Atomgespräche stocken bis zur Machtübergabe in Teheran: Wird Israel Atomanlagen Irans angreifen?

Die Kriegsrhetorik gegen Iran nimmt bei israelischen Medien und Politikern erneut Fahrt auf, nachdem die Verhandlungen über eine Rettung des Wiener Atomabkommens von 2015 nach Wünschen Irans bis zum Machtwechsel in Teheran aufgeschoben wurden.

von Seyed Alireza Mousavi

Nach dem Angriff auf eine Atomanlage in Natans begann Teheran Ende April nach eigenen Angaben mit der Urananreicherung bis zu 60 Prozent Anteil U-235. Das ist in Iran der bislang höchste Grad der Anreicherung des spaltbaren Uran-Isotops, das für Kernkraftwerke wie für Kernwaffen geeignet ist.

Während der neuen Runde von den Atomverhandlungen in Wien bekräftigte der Oberste Führer Irans Ali Chamenei mehrfach, dass Iran erst dann zu seinen Verpflichtungen im Rahmen des JCPOA zurückkehren werde, wenn das Land feststellen könne, dass die Sanktionen nicht nur in Worten, sondern in der Tat aufgehoben worden seien. Für die iranische Seite ist dabei auch wichtig zu wissen, wie Iran die größtmögliche Gewähr erhalten könne, dass nicht wieder eine Partei einseitig aus dem Atomdeal aussteigt.

Die USA erklärten im Jahr 2018 einseitig ihren Ausstieg aus dem Abkommen und verfolgten zudem unter der Trump-Regierung eine Politik des "maximalen Drucks", die sich bereits zuvor als gescheitert erwiesen hatte. Michail Uljanow, der russische Unterhändler bei den Wiener Gesprächen, sagte vor Kurzem, dass der Verlauf der Wiener Atomgespräche einmal mehr beweise, dass die USA den Einfluss des maximalen Drucks gegen Iran überschätzt hätten. 

Mitte Juli kamen zwei Meldungen von iranischer Seite, die die israelische Regierung in Alarmstimmung versetzte. Das iranische Außenministerium erklärte, die Wiener Verhandlungen über das iranische Atomprogramm würden nicht vor dem Amtsantritt der neuen iranischen Regierung weitergehen. Ab August werde der neu gewählte konservative Präsident Raissi die Gespräche übernehmen. Die Amtseinführung des neuen Präsidenten Ebrahim Raissi ist für den 5. August geplant. Diese Erklärung erfolgte einige Tage, nachdem der noch amtierende Präsident Hassan Rohani in einer Kabinettsitzung gesagt hatte, Iran sei nun in der Lage, bei Notwendigkeit Uran auf bis zu 90 Prozent anzureichern. 

Die Verbündeten der USA, die nicht an dem Abkommen beteiligt sind – wie Israel und Saudi-Arabien –, sind jedoch ohnehin gegen die Atomgespräche in Wien und haben mehrfach darauf gedrängt, dass das Atomabkommen auch auf das Raketenarsenal Irans erweitert werden müsse, um damit Irans Einfluss in der Region einzudämmen. 

Nachdem Iran eine Pause für die Atomgespräche einlegte, griff die israelische Zeitung Haaretz den neuen Schritt in Teheran auf und ging der Frage nach, was Israel unternehmen solle, wenn es kein Atomabkommen geben wird. Unter der Annahme, dass Iran sein Atomprogramm als "Druckmittel" bei den Verhandlungen beschleunigen werde, ging der Autor des israelischen Zeitungsartikels von möglicherweise "drei schlechten Optionen" für Israel aus: 1. Israel solle "einen begrenzten Militärschlag" auf iranischen Atomeinrichtungen fliegen, der aber möglicherweise die iranischen Atomanlagen nicht vollständig zerstören würde. Der Schlag würde zudem unzählige geopolitische Nachteile mit sich bringen. Während die Golfstaaten diesen Schritt begrüßen könnten, würden Europa, Russland und China "weniger davon begeistert sein". 2. Israel solle versuchen, die USA von einem Militärschlag gegen Iran zu überzeugen. Es sei allerdings fraglich, ob Iran "leichtsinnig" genug sein werde, die US-Amerikaner zu provozieren und einen Vorwand oder Anreiz zum Angriff zu liefern. 3. Israelis sollten ein "maximales Maß" an Koordination mit den USA erreichen, aber erwarteten zugleich, dass ein Abkommen möglicherweise nicht zustande kommen werde.

Ob Israel überhaupt in der Lage ist, iranische Atomanlagen anzugreifen, ist zu bezweifeln, wie Haaretz auch selbst andeutet. Die Israelis wissen, dass der Militärschlag gegen Atomeinrichtungen unvollständig bliebe. Die unterirdischen Anlagen Irans sind nur mit Raketen zu erreichen, die tief in die Erde eindringen, wobei die Raketen als solche auch unterirdische Anlagen nicht unbedingt völlig zerstören könnten. Über solche Raketen verfügen zudem nur die USA, Israel hat sie hingegen nicht. Ex-Präsident Barack Obama hatte sich vor sechs Jahren geweigert, Israel solche Raketen zu liefern. Der neu Präsident Biden würde es vermutlich genauso halten. USA sind schon längst dabei, sich aus der gesamten Region zurückzuziehen. Insofern ist zu bezweifeln, dass USA in naher Zukunft bereit sein werden, auf israelischen Wunsch hin an Aktionen gegen Iran in der Region teilzunehmen, wenn sie sich künftig stärker auf die "Eindämmung Chinas", also auf die Strategie zum "Schwenk nach Asien" in der internationalen Politik fokussieren wollen.

Was aber eigentlich Israel daran hindert, einen Militärschlag gegen Irans Atomanlagen durchführen, ist die Reaktion Irans selbst auf solch einen Angriff, insbesondere die Gefahr, die nördlich von Israel, nämlich vom Raketen-Arsenal der Hisbollah ausgeht. Iran sieht bisher das Raketen-Arsenal der Hisbollah-Bewegung nicht in erster Linie als offensive Waffen, sondern als einen Kontrollmechanismus, der es Iran ermöglicht, sein Atomprogramm ohne Angst vor einen israelischen Militärschlag auszubauen, so der israelische Kommunikationsstratege Joel Rosenberg. 

Nach einer aktuellen Schätzung der israelischen Streitkräfte umfasst das Waffenarsenal der Hisbollah 150.000 Raketen mit einer Reichweite von 15 bis 700 km. Nach einer Studie des in Washington, D.C. ansässigen "Center for Strategic and International Studies" (CSIS) besaß die Hisbollah während des 33-Tage-Krieges im Jahr 2006 rund 15.000 Raketen. Falls ein neuer Krieg zwischen Israel und der Hisbollah-Bewegung ausbricht, sei nun die Hisbollah in der Lage, etwa 1.000 bis 3.000 Raketen pro Tag auf israelische Gebiete abzufeuern. Ein Krieg gegen Iran wird insofern den dritten Libanon-Krieg verursachen, was im Grunde eine Katastrophe für "Sicherheit Israels" wäre.

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