Nach häufigen willkürlichen Akten der Diskriminierung gegen russische Medienunternehmen und deren Personal in vielen westlichen Ländern lehnten die russischen Behörden im August 2021 den erneuten Visumantrag einer erfahrenen BBC-Korrespondentin ab. Kurz darauf verurteilten unzählige Nachrichtenanbieter im Westen diese Verwaltungsentscheidung einstimmig als Angriff auf die Pressefreiheit. In Wirklichkeit dient die verständliche und berechtigte Reaktion Russlands aber unter anderem dazu, gleiche Wettbewerbsbedingungen im Informationskrieg herzustellen. Um den erbitterten Antagonismus in ein Spiel umzuwandeln, in dem beide Seiten gewinnen, und so zukünftige Vergeltungsmaßnahmen aus Moskau und damit einhergehende persönliche Karrierebrüche zu vermeiden, sollten ausländische Journalisten, die aus Russland berichten, täglich eine "Gewissenserforschung für Korrespondenten" durchführen. Danach müssen sie in einem Iterationsprozess ihr Denken und Handeln den neuen Erkenntnissen entsprechend anpassen. Ein analytisch-paränetischer Aufsatz des Experten für strategische Führung Prof. Dr. Kai-Alexander Schlevogt.
Professioneller Journalismus ist Krieg abzüglich des Schießens (wenn wir das Schießen von Bildern außer Acht lassen!).
Der englische Dystopie-Schriftsteller George Orwell vertrat bekanntlich die Ansicht, dass Sport nicht nur bar jeglichen Sinnes für lauteres Spielverhalten (auf Englisch: Fairplay), sondern sogar mit "Hass, Eifersucht, Prahlerei" und "sadistischem Vergnügen" an Gewalt verbunden sei. In einer großmaßstäbigen Variation dieses Themas in Bezug auf den Journalismus erleben wir einen sich zunehmend verschärfenden globalen Informationskrieg.
In diesem paramilitärischen Kontext überrascht es nicht, dass westliche etablierte Massenmedien schnell ihre Truppen vereinigten, die Ränge schlossen und kriegerische Metaphern verwendeten, um die Entscheidung des Innenministeriums der Russischen Föderation im August 2021 zu verurteilen, das Visum von Sarah Rainsford, einer erfahrenen BBC-Korrespondentin in Moskau, nicht zu verlängern. Die Korrespondentin selbst fügte in einer emotionalen Twitter-Nachricht, in der sie enthüllte, dass sie nach ihrer Vertreibung (bzw. Ausweisung) aus Russland angeblich "am Boden zerstört" sei, dramatisches Pathos hinzu (siehe Abbildung 1).
Tatsächlich war die gut begründete Weigerung der russischen Behörden, das Visum von Sarah Rainsford zu verlängern (eine Entscheidung, die sich – das sei betont – grundlegend von einer förmlichen "Ausweisung" unterscheidet), weit davon entfernt, ein willkürlicher Angriff auf die Pressefreiheit zu sein. Die Entscheidung stellte vielmehr eine absolut gerechtfertigte (und erst deutlich verspätete) Antwort sowohl auf extraterritoriale Gesetzgebung im Westen im Allgemeinen als auch speziell auf die dortige ungerechte Behandlung russischer Medienunternehmen (wie RT) und Journalisten. In Wirklichkeit sollen solche russischen Gegenmaßnahmen dazu beitragen, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und insbesondere eine bessere Behandlung russischer Nachrichtenorganisationen und Medienschaffender im Westen zu erwirken. Man kann hoffen, dass in der Folge westliche Verbreiter von Fehlinformationen, wie beispielsweise die in professioneller Hinsicht buchstäblich "entgleiste" BBC-Korrespondentin, effektiver in Schach gehalten werden können und das Publikum im Westen genauere und verlässlichere Informationen erhalten wird.
Um den erbitterten Antagonismus, der außer Kontrolle zu geraten droht, in ein Spiel, bei dem beide Seiten gewinnen (auf Englisch: Win-Win-Game), umzuwandeln und so künftige Vergeltungsmaßnahmen aus Moskau und damit einhergehende berufliche Karrierebrüche zu vermeiden, sollten ausländische Journalisten, die aus Russland berichten, täglich vor dem Schlafengehen eine systematische, umfassende, tiefschürfende und ehrliche "Korrespondenten-Gewissenserforschung" durchführen. Als motivierende Gedächtnisstütze dient dabei eine spezielle Karte mit Fragen, die man zum Zwecke des leichten Zugriffes unter das eigene Kopfkissen legen kann (siehe Abbildung 2).
Im Verlaufe der dialektisch-kritischen geistigen Übung, die sich mit insgesamt drei Themenblöcken beschäftigt, müssen die Korrespondenten genau darauf Acht geben, welche Antworten und Assoziationen (einschließlich neuer Fragen) ihnen einfallen und sich dann mit den anschaulichsten, interessantesten und anspruchsvollsten Ideen auseinandersetzen. Am Ende der in drei Stufen verlaufenden Selbstbefragung sollten sie sich für den nächsten Tag ebenfalls drei konkrete und praktikable Vorsätze fest vornehmen und – wenn sie religiös sind – um Hilfe bei deren Umsetzung beten. An den darauffolgenden Tagen muss der Fortschritt jeweils in weiteren Gewissenserforschungen überprüft werden.
Auf diese Art und Weise können durch einen auf granulärer Ebene in kleinen Schritten verlaufenden Iterationsprozess letztendlich grundlegende Fortschritte bei der Berichterstattung über Russland, den großen Bären im Osten – der äußerst geduldig ist, wenn er aber bis zur Weißglut gereizt worden ist, zurückschlägt –, erreicht werden. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Produktion von Reportagen über dieses einzigartige Land ein äußerst anspruchsvolles Unterfangen ist, das eher einer Kunst als einer wissenschaftlichen Tätigkeit ähnelt.
Namentlich sollten Auslandskorrespondenten die unten aufgeführten, miteinander verbundenen Punkte, von denen viele auch für andere Journalisten von Bedeutung sind, in ihrem Herzen und Verstande abwägen. Hier sind sie gleichsam ein bittersüßes Abschiedsgeschenk für die beruflich gefallene Russland-Korrespondentin Sarah Rainsford. Als nützliches Nebenprodukt enthüllen diese Ausführungen auch einige Schlüsseltechniken des globalen Informationskrieges.
1. Habe ich eine Haltung der Liebe, des Respekts und der Dankbarkeit gegenüber Russland und den Russen kultiviert?
Erkenne, dass die Liebe alles gewinnt
Die erste Phase des inquisitiven Soliloquiums (das ein zentraler Bestandteil der antiken Bekenntnisliteratur war) sollte mit folgender Frage eingeläutet werden: Habe ich heute über konkrete Gründe nachgedacht, die Nation und den Staat Russland und das russische Volk zu lieben, und habe ich auch versucht, meine russischen Mitmenschen liebevoll zu behandeln?
Diese Frage klingt zunächst äußerst wunderlich, wenn man bedenkt, dass sie sich ein Auslandskorrespondent stellen soll. Aber in Wahrheit erzeugt sie einen äußerst gewinnbringenden Gesinnungswandel in Richtung des Paradigmas der Liebe, die wie in einer Ehe ein Willensakt und kein bloßes Gefühl ist. Die caritas (auf Deutsch: Liebe) löst einen ähnlichen Prozess wie ein Gebet aus. Denn wenn man für einen anderen Menschen, den man hasst, betet, ist es sehr unwahrscheinlich, dass man gegenüber dieser Person nach Beendigung des Gebetes weiterhin Hass verspürt!
Mit der richtigen Haltung – sowie Integrität, Güte und Mut – ist ein Auslandskorrespondent dazu bereit, eine tugendhafte Bindung zu Russland aufzubauen, die seine Objektivität nicht untergräbt, sondern in Wirklichkeit fördert. Die Effektivität konstruktiver Kritik steigt tendenziell sogar mit der Erhöhung der Beziehungsqualität und des Grades des Respekts an, da ein Rezipient bei größerem "Sozialkapital" eher davon ausgehen kann, dass Verbesserungsvorschläge in guter Absicht unterbreitet werden.
Wenn man liebt, dann möchte man, dass die geliebte Person glücklich ist und unversehrt bleibt. Liebe bedeutet auch, dass man seine Welt mit der Geliebten teilen möchte. All diese Implikationen der Liebe sind auch für einen Auslandskorrespondenten äußerst hilfreich. Eingedenk der Tatsache, dass ein James Bond-Film mit dem Titel "Liebesgrüße aus Moskau" (auf Englisch: From Russia with love) zum weltweiten Kassenschlager avancierte, sollten internationale Journalisten die zugrundeliegende Haltung, nämlich aus Russland mit Liebe zu berichten, nachahmen!
In einem ersten Schritt muss ein Auslandskorrespondent im Gastland wechselseitig vorteilhafte Beziehungen zu mehreren relevanten Akteuren aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und Interessensgruppen aufbauen und die Welt aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten und beurteilen, anstatt rein transaktionell als isolierter und feindseliger Söldner zu agieren, dessen Sichtfeld durch einen Tunnelblick eingeengt wird.
Daher gilt die praktische Regel, dass ein Korrespondent nicht in einem ausschließlich für Ausländer gebauten Gebäudekomplex wohnen, sondern mit gewöhnlichen russischen Bürgern aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zusammenleben und interagieren sowie auf unterschiedliche Informationen aus einer Vielzahl diverser Quellen zugreifen sollte.
Strebe nach Wissen als Vorläufer der Liebe
Der heilige Thomas von Aquin, ein Kirchenlehrer, paraphrasierte den heilige Augustinus wie folgt: "Nihil diligitur nisi cognitum" (Nichts wird geliebt, wenn es nicht erkannt ist; oder freier: Man kann nur lieben, was man kennt). Daher muss der Auslandskorrespondent als Voraussetzung für die Liebe so viel wie möglich über das Gastland und seine Menschen erfahren.
Sicherlich waren im Fall der BBC-Korrespondentin Sarah Rainsford etwaige sprachliche Defizite oder mangelhaftes theoretisches Wissen prima facie (dem ersten Anschein nach) kein entscheidender Entgleisungsfaktor. Schließlich hatte sie lange vor ihrem beruflichen Absturz an der Universität Cambridge Russisch studiert und mehrere Jahre in Puschkins Heimatland verbracht.
Außerdem unterscheidet sie sich aufgrund ihres Bildungs- und Berufshintergrundes und Temperamentes von berühmt-berüchtigten, narzisstischen "Fallschirmjournalisten" (auf Englisch: parachute journalists). Diese fliegen oft ohne umfassende und gründliche Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten zu einem Krisenherd und vermarkten ihren eigenen Besuch als wichtigste, schlagzeilenmachende Nachricht anstelle des eigentlichen Ereignisses vor Ort, so weltbewegend es auch sein mag.
In der aktuellen Forschung zur Zukunft von Auslandskorrespondenten wird jedoch die Gefahr betont, dass Journalisten, die im Ausland tätig sind, immer wieder auf denselben Personenkreis als Quelle zurückgreifen (siehe Fußnote 1). Selbst wenn die BBC-Journalistin gute russische Freunde vor Ort als Informanten gehabt haben sollte, dürften diese Kontaktpersonen – aufgrund der eigenen Neigungen der Britin und der Ausrichtung ihres Arbeitgebers – äußerst liberal, dem Westen zugeneigt und der russischen Regierung gegenüber feindlich gesinnt gewesen sein. Schließlich gilt: Gleich und Gleich gesellt sich gern!
Selbst ein professionelles Team einheimischer Kollegen und ein Ökosystem bewährter Partner (einschließlich lokaler Journalisten) werden den Horizont eines Auslandskorrespondenten nicht im beträchtlichen Umfang erweitern können, wenn die Mitglieder dieser Kollektive in Bezug auf ihre Weltanschauung und Ideologie relativ homogen und daher besonders anfällig für Gruppendenken (auf Englisch: groupthink) und andere kognitive Beeinträchtigungen sind.
In diesem Zusammenhang ist auch zu betonen, dass ein provinzieller Kleingeist und eine Seele mit geringem Aufnahmevermögen großartige Dinge (wie zum Beispiel wegweisende, bahnbrechende und epochenprägende Ideen, wahrhaft exzellente und erhabene Führung, grandiose zivilisatorische Projekte und ehrfurchtsgebietende Großreiche) nicht erfassen kann. Stattdessen werden solche Menschen gewöhnlich in geistiger, spiritueller und emotionaler Hinsicht durch kleinbürgerliche Vorurteile und stereotypische Ansichten eingeengt.
Ein unausgewogener Kreis von Informanten, Kollegen und Partnern gepaart mit Tunnelblick könnte teilweise erklären, warum Sarah Rainsford es nicht bewerkstelligt hat, sich der wahren Seele und Sendung Russlands und dem wahren Wert und der eigentümlichen Beschaffenheit der dort lebenden Menschen gedanklich wirklich zu nähern.
Aufgrund eines Mangels an geeignetem "geerdeten" Wissens und einer auffälligen Kurzsichtigkeit neigte die BBC-Journalistin dazu, einseitige Analysen durchzuführen, sich auf Akzidentelles zu konzentrieren und dabei das große Ganze zu verkennen sowie unausgewogene Urteile zu fällen. Folglich konnte sie Russland nicht in seiner ganzen Komplexität und Vielfalt, einschließlich seiner epochenprägenden Führungsgestalten, lieben und umfassen. Als Speerspitzen einer wahren nationalen Renaissance dienen diese einflussreichen Persönlichkeiten in Russland als Kuratoren eines einzigartigen, spirituellen und materiellen Zivilisationsprojekts, das eine attraktive, friedliche und konstruktive Alternative zum im Inneren korrupten und im Äußeren aggressiven westlichen Modell darstellt.
Erkenne die Bedeutung des Respekts und Ursachen für Respektlosigkeit
Regionenbezogene Studiengänge im Westen führen häufig zu einer Durchdringung der Studenten mit einseitigen, sogenannte "liberalen" westliche Werten. Außerdem kann ein Individuum, das von einer hochangesehenen westlichen Universität als "Russlandexperte" gleichsam zertifiziert und lizensiert worden ist, leicht in Stolz und den konkomitanten kognitiven Fehler der Selbstüberschätzung verfallen. Beispielsweise behauptete Sarah Rainsford von sich, dass sie Russland "verstehe". Dies ist so, als würde man beteuern, man habe sowohl das gesamte Corpus Platonicum als auch die Biblia Sacra begriffen.
Ein Mensch, der mit Stolz und Arroganz wie mit heißer Luft aufgeblasen ist, wird es in der Regel sehr schwer haben, seine Gesprächspartner und ihr Zuhause wirklich zu respektieren. Dies ist besonders in Russland außerordentlich problematisch, da die dort lebenden Menschen auf eine lange Geschichte russophober (oder besser gesagt, "misorussischer") Strömungen und Bewegungen, die selbst vor Akten eklatanter Diskriminierung und Pogromen nicht zurückschreckten, zurückblicken können (der von mir vorgeschlagene Neologismus "misorussisch" ist abgeleitet vom altgriechischen Verb μισεῖν misein "hassen" und dem Ländernamen "Russland").
Suche nach Gründen, dankbar zu sein
Im letzten Abschnitt des ersten übergreifenden Selbstprüfungsblockes muss sich ein Auslandskorrespondent schließlich fragen: Aus welchen konkreten Gründen sollte ich Russland und den Russen dankbar sein?
Auch dies scheint auf den ersten Blick eine höchst seltsame Frage für einen Journalisten zu sein. Aber tiefempfundene Dankbarkeit und ein damit verbundener grundlegender Perspektivwechsel können dazu beitragen, die Beziehungen im Gastland deutlich zu verbessern, innovative Quellen zu erschließen, bahnbrechende Erkenntnisse zu erlangen und so die Qualität der Berichterstattung deutlich zu erhöhen.
2. Habe ich ernsthaft versucht, verzerrende Einflüsse zu beseitigen und die Menschen und Umstände in Russland wirklich zu verstehen?
Bekämpfe deine Denkfehler
Im nächsten Schritt muss ein Auslandskorrespondent kognitive Verzerrungen so weit wie möglich beseitigen. Beispielsweise sollte er im Rahmen des internen, dialektisch-kritischen Suchprozesses fragen, ob er Menschen mit einem in der Verhaltensforschung als "Heiligenschein" (auf Englisch: halo) bezeichneten Auszeichnungsmerkmal bevorzugt behandelt. Einige Journalisten schenken im Zweifel sogenannten "Dissidenten" Glauben, aber misstrauen grundsätzlich Menschen mit dem Etikett "russischer Regierungsbeamter".
Außerdem folgen viele ausländische Korrespondenten einfach der Herde anderer internationaler Journalisten, die über Russland berichten. Tatsächlich perpetuieren solche Nachahmer alte Stereotype über Autokratie im Osten, die zumindest auf die negativen Topoi, die die Athener bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. gegen die Perser verwandten, zurückgehen.
Häufig fühlen sich Korrespondenten, nachdem sie sich auf eine bestimmte Geschichte festgelegt haben, ihrer Version gegenüber verpflichtet, neigen dann zum eskalierendem Ressourceneinsatz (auf Englisch: escalation of commitment), dramatisieren ihren Bericht und halten in der Folge an ihrem Narrativ auch dann fest, wenn es faktisch widerlegt worden ist.
Stattdessen sollten Auslandskorrespondenten Mut beweisen, indem sie die Diskriminierung gegen Russland bekämpfen und Stereotype (wie den Mythos von den tugendhaften "Dissidenten" in Russland) auf intelligente Weise widerlegen.
Widerstehe Beeinflussungsversuchen
Auslandskorrespondenten müssen sich allen Manipulationsversuchen der Hauptverwaltung und anderer, besonders im Westen wirkender Kräfte entschieden widersetzen. Aus diesem Grunde sollten sich internationale Journalisten ständig fragen, ob sie sich ernsthaft darum bemühen, gegenüber ihren Vorgesetzten im Heimatland Unabhängigkeit zu bewahren, oder sich von ihnen dazu kooptieren lassen, fremde Agenden, falsche Meta-Erzählungen und irreführende Berichtsaufhänger zu verfolgen.
Im Fall der BBC wäre es zumindest sehr schwierig, einen positiven Artikel über den russischen Präsidenten Wladimir Putin oder einen negativen Artikel über sogenannte russische "Oppositionelle" zu senden.
Ausländische Korrespondenten dürfen auch keine Selbstzensur begehen. Insbesondere sollten sie in einer Art kognitiv-verbaler Ökologie alle Forderungen der "politischen Korrektheit", die die Gedanken- und Meinungsfreiheit einschränkt sowie den Geist und die Sprache kontaminiert, ablehnen.
Dekodiere komplexe Botschaften
Außerdem müssen Auslandskorrespondenten Toleranz entwickeln und ihr Einfühlungsvermögen erhöhen, um alle Angelegenheiten auch aus der russischen Perspektive betrachten und tiefes Verständnis für Russland entwickeln zu können. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass sie sich nicht in die inneren Angelegenheiten dieses Staates einmischen. Sie dürfen auch nicht ihre eigenen liberalen, sogenannten progressiven (in Wirklichkeit aber pagan-regressiven) Ideen auf Russland projizieren und den Russen, die an edlen traditionellen Tugenden festhalten, aufzwingen. Stattdessen müssen sie die Regeln des Gastlandes akzeptieren. Denn gemäß einem russischen Sprichwort geht man in ein fremdes Kloster nicht mit seiner eigenen Satzung (auf Russisch: В чужой монастырь со своим уставом не ходят.).
Es ist eine ausgezeichnete Übung für ausländische Korrespondenten, bei ihren analytischen Nachforschungen mindestens fünfmal nach dem "Warum" zu fragen, um immer tiefere Erklärungsebenen zu erschließen. Diese hermeneutische Aufgabe ist oft alles andere als trivial, insbesondere angesichts der hohen literarischen Kompetenz nicht nur hochgebildeter Kreise in Russland, sondern auch vieler einfacher, dort ansässiger Menschen.
Um ein besseres Verständnis der russischen Haltungen und Handlungen zu gewinnen, sollte der Auslandskorrespondent außerdem häufig "cui bono" (Für wen (sc. ist es) ein Vorteil) fragen. Ein solcher Ansatz hätte leicht die Falschmeldungen diskreditiert, dass Präsident Putin angeblich persönlich die Vergiftung politischer Gegner angeordnet habe.
3. Bin ich mit Russland und den Russen fair umgegangen und habe ich mich als entschlossener Brückenbauer um interaktives Lernen bemüht?
Gewährleiste ein ordnungsgemäßes Verfahren
Korrespondenten erwarten, dass ein mächtiger russischer Politiker die Tugend der Gerechtigkeit verwirklicht. Im Hinblick auf ihre eigene enorme Schlagkraft und Wirkmächtigkeit (in Bezug auf den großen Widerhall bei einem ihnen fast blind vertrauendem Publikum und die vergleichsweise begrenzten Widerlegungsmöglichkeiten ihrer Gegner) müssen auch sie Verfahrensgerechtigkeit walten lassen und Russland eine glaubwürdige Garantie hinsichtlich einer fairen Behandlung geben. Ein guter Leitfaden ist es, alle Standards eines fairen Gerichtsverfahrens anzuwenden und dabei namentlich auf eine "sorgfältige Prüfung" (auf Englisch: due diligence) zu achten.
Zum Beispiel muss sich ein Auslandskorrespondent bei der Analyse und Interpretation russischer Verlautbarungen und Handlungen von den Tatsachen leiten lassen. Übrigens hilft dieser evidenzbasierte Ansatz auch, kognitive Denkfehler, wie beispielsweise die bloße imitative Übernahme "misorussischer" Vorurteile anderer westlicher Journalisten, effektiv zu bekämpfen.
Der Korrespondent muss dabei hinsichtlich Personen und Gruppen aus dem Westen (einschließlich in Russland als "ausländische Agenten" eingestufter Entitäten) die gleichen hohen Standards für Tatsachenbeweise anwenden wie für russische Regierungskreise. Eine solche Isonomie (Gleichberechtigung) hilft, das zunehmend verbreitete und immer problematischer werdende Phänomen der Doppelmoral und des zweifachen Maßes nach dem Muster "Quod licet Iovi, non licet bovi" ("Was Jupiter erlaubt ist, ist einem Ochsen nicht erlaubt") zu bekämpfen.
Strebe nach Ausgewogenheit
Im Rahmen der faktenbasierten Berichterstattung müssen die in Russland tätigen Auslandskorrespondenten den weiteren wichtigen Rechtsgrundsatz "Möge auch die andere Seite gehört werden" (auf Lateinisch: audiatur et altera pars) beachten. Statt ausschließlich westliche Nachrichtenangriffe zu präsentieren, sind sie dazu verpflichtet, auch die Sichtweise des Kremls vollständig wiederzugeben und zu erläutern, wobei sie auf alle von russischer Seite vorgelegten Schlüsselbeweise einzugehen haben.
Leider fügen westliche Medien im Falle eines russischen Dementis gewöhnlich bestenfalls einen Nachsatz wie "Der Kreml bestritt die Vorwürfe" gleichsam wie ein Alibi hinzu. Wenn sie einmal der üblicherweise sehr logisch aufgebauten und vorzüglich belegten Position Russlands einen vollständigen Bericht widmen sollten, dann tun sie dies in der Regel nur deswegen, um Lügen über die angebliche manipulative Vorgehensweise propagandistischer Tatsachenverdreher und Schönredner in Russland zu verbreiten.
Man sollte dabei auch folgendes Unterprinzip beachten: "Möge auch die Frage des anderen gehört werden!" Allerdings sind russische Journalisten von dem Pressekorps des Weißen Hauses und den Pressekonferenzen des amerikanischen Präsidenten ausgeschlossen worden, wie beim ersten Gipfeltreffen zwischen den Präsidenten Putin und Biden in Genf im Juni 2021 (in dessen Anschluss der russische Präsident übrigens eine lange Pressekonferenz gab, an der sowohl russische als auch westliche Journalisten teilnehmen durften).
Evidenzbasierte, ausgewogene Berichterstattung bedeutet, dass entlastende Beweise, die eine Anschuldigung als definitiv falsch erweisen, ohne Zeitverzug weithin bekannt gemacht werden. Die westlichen Medien verschweigen jedoch entweder häufig glaubwürdige Berichte, die negative Geschichten über Russland widerlegen, oder geben ihnen zumindest kein angemessenes Gewicht.
Beispielsweise wurden im Jahre 2018 die Schauspieler, die nach russischer Auffassung auf Auftrag westlicher Mächte einen angeblichen "Chemikalienangriff" in der syrischen Stadt Duma zu Propagandazwecken gespielt hatten, in Den Haag öffentlich vorgestellt. Jedoch nahmen die meisten westlichen Journalisten an dieser Informationsveranstaltung gar nicht erst teil!
Generell verbreiten westliche Medienmaschinen als Mittel der psychologischen Kriegsführung absichtlich und regelmäßig eine Vielzahl von Falschmeldungen, die Russlands Ruf und "Marke" zum Teil auch nur tröpfchenweise erodiert, getreu der Maxime "Verleumde (nur) dreist, etwas bleibt immer hängen" (auf Lateinisch: audacter calumniare, semper aliquid haeret). Anstatt Nachrichten zu widerrufen, nachdem sie sich als falsch erwiesen haben, ziehen es diese Nachrichtenanbieter vor, dass die Lügen weiter ungestört im kollektiven Gedächtnis haften bleiben, so dass negative Assoziationen in Zukunft einfach und schnell ausgelöst werden können.
Zu solchen kognitiven und emotionalen Reizen gehören das Nervengift-Etikett "Nowitschok" und die Namen der russischen Reisenden "Petrow und Boschirow", die laut einer unsubstantiierten Behauptung der britischen Regierung einen Anschlag in Salisbury verübt haben sollen. Aufgrund der letzteren weitverbreiteten Mär aus dem Westen ist das Duo der beiden "Supermänner" bereits zur Legende geworden und in die russische Folklore eingegangen. Russland hat, so lautet ein Scherz, nur zwei Verbündete – Petrow und Boschirow!
Ein Auslandskorrespondent muss bei seinen Bemühungen um eine ausgewogene Berichterstattung auch auf de-kontextualisierte Berichterstattung und manipulative Einordnung in einen Deutungsrahmen (auf Englisch: framing) verzichten. Stattdessen sollte er stets diejenigen Kontextinformationen, die für die richtige Einordnung und Bewertung entscheidend sind, bereitstellen. Dazu gehören die relevante Vorgeschichte eines Ereignisses und aufschlussreiche Vergleiche im In- und Ausland.
Außerdem muss sich ein internationaler Journalist ständig die folgende Frage stellen: Handele ich wirklich bonā fide (mit Treu und Glauben), wenn ich ausschließlich negative Nachrichten über Russland verbreite? Fordert, benötigt und verdient dies mein Publikum wirklich? Nach kurzer Bedenkzeit wird schnell klar: Zu einer ausgewogenen Berichterstattung gehört eine optimale Mischung aus guten und schlechten Nachrichten.
In divergierender und häufig antithetischer Weise berichtet die BBC übrigens in der Regel negativ über die russische Regierung, aber positiv über Abtreibungsbefürworter, Homoerotiker, schwarze Rassisten und fanatische "Me too"-Feministinnen.
Generell sollten sich Korrespondenten das folgende Motto des sowjetischen Künstlers Wladimir Wyssozki, das sich auch auf ganze Länder übertragen lässt, zu Herzen nehmen: "Ich suche in den Leuten nur das Gute. Das Schlechte werden sie selbst zeigen."
Natürlich empfehle ich nicht, dass in Russland tätige Auslandskorrespondenten nur gute Nachrichten von dort vermelden sollten. Aber die "Wyssozki-Haltung" könnte ihnen dabei helfen, generell eine gütige und großzügige Denkweise einzuüben. Dann würden sie zumindest im Zweifelsfall nach dem Rechtsprinzip "in dubio pro reo" (im Zweifel für den Angeklagten) vielleicht zu Russlands Gunsten entscheiden. Gleichzeitig würden sie es vielleicht auch unterlassen, dem "Bären" im Osten ohne Grund – quasi als Selbstzweck – willentlich zu schaden.
Baue Brücken und lerne ständig weiter
Neben der Erstellung und Verbreitung substantiierter und ausgewogener Berichte können Auslandskorrespondenten dazu beitragen, tragfähige Brücken zwischen Russland und dem Westen zu bauen, indem sie nicht nur ihr Publikum im Westen, sondern auch ihre Vorgesetzten in der Heimatzentrale über die wahre Situation in Russland aufklären.
Journalisten müssen bei dem hierarchieverkehrenden Bemühen, ihren eigenen Chef zu führen (auf Englisch: managing the boss), die Entschlossenheit und Geduld aufbringen, ihrem Vorgesetzen daheim die komplexen Kräfte zu erläutern, die in Russland am Werk sind. In diesem Zusammenhang sollten sie ihren Leiter dazu bringen, sich mit Dilemmata und Spannungen auseinanderzusetzen und dabei gleichzeitig gegensätzliche Ideen im Kopf zu behalten, anstatt sich nur auf komfortable Schwarz-Weiß-Paradigmen zu stützen.
Wenn immer die Journalisten bei ihrer energischen Aufklärungsarbeit mit mangelnder Kreativität und "misorussischen" Stereotypen konfrontiert werden, können sie nach Putin-Art lakonisch mit dem folgenden niederschmetternden Ausspruch Ostap Benders kontern: "Das ist langweilig, Mädels" (Скучно, девочки). Das systemische Ergebnis all dieser der Erhellung dienenden Bemühungen sollte eine adaptive "lernende Organisation" im Heimatland sein.
Wenn sich die Russen erst einmal dahingehend vergewissert haben, dass eine deutlich größere Zahl westlicher Journalisten zumindest ehrlich versucht, Russland fair zu behandeln, werden sie vermutlich Empfehlungen aus dem Westen eher Gehör schenken. Wenn der Westen umgekehrt auch bereit ist, Wissen von Russland zu erwerben, könnte ein höchst konstruktiver Prozess des bidirektionalen Lernens und Heilens in Gang kommen, der letztendlich generell zu deutlich besseren transeurasischen Beziehungen führt!
Epilog
Abschließend lässt sich sagen, dass das Wort "Korrespondent" von dem lateinischen Präfix con- (zusammen mit) und respondere (antworten) abgeleitet ist. Im Mittellatein bedeutet correspondere unter anderem "(in reziproker Weise) erwidern" und "harmonisieren".
Auch wenn ein Korrespondent nicht als Politiker oder Diplomat fungiert, soll er tatsächlich ein Eintracht stiftender Brückenbauer in der Informationssphäre sein. Interessanterweise kann er in diesem Bereich manchmal einen noch größeren Einfluss ausüben als die Macher in der Regierungssphäre.
Wenn man sich die Selbstprüfungsfragen und Empfehlungen in dieser Abschiedsbotschaft an Sarah Rainsford ansieht und ihre Berichtspraxis und Leistung mit diesen konkreten Kriterien und – auf dem Wege der Triangulation – auch mit der Etymologie ihrer Berufsbezeichnung vergleicht, wird man schnell Folgendes feststellen: Ihre berufliche "Entgleisung" lässt sich – abgesehen von dem größeren politischen Kontext des Informationskriegs – leicht durch ihr Versagen, im spezifischen russischen Umfeld effektiv zu agieren, erklären.
Offensichtlich ist es Sarah Rainsford nicht gelungen, genaue und ausgewogene Informationen über Russland zu beschaffen und zu verbreiten, konstruktive und auf Reziprozität beruhende Beziehungen aufzubauen und dadurch interaktives Lernen und Harmonie zu fördern. Damit blieb sie in ihrer Arbeit als Korrespondentin, die nicht nur ein Broterwerb wie jede andere Tätigkeit, sondern eine wahrhaft einzigartige Profession und auch eine edle Berufung und Sendung ist, hinter den Anforderungen zurück, die an sie gestellt werden müssen.
Auf der granularen Ebene sollte die BBC-Korrespondentin nicht anderen, sondern in erster Linie sich selbst die Schuld dafür geben, dass sie keinen neuen Zugangspass für das Wunderland Russland erhalten hat. In diesem Zusammenhang trifft eine Bemerkung von Wladimir Putin, die hier aber natürlich nur im übertragenen Sinne zu verstehen ist, den Kern der Sache: "Sei nicht böse auf den Spiegel, wenn du hässlich bist."
In mancher Hinsicht erinnert die forsche BBC-Korrespondentin an das kleine Mädchen Mascha. Diese berühmte russische Zeichentrickfigur, die übliche kindliche Züge mit einigen Fähigkeiten eines Erwachsenen verbindet, bereitet einem wohlwollenden Bären, den sie liebevoll "Mischka" nennt, regelmäßig Ärger.
Falls Sarah eine gründliche Selbstuntersuchung nach dem in diesem Beitrag vorgeschlagenen Muster durchführen, echte Reue empfinden und eine Entschuldigung anbieten sollte, wird Russland - der riesige, großherzige, gütige, fürsorgliche und schützende Ostbär - ihr sicherlich noch einmal auf väterliche Weise vergeben und sie einladen, der Welt die erstaunliche Geschichte der Wiedergeburt einer einzigartigen, erst spät geliebten Nation zu erzählen!
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Prof. Dr. Kai-Alexander Schlevogt (Ph.D. Oxford; Univ.-Prof. SPbU a. D.) ist Experte für strategische Führung und Krisenmanagement. Er war u.a. Professor an der Sankt Petersburg State University, National University of Singapore und Peking University. Er arbeitete auch als Unternehmensberater für McKinsey & Co. in Großchina und fungierte als Berater des malaysischen Premierministers hinsichtlich des Aufbaus einer "elektronischen Regierung" (electronic government). Prof. Schlevogt ist Autor von sechs Büchern, darunter "The Art of Chinese Management" (Oxford University Press), "The Innovation Honeymoon" (Pearson Prentice Hall) und "Brave New Saw Wave World" (Pearson/FT Press). Webseite: www.schlevogt.com; Telegram-Kanal: https://t.me/profkai.
Mehr zum Thema - Fasbender im Gespräch mit Hans-Joachim Frey: "Russophobie, Dämonisierung, die ins Krankhafte geht"
Fußnote:
(1) Bebawi, Saba & Mark Evans. The Future Foreign Correspondent. 2019. Sydney: Palgrave Macmillan.