von Dagmar Henn
In der Außenpolitik ist der Koalitionsvertrag das erwartbare Dokument des Grauens. Nicht nur für friedliebende Menschen in Deutschland übrigens; auch für die europäischen Nachbarländer, deren Unterordnung unter die Berliner Politik ein klar erkennbares Ziel ist. Allerdings – an einigen Punkten dürften manche dieser Nachbarländer nicht mitspielen wollen.
"Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt", schon diese Überschrift beansprucht die Rolle einer Weltmacht, und mit ähnlicher Arroganz werden auch alle einzelnen Themen behandelt. Aber natürlich muss man die Vertragspoesie wieder erst einmal übersetzen. Das hier zum Beispiel: "Wir setzen uns für eine echte Gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa ein. Die EU muss international handlungsfähiger und einiger auftreten. Wir wollen deshalb die Einstimmigkeitsregel im EU-Ministerrat in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) durch Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit ersetzen und dafür mit unseren Partnern einen Mechanismus entwickeln, um auch die kleineren Mitgliedsstaaten auf diesem Weg angemessen zu beteiligen."
"Handlungsfähiger" ist der übliche Euphemismus für mehr Militäreinsätze. Dabei ist das Ziel erkennbar, wenn auch nicht benannt: eine EU-Armee unter deutscher Führung. Die deutsche Führung ergibt sich aus der gewünschten Änderung der Abstimmungsregeln im Ministerrat. Wenn die Einstimmigkeit aufgehoben wird, dominieren die großen Länder, das heißt, in diesem Fall die Achse Berlin-Paris. Der Rest soll schlicht mitmarschieren. Dabei sollte man nicht vergessen, dass die Frage der EU-Außengrenzen auch unter Sicherheitspolitik fällt und es diesbezüglich doch sehr unterschiedliche Positionen gibt.
"Unsere Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik werden wir wertebasiert und europäischer aufstellen." Mittlerweile dürfte sich herumgesprochen haben, dass "wertebasiert" das Gegenteil von "auf dem Völkerrecht beruhend" ist; es gehört ebenso auf die Liste der die Ablehnung des Rechts verschleiernden Vokabeln wie die berüchtigte "regelbasierte internationale Ordnung", die natürlich ebenfalls unterstützt wird.
Die "Werte" sind ja erstaunlicherweise immer dort relevant, wo man eigene Interessen hat; so war die Regierung Boliviens nicht mehr wertekonform, als sie nicht bereit war, die Lithium-Vorkommen aus der Hand zu geben, und wurde weggeputscht – während in Saudi-Arabien die "Werte" nicht wirklich eine Rolle spielen.
All das ist bekannt und machte schon die Diskrepanz zwischen dem moralischen Gewäsch und der aggressiven Handlungsweise in den letzten Jahren so unerträglich; das dürfte sich in naher Zukunft noch verschlimmern.
"Gemeinsam mit unseren Partnern, auch aus der Zivilgesellschaft, werden wir uns für die Bewahrung unserer freiheitlichen Lebensweise in Europa und den Schutz von Frieden und Menschenrechten weltweit einsetzen. Dabei leiten uns unsere Werte und Interessen."
"Weltweiter Schutz von Menschenrechten", das ist die vorbereitete Universalformel für Sanktionsregime und die Entsendung von Bundeswehreinheiten. Wobei üblicherweise eine Berufung auf Interessen eine bessere Grundlage für eine friedliche Außenpolitik gibt als eine auf "Werte", weil Interessen verhandelbar sind. Aber so, wie diese Koalition die beiden miteinander verknüpft, lautet das nur: Wir werden Werte vorschieben, wann immer wir unseren Interessen folgen, aber wir werden nicht auf Grundlage der Interessen verhandeln, denn da sind schließlich die Werte.
Das "auch aus der Zivilgesellschaft" spielt eine ganz besondere Rolle. Diese Betonung stammt aus den Reihen der Grünen. Praktisch gemeint sind allerdings nicht irgendwelche Vereine, sondern die Parteistiftungen, die gern als Erweiterung der Nachrichtendienste genutzt werden, und das ganze Kuddelmuddel aus konzernfinanzierten NGOs, also so etwas wie die Soros- oder Gates-Stiftung oder auch die von Bertelsmann. Gerade im Umgang mit Russland konnte man sehen, wie solche Organisationen als Brückenköpfe genutzt werden, um ein kooperationswilliges politisches Milieu heranzuziehen, das man dann als Basis eines Regimewechsels nutzen kann.
Das ergibt auch Sinn, wenn man "Menschenrechte" als Rechtfertigung nutzen will. Man bastelt über diese Strukturen im Zielland eine oder mehrere NGOs, die im eigenen Interesse agieren, und wenn das Zielland dann gegen diese vorgeht, um sich zu schützen, dann schreit man, hier würden Menschenrechte verletzt und NGOs an ihrer Arbeit gehindert. So harmlos die Formulierung klingt, in Wirklichkeit ist sie die Ankündigung verschärfter Aggression.
"Die Menschenrechte als wichtigster Schutzschild der Würde des Einzelnen bilden dabei unseren Kompass." Nebenbei, man darf nie vergessen, dass es nicht um alle Menschenrechte geht, also nicht um das Recht auf Ernährung, auf Arbeit, auf Bildung, auf menschenwürdige Wohnung; nähme man diese Menschenrechte ernst, die ebenfalls Teil der UN-Charta sind, könnte man Länder wie Kuba und Venezuela nicht mehr sanktionieren. Nein, ein relevantes Menschenrecht ist vielmehr beispielsweise, ob die Reichen des Landes die Möglichkeit haben, ihre Meinungen zu verbreiten.
Wie die Gewichtung aussieht, zeigt der folgende Satz, der ebenfalls ein hübsches Beispiel bietet, wie man mit Halbwahrheiten die Fassade seiner Politik aufhübscht: "Wir wollen, dass Deutschland im Sinne eines vernetzten und inklusiven Ansatzes langfristig drei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in internationales Handeln investiert, so seine Diplomatie und seine Entwicklungspolitik stärkt und seine in der NATO eingegangenen Verpflichtungen erfüllt."
Nur zur Erinnerung: "Seine in der NATO eingegangenen Verpflichtungen," das steht für Rüstungsausgaben in Höhe von 2,5 Prozent des BIP oder von 25 Prozent des Bundeshaushalts. Die sollen also auf jeden Fall eingehalten werden; das bedeutet auch, in diesem Bereich wird nicht gespart werden, wenn dank Corona wieder der Rotstift angesetzt wird. Das bedeutet gleichzeitig, dass sich dieser Rotstift zwangsläufig im Sozialbereich austoben muss. Ach ja, für Entwicklungshilfe bleibt auch noch ein halbes Prozent. Das von den Vereinten Nationen vereinbarte Ziel für diese Ausgaben liegt bei 0,7 Prozent des BIP, und an anderer Stelle des Koalitionsvertrags wird auch behauptet, es erfüllen zu wollen. Klar, Aufrüstung ist wichtiger ...
Man will schließlich bewaffnete Drohnen kaufen und ein Nachfolgemodell für den Tornado, auch die kosten. Und die in Büchel gelagerten US-Atomwaffen sollen nicht nur bleiben, sondern "Deutschland (hat) ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben". Lang sind sie her, die Zeiten, als die Grünen für ein atomwaffenfreies Deutschland auf die Straße gingen. Es hat sich nach wie vor nichts daran geändert, dass diese US-Atomwaffen eine Bedrohung für die deutsche Sicherheit darstellen, weil sie dieses Land in jedem Konflikt zum Ziel machen, den die USA mit einer anderen Nuklearmacht vom Zaun brechen; das stört die kommende Koalition allerdings wenig, da sie ohnehin mit Begeisterung dabei sein dürfte. Schließlich sagen sie ja, "das transatlantische Bündnis ist zentraler Pfeiler und die NATO unverzichtbarer Teil unserer Sicherheit".
Ein Satz enthält besonderes Gift: "Wir werden die Ukraine weiter bei der Wiederherstellung voller territorialer Integrität und Souveränität unterstützen." An dieser Stelle ist gar nicht mehr die Rede von Frieden oder von den Minsker Vereinbarungen. Schlimmer noch, hinter der Formulierung von "voller territorialer Souveränität" steckt die Bereitschaft, auch den Anspruch auf die Krim zu unterstützen, der nun nachweislich dem Willen der Menschen auf dieser Halbinsel nicht entspricht.
Der noch amtierende Außenminister Heiko Maas zog die deutsche Unterstützung der Minsker Vereinbarungen faktisch bereits zurück. Das ging, weil die Vertreter der Medien diese Vereinbarungen entweder nicht gelesen haben oder bewusst die Unwahrheit darüber erzählen, wie das auch dieser Koalitionsvertrag tut. Denn weiter hinten, in dem Abschnitt, der sich mit Russland, nicht der Ukraine befasst, steht wieder einmal: "Der Weg zu einer friedlichen Lösung des Konflikts in der Ostukraine und die Aufhebung der diesbezüglichen Sanktionen hängt von der vollständigen Umsetzung der Minsker Vereinbarungen ab." Es war immer Kiew, das die Umsetzung blockierte, und es war immer Russland, dem dies zum Vorwurf gemacht wurde, da bringen die Ampler nichts Neues ins Spiel. Aber die Bereitschaft, sich US-amerikanischen Provokationen anzuschließen, dürfte mit Annalena Baerbock deutlich steigen.
Und wie sich in der oben zitierten Erwähnung der "Zivilgesellschaft" schon ankündigte, wird die Aggression gegen Weißrussland fortgesetzt. "Die demokratische Opposition in Belarus werden wir durch weitere Angebote unterstützen." Und sie " streben (...) eine Erweiterung der bestehenden EU-Sanktionen an". Natürlich sind auch das wieder völkerrechtswidrige Sanktionen, wie in der "regelbasierten Ordnung" üblich, und natürlich bedeutet die angekündigte "Unterstützung", dass Millionen in Astroturfing-Projekte gesteckt werden, die notfalls eine Opposition simulieren.
Dass man nach diesen offenen Erklärungen, wozu diese Kontakte zur "Zivilgesellschaft" dienen, noch die Dreistigkeit besitzt, von der russischen Regierung zu erwarten, "dass sie der dortigen Zivilgesellschaft die Gelegenheit zum ungehinderten Kontakt mit deutschen Partnern gibt", also gewissermaßen ihren bekennenden Gegnern einen Freibrief zur Subversion erteilt, ist ein Zeichen dafür, dass diese künftige Koalition keine Grenzen mehr kennt.
Die Frontstellung gegen China wird mit dem gleichen Eifer betrieben. "Wir thematisieren klar Chinas Menschenrechtsverletzungen, besonders in Xinjiang." Da beziehen sie sich wieder einmal auf den deutschen Sektenprediger Adrian Zenz, die einzige Quelle, die es für diesen Vorwurf gibt. Und auch sonst folgt der Umgang mit China gänzlich der US-Linie. Die Beziehungen zu den ASEAN-Staaten, zu Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea sollen intensiviert werden; das Ziel dabei ist eine Umzingelung Chinas.
Die Außenpolitik dieser Koalition ist von maximaler Aggression geprägt. Und sie gönnt sich auch noch ein besonderes Beispiel für Zynismus: "Wir arbeiten daran, die humanitären Katastrophen in Syrien und Jemen einzudämmen." In beiden Fällen ist die humanitäre Katastrophe die Folge zweier westlicher Lieblingsspielzeuge, der Sanktionen und des Bürgerkriegs, der aus den Regimewechselversuchen resultiert. Aber natürlich ist hier weder eine Aufhebung der Sanktionen noch ein Ende der Unterstützung für jene gemeint, die diese Länder zerstören. Die aktive Zertrümmerung dieser Länder soll nur durch ein paar milde Gaben ein wenig aufgehübscht werden.
Der einzige Trost, den man angesichts dieses außenpolitischen Programms hat, ist, dass nicht alle Teile auf Gegenliebe bei den europäischen Nachbarn treffen werden. So kann man hoffen, dass zumindest eine Umsetzung auf EU-Ebene letztlich scheitert. Hier ein Beispiel für einen möglichen Bruchpunkt: "Frontex soll sich im Rahmen des Mandats bei der Seenotrettung aktiv beteiligen." Das dürfte eine Wunschvorstellung bleiben; kein anderes EU-Land wird bereit sein, die Schlepperrouten auch noch militärisch abzusichern. Leider sind mögliche Binnenwidersprüche in der EU die einzige Hoffnung, dass die deutsche Großmannssucht noch rechtzeitig eingedämmt wird.
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