von Seyed Alireza Mousavi
Der Westen beharrt weiterhin darauf, den letzten Grenzübergang an der syrischen Grenze zur Türkei für "Hilfslieferungen" zu nutzen, über den die syrische Regierung keine Kontrolle hat. Am 10. Juli läuft die Resolution des UN-Sicherheitsrats aus, die nach offiziellen Angaben "humanitäre Hilfe" von der Türkei in die nordwestsyrische Provinz Idlib über Bab al-Hawa fließen lässt. Syrien und Russland wollen das Mandat ersatzlos auslaufen lassen, da es die Souveränität des syrischen Staates offensichtlich verletzt.
In den letzten Tagen startete der deutschsprachige Mainstream eine neue Kampagne gegen Russland mit der Behauptung, dass Moskau die Menschen in Idlib "verhungern" lassen wolle, da es die Verlängerung des UN-Mandats blockiere: "Etwa vier Millionen Menschen leben in Idlib, der letzten syrischen Provinz, die noch von Rebellen gehalten wird. Und obwohl die Bedingungen schon jetzt schwer erträglich sind, könnten sie sich bald noch einmal dramatisch verschlimmern", schreibt der Spiegel, ohne zu erwähnen, wer eigentlich diese Rebellen sind. Die Provinz Idlib, die letzte Hochburg der dschihadistischen Milizen, wird großteils von Haiʾat Tahrir asch-Scham kontrolliert, einem radikal-islamistischen Bündnis verschiedener Milizen.
Der Spiegel kommentiert weiter, dass Russland nun diese letzte "Lebenslinie" kappen wolle. Nach dem gleichen Framing-Muster schreibt die NZZ: "Millionen von Menschen hängen im Nordwesten Syriens von Hilfslieferungen der UNO aus der Türkei ab." Doch Moskau wolle diese "Lebensader" nun mit seinem Veto im Sicherheitsrat unterbinden. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CDU) hat sich inzwischen auch zu Wort gemeldet und gesagt, die russische Regierung müsse im UN-Sicherheitsrat den Zugang der Hilfsorganisationen über den einzigen Grenzübergang Bab al-Hawa weiter gewährleisten.
Die USA forderten bereits mehrfach im UN-Sicherheitsrat insbesondere Russland unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe dazu auf, die Genehmigung für den Grenzübergang Bab al-Hawa an der türkischen Grenze zu verlängern. Russland hingegen will die Hilfslieferungen künftig über Syriens Hauptstadt Damaskus abgewickelt sehen, damit Syrien die Kontrolle über all seine Grenze wiedererlangen kann. Drei andere Grenzübergänge, über die die syrische Regierung ebenfalls keine Kontrolle gehabt hatte, wurden mittlerweile auf Betreiben Syriens und Russlands geschlossen.
Russland betont die Bedeutung der Stärkung der Souveränität und territorialen Integrität Syriens und besteht darauf, dass jegliche Hilfe über Damaskus erfolgen könnte und sollte. Über den Grenzübergang Bab al-Hawa wurden in letzter Zeit mehrfach in entgegengesetzte Richtung syrische Ressourcen illegal ins Ausland geschmuggelt.
Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja erklärte bereits, dass es keinen Sinn habe, über eine Verlängerung des Mandats für den letzten verbleibenden Grenzübergang an der türkischen Grenze im Nordwesten Idlibs zu sprechen, da Damaskus derzeit fast 90 Prozent seines Territoriums zurückerobert habe: "Unter diesen Bedingungen ist der grenzüberschreitende Mechanismus ein bloßer Anachronismus."
Der französische UN-Botschafter Nicolas de Rivière warnte mittlerweile, dass die westlichen Staaten die Finanzierung einstellen würden, wenn humanitäre Hilfslieferungen nur über die Frontlinien hinweg und nicht aus Nachbarländern erlaubt seien. Dieses klare Statement entlarvt, dass es bei den westlichen Staaten um alles andere als die Versorgung der Menschen in Idlib geht. Der Westen will durch Diplomatie das erreichen, was er militärisch in letzten Jahren in Syrien nicht erreicht hatte, und zwar die Untergrabung der syrischen Souveränität.
Während auf Betreiben der westlichen Staaten im Sicherheitsrat "humanitäre Hilfslieferungen" aus Nachbarländern nach Syrien am 8. Juli debattiert werden, blenden dieselben Staaten die verheerenden Auswirkungen ihrer Sanktionen gegen Syrien aus. Nach der gescheiterten Militäroperation in Syrien unterzeichnete der damalige US-Präsident Donald Trump im Dezember 2019 das sogenannte "Caesar-Gesetz zum Schutz der syrischen Zivilisten", um mithilfe der harten Sanktionen die Regierung von Präsident Baschar al-Assad in die Knie zu zwingen. Die sogenannten Caesar-Sanktionen traten am 17. Juni 2020 in Kraft, darunter auch Sekundärsanktionen, die Unternehmen weltweit bestrafen, die mit der syrischen Regierung zusammenarbeiten. Mit diesen Sanktionen blockierte der Westen faktisch die Zusammenarbeit zwischen Syrien und seinen Verbündeten beim Wiederaufbau des Landes, was das Nachbarland Libanon hart getroffen hat.
Allerdings ist nicht auszuschließen, dass Russland bei der bevorstehenden Sitzung des UN-Sicherheitsrats versuchen wird, die grenzüberschreitende Hilfe als ein Mittel zur Lockerung der Sanktionen gegen Syrien oder die Unterstützung des Wiederaufbaus des Landes zu nutzen. Wie auch immer der Kompromiss am Ende aussehen wird, befindet sich Syrien gerade auf dem Weg der Wiedererlangung seiner Souveränität und der Normalisierung seiner Beziehungen zu den Nachbarländern. Syrien ist unter Vermittlung Russlands bereits dabei, seine Beziehungen zu den arabischen Golfstaaten zu normalisieren, um wieder eine Rolle als anerkannter Akteur im Nahen Osten zu spielen, selbst wenn die westlichen Staaten völlig an der Realität vorbei ihre Agenda in der Region durchsetzen wollen.
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