Dr. Heinz und die (Un-)Freiheit der Ungeimpften: Ein Plädoyer für die Zweiklassengesellschaft?

Ausgangssperren, Maskenpflicht – und nun Freiheitsentzug wegen Impfverweigerung? Was hierzulande seit März 2020 an Grundrechtseinschränkungen realisiert wird, wäre vorher undenkbar gewesen. Ist die Verschwörungstheorie von heute die Realität von morgen? Ein Krankenkassenfunktionär aus Rheinland-Pfalz will die Gesellschaft nun noch rascher Richtung Huxleys "Schöne neue Welt" treiben.

von Kaspar Sachse

Jugendliche, die von Polizisten durch den Park gejagt werden, FFP2-Maskenträger im Biergarten, Regierungsoberhäupter, die verkünden, dass die "Pandemie erst vorbei ist, wenn alle Menschen geimpft sind": All das passt zu einem Land, in dem das Wort "Querdenken" politisch-medial zum Schimpfwort mutiert ist.

Doch schlimmer geht bekanntlich immer: So hat Dr. Peter Heinz, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz (KV RLP), der bis dato nicht unbedingt als Fachmann für Coronaviren oder Impfstoffe bekannt geworden ist, am Samstag gegenüber der Rhein-Zeitung verkündet

"Die Nicht-Geimpften haben nicht die Freiheit, ihre Maske abzulegen. Sie dürfen nicht ins Stadion, nicht ins Schwimmbad und nicht ohne Maske im Supermarkt einkaufen. Und man darf Ungeimpften und jenen mit nur einer einfachen Impfung nicht mehr gestatten, in den Urlaub zu fahren."

Wie bitte? Doch, doch, das er hat gesagt – und es wird noch besser:

"Ohne Impfung gibt es keine Freiheiten. Ohne diesen Druck werden wir die Menschen nicht überzeugen."

Starker Tobak, Chapeau. Da stellt sich zunächst die Frage, wer der gute Mann überhaupt ist. Warum bekommt er solch eine mediale Aufmerksamkeit und warum ließen die großen Gazetten seine undemokratischen Aussagen am Wochenende sozusagen viral gehen? Dr. Peter Heinz ist ein niedergelassener Allgemeinmediziner in einem kleinen Ort unweit von Mainz. In seiner Aufgabe als seit 2017 amtierender Vorstandsvorsitzender der KV RLP ist er vor allem damit beschäftigt: "die Interessen der rheinland-pfälzischen Vertragsärztinnen und Vertragsärzte sowie Vertragspsychotherapeutinnen und Vertragspsychotherapeuten" zu vertreten. Weiter heißt es dort:

"Im Rahmen der Interessenvertretung nimmt der Vorstand vielfältige berufspolitische Aufgaben wahr wie zum Beispiel den Abschluss von Verträgen mit den Krankenkassen."

Herr Dr. Peter Heinz hat also nicht nur aus gesundheitlichen Gründen ein Interesse daran, dass möglichst viele Menschen geimpft werden, denn der Bund und eben die Krankenkassen übernehmen die Kosten für die Impfungen und die Abrechnungen mit den Ärzten. Bis zum 8. Juli 2021 wurden in den Praxen des Bundeslandes Rheinland-Pfalz 1.481.072 Impfungen verabreicht, 41,3 Prozent der Bevölkerung sind bereits vollständig geimpft, 59,3 Prozent mindestens ein Mal. Derzeit sind 1.096 Menschen mittels PCR-Test als positiv infiziert und deklariert – das Bundesland im Südwesten hat reichlich vier Millionen Einwohner, das entspricht etwa 0,026 Prozent. Die Impfkampagne läuft also gut, die Kassenärzte werden auskömmlich dafür entlohnt, die Zahl der "Virenschleudern" befindet sich im Promillebereich und die Inzidenz ist einstellig. 

Freiheiten nur Geimpften zu geben sei laut Heinz keine versteckte Impfpflicht, "sondern eine zwangsläufige Schlussfolgerung aus einer pandemischen Lage". Die hervorgebrachten Zahlen machen diese Schlussfolgerung nur bedingt nachvollziehbar – daher müssen offenbar neue Ängste geschürt werden – und die deutsche Qualitätspresse ist wie stets seit März 2020 an vorderster Front dabei und generiert Klicks. 

Doch es gibt noch etwas anderes außer den Zahlen in diesem Land, das der Doktor aus der Peripherie, im Kontext seiner Aussagen, unbedingt mal lesen sollte: Es nennt sich Grundgesetz und seine ersten beiden Paragrafen lauten:

"(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt."

Von einer Zweiklassengesellschaft, wie sie Herr Heinz anstrebt, ist dort nichts zu lesen. Auch nicht dass Menschen durch das Schüren von Angst und die Androhung von Freiheitsentzug zu Dingen gezwungen werden, die sie partout nicht wollen. Zudem ist der begeisterte Fliegenträger – wie einst Karl Lauterbach – überhaupt nicht befugt, über Reisefreiheit der Bürger, das Begehen von öffentlichen Plätzen wie Schwimmbädern oder eben ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht zu entscheiden – kein Arzt, kein Wissenschaftler und auch kein steinreicher IT-Freak aus Seattle ist dazu befugt.

Herr Heinz ist kein gewählter Politiker und noch weniger Mitglied einer möglichen Zweidrittelmehrheit im Bundestag, die das Grundgesetz bezüglich seiner Aussagen ändern könnte. Final nützt auch der feigenblattartige Hinweis des Funktionärs nichts, dass er kein Befürworter einer direkten Impfpflicht sei und diese als "Bevormundung" ablehne. Fischen, deren "Bewegungsfreiheit" durch riesige, aber engmaschige Netze "eingeschränkt" wird, nützt es auch nichts, wenn der Steuermann der dazugehörigen Trawlers ihnen dabei zuruft: "Ihr hättet ja nicht hineinschwimmen müssen".

Also, dann noch mal ab auf die Schulbank und einen Blick ins Grundgesetz geworfen, Herr Heinz! Bei Nachhilfebedarf fragen Sie einfach mal bei den Menschen in Ostdeutschland nach, die (nicht nur) für Ihre Reisefreiheit 1989 auf die Straße gegangen sind. 

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