von Seyed Alireza Mousavi
Rund drei Wochen nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan haben die Taliban erste Besetzungen ihrer Übergangsregierung vorgestellt. Die bisherige Islamische Republik Afghanistan heißt nun offenkundig Islamisches Emirat Afghanistan. Bis auf drei Personen gehören alle designierten Regierungsmitglieder der Ethnie der Paschtunen an. Daneben sind zwei weitere designierte Amtsträger Tadschiken, einer ist Usbeke. Angehörige der Hazara sucht man erst einmal vergebens. Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid sagte allerdings, es handle sich um ein Übergangskabinett. Auch wurden bisher noch nicht alle Posten namentlich besetzt.
Die Bildung dieser afghanischen Übergangsregierung machte erneut den Einfluss Pakistans auf die Taliban-Bewegung deutlich. Ein Blick auf die Liste der neuen Amtsträger reicht aus, um die Reichweite des pakistanischen Einflusses in Afghanistan zu belegen. Das Innenministerium wird insbesondere vom Führer des extremistischen Haqqani-Netzwerks Siradschuddin Haqqani geleitet. Das Haqqani-Netzwerk ist in den USA als "terroristische Gruppierung" eingestuft. Dieser mächtigen Gruppe innerhalb der Taliban werden enge Beziehungen zum Geheimdienst Inter-Services Intelligence Pakistans (ISI) nachgesagt. Dass die afghanischen Taliban von pakistanischen Geheimdiensten unterstützt werden, ist ja längst ein offenes Geheimnis.
Pakistans Regierung unterstützte die Taliban auch bei ihrer Militäroffensive zur Machtübernahme. In vergangenen Tagen kam es zu heftigen Gefechte um die letzte Bastion der sogenannten Widerstandskräfte im Pandschschir-Tal zwischen den Taliban und den Anhängern von Ahmad Massoud, dem Sohn des früher bekannt gewordenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Schah Massoud. Dazu kursieren unbestätigte Berichte, dass pakistanische Kampfdrohnen als Unterstützung der Taliban-Kämpfer zum Einsatz kamen. Hunderte Afghanen demonstrierten schon in der Hauptstadt Kabul gegen den Einfluss Pakistans auf ihr Land.
Der Chef des pakistanischen Geheimdienstes ISI Faiz Hameed hatte sich in der letzten Woche in Kabul mit Taliban-Funktionären getroffen. Zuvor war ein erster Versuch der Taliban zur Regierungsbildung gescheitert. Es wird immer wieder spekuliert, dass ISI sogar selbst hinter der Gründung der Taliban-Bewegung in Afghanistan steckt. Insbesondere in den ersten Jahren rekrutierten die Taliban einen großen Teil ihrer Milizen aus den afghanischen Flüchtlingslagern in den ebenfalls mehrheitlich von Paschtunen besiedelten Gebieten jenseits der Grenze zum Nachbarland.
Dabei ist anzumerken, dass Pakistan die Bewegung der pakistanischen Taliban (TTP) als eine Herausforderungen für seine Sicherheit auf eigenem Boden betrachtet und insofern hofft, dass die Taliban Pakistan dabei helfen werden, die pakistanischen Taliban in Schach zu halten.
Pakistan setzte längst darauf, dass die Taliban in Afghanistan den Staat bilden werden. Als Atommacht will Pakistan seinen Einfluss in der Region ausweiten. Dabei spielt Afghanistan für die pakistanischen Ambitionen eine wichtige Rolle. Die Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan wird sicherlich die Position Pakistans in der gesamten Region stärken. Pakistan kooperiert bereits eng mit China und hofft – wie die Taliban in Afghanistan – auf chinesische Investitionen. China, das wiederum enge Beziehungen zu Pakistan pflegt, nahm bereits offizielle diplomatische Beziehungen zu den Taliban auf.
Mit dem Beginn der Regierungsbildung in Afghanistan wächst nun weltweit der Druck, über eine Anerkennung einer Taliban-Regierung zu entscheiden. Bislang hieß es von vielen Ländern, eine mögliche Anerkennung hänge unter anderem davon ab, ob sich alle Bevölkerungsgruppen in der Regierung wiederfinden werden. Anders scheint dies jedoch derzeit in China gesehen zu werden. Nach der Bildung der Übergangsregierung durch die Taliban begrüßte man in Peking das Ende der "drei Wochen Anarchie" in Kabul und forderte die Taliban auf, die Ordnung im Land wiederherzustellen.
Für die Nachbarländer Afghanistans scheint nun ebenfalls die Stunde gekommen zu sein, um nach dem chaotischen Rückzug der westlichen Truppen Umgestaltungen in der Region anzustreben. Mit dem Rückzug der USA aus der Region wird auf jeden Fall der Spielraum für die Atommacht Pakistan in der Region größer, um den Einfluss auszubauen und den Erzrivalen Indien zurückzudrängen. Dabei hängst alles davon ab, ob es den Taliban gelingen wird, ihre Macht in Afghanistan weiter zu festigen und alte ethnische Konflikte zu lösen. Denn in Islamabad ist man sich dessen, dass eine Taliban-Administration, die sich die Macht nicht mit anderen Stämmen teilt, auf Dauer nicht regierungsfähig bleiben könnte. Daher ist zu erwarten, dass Islamabad erst nach Rücksprache mit anderen Hauptakteuren offiziell über die Anerkennung der Taliban-Regierung entscheiden wird, zu denen neben China auch Russland und die USA gehören.
Die USA sind in Afghanistan letztlich in Afghanistan genauso gescheitert wie zum Ende des Kalten Krieges die Sowjetunion oder in der Kolonialzeit vor 150 Jahren die Briten in ihrer Konfrontation gegen das russische Zarenreich. Das aktuelle Scheitern in Afghanistan war allerdings insbesondere für den Westen ein Desaster, weil die USA neben dem ruhmlosen Abzug auch noch im Zuge der Evakuierung ihrer Landsleute und Kollaborateure gedemütigt wurden. Afghanistan gilt seit jeher als Friedhof von Imperien. Pakistan hatte immerhin Afghanistan nicht besetzt und versucht nun, durch einen gemeinsamen kulturellen und religiösen Hintergrund mit den Afghanen seine eigene Einflusszone auf der politische Landkarte auszudehnen, während die unipolare Weltordnung der USA weiter zurückgedrängt wurde und nun nahe am Abgrund steht.
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