Ein Kommentar von Seyed Alireza Mousavi
In Deutschland tun sich die Medien sehr schwer, über Bild-Interna und das populistische Framing-Muster der Zeitung zu berichten. Die New York Times hingegen veröffentlichte gerade einen umfassenden Report über Springer und die Compliance-Vorwürfe gegen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt. Der Medienkonzern hatte Reichelt daraufhin mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden. Reichelt wurden Machtmissbrauch und sexuelle Beziehungen zu von ihm abhängigen Mitarbeiterinnen vorgeworfen. In diesem Zusammenhang berichtete die NYT auch von der umfassenden Recherche eines deutschen Investigativreporterteams zum Bild-Skandal, die durch den deutschen Großverleger Dirk Ippen zwei Tage vor ihrer Veröffentlichung ohne inhaltliche Begründung auf Eis gelegt wurde.
In dem Skandal um Reichelt als Bild-Chefredakteur kamen bemerkenswerte Aspekte ans Licht. Dass die New York Times sich ausgerechnet in diesen Skandal einschaltete, hängt sicher nicht damit zusammen, dass die Zeitung auf der Suche nach "der Wahrheit" war. Der tatsächliche Grund dürfte ein anderer sein: Der Springer-Konzern ist drauf und dran, sich nämlich als ernstzunehmender Konkurrent auf dem US-amerikanischen Markt etablieren. Seit 2019 gehören mehr als 40 Prozent des Verlags der US-amerikanischen Beteiligungsgesellschaft KKR.
Springers US-Strategie zeichnete sich bereits 2015 ab, als der Konzern 88 Prozent des Portals Business Insider übernahm und wurde im vergangenen August mit dem Kauf der Plattform Politico fortgesetzt. Politico ist mithin der jüngste von mehreren Zukäufen in den USA. Die Deutschen zahlten seinerzeit schon 442 Millionen Dollar für das Online-Portal Business Insider, und im vergangenen Jahr kauften sie auch noch den Wirtschafts-Newsletter Morning Brew.
Dabei ist auch bemerkenswert, dass Springer-Chef Mathias Döpfner im Rahmen der Übernahme von Politico insgeheim parallel mit den Führungskräften von Axios verhandelte. Politico und Axios sind zwei konkurrierenden Nachrichtenorganisationen mit Sitz in Washington. Döpfners Ziel war es, nicht nur beide Portale zu kaufen und sie zu einem mächtigen Konkurrenten für die größten Nachrichtenagenturen der USA zu machen, sondern beide Medien auch auf eine homogene Linie zu bringen. Bei Axios handelt es sich um eine Online-Plattform, die 2016 von ehemaligen Mitarbeitern bei Politico gegründet wurde. Der Axios-Vorstandschef hatte das Geschäft mit Axel Springer am Ende allerdings scheitern lassen.
In der privaten westlichen Medienlandschaft gibt es anscheinend kaum Möglichkeiten, einer Monopolisierung der Medien oder dem Entstehen einer marktbeherrschenden Stellung entgegenzuwirken. Eine Monopolisierung der Medien führt allerdings zwangsläufig zu einer zunehmenden Einengung des Meinungskorridors. Eine freie Meinungsäußerung und Diversität der Einstellungen kann es nur geben, wenn zahlreiche voneinander unabhängige Medien existieren. Wenn nun die Medien hinter den Kulissen auf Geschäftsbasis paktieren, und sich dementsprechend inhaltlich gegenseitig stärken, sind sie am Ende keine ernstzunehmenden Medien mehr. Diese Entwicklungen können wir übrigens auch in der deutschen Medienlandschaft beobachten. Auf FAZ-Anfrage, warum "Herr Dr. Ippen" sich klar gegen die Veröffentlichung des Bild-Skandals ausgesprochen habe, erklärte die Ippen-Gruppe, sie habe den Eindruck vermeiden wollen, dass Ippen einem Wettbewerber wirtschaftlich schaden wolle.
Der Springer-Chef Döpfner äußerte vor Kurzem in einem Interview mit dem Wall Street Journal, das US-Nachrichtportal Politico müsse sich entsprechend den Springer-Standards in Deutschland verhalten. Er sagte ausdrücklich, eine proisraelische Politik und die Unterstützung eines vereinten Europas sowie der freien Marktwirtschaft gehören zu den Grundsätzen des Axel-Springer-Verlags. Er formulierte in diesem Zusammenhang seine Erwartung, dass die Politico-Mitarbeiter sich fortan an die Axel-Springer-"Leitprinzipien" zu halten hätten, obwohl sie nicht dazu verpflichtet seien, sich wie die Mitarbeiter in Deutschland schriftlich zu diesen zu bekennen. Zugleich drohte er, dass Abweichler in den USA bei Axel Springer nicht toleriert würden. In diesem Zusammenhang machen auch Gerüchte die Runde, dass einige Politico-Mitarbeiter bei der jüngsten Enthüllungsstory der NYT über den Bild-Skandal mitgemacht haben könnten. Waren auf der Plattform Politico zuletzt noch mehr oder weniger kritische Artikel über Israel und die EU-Politik veröffentlicht worden, soll unter der neuen Führung damit jetzt offenbar Schluss sein. Denn schließlich will der deutsche Eigner der Plattform seine Agenda über Deutschland hinaus in die USA exportieren.
Eine mediale Darstellung mit Hilfe von Framing und Narrativen prägt die öffentliche Wahrnehmung und dient den Eliten zur Durchsetzung ihrer eigenen Agenda. Das weiß die Führung bei Axel Springer am besten. Einst sagte der Verlagsgründer und deutsche Zeitungsverleger sowie Gründer und Inhaber der heutigen Axel Springer SE, "Wahr ist, was morgen in der Zeitung steht."
Obwohl die New York Times in ihrer Enthüllungstory alle Aspekte dieses Skandals aufdeckte, ist hierzulande zu beobachten, dass die Mainstream-Medien sich in ihrer Berichterstattung über diese Geschichte eher auf den Sex-Skandal um Reichelt fokussiert haben – anscheinend, um weitere noch wichtigere Aspekte dieses Skandals (zum Beispiel die voranschreitende Monopolisierung der Medien im Westen) herunterzuspielen. Der Fall Reichelt wird mittlerweile sogar als "ein Lehrstück" über die MeToo-Bewegung markiert, um somit als ganze Story den Mainstream-Medien in den Kram zu passen.
Für Döpfner ist Reichelt immerhin noch ein "Rebell", der Einzige, der gegen "den neuen DDR-Obrigkeitsstaat" aufbegehrte. "Fast alle anderen" seien "zu Propaganda-Assistenten" geworden. Diese merkwürdigen Äußerungen machen ganz deutlich, dass die Springer-Führung in ihrer eigenen Informationsblase lebt, die sie selbst mit heißer Luft gefüllt hat, und die kaum der Realität der Entwicklungen auf der Welt entspricht.
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