus zitiert eine Bundestagsabgeordnete der Grünen, die auf Twitter schrieb: "Gleich normalisiert @sternTV einen Coronaschwurbler der der Politik Menschenrechtsverbrechen vorwirft." (sic)
Die Sendung hatte tatsächlich das Verbrechen begangen, die Aussage von Fuchs, es erkrankten vor allem Geimpfte an Omikron, nicht sogleich durch irgendwelche Faktenchecker aufheben zu lassen. Auch wenn Fuchs, der ausgerechnet mit den Zahlen des RKI argumentierte und nicht etwa mit jenen des britischen NHS, solche Gegenangriffe relativ leicht machte. Wirklich, es gab eine, in Zahlen 1 Aussage, der nicht sofort widersprochen wurde! Wie konnte das nur passieren?
Stern TV gab sofort klein bei und betonte, für diese eine Sendung sei die RTL-Nachrichtenredaktion zuständig gewesen. Und RTL umgibt seinen Zwei-Minuten-Schnipsel aus der Sendung auf seiner Homepage mit ganz viel Faktencheck.
Also ein Nicht-Gespräch, in dem der "Interviewer" dem "Interviewten" ständig ins Wort fällt, ihm Vorhaltungen macht, auf kein einziges Argument eingeht, aber jedes Muster der aktuellen Propaganda liefert (etwa, dass die Ungeimpften an den Maßnahmen schuld seien und nicht die Politiker, die sie beschließen), reicht nicht aus, wenn auch nur ein Satz nicht sofort in der Luft zerrissen wird. Und zwei Redaktionen, die von Stern TV wie jene von RTL, kriechen sofort zu Kreuze und leisten Abbitte, statt dass nur einer davon genug Mark in den Knochen hätte, zumindest zu fragen, was die mobilisierte Meute sich denn dann so vorstellt – würde eine Festnahme genügen, oder muss es doch die Hinrichtung vor laufenden Kameras sein?
Wie unsicher muss man sich mit den eigenen Argumenten fühlen, wenn ein – in Zahlen 1 – Satz für solche Reaktionen sorgt? Sind jetzt alle RTL-Zuschauer, die diesen einen Satz verfolgten, mit dem Querdenker-Virus infiziert? Welches Menschenbild muss man haben, um es auf der einen Seite für nötig zu halten, die Medien in propagandistische Festungen zu verwandeln, und auf der anderen Seite zu glauben, bei der geringsten Unaufmerksamkeit würden alle abtrünnig?
Es gibt im Grunde nur eine Situation, die dieser eigenartigen Reaktion entspricht, nach der ein einziger Satz verheerend sein kann: am Ende jenes Märchens von Hans Christian Andersen, als ein kleiner Junge ausruft: "Aber er hat ja gar nichts an!" Und die Bemühungen der Hofschranzen, die kostbare, aber nicht vorhandene Kleidung des Kaisers in höchsten Tönen zu loben, auf einen Schlag vergeblich waren.
"Und die Kammerherren gingen noch straffer und trugen die Schleppe, die gar nicht da war."
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