An den Straßen auf und nieder, hängen die Plakate wieder

Rote, gelbe, grüne, blaue … Hundertausende von Wahlplakaten säumen wieder die Straßen und Plätze in Deutschland. Viele Millionen Euro werden investiert, um mit flachen Sprüchen und überlebensgroßen Gesichtern die Bürger zu einem Kreuz zu überreden. Ein nüchterner Blick offenbart manche Absurdität.

von Mark Hadyniak

Der Wahlkampf zur Bundestagswahl am 26. September geht seinem Höhepunkt entgegen. Davon zeugen Hundertausende von Wahlplakaten an Laternen, auf Straßen und Plätzen. Besonders die großen Parteien tapezieren ganze Stadtteile mit ihrer Reklame – und lassen sich das einiges kosten.

Für den Wahlkampf zur Bundestagswahl 2017 hatten laut dem Statistik-Portal Statista die CDU, SPD, FDP, Die Grünen und Die Linke insgesamt 61 Millionen Euro ausgegeben. Spitzenreiter ist die SPD mit 24 Millionen Euro, danach folgt die CDU mit 20 Millionen Euro. Da allerdings die CSU keine Angabe zum Wahlkampf-Budget machte, lässt sich nur schätzen, dass die Union auf ähnlichem oder höherem Niveau als die SPD gelegen hat. Die Linke investierte 6,5 Millionen Euro, Die Grünen 5,5 Millionen und die FDP 5 Millionen. Die AfD machte keine Angaben.

Die Kosten dürften für die Bundestagswahl in diesem Jahr ähnlich hoch oder noch höher ausfallen. Da die Parteien für ihre Wahlwerbung zu einem großen Teil wiederum vom deutschen Staat rückfinanziert werden, sind es letztlich auch wieder die deutschen Steuerzahler, die den Wahlkampf bezahlen. Die Bundeszentrale für politische Bildung zählt die Einnahmen der großen Parteien im Wahljahr 2017 folgendermaßen auf – in Klammern der Anteil der staatlichen Zuwendungen:

Man könnte erwarten, dass mit so viel Geld eine umfassende Aufklärung der Bürger über die Ziele und konkreten Vorschläge der Parteien betrieben wird. Das Gegenteil ist der Fall. Allzu oft handelt es sich bei den Wahlplakaten nur um bunt bedruckten Kunststoff mit überlebensgroßen Gesichtern und flachen Sprüchen.

CDU

Auf die CDU trifft die Schlagzeile des ZDF hinsichtlich der Wahlplakate besonders zu: "Image ohne Inhalt". Statt konkreter Aussagen oder politischer Vorhaben der Partei gibt es abgedroschene Plattheiten: "Familien stärken", "Klima schützen – Jobs schaffen" oder "Für ein gutes Leben im Alter".

Mit einem Lachen wirbt der Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet: "Gemeinsam für ein modernes Deutschland". Was auch immer das für ihn bedeuten mag – #laschetlacht.

Es lohnt sich, genau hinzugucken oder zu lesen, was da eigentlich geschrieben steht. Auf einem Wahlplakat wirbt die CDU mit dem Spruch "Machen, was Arbeit schafft". Wortwörtlich sagen sie damit, sie wollen uns Arbeit machen – nicht etwa Arbeit abnehmen, einsparen oder erleichtern. Vielleicht wollten sie sagen: "Arbeitsplätze schaffen!" Das war ihnen dann aber wohl ein zu konkretes Versprechen – man könnte sich am Ende darauf berufen wollen, auch wenn es dann wieder zu spät wäre. So bleibt es schwammig beim "Arbeit machen". Wenn jemand einem Arbeit beschert, kann man auch sagen: Er fällt einem zur Last.

Das Motto der CDU-Wahlkampagne lautet "Deutschland Gemeinsam Machen" – so einfach, so inhaltsleer. Die "Macher" der Kampagne wollten sich scheinbar nicht festlegen, wie Deutschland von wem zu machen sei, und ließen es bei "gemeinsam machen".

Absurd wird die Aussage hingegen in Kombination mit oben abgebildetem Wahlplakat. Ausgesagt wird damit: "Sicherheit ist, wenn ich mir über Sicherheit keine Gedanken machen muss." Ohne auf das inhaltliche Paradoxon einzugehen – etwas sei da, wenn ich mir darüber keine Gedanken mehr machen müsse – tritt diese Aussage in einen direkten Widerspruch zum Kampagnen-Motto. Deutschland gemeinsam machen, aber ohne sich Gedanken machen zu müssen. Deutschland gemeinsam nicht machen.

SPD

Bei der SPD attestiert das ZDF, in der Kampagne dominiere der Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der "abwechselnd 'Kompetenz' oder 'Respekt' verspricht" – "grafisch streng anmutend, schwarz-weiß auf stechendem SPD-Rot". Kompetenz verspricht Scholz "für Deutschland", Respekt "für dich". Worin genau das eine oder das andere bestehen solle, lässt er weg.

Ebenso seicht ist das Motto der SPD-Kampagne: "Scholz packt das an". "Das", was er anpacken soll, ist damit nicht gesagt – auch nicht, ob ihm sein Vorhaben am Ende gelingen wird. Es bleibt überwiegend bei Allgemeinfloskeln wie "Faire Mieten" oder "Sichere Arbeit & Klimaschutz", die man drolligerweise "jetzt wählen" könne – nicht etwa: 'Wir werden uns dafür einsetzen' oder 'Kanzler Scholz wird diese durchsetzen'.

Es lohnt sich ein genauer Blick auf den Wortlaut. Auf einem Wahlplakat steht: "Jetzt stabile Renten wählen". Der Begriff "stabil" wird insbesondere in den Naturwissenschaften verwendet und bedeutet dort so viel wie "konstant bleiben", "unveränderlich sein". Gewollt oder nicht plädieren der anpackende Scholz und die SPD damit gegen jedwede Erhöhung der Renten, also auch gegen eine Anpassung an die Inflationsrate.

CSU

Der Begriff "stabil" gefiel auch den Kampagnen-Gestaltern der CSU. Neben den von der CDU übernommenen Sprüchen – "Gemeinsam für ein modernes Deutschland" – empfiehlt sich deren bayerische Schwesterpartei selbst für die Wahl mit der Aussage: "Damit Deutschland stabil bleibt". Nach 16 Jahren der Kanzlerschaft von Angela Merkel werden die Wähler aufgefordert CSU zu wählen, damit sich nichts verändert. Alles soll bleiben, wie es ist.

Bündnis 90/Die Grünen

Die Grünen haben alle auf ihren Wahlplakaten dargestellten Personen in eine grüne Haut- und Kleidungsfarbe getunkt. Inhaltlich hält es die Partei von Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock trotzdem ähnlich wie CDU und SPD: Weniger ist mehr. Dafür werden Sprüche geklopft, die ebenso aus einem Glückskeks stammen könnten "Zukunft passiert nicht – Wir machen sie".

In manchen Fällen lässt Inhaltsleere durchaus einen Interpretationsrahmen – zum Beispiel bei dem Plakat mit der Schlagzeile "Unser Land kann viel, wenn man es lässt". Im Hintergrund lachen die Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock in Marsianer*Innen-Grün. Sie sagen nicht, was "unser Land" kann, sie sagen auch nicht, ob er oder sie der ominöse "man" (warum nicht "frau"?) sind und das Land lassen werden. Damit korrespondiert auch das zum Grübeln anregende Wahlkampfmotto der Grünen: "Bereit, weil Ihr es seid" – wofür bin ich denn bereit?

FDP

Die FDP stellt ihren Vorsitzenden Christian Lindner als Lichtgestalt in den Vordergrund. Auf allen Plakaten prangt in schwarz-weiß der Kopf des Parteivorsitzenden aus verschiedenen Winkeln fotografiert. Das Motto des FDP-Wahlkampfes lautet "Nie gab es mehr zu tun". Sie sagen zwar nicht, was zu tun ist und für wen – sicher sei aber, dass es zu keinem Zeitpunkt (Deutschlands? Der Menschheitsgeschichte? In der Ausdehnung des Universums?) "mehr zu tun" gegeben hätte.

Darüber hinaus bietet auch die FDP eine Vielfalt an Plattheiten, etwa "Aus Liebe zur Freiheit", "Für mehr Freude am Erfinden als am Verbieten" oder "Der Schulweg muss wieder in die Zukunft führen". Was genau die Partei dafür tun will, damit der Weg zur Schule nicht gegen den Rand des Raum-Zeit-Kontinuums stößt, formuliert sie nicht auf den Wahlplakaten.

Die Linke

Ein wenig mehr Inhalte finden sich bei der Partei Die Linke. Zu den üblichen Slogans werden jeweils einzelne Lösungsvorschläge präsentiert, so etwa "Für Bildung und Soziales: Vermögensteuer" oder "Gegen den Notstand: Mehr Gehalt, mehr Personal". Details erhofft man sich jedoch umsonst – wie etwa eine Vermögenssteuer mit Sicherheit Bildung schafft. Man könnte auch argumentieren, sie setze diese voraus. Stattdessen prangt in fetten Buchstaben der zentrale Begriff der Wahlkampfkampagne: "Jetzt!"

Ohne Floskeln kommt auch die Linkspartei nicht aus: Ein Plakat besagt "Unteilbar solidarisch". Mangels Subjekt und Prädikat ist nicht ersichtlich, wie diese Worthülsen zu verstehen sind. Sagt die Partei das von sich selbst? Fordert sie das von ihren Wählern? Grundsätzlich gilt: Solidarität ist nicht teilbar: Man ist solidarisch oder nicht. "Unteilbar solidarisch" ist sprachlicher Schwulst.

AfD

Die AfD geht mit einer Fülle von Plakaten in den Wahlkampf. Das AfD-Spitzenduo Alice Weidel und Tino Chrupalla lässt sich mit platten Werbesprüchen in Szene setzen: "Wir sind keine Träumer – Wir sind Macher", "Wohin wir wollen? Zurück zur Normalität" oder "Zwei für Deutschland" – letzterer optional auch als Titel für einen TV-Krimi einsetzbar.

Abgesehen davon findet sich ein Bündel von Einzelforderungen und -slogans auf den Wahlplakaten der AfD. Einige davon sind durch die Zwei- bis Drei-Satz-Konstruktion in sich schlüssig, zum Beispiel: "Deutschland muss offen bleiben. Nie wieder Lockdown" oder "Ich bin Mutter. Kein 'gebärendes Elternteil'. Gender-Gaga stoppen". Darüber, wie die Forderungen umzusetzen sind, findet sich keine Erklärung auf den Plakaten. Man kann viele dieser losen Forderungen finden wie "Für Energiepolitik mit Verstand" oder "Umweltschutz statt Klima-Panik".

Grotesk werden diese Sprüche, in Plakaten mit nur einem Satz, wie etwa "Nur Mami und Papi machen Zukunft" – nicht etwa die Kinder. Oder: "Wirf deinen Motor an, Deutschland". Dieses Totum pro parte enthält keinerlei Bezug zur Bundestagswahl. Soll das Mofa "Deutschland" sich selbst anwerfen? Und dann vor der AfD wegbrausen oder lieber doch von der AfD gelenkt werden?

Epilog – "Die sehen alle immer gleich aus"

Millionen von Euro – von Steuergeldern – werden in die Produktion von nahezu inhaltsleeren Wahlplakaten gesteckt. Die Werbebranche boomt. Vielleicht gehört das zum Kolorit der bürgerlichen Demokratie im Stil der kapitalistischen Konsumgesellschaften. Statt ernstzunehmender Politik und verantwortungsbewusster Verwaltung von Staat und Gesellschaft werden alle paar Jahre platte und in Teilen groteske Sätze und Satzfragmente auf Kunststoff gedruckt, um die Straßenränder zu tapezieren. Tonnen an Kunststoffmüll ersetzen Transparenz und Bürgernähe, vom Einhalten der Wahlversprechen ganz zu schweigen.

Ob sich die Bürger allerdings von den Sprüchen und Selbst-Inszenierungen zu einem Kreuz auf dem Wahlzettel verleiten lassen, ist eine andere Frage. Eine Straßenbefragung von RT DE in Berlin lässt daran zweifeln. Der Tenor lautet überwiegend: "Wir nehmen diese Sprüche gar nicht ernst."

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