von Dagmar Henn
Der Tag geht schon gut los, wenn man in der Quarantäne-Lotterie verliert. Was das ist? Das wird offiziell Corona-Schnelltest genannt, ist noch an jeder zweiten Straßenecke zu haben und muss – wenn man in einem Hotel wohnt – alle drei Tage vorgelegt werden.
Ich wohne im Hotel, aber nicht, weil ich gerade zu Besuch bin, sondern weil ich noch keine Wohnung in Berlin habe. Und dort bin ich nun seit einigen Monaten. So etwas ist aber in den Vorschriften des Berliner Senats nicht vorgesehen, obwohl in der momentanen Lage auf dem Wohnungsmarkt – insbesondere in Berlin – sicher nicht nur ich derart provisorisch hause.
Letzte Woche Dienstag ging ich also – auf dem Weg zur Arbeit – los, um mir einen dieser Schnelltests zu holen. Quarantäne-Lotterie ist aber die bessere Bezeichnung. Das lässt sich ganz einfach nachrechnen. Der Test, der mir mehrere Tage Stubenarrest bescheren sollte, hat eine Spezifität hauchdünn über 99 Prozent. Das heißt, ganz grob gesagt, einer von hundert Tests beschert dem zu Diagnostizierenden fälschlicherweise ein positives, also ein sogenanntes falsch positives Ergebnis.
Das ist ganz normal, es gibt keine Tests, die zu hundert Prozent richtig sind – so ist das Leben. Nur, wenn man jetzt einen Blick auf die heilige Inzidenz wirft, wird es spannend. Die lag nämlich an besagtem Dienstag für Berlin bei 87,5; das bedeutet, weniger als ein PCR-Test-Positiver auf 1.000 Berliner (ja, man vergisst leicht, dass sich diese Inzidenz von knapp 90 ja auf 100.000 Einwohner berechnet). Also statistisch wäre nur knapp ein positives Ergebnis auf tausend Tests zu erwarten. Wenn nun der Schnelltest jeden Hundertsten falsch positiv macht, kommen zehn falsch Positive auf einen "wirklich" PCR-Positiven unter den Getesteten (die Frage der Aussagekraft des PCR-Tests lassen wir mal außen vor).
Wenn ich also an der Quarantäne-Lotterie teilnehme, beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass ich ein positives Schnelltestergebnis erhalte, 1:100; die Wahrscheinlichkeit, dass der darauf folgende PCR-Test negativ ausfällt, aber 10:1.
Eine Niete auch. Nun, eigentlich sollte die Einrichtung, die einen (eventuell fälschlich) positiven Schnelltest liefert, dann auch den etwas verlässlicheren PCR-Test machen. Pech gehabt, das Testcenter erklärt mir, da müsse ich woanders hin; es werde sich jemand vom Gesundheitsamt bei mir melden. Aber vor allem müsse ich mich nun in die Selbstisolation begeben. Nun, ich bin brav, kehre auf dem Weg zur Arbeit um, ziehe mich in das besagte Hotelzimmer zurück und warte auf den Anruf.
Und warte. Und warte – den ganzen Dienstag.
Mittwochs versuche ich es dann anders. Weil das Testzentrum in einem anderen Berliner Bezirk liegt als das Hotel – und weil ich davon ausgehe, dass jetzt der Stadtbezirk des Hotels zuständig ist –, rufe ich dort an. Immerhin gibt es eine Corona-Hotline.
Manchmal wünscht man sich also sogar ganz von selbst diese grauenvollen Callcenter – für Softwareprobleme oder wofür auch immer –, in denen man eine halbe Stunde wartet, bis eine Stimme aus Griechenland oder Indien erklingt. Diese hiesige Corona-Hotline serviert mir zwei Bänder hintereinander, die mich beide auffordern, geduldig in der Leitung zu bleiben, um mich dann immer wieder gnadenlos aus selbiger zu werfen. Da weitere Versuche am Ergebnis dieses leicht reproduzierbaren Experiments nichts ändern, beschließe ich, die Hotline zu umgehen.
Ich schicke eine Mail mit dem positiven Schnelltest-Ergebnis an das zuständige Gesundheitsamt. Und hurra! Nach einer Stunde wird mir der Eingang dieser Mail bestätigt. Wunderbar, denke ich, jetzt kann es sich nur noch um Minuten handeln, dann komme ich endlich an den nötigen PCR-Test.
Zu schnell gedacht. Nichts rührt sich. Inzwischen liegt der positive Schnelltest 24 Stunden zurück. Ich verliere die Geduld und rufe bei der Telefonnummer an, die in der automatischen Rückmeldung auf meine abgesandte Mail steht. Und erwische einen echten, quicklebendigen Menschen.
Der aber natürlich leider gar nicht zuständig ist: Mit ihm, klärt er mich auf, hätte ich nur dann etwas zu regeln, wenn ich etwa die Masern hätte. Ich meine, aller Wahrscheinlichkeit nach hätte ich nichts außer einem positiven Schnelltest, aber die Teststelle hätte sich geweigert, den PCR... "Das müssen sie aber... ", meinte der durchaus freundliche Herr vom Gesundheitsamt. Darauf ich: "Das nutzt mir aber nichts mehr, ich sitze ja schon im Hotel." Darauf versichert er, er leite das Ganze an die zuständige Stelle weiter.
Witzigerweise funktioniert die Strategie meistens, um durch die Hintertür einer anderen Nebenstelle bei einer Behörde etwas zu erreichen. Diesmal dauert es nur noch eine halbe Stunde, bis mich jemand anruft und mit mir einen Besuch des mobilen Teams für den Abstrich am Folgetag vereinbart.
Wir reden jetzt vom Donnerstag. Donnerstagvormittag stehen tatsächlich zwei Herren mit Gesichtsschild, Maske und Plastiküberzug vor meiner Zimmertür und stochern dann in meinen Hals und meine Nase. Sie sind nett, die ganze Prozedur dauert vielleicht drei Minuten, und weg sind sie wieder. Das Testergebnis soll am Freitag da sein.
Ja, Freitag. Da, das gebe ich zu, war ich unvorsichtig. Ich versuche auch am Freitag noch, dem Ergebnis hinterher zu telefonieren, aber zu spät. Immerhin ist ja Freitag, also fast schon Wochenende. Aus entgegengesetzter Richtung dringt kein Lebenszeichen zu mir. Es ist ja auch irgendwie nicht so wichtig, ob ich jetzt das Wochenende in meinem Zimmer eingesperrt verbringe oder nicht.
Ich genieße also noch am Samstag und am Sonntag die Ruhe und Abgeschiedenheit meines Quartiers. Zum Glück habe ich einen Balkon, auf dem ich zumindest rauchen kann. Ich unterhalte mich am Wochenende kurzweilig mit Verschwörungstheorien. Hat etwa irgendwer mitbekommen, dass ich die ganzen Monate lang schlicht alle "Begegnungsstätten" gemieden hatte, für die man sich testen lassen muss? Und zwar, weil mir das Tragen dieser Maske im ÖPNV schon reicht. Und jetzt wurde also beschlossen, es mir einmal so richtig einzuschenken... Und natürlich denke ich auch darüber nach, ob nicht ein positives Ergebnis sogar am Ende günstiger wäre: Dann hätte ich jetzt wenigstens den Status "Genesen" – sozusagen als Ausgleich für den Stubenarrest. Aber ich weiß ja, wie die Wahrscheinlichkeiten stehen.
Montag gelingt es mir endlich – wieder unter Umgehung der Corona-Hotline (wie sonst?) –, das Ergebnis zu ergattern. Der PCR-Test ist negativ: "Ja, sie bekommen das per Mail, wenn der Sachbearbeiter so weit ist..." Wundert es noch irgendwen, dass er am Montag nicht mehr so weit kam? Dienstagvormittag, maximal drei Stunden vor Ablauf einer vollen Woche seit dem ursprünglichen Schnelltest, ereilt mich endlich schriftlich das PCR-Ergebnis, und ich kann zurück in mein normales Leben.
Einen Quarantänebescheid soll ich übrigens auch noch bekommen. Per Post. Der ist aber noch nicht eingetroffen. Vielleicht heute Abend. Oder morgen.
Übrigens verbirgt sich hier eine weitere Form der Impfnötigung: in mehreren Bundesländern werden ab Oktober nicht nur die Schnelltests nicht mehr finanziert (auch wenn diese Tests vor allem dem Schutz Dritter dienen), auch die Entschädigung für Quarantäne entfällt. Das bedeutet auf der einen Seite unmittelbaren Einkommensverlust, wenn das Ergebnis der Quarantänelotterie schlecht ausfällt, und auf der anderen Seite zunehmenden Druck von den Unternehmen auf die Beschäftigten, die dank ihres "Losglücks" für schwer vorhersehbare Zeit ausfallen.
Denn bis zu einer Inzidenz von 1.000 bleibt ein "falsch positives" Schnelltestergebnis wahrscheinlicher als ein tatsächlich "richtig positives". So lange werden dann eben Ungeimpfte drangsaliert. Und wer weiß, ob diese überwältigende bürokratische Effizienz nicht ebenfalls Absicht ist, eine Art Abschreckung sozusagen. Und natürlich steigt die Inzidenz vor allem bei Ungeimpften. Wenn ich nur Frauen auf Fußpilz untersuche, halte ich hinterher den Fußpilz auch für ein typisches Frauenleiden.
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