von Seyed Alireza Mousavi
Der syrische Präsident Baschar al-Assad stattete am Montag Moskau einen Besuch ab und traf sich dabei zu Gesprächen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Putin bekräftigte die russische Unterstützung für die Rückeroberung der weiterhin von Terroristen und ausländischen Streitkräften (wie USA) besetzten Gebiete durch die legitime Regierung in Damaskus.
Vor dem Hintergrund dieses Treffen hatte die syrische Armee mit Vermittlung Russlands kürzlich den Stadtteil Darʿā al-Balad von den Islamisten zurückerobert. Die Stadt Darʿā, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz an der Grenze zu Jordanien, war in den letzten Wochen Schauplatz heftigster Gefechte zwischen den sogenannten Rebellen und der regulären Syrischen Arabischen Armee (SAA).
Die Befreiung von Darʿā ist von großer Bedeutung, da die Stadt lange ein Zentrum der sogenannten Rebellen bzw. Terroristen war. Dort hatte die 2011 im Grunde von außen aufgeputschte und mit brutaler Gewalt aufgeladene Rebellion gegen den syrischen Staat ihren Ausgang genommen. Darʿā wurde daher von den sogenannten Rebellen als Wiege der "Revolution" bezeichnet und war bis zum Sommer 2018 eine Deeskalationszone unter dem Schutz der USA. Die Provinz wurde im Juli 2018 von der syrischen Armee zurückerobert. Im Gegensatz zu anderen Gebieten, in denen sich die Regierungsstreitkräfte wieder durchsetzen konnten, gab es jedoch keine klare Waffenstillstandsvereinbarung und keinen anschließenden Abtransport der Dschihadisten in die nördliche Provinz Idlib nahe der türkischen Grenze.
Die Rebellen behielten einige Gebiete unter ihrer Kontrolle, darunter den südlichen Teil der Provinzhauptstadt, Darʿā al-Balad, in dem sie die Bürger faktisch als Geisel nahmen. Russland hatte seinerzeit die Regierung in Damaskus zu einem Aussöhnungsabkommen bewegt, wobei es unter anderem die Rekrutierung von Rebellen aus Darʿā für eine neue lokale Schutztruppe beaufsichtigt hatte, die als Fünftes Korps bekannt wurde.
Im Rahmen einer von Moskau vermittelten Waffenstillstandsvereinbarung gelang es kürzlich der syrischen Armee in Begleitung russischer Militärpolizisten in den seit 2018 von der Rebellen kontrollierten Stadtteil von Darʿā einzudringen. Nach der neuen Vereinbarung müssen die Rebellen ihre Waffen niederlegen, und wer von den Terroristen die Waffen nicht an syrische Behörde abgeben will, soll die Stadt geordnet in Richtung Idlib verlassen.
Die endgültige Kontrolle über die Provinz Darʿā wird eine Kräfteverschiebung nicht nur in Syrien, sondern in der ganzen Region auslösen. Die vollständige Befreiung der Stadt und die anschließende Vereinbarung beendeten eine Pattsituation im Südwest Syriens und machten für die syrische Armee den Weg zur Zurückeroberung der letzten Hochburg der dschihadistischen Milizen und Terrorgruppen im Norden des Landes frei.
Das sich abzeichnende neue Kräfteverhältnis in der südwestlichen syrischen Provinz Darʿā ist zudem aus dem geopolitischen Blickwinkel entscheidend, denn Darʿā grenzt an die umstrittenen Golanhöhen. Die Provinz an der Grenze Jordaniens gehört zu einem der wichtigsten Standorte zur Vernetzung der Verbündeten Irans in der Region. Von dort aus ist Teheran in der Lage, Israel durch die Stationierung seiner Elitetruppen sowie die Weitergabe von Rüstungsgütern an die libanesische Hisbollah einzukesseln. In der Stadt Abu Kamal an der Grenze zum Irak, die von Iran als strategisch wichtiger Grenzübergang in Syrien gesehen wird, haben sich längst iranische Militärfunktionäre positioniert und sich auf eine mögliche groß angelegte militärische Konfrontationen mit Israel vorbereitet. Der Ausbau des sogenannten Schiitischen Halbmonds, eine Landverbindung von Teheran über Bagdad und Damaskus bis nach Beirut, wird insofern mit der möglichen iranischen Militärpräsenz in Darʿā an der Grenze zu Jordanien vervollständigt.
Aus israelischer Sicht war bislang das Haupthindernis für die Konsolidierung des iranischen Projekts die russische Präsenz in der Region Darʿā. Die von Russland unterstützte Achte Brigade – eine Unterabteilung des Fünften Korps – stand in Darʿā faktisch längst direkt unter russischem Kommando. Durch die jüngste Offensive der syrischen Armee zur Befreiung der Stadt wurde jedoch deutlich, dass Russland die weitere Besatzung des syrischen Territoriums und die Beibehaltung des Status quo durch die Milizen angesichts der israelischen Bedenken für seine "Sicherheit" in Darʿā nicht mehr tolerieren will.
Die Darʿā-Offensive wurde von der 4. Division der syrischen Armee angeführt. Sie ist mehrheitlich alawitisch und wird von Berufssoldaten gebildet. Die 4. Division wird de facto von Maher Assad kommandiert, einem Bruder des Präsidenten, der gute Kontakte zur Iranischen Revolutionsgarde pflegt. Die Befreiung von Darʿā al-Balad war grundsätzlich der Entscheidung der Russen zu verdanken, da sie die Zweideutigkeit in Darʿā aufgaben und deutlich machten, dass Russland weitere Operationen der syrischen Regierung unterstützen würde, wenn die sogenannten Rebellenkämpfer den Forderungen der Regierung in Damaskus nicht nachkämen.
Während Russland und Iran auf Einladung der syrischen Regierung in Syrien interveniert haben, um den Syrern bei der Bekämpfung des Terrorismus zu helfen, haben beide Staaten unter anderem auch unterschiedliche Prioritäten. Während es den Russen in erster Linie darum geht, dass Syrien sich schnell wieder in die Weltgemeinschaft integrieren kann, setzen die Iraner eher darauf, das Land seine Rolle als Hauptkorridor für die sogenannte Achse des Widerstands gegen Israel beizubehalten.
Der russische Außenminister Sergei Lawrow bekräftigte letzte Woche nach dem Treffen mit seinem israelischen Amtskollegen Jair Lapid, Moskau sei dagegen, Syrien zum Schauplatz der Konfrontation zwischen Drittländern zu machen. Dennoch hielt Russlands Top-Diplomat an der russischen Strategie in Syrien fest, dass Moskau verpflichtet sei, Syrien bei der Verteidigung seiner Souveränität zu helfen.
Mit der Befreiung von Darʿā unter Vermittlung Russlands kommt der syrische Staat der Wiedergewinnung seiner vollständigen Souveränität wieder ein Stück näher. Die Rückeroberung von Darʿā wird zudem zu einer Verschiebung des Machtgefüges in der Region führen, da Iran und Israel nach der Aufhebung der Pattsituation in der Provinz Darʿā faktisch auf einen neuen Kollisionskurs in der Region zusteuern.
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