von Dagmar Henn
Am Montag waren es nach Angaben von Teilnehmern in Rostock 15.000 Menschen, die gegen die Corona-Maßnahmen demonstrierten. Das war die größte Demonstration, und vor allem in Relation zur Bevölkerung der Stadt interessant; Rostock hat nur 200.000 Einwohner, es waren also 7,5 Prozent der Einwohner auf der Straße.
Was sich da entwickelt, in hunderten Orten quer durch die Republik, ist eine breite Bewegung, getragen von ganz normalen Menschen. Weil die Demonstrationen nicht angemeldet sind, und weil sie gleichzeitig an so vielen Orten stattfinden, sind sie kaum noch zu unterbinden. Noch vor einigen Wochen wurden aus anderen Bundesländern Polizeihundertschaften nach Sachsen gekarrt, um die dortigen Demonstrationen einzudämmen; das ist inzwischen nicht mehr möglich, weil es kein Bundesland gibt, in dem keine Proteste stattfinden.
In der Berichterstattung der Mainstreampresse sind es insgesamt nach wie vor "Tausende": Tausende in Sachsen, Tausende in Sachsen-Anhalt, Tausende in Thüringen, aber ebenfalls in Bayern und Baden-Württemberg, in Hamburg oder Berlin, das gibt in Summe wieder Tausende. Wo kämen wir hin, würde man ehrlich zumindest von Zehntausenden sprechen oder schreiben.
Die Reaktion? In Schweinfurt kam es zu Schnellgerichtsverfahren. Die bayerische Stadt war neben Bautzen der einzige Ort, aus dem von Zusammenstößen mit der Polizei berichtet wurde, allerdings blieb immer die Frage offen, wer mit wem zusammengestoßen ist. Man muss dazu nur die Aussage des sächsischen Innenministers Wöller lesen: "Zwölf verletzte Polizeibeamte, die gestern Abend mit Pyrotechnik und Flaschen allein in Bautzen angegriffen wurden als sie die Corona-Notfallverordnung durchsetzen wollten, sind nicht nur eine traurige Bilanz." … Als sie die Corona-Notfallverordnung durchsetzen wollten.
Das heißt, sie wurden verletzt, als sie gegen die Demonstration vorgegangen sind; nicht die Demonstranten gingen gegen die Polizei vor. Eine Notfallverordnung, die Zusammenkünfte im Freien untersagt, obwohl es nach wie vor keinerlei Belege für Ansteckungen unter freiem Himmel gibt; die sich also faktisch einzig gegen das Versammlungsrecht richtet. Wöller wünscht sich Schnellverfahren wie in Schweinfurt. Die sächsische Polizei, zumindest ihre Gewerkschaft, fände eine Aufhebung dieser Begrenzungen passender.
Es wird an Orten demonstriert, an denen das üblicherweise selten passiert. Von insgesamt mehr als hunderttausend Menschen, aus allen Altersgruppen, in der ganzen Republik. Aber die Medien sind sich einig: alles Nazis. Oder Ahnungslose, die sich von Nazis instrumentalisieren lassen. Die FAZ weiß:
"Mit friedlichem Protest hatte das nichts mehr zu tun, folgte aber einem bekannten Muster: Das, was sich derzeit in Bautzen und anderen Städten ereignet, ist eine Wiederholung dessen, was schon während der Flüchtlingskrise passierte. (…) Das heißt nicht, dass alle Demonstrationen der vergangenen Tage Aufmärsche von Neonazis gewesen wären. Aber jeder Bürgerliche, der dort mitläuft, sollte genau hinschauen, wer da neben ihm geht, und sich fragen, ob das wirklich der richtige Weg ist. Die Antwort ist dann hoffentlich klar."
Auf hunderten Demonstrationen kommt es an zwei Orten zu Ausschreitungen, die sich noch dazu absolut im Rahmen dessen halten, was jedes größere Fußballspiel liefert, aber "mit friedlichem Protest hat das nichts mehr zu tun".
Bei der überwiegenden Mehrheit der Proteste gab es keine Fahnen, nicht einmal Transparente. Aber der FAZ-Autor impliziert dennoch, dass die Mehrzahl der Demonstrationen eigentlich "Aufmärsche von Neonazis" gewesen wären. So, wie "während der Flüchtlingskrise." Weshalb der brave Bürger gefälligst sein Unbehagen an Corona-Deutschland tapfer herunterschluckt und zu Hause bleibt, um sich nicht mit diesen Nazis gemein zu machen.
Die Leipziger Linken-Politikerin Kerstin Köditz, die die Sitten und Gebräuche des antideutschen Mobs in ihrem Wohnort genau kennen müsste, bei dem bengalisches Feuer zu den harmloseren Wochenendvergnügungen zählt, erklärt – bezogen auf die durchaus überschaubaren Auseinandersetzungen in Bautzen –, "hier wird Bürgerkrieg geprobt. Sonst nix." Man ist fast versucht, der Dame eine Reise nach Donezk zu sponsern, damit sie erkennt, wie viele Größenordnungen zwischen Bautzen und Bürgerkrieg liegen; aber Politiker, die es für links halten, einen massiveren Einsatz der Staatsgewalt zu fordern, um unsinnige Vorschriften gegen friedliche Bürger durchzusetzen, wenn selbst die Gewerkschaft dieser Staatsgewalt das für Unfug hält, wären vermutlich auch dadurch nicht belehrbar.
Es gibt Videos von fast allen dieser Demonstrationen. Aufmärsche von Neonazis sehen anders aus. Aber egal. Das gute alte Motiv der "Querfront", das schon 2014 so erfolgreich gegen Friedenskundgebungen eingesetzt wurde, wird auch hier wieder angewendet.
"Ob in Dresden, Bautzen oder Chemnitz: Fast auf jeder Demo geht es in Reden und auf Bannern um den Sturz des Systems, eine rechtsextreme Partei dient als zentrale Mobilisierungsplattform und verfassungsschutzbekannte Reichsbürger sprechen dort offen auf den Bühnen."
Das stammt aus einem Kommentar auf Tag24. Nicht zu vergessen – auch die "Reichsbürger" sind ein Konstrukt aus der Querfront-Retorte, genauso wie die "Querdenker".
Den größten Eifer bei der Feindkonstruktion legt allerdings die Content-Fabrik der SPD-Presse, das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), an den Tag. Es handele sich um "die Corona-Proteste einer radikalen Minderheit". Und gleich auf die Überschrift folgt eine Runde Stimmungsmache:
"Der rote Schein einer brennenden Leuchtfackel und das Stroboskopblitzen der Polizeitaschenlampen erleuchten am Montag den dunklen Dezemberabend in Bautzen. Mit einem lauten Knall explodiert ein Böller zwischen den Beinen der behelmten Bereitschaftspolizisten. Laute 'Widerstand'-Rufe schallen durch die Straßen."
Klingt das nicht gruselig?
Solch ein Einstieg schafft Spielraum, der sogleich für nicht bewiesene Behauptungen genutzt wird:
"Der 'Widerstand', der hier geleistet wird, richtet sich nur vordergründig gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und eine mögliche Impfpflicht. Viele demonstrieren längst gegen den Staat an sich, gegen den demokratischen Grundkonsens einer freiheitlichen Gesellschaft."
Erstaunlich. Wenn Menschen demonstrieren, um ihre Grundrechte durch Ausübung eines Grundrechts wiederzuerlangen, dann demonstrieren sie "gegen den demokratischen Grundkonsens einer freiheitlichen Gesellschaft"? Ach, ich vergaß: Der Konsens ist ja, dass es angesichts von Corona keine Grundrechte mehr gibt ... so dass jeder, der diese Sicht nicht teilt, sogleich zum Staatsfeind erklärt werden kann.
Besonders nett: das RND leugnet nicht einmal, dass die Gewalt in Bautzen von der Polizei ausging: "Zwölf Polizisten werden laut Polizeiangaben bei den Ausschreitungen verletzt, die beginnen, als die Einsatzkräfte einen nicht zulässigen Aufzug stoppen."
Nein, es ist nicht denkbar, dass ganz gewöhnliche Menschen schlicht die Nase voll haben nach bald zwei Jahren Corona-Quälereien; dass ihnen das Unlogische an den immer neuen Maßnahmenkatalogen sauer aufstößt oder dass sie sich getäuscht fühlen, wenn ihnen erst Erlösung durch eine Impfung versprochen wurde und jetzt nur noch die Rede von begrenztem Schutz für sehr begrenzte Zeit ist. Der gute Deutsche nimmt das alles folgsam hin – egal, wie sehr die Aussagen heute von den Aussagen gestern abweichen. Nur böse, hinterhältige Antidemokraten wollen Proteste:
"Auch einzelne Landesämter für Verfassungsschutz warnten frühzeitig, dass sich das radikalisierte und gut vernetzte Personenpotenzial der Corona-Leugner-Szene künftig schnell wieder mobilisieren lassen könnte. Die dezentralen Proteste in Dörfern, Klein- und Großstädten in ganz Deutschland sind dieses Revival."
Natürlich tut RND so, als wären alle, die sich haben impfen lassen, überzeugte Anhänger der Maßnahmenpolitik. "Dabei gilt für die über die Republik verstreuten Montagsproteste immer noch, was bereits für die 'Querdenker'-Großdemos im Sommer 2020 galt: Sie repräsentieren bloß eine kleine Minderheit." Und Minderheiten – so lautet wohl die derzeitige Definition von Demokratie – muss man nicht beachten.
Gut, das ist bei Sozialdemokraten so üblich, die nach 150 Jahren Parteigeschichte, inneren Kämpfe und inhaltlicher Entleerung die raffinierteste Intrigenszenerie des Landes bieten und bei denen grundsätzlich die Vorgabe gilt, 50 Prozent plus eine Stimme seien Grund genug, erbarmungslos durchzuziehen, denn das sei schließlich die Mehrheit.
Bezogen auf den Umgang mit der Bevölkerung eines Landes ist es aber eine sehr dumme Idee, Minderheiten selbst von einem Viertel oder einem Drittel vollkommen auszugrenzen, zu Parias zu erklären. Weil das Konflikte unnötig verschärft. Weil sich Mehrheitsverhältnisse ändern können, und weil kluges politisches Verhalten diese Möglichkeit mit einbezieht und dafür Sorge trägt, dass man selbst in diesem Fall nicht unter die Räder gerät. Das Auffälligste an der ganzen Entwicklung der Corona-Maßnahmen ist, dass kontinuierlich das Gegenteil vom politisch Klugsein geschieht.
Nein, mit solchen Fragen befasst sich das RND nicht. Es beklagt vielmehr die Gefährdung von Journalisten bei Anti-Maßnahmen-Protesten. "Viele Fernsehteams berichten nur noch mit angeheuerten Sicherheitsleuten von Corona-Protesten." Nach bald zwei Jahren einer Berichterstattung, die jeden zum Nazi erklärt, der die Maskenpflicht nicht bejubelt oder "einen Meter fünfzig" Abstand unter freiem Himmel für albern hält, ist das natürlich völlig unerklärlich. Auch die dutzendweise abgelieferten Schmähungen nicht Geimpfter müssten doch zur Beliebtheit der entsprechenden Medien beigetragen haben. Es ist wirklich nicht nachvollziehbar, warum ARD, ZDF & Co. nicht freudig begrüßt werden.
Die Klage über die durch die Demonstranten bedrohten Journalisten ist aber nur Mittel zum Zweck, um das nächste Häkchen auf der Strichliste des Maximalbösen zu setzen. "Was zudem immer wieder erschütternd ist, dass sich durch alle Corona-Proteste der offene Antisemitismus durchzieht," äußert der Berliner Landesgeschäftsführer der DJU, Jörg Reichel. Antisemitismus? Ernsthaft?
Natürlich gibt es auch dafür keinen Beleg; nicht einmal einen Hinweis, worin nun Antisemitismus bestehen soll, wenn man gegen Impfzwang demonstriert. Selbst unter Einbeziehung existenter Behauptungen, Bill Gates oder Klaus Schwab steckten hinter allen Corona-Maßnahmen, lässt sich kein Antisemitismus finden. Aber behaupten kann man es ja mal.
Die dpa macht es etwas geschickter und sucht sich als Sprechpuppe den Vertreter einer Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Der muss es schließlich wissen; dafür wird er bezahlt. Und der liefert auch dementsprechend: "Was in diesem Jahr zu beobachten ist und was uns auch große Sorge macht, sind diese massiven rechten Mobilisierungen in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. (…) Die erinnern uns von Art und Umfang sehr an die rassistischen Mobilisierungen in den Jahren 2015 und 2016." Die Folge sei damals eine "krasse Eskalation von rassistischer Gewalt" gewesen.
Es gibt keine einzige Meldung über rassistische Übergriffe im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen. Auch diese Woche nicht. Es gibt Aufnahmen von dunkelhäutigen Demonstranten. Egal. Man erklärt die Demonstrationen einfach zu einer "rechten Mobilisierung", der Rest findet sich noch, wie damals in Chemnitz.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Gemeindebunds, Gerd Landsberg, macht die Richtung klar, in die es gehen soll:
"Der Staat muss bei den Impfgegner-Demos klare Kante zeigen. (…) Meistens sind bei den Impfgegnern nicht vorbestrafte Leute, die nicht aufgefallen sind. Vielleicht lassen manche sich noch abschrecken, wenn ihnen bewusst wird, dass schon bei der Teilnahme an unangemeldeten Demos, vor allem aber bei der Beteiligung an gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Polizisten drastische Strafen verhängt werden können. Das geht von hohen Geldstrafen bis zu Haftstrafen."
Landsberg schummelt bei seiner Aussage, um einen möglichst bedrohlichen Eindruck zu hinterlassen. Die Teilnahme an einer unangemeldeten Demonstration ist erst einmal nur die Teilnahme an einer Versammlung, die vom Versammlungsrecht gedeckt ist. Verstöße gegen die Corona-Vorschriften sind Ordnungswidrigkeiten, mehr nicht. Aber auch Landsberg impliziert etwas, in der Formulierung "meistens sind bei den Impfgegnern nicht vorbestrafte Leute." Die Impfgegner selbst, will er damit wohl andeuten, sind vorbestraft, also Kriminelle. Das ist politischer und juristischer Schwachsinn, der nur dazu dienen soll, diejenigen, die nur "bei den Impfgegnern" sind, von einer Teilnahme abzuhalten.
Ob diese ganze mediale Front nur eine Drohkulisse ist oder ein Vorzeichen gewaltsamer Niederschlagung, wird die nächste Woche zeigen. Letzteres ist allerdings umso unwahrscheinlicher, je höher die Zahl der Demonstrationen und Demonstranten ist. Denn schon diese Woche ging es nicht mehr, Hundertschaften zwischen Bundesländern hin- und her zu schieben.
Aber eines ist unverkennbar: Es gibt keine Grenzen der Diffamierung. Die Etiketten sind alle schon verpasst. Nazis, Rassisten, Antisemiten, Kriminelle. Die Schweinfurter Schnellgerichtsbarkeit wird als Vorbild gepriesen. Diese Berichterstattung sagt nichts über die Demonstranten. Sie sagt aber eine Menge über die Bereitschaft der Staatsmacht, die Grenzen demokratischen Handelns hinter sich zu lassen.
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