von Mark Hadyniak
In den letzten Tagen mehren sich die Umfragen, laut denen der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz seine Kontrahenten Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) hinter sich lässt. In einer am Sonntag publizierten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA im Auftrag der Bild sprechen sich 22 Prozent der Befragten für Scholz aus, wenn sie den Kanzler direkt wählen könnten.
Für Laschet und Baerbock sprechen sich jeweils 13 Prozent der Befragten aus. Für die Umfrage wurden am 30. Juli 1.001 Personen von INSA befragt. Im Vergleich zur INSA-Umfrage der Vorwoche legt Scholz damit um einen Prozentpunkt zu. Laschet verliert zwei Prozentpunkte, Baerbock einen.
Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt auch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov. Demnach würden sich 20 Prozent der von YouGov Befragten für Scholz entscheiden, wenn der Kanzler direkt wählbar wäre. 15 Prozent würden Laschet wählen, 13 Prozent Baerbock. In einer Umfrage des ZDF-Politbarometers geben 34 Prozent der Befragten an, dass ihnen Scholz als Kanzler "am liebsten" wäre – ein Plus von sechs Punkten innerhalb von zwei Wochen. 29 Prozent der Befragten sprechen sich für Laschet aus (acht Prozentpunkte Verlust) und 20 Prozent für Baerbock (zwei Prozentpunkte Gewinn).
Die Umfrage-Ergebnisse werden breit von den deutschen Medien aufgegriffen. Die Süddeutsche Zeitung, der Stern, dieZeit, der Tagesspiegel und das Handelsblatt titeln: "Scholz überholt Laschet bei Kanzlerfrage". Die Frankfurter Rundschau weiß: "Olaf Scholz zieht klar an Armin Laschet vorbei". Der Focus sieht Laschets Union "im Umfrage-Tief" "versinken". Laut dem Münchner Merkur macht die "Laschet-Kurve" einen "gewaltigen Knick", außerdem habe Baerbock "wenig zu lachen". In einem weiteren Beitrag des Münchner Merkurs hat hingegen "Armin Laschet nicht viel zu lachen" und Scholz ist "Kanzler-Favorit". Die Zeitung Express fragt: "Baerbock und Laschet in Not?".
Liest man diese Überschriften, könnte man meinen, ein Wahlsieg und damit die Kanzlerschaft für Olaf Scholz stünde bevor. Die Bild titelt: "Warum Laschet abschmiert und Scholz plötzlich glänzt". Laut der Süddeutschen Zeitung "überflügelt" Scholz Laschet. Und der Stern fragt: "Wird Olaf Scholz am Ende bei der Bundestagswahl der lächelnde Dritte?".
Tatsächlich liegt all den Befragungen und damit auch den Schlagzeilen der entsprechenden Medien die fiktive Möglichkeit einer Direktwahl des Bundeskanzlers zugrunde. INSA hat am 30. Juli gefragt: "Angenommen, Sie könnten den Bundeskanzler direkt wählen und hätten die Wahl zwischen Armin Laschet von der CDU, Annalena Baerbock von Bündnis 90/Die Grünen und Olaf Scholz von der SPD: Für wen würden Sie sich entscheiden?".
Scholz als Bundeskanzler – ein realistisches Szenario?
In Deutschland wird der Bundeskanzler nicht direkt vom Volk, sondern auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag gewählt. Entscheidend dazu ist eine Mehrheit im Bundestag. Folgt man den derzeitigen Umfragen – bei all den Schwächen und Unsicherheiten, die damit verbunden sind –, ist die SPD und damit auch ihr Spitzenkandidat Scholz weit von einer Regierungsmehrheit entfernt.
Laut einer parallel zur Kanzlerfrage von INSA erhobenen Sonntagsfrage, bei der 1.196 Personen im Zeitraum 26. bis 30. Juli befragt wurden, gaben 27 Prozent der Befragten an, CDU/CSU wählen zu wollen. 18 Prozent würden Bündnis 90/Die Grünen wählen, 17 Prozent die SPD. Dahinter liegen die FDP mit 13 Prozent, die AfD mit elf Prozent und Die Linke mit sechs Prozent.
Ausgehend von diesen Zahlen würde eine Rot-Rot-Grüne-Koalition (oder Grün-Rot-Rot, Rot-Grün-Rot) aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke lediglich auf 41 Prozent der Stimmen kommen. Eine Ampel-Koalition (SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen) käme immerhin auf 48 Prozent. In beiden Fällen wäre eine potentielle Kanzlerschaft von Scholz aber vermutlich abhängig von dem Verhältnis zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Laut INSA-Umfrage wäre derzeit keine SPD-geführte Koalition möglich. Außerdem bekundete heute der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, er erachte eine Ampel-Koalition derzeit nicht als realistisch.
Laut INSA käme eine Regierungsmehrheit lediglich für eine Jamaika-Koalition (CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP) zustande mit 58 Prozent oder für eine so genannte Deutschland-Koalition (CDU, SPD, FDP) mit 57 Prozent. Andere Sonntagsumfragen wie etwa der Forschungsgruppe Wahlen, Kantar, YouGov oder Allensbach kommen zu ähnlichen Ergebnissen:
Wer lacht am Ende?
Von einem "lachenden Dritten" namens Scholz, der als "Kanzler-Favorit" und "Überflieger" Laschet stehen lässt, der nun "nichts zu lachen" mehr hat, ist in diesen Umfragen nichts zu sehen. Stattdessen ringt die SPD bei 16 bis 17 Prozent mit den Grünen um den abgelegenen Platz zwei. Wahlsieger wäre in allen Szenarien die CDU/CSU, die dann in Koalitionsverhandlungen ausloten müsste, wer von den derzeitigen Kontrahenten gewillt ist, Armin Laschet zum Kanzler zu küren.
Ein von zahlreichen deutschen Medien bildhaft in Szene gesetzte knapper Dreikampf um die Kanzlerschaft – beim RedaktionsNetzwerk Deutschland sogar mit Rennautos, wo kurioserweise Baerbock vorne liegt –, zeigt sich in den Sonntagsumfragen als Langeweile. Nach einem kurzen Höhenflug von Bündnis 90/Die Grünen im Mai liegt die Union in den Umfragen solide vorne. Realistische Koalitionsoptionen ohne die Union stellen sich demnach nicht. Laschet lacht und wird Kanzler.
Ein paar Kuriositäten lassen sich dennoch aus den aktuellen Umfragen herauslesen: Laut der aktuellen INSA-Umfrage geben 27 Prozent der Befragten an, CDU/CSU wählen zu wollen. In der parallelen Umfrage zur imaginären Kanzler-Direktwahl sprechen sich laut INSA aber nur 13 Prozent für Armin Laschet als Kanzler aus. Wen wollen Sie mit ihrer CDU/CSU-Wahl zum Kanzler wählen? Werden Sie CDU/CSU wählen, obwohl sie Laschet nicht als Kanzler befürworten?
Wie Laschet scheint auch Baerbock in Ungnade selbst bei den potentiellen Grünen-Wählern gefallen zu sein. Währen 18 Prozent der Befragten angaben, die Grünen wählen zu wollen. Sprechen sich nur 13 Prozent für Baerbock als Kanzlerin aus. Scholz hingegen scheint Sympathien auch von außerhalb der SPD-Befürworter zu bekommen. 17 Prozent der Befragten gaben an, SPD wählen zu wollen. 22 Prozent befürworten hingegen Scholz als Bundeskanzler.
Deutlich wird hingegen sichtbar, dass eine Mehrheit der Bevölkerung keinen der drei Kandidaten als Bundeskanzler wählen möchte. Laut INSA sprachen sich 52 Prozent der Befragten für keinen von Baerbock, Laschet und Scholz aus. Hätten sie die freie Wahl, würde keiner von ihnen Bundeskanzler werden. Selbst der "beflügelte" Scholz käme maximal auf ein Viertel der Stimmen. Im Stil des Express muss man fragen: Wer oder was ist hier eigentlich in Not?
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