von Kaspar Sachse
Groß war der Frust am Sonntagabend im Berliner Festsaal Kreuzberg. Statt in den ehemaligen linken Hochburgen in Ostberlin zu "feiern", blieb die Linken-Führung, freilich unter Einhaltung strenger Corona-Regeln, im hippen und ach so bunten Kreuzberg unter sich. Die Gesichter der Linken-Chefinnen Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow waren lang, der Bundestagsfraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch meinte am Montag:
"Wir waren zu sehr mit internen Auseinandersetzungen beschäftigt. Ab heute beginnt der Wahlkampf wieder."
Also "Vorwärts immer, rückwärts nimmer"? Seine Parteikollegin Sahra Wagenknecht hatte da bereits am Wahlabend eine bessere Analyse: Sie meinte, "dass die Linke sich in den letzten Jahren immer weiter von dem entfernt hat, wofür sie eigentlich mal gegründet wurde, nämlich als Interessenvertretung für normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für Rentnerinnen und Rentner", wie sie im Wahlstudio der ARD verriet. Wer es ausführlicher mag, kann das auch in ihrem Buch "Die Selbgerechten" nachlesen. Das bereits erwähnte Spitzenpersonal hat das ganz bestimmt nicht getan.
Weder Ost- noch Protestpartei
Vorbei sind die Zeiten, in denen die Linke, damals noch als PDS, für die Interessen der Ostdeutschen stand und sich als Bollwerk gegen westdeutsche Kolonialisierung samt Treuhandunwesen und Massenarbeitslosigkeit bzw. Kurzarbeit zur Wehr setzte und den Herrschenden auf die Finger klopfte.
Statt der Arbeiterschaft unterstützt man lieber das deutsche Kapital, das dringend billige Arbeitskräfte aus dem Nahen Osten und Nordafrika benötigt – auch wenn diese Menschen zumeist mit der propagierten gendergerechten Sprache und einem emanzipierten Frauenbild eher wenig anfangen können. Wer da nicht mitzieht, ist in null Komma nichts Nazi, fliegt raus und wählt beim nächsten Mal aus Frust die AfD. Dazu geht man der heiligen Greta auf dem Leim, will noch grüner als die Grünen sein und übersieht, dass das Narrativ vom Klimawandel – ob nun 100 Prozent "menschengemacht" oder nicht, sei an dieser Stelle dahingestellt – in erster Linie dazu dient, die aktuellen Besitzverhältnisse zugunsten der herrschenden Klasse samt digitalem Überwachungs-Kapitalismus und der Abschaffung des Bargelds zu zementieren. Währenddessen wird der Großteil der Bevölkerung mit höheren Abgaben, Lebensmittel- und Strompreisen sowie immer stärkeren Freiheitseinschränkungen belastet.
Die Haltung, in der "Corona-Krise" noch autoritärer als der von Lobbyisten großer Konzerne durchseuchte "starke Staat" zu agieren, hat für viele ehemalige Linken-Wähler das Fass zum Überlaufen gebracht. Das Propagieren freiheitsverachtender Aktionen wie ZeroCOVID und NoCOVID sowie die absolute Unterstützung des auf Masken-, Test- und Impfzwang aufbauenden in Deutschland seit März 2020 regierenden "Corona-Regimes" (Herfried Münkler) haben jeden potenziellen Wähler im Osten verschreckt, der historische Erfahrung damit hat, wenn Regierende und Medien hin und wieder nicht so ganz bei der Wahrheit bleiben und persönliche Freiheiten wie das Reisen einschränken. Dazu kommt, dass im Westen das demokratische Vertrauen in das "beste Deutschland aller Zeiten" (Frank-Walter Steinmeier) sowieso stärker ausgeprägt ist als bei den ewigen "Jammerossis", daher wählt man dort lieber gleich SPD oder Grüne statt eine ostdeutsche Mischung aus beiden Parteien.
Unterirdisches Personal
Doch nicht nur das Verkennen der realen Probleme im Land hat zum katastrophalen linken Wahlergebnis beigetragen. So hat man die letzten politischen Realisten wie Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine, Diether Dehm, Andrej Hunko, Sevim Dağdelen, Alexander Neu oder Fabio De Masi in den letzten Jahren systematisch ausgegrenzt und durch neue "Powerfrauen" und "Identitätspolitik" ersetzt. Beispielhaft steht hierfür die neue Co-Vorsitzende Hennig-Wellsow, auch bekannt als schlechte Thüringer Wahlverliererin mit nur groben Vorstellungen von den aktuellen Einsätzen der Bundeswehr und wenig konkreten Aussagen zur Ausgestaltung einer linken Vermögensabgabe für Superreiche.
Dazu gesellen sich blutjunge, urbane Städter aus gut situiertem Hause, die meist irgendwas mit Medien, Politik oder Sozialem studieren und vom realen Leben gerade auf dem Land eher wenig Ahnung haben – die Alten dagegen mit ihrer DDR-Vergangenheit dürfen zwar noch wählen gehen, sollen sich ansonsten aber mit ihrer fehlenden Wokeness und ihrem Marxismus-Geschwätz bitte aus dem Parteigeschehen raushalten.
Konsequenzen? Immer sind die anderen schuld!
Unter dem Führungsduo Kipping/Riexinger hat sich in der Partei eine bestimmte Haltung etabliert: Nicht wir sind an der Misere schuld, sondern stets die anderen. Der innere, nach außen streng abgeschirmte Machtzirkel ist daran interessiert, seine Pöstchen zu behalten, da sind Netzwerker und Apparatschiks gefragt – fachliche Qualifikation oder gar intellektuelle Fähigkeiten sind da fehl am Platze. Nicht die berechtigte Kritik des Wagenknecht-Flügels an der Parteiführung und Vergrünung der Partei werden zur Kenntnis genommen oder gar berücksichtigt, nein, die vermeintlichen Renegaten dienen als Sündenbock für das eigene politische Versagen – so auch nach der Bundestagswahl.
Bartsch führte das miese Wahlergebnis seiner Partei auch auf die "linke" Konkurrenz zurück. Vor allem die SPD habe die Linken Stimmen gekostet: "Olaf Scholz ist mit einer Anti-Wahl nach oben gekommen." Er befürchtet, dass es "mit der Raute, die Olaf Scholz gezeigt hat, ein 'Weiter-so'" geben werde. Damit hat er nicht Unrecht, aber Selbstkritik sieht anders aus. Denn ob Finanz-, Flüchtlings-, Klima- oder Corona-Krise – das völlige Versagen der Linken im Bereich des Sozialen und einer wirkungsvollen Kapitalismuskritik zeigt das Ende einer Partei auf, die sich über die Jahre völlig von ihrem Markenkern entfernt – und somit eindeutig überflüssig gemacht hat. Das muss man erst einmal hinbekommen.
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