Ein Kommentar von Eva Bartlett
Am 22. Oktober brandmarkte Israel sechs angesehene palästinensische Menschenrechtsgruppen als "terroristischen Organisationen" und löste damit bei der UNO und in der breiteren Weltgemeinschaft Empörung aus. Auf der neuen Liste angeblicher Terroristen des israelischen Verteidigungsministeriums stehen die Menschenrechtsorganisationen Addameer, Al-Haq, die Gruppe für die Verteidigung von Kindern in Palästina (DCIP), die Union of Agricultural Work Committees (UAWC), das Bisan-Zentrum für Forschung und Entwicklung und die Union der Palästinensischen Frauenkomitees.
Diese Gruppen dokumentieren entweder Israels Verbrechen gegen die Palästinenser (was meiner Meinung nach selbst als Terrorismus bezeichnet werden kann), sie bieten juristische Unterstützung für verfolgte oder inhaftierte Palästinenser oder arbeiten daran, die palästinensische Zivilgesellschaft zu stärken. Mit welcher bizarren Weltsicht können diese Gruppen als "terroristisch" bezeichnet werden?
In einer gemeinsamen Erklärung der führenden israelischen Menschenrechtsgruppe B'Tselem und zahlreicher anderer israelischer und palästinensischer Menschenrechtsorganisationen wurde die Aktion des Verteidigungsministeriums als "drakonische Maßnahme, die kritische Menschenrechtsarbeit kriminalisiert", verurteilt und auf das Prinzip von Dokumentation, Anwaltschaft, Rechtshilfe und weltweiten Rechtsschutz verwiesen. "Solche Arbeit zu kriminalisieren, ist ein Akt der Feigheit, der für repressive und autoritäre Regimes charakteristisch ist", heißt es darin weiter.
Eine Reihe von UN-Sonderberichterstattern hat die Entscheidung des Ministeriums als "Frontalangriff auf die palästinensische Menschenrechtsbewegung und die Menschenrechte als Ganzes" verurteilt.
Unterdessen greift Israel weiterhin unbewaffnete Demonstranten mit Gummigeschossen, scharfer Munition und Tränengas an. Es wird die Errichtung neuer Bauten in illegal errichteten jüdischen Siedlungen genehmigt, die sich auf palästinensischem Land befinden; jahrhundertealte palästinensische Friedhöfe in Alt-Jerusalem werden niedergewalzt, während israelische Siedler weiterhin palästinensische Zivilisten terrorisieren, wie sie es schon seit jeher getan haben. Und natürlich bleibt Gaza weiterhin unter einer grausamen Blockade – der längsten Blockade in der Geschichte der Menschheit. Den rund zwei Millionen Einwohnern des Gazastreifens wird das Nötigste vorenthalten, darunter dringend benötigte medizinische Versorgung. Auch greift sich Israel regelmäßig Gazas Fischer, verschleppt sie und zerstört oft deren Boote.
Aber nein, laut dem für diese und unzählige andere Terrorakte verantwortlichen Staat sind die "Terroristen" die Menschenrechtsgruppen. Israel ist der Staat, der nicht nur palästinensische Zivilisten terrorisiert und ermordet, ganze Stadtteile von Gaza dem Erdboden gleichmacht, absichtlich lebenswichtige Infrastruktur zerstört, sondern auch libanesisches und syrisches Land besetzt hält und regelmäßig den libanesischen Luftraum verletzt, um Syrien routinemäßig illegal zu bombardieren.
Aber dies ist nicht das erste Mal, dass Israel palästinensische (und israelische) Menschenrechtsorganisationen schikaniert. Das Kinderhilfswerk DCIP ist "eine unabhängige, lokale palästinensische Organisation für Kinderhilfe, die sich der Verteidigung und Förderung der Rechte von Kindern verschrieben hat, die im Westjordanland, einschließlich Ostjerusalem, und im Gazastreifen leben". Im Juli 2021 wurde ihr Hauptbüro, noch bevor sie zur "terroristischen Organisation" erklärt wurde, von israelischen Streitkräften durchsucht.
Damals beschrieb DCIP die Razzia als "die jüngste Handlung der israelischen Behörden, eine Kampagne zur Delegitimierung und Kriminalisierung der palästinensischen Zivilgesellschaft und Menschenrechtsorganisationen zunehmend voranzutreiben". Sie stellte auch fest, dass dies eine Kampagne war, die in den letzten Jahren auf dem Vormarsch war und "von einem Netzwerk aufstrebender nationalistischer israelischer zivilgesellschaftlicher Organisationen und assoziierter Organisationen anderswo mit Unterstützung des israelischen Außenministeriums vorangetrieben wurde".
Da diese besagte Liste ihren Ursprung im Verteidigungsministerium hat und das Außenministerium sie begrüßt, ist es glaubhaft anzunehmen, dass diese Aktion von der israelischen Regierung selbst ausgeht.
Für die Gewerkschaft der landwirtschaftlichen Arbeitskomitees (UAWC), eine andere Menschenrechtsgruppe, die auf dieser "Terror"-Liste aufgeführt ist, führte Israels gezielte Schikane dazu, dass die niederländische Regierung die Finanzierung einstellte. Das israelische Magazin '972' berichtete darüber und schrieb: "Jahrelang hat ein globales Netzwerk von israelischen Interessengruppen europäische Regierungen dazu gedrängt, die Finanzierung der UAWC zu kürzen, einer Gruppe, die palästinensischen Bauern hilft, auf ihrem Land bleiben zu können und es zu bestellen sowie ihre Produkte zu vermarkten und Wasserinfrastruktur zu entwickeln."
Weiter heißt es im Artikel: "Einige der Projekte, die UAWC in den letzten Jahren realisierte, war die Gründung von 52 landwirtschaftlichen Genossenschaften im Westjordanland und im Gazastreifen sowie die Rückforderung von fast 1.000 Hektar (10.000.000 m²) palästinensischen Landes in der sogenannten Zone C, das von einer Beschlagnahme durch die israelischen Behörden bedroht war. Außerdem wurden fast zwei Millionen Bäume gepflanzt und Verbindungswege mit einer Länge von fast 700 km gebaut. Die UAWC arbeitete auch daran, den Palästinensern in der Zone C einen besseren Zugang zu Wasser zu ermöglichen, wo die Wasserversorgung und das Abwassersystem regelmäßig durch die israelische Siedlungsexpansion unterbrochen wird."
Meine Erfahrungen in Gaza, während ich jahrelang ehrenamtlich mit verarmten palästinensischen Bauern und Landarbeitern gearbeitet habe, die fast täglich unter israelischem Beschuss standen, haben mir gezeigt, dass die Arbeit von Gruppen wie UWAC unerlässlich ist, um den Bauern bei der Rekultivierung von zerstörtem Ackerland zu helfen. Dies sind Menschen, die einfach versuchen, ihr Dasein zu fristen, wobei sie durch israelisches Feuer verstümmelt und getötet werden, ihr Ackerland und ihre Brunnen planiert und zerstört und ihre Ernten verbrannt werden.
Ich habe auch einige Erfahrung mit der Arbeit des Kinderhilfswerks DCIP, das palästinensische Kinder als Häftlinge in israelischen Gefängnissen dokumentiert, darunter Kinder, die in Einzelhaft sitzen, sowie Kinder, die von israelischen Soldaten oder Siedler getötet wurden. Ohne Gruppen wie diese, die solche Verbrechen dokumentieren, wird es umso unmöglicher, sich für diese Kinder einzusetzen. Dies ist eindeutig einer der Gründe, warum Israel diesen unverschämten Schritt machte, diese Gruppierungen zu "Terroristen" zu erklären.
Aber das DCIP hilft auch kranken und verletzten palästinensischen Kindern, Zugang zu medizinischer Versorgung zu erhalten. Die Gruppe half bei der Rehabilitation eines schwer verletzten, bettlägerigen, 16-jährigen palästinensischen Teenagers, den ich im Juli 2008 in einem Krankenhaus in Kairo traf, Monate nach dem Schuss eines israelischen Soldaten in seine Wirbelsäule.
Im März 2008 ging Abdul Rahman Abu Oida auf das Dach seines Hauses in Gaza, überprüfte den Wassertank, um zu sehen, warum die Familie plötzlich kein Wasser mehr hatte, und wurde von einem israelischen Scharfschützen, der sich auf einem anderen Dach versteckt hatte, in die Wirbelsäule geschossen. Später schrieb ich darüber: "Die Kugel zerstörte drei Wirbel; Abdul lag gelähmt in einer Lache seines eigenen Blutes, bis ihn sein 13-jähriger Bruder fand und nach unten schleppte. Krankenwagen wurden daran gehindert, das Haus zu erreichen. Abdul lag drei Stunden unbehandelt da, bevor er in ein Krankenhaus in Gaza-Stadt gebracht werden konnte."
Im Krankenhaus von Kairo, wo ich ihn besuchte, war er abgemagert, mit entsetzlich großem Wundliegen am Gesäß und an den Füßen, was seit Monaten nicht richtig behandelt worden war. Über einen Kontakt bei der DCIP bekam Abdul zwar dann eine angemessene Behandlung für seine Schusswunde am Rücken und für das Wundliegen. Aber diese lange nicht behandelten, eiternden Wunden wurden bald Ursache für andere Leiden, die ihn plagten und schließlich zu seinem Tod führten.
Obwohl er das israelische Massaker von 2008/2009 überlebte, einschließlich des israelischen Angriffs auf die Rehabilitationsklinik in Gaza, in der er und 60 weitere Patienten lagen, verstarb er 2014 schließlich. Aber ohne das Eingreifen von DCIP wäre Abdul sicherlich bereits 2008 gestorben, nicht lange nach meiner Begegnung mit ihm.
Ich habe unzählige Male über die Verbrechen geschrieben, die Israel an Palästinensern im Gazastreifen verübt hat, darunter durch Scharfschützen auf Sanitäter zielend und das Töten und Verstümmeln weiterer Sanitäter mit Pfeilbomben – beides Kriegsverbrechen –, sowie die Ermordung von Kindern und Säuglingen und das Abfeuern von weißem Phosphor auf zivile Bereiche. Und das ist lediglich das, was ich persönlich im Laufe von wenigen Jahren dokumentiert habe. Ohne Menschen, die diese Verbrechen dokumentieren, würden Israels Handlungen wahrscheinlich noch monströser ausfallen, als sie es ohnehin schon sind.
Um Journalisten – auch ausländische – an der Berichterstattung über solche Kriegsverbrechen zu hindern, hat Israel im vergangenen Mai ein wichtiges Mediengebäude im Gazastreifen mit Präzisionsbomben zerstört (wie es zuvor auch in den Jahren 2009 , 2012 und 2014 bereits geschehen war).
Im gesamten besetzten Palästina ist die Arbeit von Menschenrechtsgruppen für die Dokumentation der Verbrechen Israels unverzichtbar. Das fortdauernde Schikanieren dieser Gruppen – einschließlich der neusten Brandmarkung als "terroristisch" – demonstriert einerseits die Wirksamkeit ihrer Arbeit und entblößt andererseits die Entschlossenheit Israels, seine Verbrechen zu vertuschen.
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Übersetzt aus dem Englischen.
Eva Bartlett ist eine kanadische freie Journalistin und Aktivistin. Sie hat Jahre vor Ort in Konfliktzonen im Nahen Osten verbracht, insbesondere in Syrien und Palästina (wo sie fast vier Jahre lang lebte). Sie twittert unter @EvaKBartlett