Ein Kommentar von Tom Fowdy
In einem kürzlich erschienenen Meinungsartikel hatte ich die Verherrlichung des Europäischen Parlaments durch die Mainstream-Medien kritisiert, mit der das irreführende Narrativ verbreitet wird, dass Europa Taiwan gegenüber China vorziehen würde und dass Pekings sogenanntes "Mobbing" bei diesem Thema die Brücken zur EU verbrenne. Dies war über das ganze Jahr 2021 hindurch ein umfassendes Thema, bei dem hartnäckig Geschichten verbreitet wurden, in denen man behauptete, Chinas "Wolfskrieger"-Politik – oder genauer gesagt, die harten Reaktionen auf westliche Provokationen in sensiblen souveränen Fragen – sei ein selbstisolierender Schritt gewesen.
Dies wurde durch das Drama im vergangenen März perfekt zur Schau gestellt, als die EU beschloss, chinesische Beamte in Xinjiang wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen zu sanktionieren. Peking reagierte darauf heftig, indem es eine Reihe von EU-Abgeordneten auf eine schwarze Liste setzte, die daraufhin die Ratifizierung des umfassenden Investitionsabkommens zwischen der EU und China einfroren.
Kürzlich erschien jedoch in der South China Morning Post ein Artikel, in dem behauptet wurde, die EU habe beschlossen, einen "vertraulichen" Plan zur Verbesserung der Handels- und Investitionsbeziehungen mit Taiwan – wie von EU-Abgeordneten in einem kürzlich veröffentlichten Bericht gefordert – auf Eis zu legen, und dies nach einer sehr eindringlichen Warnung des chinesischen Botschafters bei der EU, Zhang Ming. Auf einer kürzlich in Brüssel stattgefundenen Veranstaltung sagte er: "Wenn sich etwas ändert, dann ist es der zunehmende Wille des chinesischen Volkes, die vollständige Wiedervereinigung unseres Landes zu verwirklichen. Manche Menschen in Europa scheinen das Streben der Chinesen nach einer Wiedervereinigung unseres Landes zu unterschätzen."
Wenn wir uns an das Narrativ der Mainstream-Medien halten, dann müsste dies als Paradebeispiel dafür angesehen werden, dass Zhang sich an der "Wolfskrieger"-Diplomatie beteiligt und China von Europa entfremdet. Die Realität ist jedoch, dass die EU auf institutioneller Ebene einen Plan in Bezug auf Taiwan aufgegeben hat, in Befürchtungen hinsichtlich seiner Verbindungen zu Peking, (was wiederum die Bedeutungslosigkeit des Europäischen Parlaments verdeutlicht). Zeigt dies nicht, dass Chinas harte Positionen zu souveränen und territorialen Fragen tatsächlich Erfolg haben? Und ebenso, dass die ständige Förderung des Europäischen Parlaments für eine Opposition gegen Peking übertrieben ist?
Diese Narrative fehlinterpretieren nicht nur Chinas Prioritäten in Bezug auf Staatsangelegenheiten, sondern unterschätzen auch den Einfluss, den Peking ausüben kann, während sie den Willen des Westens, darauf zu reagieren, überschätzen.
Abgesehen von einer Handvoll Agitatoren hat die EU in Wirklichkeit nicht den kollektiven politischen Willen oder die Kraft, sich auf einen langwierigen diplomatischen Streit über Taiwan einzulassen – ein Problem, das China mit einem Nullsummenspiel angeht und bei dem es keine Kompromisse eingehen muss oder wird. Wie wir soeben gesehen haben, wer hat zuerst mit den Augen geblinzelt?
Eine entscheidende Sache, die man über China verstehen muss – und was die Medien praktischerweise nie erwähnen –, ist, dass seine Sicht auf die nationale Souveränität durch die postkoloniale Erfahrung geprägt ist, die es als das "Jahrhundert der Demütigung" betrachtet. Nach wiederholten Verletzungen der nationalen Souveränität durch ausländische Invasoren und der subsequenten Kolonisation ist Chinas institutionelle Haltung sensibler als die anderer Länder. Auf der anderen Seite gelten beispielsweise Fragen der nationalen Sicherheit für den englischsprachigen Westen als selbstverständlich.
Betrachten wir nur mal das Vereinigte Königreich. Wann wurde Großbritannien jemals kolonisiert? Wann wurde es zuletzt erfolgreich überfallen? Die normannische Ära ist für die modernen internationalen Beziehungen nicht relevant. Großbritannien hatte das Privileg, jahrhundertelang eine weltweit dominierende Seemacht zu sein, und triumphierte, von Napoleon bis zu Hitler, in fast jedem Krieg. Dieses in der anglophonen Welt weit verbreitete Gefühl von Privileg missinterpretiert Chinas entschlossenes Vorgehen im Namen seiner eigenen Souveränität ständig als eine Form von Autoritarismus und Aggression.
Die Realität ist jedoch, dass sich China angesichts seiner Geschichte nun im Lichte des Bestrebens sieht, dem Westen gleichgestellt zu sein. Es herrscht in China auch die anhaltende Wahrnehmung vor, dass der Westen Chinas Souveränität in einer Reihe von Bereichen weiterhin missachtet, wie etwa in Hongkong oder bei den Verpflichtungen in Zusammenhang mit der Ein-China-Politik.
Daher macht China die Wahrung seiner nationalen Souveränität zu einer Kernpriorität in seiner Außenpolitik und betrachtet diese als nicht verhandelbar. China ist nicht bereit, sensible Themen für Handels- und Investitionsanreize weg zu verhandeln, und es führt in die Irre, Chinas Durchsetzungsfähigkeit als "Wolfskrieger"-Diplomatie zu karikieren. Wenn China hart auf die EU oder andere in Xinjiang- oder Taiwan-bezogenen Angelegenheiten reagiert, ist es falsch anzunehmen, dass es absichtlich Brücken niederbrennt. In Wirklichkeit ist es umgekehrt. China betrachtet solche Abkommen nicht als akzeptable Zugeständnisse an diejenigen, die versuchen, Chinas Souveränität, die immer an erster Stelle steht, zu untergraben.
Die Haltung aus Peking ist unkompliziert – entweder akzeptiert man seine Position zu diesen Themen oder man redet überhaupt nicht darüber. Als Litauen beschloss, seine Beziehungen zu Taiwan zu verbessern, bestrafte China das Land mit der Ausweisung seines Botschafters und der Verhängung von Handelssanktionen. China sieht den harten Weg als den einzigen Weg, denn Souveränität ist ein Thema, das nur durch Gewalt verwirklicht werden kann und nicht durch die öffentliche Meinung.
Die zweite Täuschung der Medien bei all dem ist, dass sich Europa wegen Chinas Handlungen, die als nicht funktionierend abgetan werden, vermehrt Taiwan zuwenden wird. Es mag so erscheinen, wenn man es nur nach dem beurteilt, was die Fachsimpelei des Europäischen Parlaments erzeugt, aber dessen Narrativ ist nicht ehrlich in Bezug auf geopolitische Realitäten.
China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, eine Supermacht mit einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen und der weltweit größte inländische Verbrauchermarkt, der weiterhin eine Quelle des Wachstums ist. Taiwan hingegen ist eine Insel mit 25 Millionen Einwohnern. Sie ist eine wohlhabende Wirtschaft, aber eine kleine.
Handeln Journalisten, die für Taiwan die Werbetrommeln rühren, wirklich ehrlich, wenn sie die Forderungen von Abgeordneten des EU-Parlaments unterstützen, die Beziehungen mit der Insel auf Kosten jener zu China zu fördern? Welche Beziehung ist für die EU in Wahrheit als die wirtschaftlichere und strategischere Priorität zu betrachten?
Diese Art von Wahnvorstellungen wird von Taiwans Politikern selbst gehegt und gepflegt, wie die jüngste Reise des taiwanesischen Außenministers Joseph Wu nach Mittel- und Osteuropa gezeigt hat. Taiwan kann China nicht kompensieren, und so hat Europa viel zu verlieren, wenn es auf Kollisionskurs mit Peking geht. Es ist erstens falsch zu sagen, dass Chinas harte Haltung gegenüber dem europäischen Kontinent versagt, und zweitens führen uns die Medien in die Irre, indem sie viel über chinesische Oppositionelle berichten, aber dabei das Gesamtbild ignorieren. Warum, glauben Sie, war zum Beispiel Italien nicht einmal bereit, Joseph Wu zu empfangen?
Die Mainstream-Medien unterschätzen China, indem sie so tun, als könnte das Land einfach in eine Kiste gesteckt und isoliert werden wie der kleine US-Gegner Nordkorea. Aber das ist nicht der Fall. Seit diesem Jahr ist Chinas BIP größer als das der Europäischen Union, und während die Wirtschaft in der EU stagniert, wächst diejenige von China weiter. Die westliche Berichterstattung über China konzentriert sich so stark auf sein potenzielles Scheitern, dass sie Pekings Fähigkeit übersieht, seinen Willen durchzusetzen.
Die geopolitische Realität für Europa – auf nationaler und institutioneller Ebene – ist, dass die Verfolgung engerer Beziehungen zu Taipeh ein Rohrkrepierer mit geringem Kosten-Nutzen-Ausgleich ist. Wir bekommen kein Argument in gutem Glauben, wenn wir so tun wollen, als ob der Wunsch einer Gang von Europaabgeordneten irgendwie ein gegenteiliger Beweis oder ein Zeichen für einen monumentalen Wandel in der Haltung gegenüber China wäre.
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Übersetzt aus dem Englischen.
Tom Fowdy ist ein britischer Autor und Analytiker für Politik und internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Ostasien. Er twittert unter @Tom_Fowdy