"Was ist an Corona alles geil?" – Journalisten in der Echokammer

Was machen zwei mediale Corona-Scharfmacher in ihrer Freizeit? Sie treffen sich in ihrer Echokammer, beschimpfen Andersdenkende und besprechen die großen Fragen unserer Zeit. Was treibt Pharmaunternehmen an? Wie besiegt man die eigene Kompetenzillusion? Und wird für Ungeimpfte bald täglich Sonntag sein?

von Björn Kawecki

Was ist alles "geil" an Corona? Dieser Frage sind ProSieben-Reporter Thilo Mischke und der Ressortleiter der Wissenschaftsredaktion des Stern Christoph Koch in einem "Expertengespräch" nachgegangen. Der Anlass: Weil über die Corona-Krise mehrheitlich negativ berichtet wird, soll in einem Gespräch auch einmal Positives zum Thema geredet werden. Was für eine geile Idee.

Die Antwort der Journalisten erschöpfte sich aber relativ schnell. Vor allem vermerkten sie positiv, dass es Pharmaunternehmen seit dem Beginn der Krise in Rekordzeit gelungen war, ein experimentelles Medikament auf den Markt zu bringen. Die Rede ist von der vollständigen Zulassung des Impfstoffs von BioNTech/Pfizer durch die US-Arzneimittelbehörde FDA, die im August erfolgte. Was früher "zehn, zwölf Jahre" dauerte, "das Review der Daten und so weiter" wurde in unter einem Jahr "erfolgreich" abgeschlossen. Der Wissenschaftsjournalist Koch hält das für ein "revolutionäres Moment".

Befürchtungen, dass da etwas "gebogen oder gezogen" worden sein könnte, hält Koch für unbegründet. Laut eigener Aussage kennt er "die ganzen Behörden lange und ziemlich gut".

"Das ist eine Zulassung der renommiertesten Zulassungsbehörde der Welt. (...) Das ist wirklich genauso gültig wie eine Fahrprüfung nach der Mindestzahl der Stunden."

Eine Arzneimittelbehörde so zuverlässig wie eine Fahrschule. Das ist beruhigend! Oder um auf derselben rhetorischen Ebene zu bleiben: Geil!

Sexyness an den Kapitalmärkten

Wie Kapitalismus und Forschung miteinander verwoben sind, wie auf Kapitalmärkten entschieden wird, was erforscht wird und was nicht, das findet Koch faszinierend. Menschen, die "fürchterliche Gierinteressen" hinter einer Unternehmensführung sehen, hält er für "Negativisten". Es gehe auch um Rendite "mit Hypes und Fakes". In Wirklichkeit spiele aber "Sexyness" an den Kapitalmärkten eine unglaublich große Rolle. Und die Investitionen in die Erforschung von mRNA-Medikamenten zeigten, dass das System funktioniert.

"Das ist ein Beweis dafür, dass eine Technologie, wie zum Beispiel zuvor Mobilfunk, richtig sexy sein kann, so wie in Gadgets, die wir auch beide schätzen, und das die ganz viel Potenzial hat und man hat es vorher irgendwie nicht verstanden."

Das ist die Logik der Masse, wie Koch die Vorstellung der "unsichtbaren Hand des Marktes" umformuliert. Jetzt, da der Hype für mRNA-Impfstoffe da ist, fänden sich eben viele Investoren.

Einer dieser Investoren von BioNTech war übrigens der deutsche Steuerzahler, der das Unternehmen schon im Herbst 2020 mit 375 Millionen Euro förderte. Die Kosten für die Impfstoffe gehen in die Milliarden.

Trotzdem erkennt Koch, der sich an der Stelle als "eher links geprägten Menschen" bezeichnet, hier ein, wie er es nennt, "dialektisches Moment":

"Diese Dynamik in dem Kapitalismus, dass er die ersten Sachen hervorbringen kann, die echte Wohltaten sind, und dafür an anderen Stellen ganz große menschliche Kosten verursacht. Aber hier funktioniert er im Moment gar nicht schlecht."

Um nicht davon zu sprechen, wie und wessen Interessen auf den Märkten vermittelt werden, lenkt Koch die Aufmerksamkeit der Zuhörer lieber vom Investor auf die Investition, vom "Gierigen" auf die "sexy" Technologie; als sei die neue Technologie nicht gerade deswegen "sexy", weil sie dem Gierigen verspricht, durch die Rendite seine Lust zu befriedigen.

Aber was treibt Unternehmen wie BioNTech an, will Mischke wissen. Kann das wirklich der Kapitalismus sein, oder ist es nicht doch der Wille zu helfen? Was ist es, das die Pharma-Welt im Innersten zusammenhält? Koch, der seinen Philosophie-Bachelor an der Starbucks-Universität gemacht hat, weiß, dass das Geheimnis in der Melange liegt. 

"Das ist wie dein Milchkaffee, den du gut umrührst hast, wo du es nachher nicht mehr auseinandersortiert kriegst."

Als Beweis führt er zwei der Gründer von BioNTech an. Das seien "zwei Professoren mit interessanten Biographien, Migrationshintergrund und einem riesigen Drang, Dinge zu erfinden". Keiner von denen habe "get rich soon" gesagt. Koch räumt ein, dass er in die Köpfe nicht hineinschauen könne. Dennoch hält er "Reichtum und Fame" nur für Nebenwirkungen ihres Erfolgs.

Persönliche Motive sind für Koch am Ende aber egal. Denen gegenüber, die behaupten, dass ein Tumor oder Viren "zur Natur gehören und 'get used to it' sagen", erweist sich Koch als echter Utilitarist:

"Ich finde, die [Viren] sollen einen aufs Maul kriegen. HIV möchte ich sehen, wie das kaputtgemacht wird, und SARS-CoV-2 auch."

"Praktische Vernunft" statt "Kompetenzillusion"

Folgerichtig ist es für Koch ein Moment der Euphorie, wenn Solidarität über irgendeinen siegt und wenn menschlicher Genius über irgendeinen siegt, wie im Fall der Impfung. Für ihn war es eine gute Erfahrung, dass es von Beginn der Corona-Krise an "ganz, ganz stabile Mehrheiten für die Vernunft" gegeben hat.

Koch nennt das "praktische Vernunft". Was Koch meint, könnte man auch anders nennen: Rückgratlosigkeit, Opportunismus, Konformismus, vorauseilender Gehorsam, Kriecherei, Katzbuckelei, Unterwürfigkeit – die deutsche Sprache kennt hier viele Varianten. In Krisen teilt sich nun einmal die Spreu vom Weizen. Für die Redaktion des Stern war das offenbar keine schwere Entscheidung. Denn wer sich der Macht unterwirft, kann an ihr teilhaben.

"Meine Kollegen und ich haben uns relativ früh, relativ deutlich positioniert und gesagt, Masken aufsetzen, also schaden kann es erst mal überhaupt nix. Und kein Dogmatismus jetzt, einfach machen."

Entgegen der geläufigen Kritik seien die ganz "stabilen Mehrheiten für die Vernunft" Koch zufolge keine "Schlafschafe", sondern "Leute, die einfach ihre fünf Sinne beisammen haben". In den USA und in Frankreich sehe das ganz anders aus. Die positive Erkenntnis für Deutschland lautet:

"Das ist gut, dass die Deutschen nicht mehr die Bekloppten von Europa sind."

Stattdessen habe man durch die Krise gelernt, dass "wir" diesen "riesigen Tanker Globalismus, Globalisierung" schnell bewegen können. Mischke merkt an, man dürfe nicht vergessen, dass die ganze Welt letztes Jahr im März stillstand.

Die Frage, wie das gelungen ist, hat für ihn offenbar keine Bedeutung. Warum auch? Wie die beiden Journalisten richtig feststellten, hat die Mehrheit der Bürger Deutschlands die antidemokratische Politik der Regierung ja mitgetragen.

Die nächste Frage, die sie besprechen, ist da nur folgerichtig: Hat man in der Corona-Krise gelernt, wie man mit der Klimakatastrophe umgehen soll? Gemeint ist, ob dieselbe Politik aus Zuckerbrot und Peitsche, aus "Hammer und Tanz", beim nächsten globalistischen Projekt die gleichen stabilen Mehrheiten besorgen könnte.

Bevor Koch zur Antwort ausholt, muss er erst mal ein paar Menschen mit anderer Meinung pauschal herabwürdigen:

"Erst mal ist es ja auffällig, dass Leute, die 'weirde' Ideen über Corona haben und seltsame Ideen verbreiten wollen, auch total schräge Ideen über den Klimawandel haben, oder wie häufig, sag' ich jetzt mal – das ist nicht immer unbedingt gleich – wie häufig die auch echt krasse Fehleinschätzungen haben und die auch offensiv vertreten und wie ähnlich das ist, also wie 'sticky' das sozusagen ist."

Den "Leugnern" aller Art attestiert Koch aber denselben "fetten Sprung in der Schüssel", den auch Attila Hildmann habe. Dieselben Leute sähen in der Flutkatastrophe keinen "Klimawandeleffekt", sondern Wettermanipulation durch globale Eliten "mit ihren Chemtrail-Flugzeugen". Man merke: Corona-Leugner ist gleich Klimawandel-Leugner.

Welt- und Feindbilder zu schließen kann so einfach sein, und die sich wehren, sind offenbar krank. Schuld ist aber die Gesellschaft, die diesen Menschen "mit pathologischem Geltungsdrang", wie Koch es nennt, "ununterbrochen ganz massive Anreize stiftet, egozentrisch zu sein, das Leben wie eine große Shopping-Mall zu begreifen, immer zu sagen, meine Freiheiten bestehen darin, dass ich machen kann, was ich will". Diese Art impulsgesteuerter Mensch würde Koch zufolge die Hygienevorschriften als einen "Anschlag auf ihre Freiheit" betrachten.

"Dieses Milieu der Werteverzerrung, was glaube ich jetzt mal linkskonservativ gesprochen, was in so einer Superkonsumgesellschaft eben auch normal ist, das ist sicher ein bisschen pathogen."

Es fördere nicht den Gemeinsinn, wenn Menschen den ganzen Tag erzählt wird, dass sie besonders oder individuell seien. Da könne man sich leicht in die Fantasie "reinschaukeln", dass das Virus einem selbst nichts anhaben kann. Die persönliche Ernährung helfe da auch nicht, "wenn das Virus kommt".

Menschen, die denken, sie könnten ihre Gesundheit selbst beurteilen, attestiert Koch eine "Kompetenzillusion": Wer für sich in Anspruch nimmt, selbst medizinische Entscheidungen zu treffen, und an das eigene Immunsystem glaubt, kann am Ende "mit dem Schlauch in der Lunge" aufwachen, weil dem Körper "genau ein Protein" fehlt, von dem man noch nie gehört hat. Koch plädiert stattdessen für die Unterwerfung unter die wissenschaftliche Autorität.

"Ich finde es befreiend zu sagen: Vielleicht soll ich eben doch auf den Drosten hören."

Sich selbst schlau zu machen und "vollkommen überkomplexe" Entscheidungen selbst zu treffen, sei "zu teuer". Koch selbst ist da "ganz bewusst naiv". Lieber solle man jemanden fragen, "der das richtig draufhat".

Für die Zukunft wünscht sich Koch, dass das Tempo, das Corona vorgegeben hat, beibehalten wird. Das Problem für die Zukunft sieht er darin, dass "Mainstreampolitiker" die "flauschig-kosige Normalität" wiederherstellen wollen.

"Ich hoffe, dass es etwas ruckhafter wird."

Für den liberalen Individualismus ist bald jeden Tag Sonntag

Aber gibt es denn ein Land, in dem der "Gemeinschaftssinn" funktioniert, fragt Mischke, oder ist man im "Turbokapitalismus" dazu verurteilt, den "liberalen Individualismus unserer Mitmenschen" zu "ertragen"? Aus dem Neusprech übersetzt heißt das: Gibt es eine Regierung, der es gelungen ist, die totalitäre Corona-Politik ohne großen Widerstand durchzusetzen?

China ausgenommen. Denn dass die Corona-Politik Chinas ganz toll funktioniert hat, darf man Mischke zufolge nicht sagen. Die Begründung: Dann müssten sich die Journalisten den Vorwurf gefallen lassen, dass sie eine kommunistische Diktatur glorifizierten.

Es gibt sie aber, so eine Regierung, weiß Koch. Und die Zuhörer lernen: Man kann heutzutage gleich viermal China sagen, ohne einmal China auszusprechen: Neuseeland, Taiwan, Indonesien, Israel.

Die Erklärung für Israels "Gemeinsinn" sieht Koch in der feindseligen Umwelt des Landes. Deswegen habe man dort eine "ziemlich beeindruckende Vernunftmobilisierung" erreicht. Für den "Asienkontext" hält Koch fest, dass Taiwan ein Beispiel dafür ist, dass man keine Diktatur braucht. Auch in einem "demokratischen Staat mit Mehrparteiensystem" ließ sich eine "erfolgreiche Corona-Politik" durchsetzen, mit viel "öffentlicher Vernunft".

"Es gibt Staaten, die sind erfolgreich und ziemlich autoritär, und es gibt Staaten, die sind (Pause) nicht offensiv autoritär im Sinne einer diktaturähnlichen Struktur. Da ist es wahrscheinlich das konfuzianische und das philosophische Erbe, dass man sagt, ich bin kleiner als das Ganze, und wo dann die Mobilisierung gut ist."

In Deutschland sei die "öffentliche Vernunft" auch nicht schlecht, hält Koch fest. Die Bürger haben sich an die verordnete Einschränkung der sozialen Kontakte größtenteils gehalten. Die Regelung, die bereits in Hamburg in Kraft ist, dass bestimmte Orte nur noch von geimpften oder genesenen Bürgern betreten werden dürfen, hält Koch für ein realistisches Ziel. Hier beweist Koch erneut seine praktische Vernunft und seinen eigenen Sinn für Solidarität:

"Das Leben als Ungeimpfter finde ich zum Beispiel total unattraktiv, da hätte ich keinen Bock drauf."

Laut eigener Aussage versteht Koch das Argument, dass eine Impfpflicht nicht dem Ideal der deutschen Gesellschaft entspricht.

"Wir Deutsche haben ja eine unendlich große Neigung, Dinge ideal zu lösen und so lange zu optimieren, bis sie maximal sind, und immer Immanuel Kant zu folgen und alles, was ich mache, muss so ein universales Gesetz sein."

Als Gegenbeispiele führt er die Schulpflicht sowie die Wehrpflicht an (die allerdings in Deutschland abgeschafft wurde). Koch argumentiert, dass eine Impflicht sogar im Sinne der Bürger sei, die sich nicht impfen lassen wollen.

"Für ganz viele Leute wäre das entlastend. Die müssten dann nicht sagen, ich hab' mir das hier selber eingebrockt, sondern ich musste das tun, übrigens eigentlich historisch ein sehr beliebtes Argument in Deutschland: Jemand hat es befohlen."

Man merke erneut: Wer zu blöd ist, die vernünftige Wahrheit zu erkennen, soll sich die Deutschen im Dritten Reich zum Vorbild nehmen. Eine weitere Empfehlung Kochs lautet, dass Bürger, die sich nicht impfen lassen wollen, "wirklich gründlich selber (...) erforschen" sollten, um sich nach dem eigenen Motiv zu fragen. Mache einem die Spritze Angst, oder glaube man unbegründet an Nebenwirkungen und Langzeitfolgen?

Menschen aber, die davon überzeugt sind, dass die Folgen der Impfung "schwerwiegender" sind als das "Risiko der sozialen Ausschließung von bestimmten Sachen", die da "richtig hardcore" sind, haben Koch zufolge "auch noch mehr Probleme im Leben".

Koch findet auch, dass ein Lockdown für Ungeimpfte durchsetzbar ist. Die Voraussetzungen dafür seien bereits da. Als Beispiel nennt er die Regelung für den Besuch von Fußballspielen. Die Kontrolle funktioniert über Checkpoints vor dem Stadion. Und an manchen Grenzen werde bereits durch den elektronischen Impfnachweis kontrolliert.

Einen richtigen Lockdown habe man in Deutschland bisher nicht erlebt im Gegensatz zu Italien und Frankreich. Die Deutschen seien nicht bis auf einen Umkreis von einigen hundert Metern in den Wohnungen eingesperrt gewesen. "Richtig hardcore" wie in Australien oder Neuseeland sei es auch nicht gewesen. Zu den drohenden Lockdowns für Ungeimpfte merkt Koch daher nur trocken an:

"Bestimmte Sachen [sind] für dich dann wie am Sonntag."

Fazit

Damit sind die Erkenntnisse, die die Herren Journalisten innerhalb einer knappen Stunde zum eigentlichen Thema des Podcasts zusammenkratzten, zwar überschaubar, aber aufschlussreich. Die restliche Zeit haben sie besser genutzt. Denn was ist noch geiler als Corona? Richtig, über Corona-Leugner ablästern, dem Neoliberalismus applaudieren und über die Dialektik von Milchkaffee schwadronieren. Den Zuhörern, die mit dem Zweifel-Virus infiziert sind, wurde vorsorglich eine Dosis Gaslighting verabreicht.

Eine Frage bleibt am Ende des Podcasts aber offen: Aus Kochs Äußerungen geht deutlich hervor, dass er Individualismus und Eigenverantwortung ablehnt und für Menschen, die sie einfordern, nur Verachtung empfindet; dass er den autoritären Staat begrüßt, der die Bürger nach eigenem Ermessen einsperren und gängeln darf und unter dem Vorwand der Solidarität erpresst; und dass er verschleiern will, dass es auf Kapitalmärkten und in der Unternehmensführung an erster Stelle um Vermehrung von Kapital geht und sonst nichts.

Diese Melange macht ihn eigentlich zu einem neoliberalen Durchschnittstyp, der die tagesaktuelle Elitenideologie besonders gut verinnerlicht hat. Weshalb hält sich Koch da noch für einen Linken?

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