Die USA 20 Jahre nach dem 11. September: Ein Land, das nicht mehr wiederzuerkennen ist

Es heißt, man werde mit der Bewältigung von Widrigkeiten stärker, da der Blick zurück ein Maß an Selbstreflexion erfordert, durch die eine Heilung gefördert werde. In den zwei Jahrzehnten nach dem 11. September haben die USA jedoch nichts über sich selbst gelernt. 20 Jahre nach 9/11 erkennt man das Land nicht mehr wieder. Die USA sind zu einem bösartigen Narzissten geworden, der alles infiziert, was ihm begegnet.

von Scott Ritter

Ich wurde als Militärbalg erzogen – eine besondere Kategorie amerikanischer Jugendlicher, die von klein auf von Stolz erfüllt waren, Teil eines Kollektivs zu sein, das durch ein Pflichtgefühl gegenüber dem Land und durch die Selbstlosigkeit der Opferbereitschaft bei der Erfüllung dieser Pflichten vereint ist. Es gab kein Anspruchskonzept – alles, was auf sie zukam, war entweder verdient oder wurde erduldet, basierend auf ihren Handlungen oder den Handlungen anderer in der Gruppe.

Der Militärbalg führte ein Leben, in dem mindestens ein Elternteil, manchmal aber auch beide, die Uniform einer der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika trugen. In meinem Fall war es mein Vater, der als Offizier bei der US Air Force diente. Wir sind im Schnitt alle anderthalb Jahre umgezogen, was bedeutete, dass wir von meiner Geburt bis zum Abitur nicht weniger als elf Mal unsere Sachen gepackt und woanders ein neues Leben begonnen haben. Ich habe drei verschiedene Highschools besucht: eine auf Hawaii, eine in der Türkei und eine in Deutschland. Wir haben unser Land nicht aus einem überhöhten Wertegefühl lieben gelernt, sondern weil wir es so gesehen haben, wie andere es sahen – das Gute, das Schlechte und das Hässliche, aber vor allem das Gute.

Diese Erfahrung hat mich als Erwachsener geprägt, insbesondere als ich in die Fußstapfen meines Vaters trat und beim Militär – in meinem Fall dem Marinecorps – eintrat und ein Leben führte, das vom Dienst im Ausland geprägt war.

Am Morgen des 11. September 2001 war ich jemand, der aus eigener Erfahrung wusste, dass mein Land zutiefst fehlerbehaftet war, große Fehler machen konnte, aber auch die einzigartige Kraft hatte, mit entsprechender Motivation Großes und Gutes in der Welt zu tun. Als ich – wie Millionen anderer Amerikaner – entsetzt mit ansehen musste, wie die Zwillingstürme des World Trade Centers einstürzten, wie Rauch aus einem Loch in der Seitenwand des Pentagons aufstieg und ein Feld mit den Trümmern eines Passagierflugzeug übersät war – alles wegen Aktionen von Terroristen, die meinem Land schaden wollten – war ich wutentbrannt. Als ich sah, wie das amerikanische Volk nach dem Anschlag zusammenfand und sich die Weltgemeinschaft in Solidarität um uns versammelte, tröstete mich der Gedanke, dass die Terroristen verloren hatten. Dass sie uns durch ihr Handeln nicht besiegt, sondern stärker gemacht hätten, sowohl als Nation als auch als Teil der globalen Staatengemeinschaft. Ich lag in meinem ganzen Leben noch nie so falsch mit meiner Einschätzung wie in diesem Augenblick.

"Sie sind entweder mit uns oder mit den Terroristen"

Fast unmittelbar nach den Anschlägen begann mein Land, sich wie eine verwöhnte Göre zu benehmen und darauf zu beharren, dass die Welt sich uns bei einer Mission anschließt. Nicht nur um diejenigen zu jagen und zu bestrafen, die die Anschläge vom 11. September geplant und durchgeführt hatten, sondern auch, um die Welt gemäß unserer Vision neu zu gestalten. Kurz gesagt, wir waren die einzige Nation, die zählte, und alle anderen mussten unseren Weg einschlagen. "Sie sind entweder mit uns", verkündete der damalige Präsident George Bush, "oder mit den Terroristen."

Wir marschierten in Afghanistan ein, um Rache zu üben, anstatt Gerechtigkeit zu suchen, und folgten dieser Aktion mit der Invasion und der Besetzung des Irak – einer Nation, die überhaupt nichts mit den Ereignissen am 11. September zu tun hatte. Der Irak sollte auch kein isoliertes Ereignis sein, sondern stattdessen die Initiierung einer größeren Anstrengung zur regionalen Transformation. Dabei versuchten die USA, die Regierungen Syriens, Irans und anderer Nationen zu stürzen, um Regierungen einzusetzen, die wir für akzeptabel hielten – ohne Rücksicht auf diejenigen, die in diesen Ländern leben oder auf die Länder, von denen wir gefordert haben, an diesen Unglücken teilzunehmen.

Rückblickend auf die 20 Jahre, die seit dem 11. September 2001 vergangen sind, scheint der Schaden, den wir der Welt zugefügt haben, für jeden schmerzlich offensichtlich zu sein – außer für uns selbst.

 

Die USA hatten die Wahl: Mit der Welt zusammen Probleme lösen oder sich als Narzissten zu erkennen geben

Wenn ich über die nationale Anmaßung nachdenke, die solchen Tod und solche Zerstörung angerichtet hat, bin ich überrascht, wie sehr die Amerikaner die Gelegenheit vertan haben, die sich aus der Asche des 11. Septembers ergeben hatte. Die Welt hatte sich nach diesem schrecklichen Tag um uns versammelt, und wir hatten die Wahl: Entweder mit der Welt zusammenarbeiten, um die Probleme zu lösen, die sich in den Aktionen der Terroristen manifestiert hatten, oder diese Gelegenheit verspielen, indem wir darauf bestehen, dass sich beim 9/11 alles nur um uns drehte – und der Rest der Welt soll verdammt sein. Wir haben uns für Letzteres entschieden.

Beim Versuch, die Handlungen der USA nach dem 11. September zu erklären, ist die genaueste Diagnose, die ich stellen kann, die einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Dies ist ein psychischer Zustand, der durch ein überhöhtes Gefühl der eigenen Wichtigkeit, ein tiefes Bedürfnis nach übermäßiger Aufmerksamkeit und Bewunderung, durch gestörte Beziehungen und einen Mangel an Empathie für andere definiert wird. Bemerkenswerterweise verbirgt sich unter dieser Fassade extremen Selbstbewusstseins ein zerbrechliches Ego, das für die geringste Kritik überempfindlich ist.

Wenn man über das Anspruchsgefühl nachdenkt, das Amerika nach dem 11. September gezeigt hat und bis heute zeigt, werden die Anzeichen und Symptome einer kollektiven narzisstischen Persönlichkeitsstörung offensichtlich, wie die Rhetorik unserer Regierung zeigt:

Die anderen Symptome rollen von der Zunge und werden von jedem, der zur Selbstreflexion fähig ist, leicht erkannt: Monopolisieren von Themen und Herabsetzen oder Herabwürdigen von Menschen, die man als minderwertig empfindet; Erwartung besonderer Gefälligkeiten und die bedingungslose Erfüllung der Erwartungen; andere ausnutzen, um zu bekommen, was man will; die Unfähigkeit oder der Unwille, die Bedürfnisse und Gefühle anderer zu erkennen; auf andere neidisch sein und zugleich glauben, dass man von anderen beneidet wird; sich arrogant oder hochmütig verhalten, eingebildet, prahlerisch und anmaßend wirken; darauf bestehen, das Beste von allem zu haben.

Vielleicht waren wir schon immer so und es brauchte 9/11, um diese schrecklichen Eigenschaften an die Oberfläche zu bringen. Aber wenn ich über die letzten 20 Jahre nachdenke, erkenne ich das Land, zu dem wir geworden sind, nicht wieder: Eine Nation von Narzissten, die es zugelassen haben, dass die Bösartigkeit unseres Zustands den Rest der Welt nachteilig beeinflusst.

Narzissmus ist behandelbar

Ich weiß, dass es meine Nation besser könnte. Um es besser zu machen, müssen wir jedoch darüber nachdenken, was aus uns geworden ist, erkennen, dass dieser Zustand nicht akzeptabel ist, und bereit sein, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den zugrunde liegenden Zustand zu korrigieren.

Leider bezweifle ich, dass wir als Nation von Narzissten dazu in der Lage sind. Am 20. Jahrestag von 9/11 befürchte ich, dass sich die Symptome unserer nationalen Persönlichkeitsstörung noch zusätzlich verschlimmern werden, da wir mit unserer Böswilligkeit alles infizieren, was uns begegnet. Dies ist vielleicht nicht das Vermächtnis, von dem die Leute glauben, dass wir es nach den Schrecken von 9/11 verdienen, aber es ist das Vermächtnis, das wir uns durch unser Handeln verdient haben.

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Übersetzt aus dem Englischen.

Scott Ritter ist ein ehemaliger Offizier für Aufklärung der US-Marineinfanterie. Er diente den USA in der Sowjetunion als Inspektor für die Umsetzung der Auflagen des INF-Vertrags, während des Zweiten Golfkriegs im Stab von General Norman Schwarzkopf und war danach von 1991 bis 1998 als Waffen-Chefinspekteur bei der UNO im Irak tätig. Derzeit schreibt Ritter über Themen, die die internationale Sicherheit, militärische Angelegenheiten, Russland und den Nahen Osten sowie Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung betreffen.Man kann ihm auf Twitter unter @RealScottRitter folgen.

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