von Björn Kawecki
Mit 20 Prozent auf alles verschleudern die deutschen Medien ihre Meldungen zum gerade wieder "beliebtesten" Kanzlerkandidaten, und eine Menge Bürger wird sich am Wahltag wohl wundern, warum da auf ihrem Stimmzettel nirgendwo Armin Laschet, Annalena Baerbock oder Olaf Scholz zu lesen ist. Für alle daher vorsorglich zur Erinnerung: Nicht die Bürger wählen den Kanzler! Das macht immer noch der Bundestag.
Die Medien veranstalten dennoch ein Kandidaten-Geschrei, als hätten sie ein ganz, ganz heißes Papier im Angebot. Man könnte fast meinen, dass mit all den Prognosen bei den Bürgern wenigstens die Erinnerung an einen spannenden Wahlkampf geweckt werden soll. Oder soll während des Getöses unter den Tisch fallen, dass alle drei Kandidaten – Gott bewahre – praktisch gleich unbeliebt sind?
Die Mehrheit wählt zwischen Pest und Corona
Jedes Kind weiß, wie ungemein wichtig charismatische Persönlichkeiten sind. Von dieser Seite betrachtet ist der künstliche Hype um die K-Frage natürlich verständlich. Die Menschen brauchen eben ein Gesicht, an das sie Emotionen knüpfen können, das ihre Hoffnungen, Wünsche, Träume verkörpert. Und nirgendwo als hier liegt schließlich das Geheimnis von Angela Merkel und ihren 16 Jahren Kanzlerschaft.
Die jetzigen Kandidaten können da nicht mithalten. Immerhin: Wer Baerbock und Laschet noch nicht kennt, könnte sie durchaus für sympathisch halten. Aber warum hat die SPD eigentlich Scholz ins Rennen geschickt, einen Mann mit der Ausstrahlung eines Backsteins, dem man Auge, Auge, Nase, Strich aufgemalt hat?
Trotzdem soll Scholz in den Umfragen die Führung übernommen haben. Sind da etwa für die Wähler unerwartete Kompetenzen zum Vorschein gekommen? Wohl eher liegt Scholz gerade vorne, weil er den Medien bisher keine Gelegenheit gegeben hat, ihn niederzuschreiben. Nachdem erst Baerbock und dann Laschet über selbst verschuldete Peinlichkeiten und Skandälchen gestolpert waren, konnte der SPD-Kandidat die beiden bereits mit Schrittgeschwindigkeit überholen.
Wie dem auch sei: Die SPD kann sich jetzt doppelt freuen. Mit einem Kandidaten wie Scholz sind die Sozialdemokraten zum Werben mit politischen Inhalten quasi gezwungen. Das sorgt für Disziplin. Das Traurige an der Gesamtlage ist: Die Mehrheit will eigentlich keinen der drei Kandidaten. Für sie ist es eine Wahl zwischen Pest und Corona.
Aber selbst wenn die Deutschen gerade Scholz "am liebsten" zum Kanzler möchten: In den meisten Umfragen zur Bundestagswahl 2021 liegt die SPD weiterhin auf dem dritten Platz. Denn was der Medientrubel um die Kandidaten ignoriert: Die Kanzlermaschine CDU arbeitet zuverlässig wie ein Dieselmotor bei Dauerfrost. Das schlechte Ergebnis für Laschet zeigt schlicht, dass nicht einmal die eigenen Wähler ihn leiden können. Ihre Stimme werden sie der CDU dennoch geben. Die Grünen, die den Zeitgeist auf ihrer Seite haben, folgen mit etwas Abstand.
Viel interessanter als die "K-Frage" ist daher, dass für die nächste regierungsfähige Koalition zwei Parteien wahrscheinlich nicht mehr reichen werden. Damit haben wir endlich die Weimarer Verhältnisse, die lange genug beschworen wurden. Spannender als die Kandidaten ist die Spekulation über die möglichen Regierungskoalitionen. Neben den bekannten Klassikern spricht über drei Varianten für eine Regierungsmehrheit derweil noch keiner.
Variante 1: Das Triumvirat oder die Ganz Große Koalition
Das Triumvirat: die Ganz Große Koalition (GaGroKo) aus CDU, den Grünen als Juniorpartner und der SPD als Junior-Junior-Partner. Für die Vergesslichen: Zu einem geschichtsträchtigen Triumvirat kam es 60 v. Chr. in Rom. Gaius Iulius Caesar, Gnaeus Pompeius Magnus und Marcus Licinius Crassus, drei politische Schwergewichte, wie man heute sagen würde, schlossen sich zusammen. In einem zunächst informellen Bündnis, das Geld, Militär und Einfluss vereinte, regierten sie lässig am Senat vorbei.
Auch die GaGroKo wäre ein echtes Lösungspaket. Das fehlende Profil der "Volksparteien" wäre für weitere vier Jahre überbrückt, und bei den zukunftsweisenden Themen (Vielfalt, Klimaschutz, Corona) sind sich die Parteien im Großen ja sowieso einig. Die orwellschen Ministerien, die die Grünen errichten wollen, hätten genügend Minister, und Posten wird es geben, dass sie noch für die Hinterbank reichen. Die Brandmauer gegen Rechts wäre stabil wie nie.
Im Kanzleramt teilten sich dann drei Kanzler die Last der Verantwortung. Nach der Gottkanzlerin ist das das Minimum. Weniger wären gar nicht in der Lage, Merkels Chefsessel nach vier Amtszeiten auszufüllen. Eine sogenannte Kenia-Koalition wäre das aber nicht. Wie jeder weiß, ist die Flagge Kenias schwarz-rot-grün. Das wäre eine Koalition aus CDU, SPD und Grünen. Die SPD liegt aber hinter den Grünen, und das ergibt schwarz-grün-rot. Das Problem: Bislang gibt es keinen Staat mit so einer Farbreihenfolge in der Flagge. Die Lösung könnte aber näher liegen als vermutet.
Variante 2: Das Quadrumvirat oder die Ganz Ganz Große Koalition
Das Quadrumvirat: die Ganz Ganz Große Koalition (GaGaGroKo) aus CDU, den Grünen als Juniorpartner, der SPD als Junior-Junior-Partner und der FDP oder den Linken als Junior-Junior-Junior-Partner. Außer der AfD bliebe schließlich niemand mehr. Oder könnten es die Freien Wähler dieses Mal über fünf Prozent schaffen? Machen wir uns aber nichts vor: Die FDP hat sich mit ihren aufmüpfigen Aussagen bezüglich der Corona-Maßnahmen bereits vorzeitig disqualifiziert. Wer Freiheit will, soll zum Arzt gehen.
Warum dann nicht die GaGaGroKo mit den Linken wagen? In Thüringen hat man das Zusammenspiel von Linken und CDU schon geprobt und nannte das "Stabilitätspakt". Dort unterstützt die CDU die von der Linken geführten Koalition. Zeit, dass sich die Genossen revanchieren und für die Rückendeckung Merkels bei der Landtagswahl einmal Danke sagen. Die Brandmauer gegen Rechts noch ein Stockwerk höher zu ziehen, kann auch nicht schaden.
Apropos Mehrheitsfindung im demokratischen Lager: Die GaGaGroKo hätte im Parlament sogar eine Zweidrittelmehrheit. Dann könnte zuverlässig die großen Projekte der Zukunft angehen (Vielfalt, Klimaschutz, Corona) und sogleich ins Grundgesetz notieren. Bei der Gelegenheit könnte man dann über einen Neuanstrich der Bundesflagge nachdenken, immerhin ein Relikt aus den antifranzösischen und nationalistischen Koalitionskriegen, und alles schwarz-grün-rot streichen. Das Farbwirrwarr wäre gelöst: Ab jetzt regiert die "Deutschland-Koalition".
Variante 3: Wegen Renovierung geschlossen
Die Nullrunde: Die Abgeordneten haben während der letzten Legislaturperiode mit der Regierung so fleißig korporiert, dass sie sich eine Auszeit verdient haben. Nach der Wahl des Kanzlers könnte das Parlament doch ein Gesetzespaket verabschieden, mit dem es sich zu einem vierjährigen Urlaub verpflichtet (bezahlt, versteht sich). Das wäre dann die Gelegenheit, die Idee einer Berliner Initiative aufzugreifen und den Palast der Republik neu zu errichten; allerdings nicht auf Kosten des Berliner Schlosses, wie die Initiative fordert, das wäre Steuerverschwendung.
Der Kompromiss: Der Palast kommt an die Stelle des Reichstagsgebäudes. Die Mehrheit der Abgeordneten wird den Unterschied bei ihrer Rückkehr garantiert nicht bemerken. Und das Regierungsviertel ist mittlerweile so oft abgesperrt; ob nun wegen einer Baustelle oder um den Demokraten die Demonstranten vom Leib zu halten, das wird in Berlin sowieso keinem auffallen.
Innerhalb einer Legislaturperiode könnte man das Reichstagsgebäude abtragen und zum Beispiel neben dem Berliner Schloss wieder aufschichten. Unweit von Unter den Linden, dem größten Freiluftmuseums Deutschlands, macht er sich sicher gut. Zweiter Vorschlag: Man fertigt eine Reichstagsminiatur an und stellt sie in den Lustgarten am Berliner Dom. Neben dem Alten Museum für griechische und römische Fundstücke wird sich das Parlamentsgebäude des deutschen Volkes wunderbar einfügen.
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