von Gert Ewen Ungar
Auf dem Parteitag der Grünen wurde viel vom Klima geredet. Zentrale These ist, der Klimawandel ist menschengemacht, eine Reduktion des Kohlendioxid-Ausstoßes ist dringend notwendig, um den Temperaturanstieg zu begrenzen. Nur so ließen sich globale, klimabedingte Katastrophen in ihren schlimmsten Auswirkungen verhindern. Notwendig sei dazu eine Abkehr vom Verbrauch fossiler Energieträger. Der sich daraus ergebenden Logik folgend strebt die Partei einen kompletten und möglichst zeitnahen Umbau der deutschen Gesellschaft an.
Von Umweltfragen weitgehend unabhängig ist ein zweiter Teil der grünen Programmatik. Die Partei bekennt sich uneingeschränkt zur transatlantischen Allianz und kündigt eine außenpolitisch härtere Gangart vor allem gegenüber Russland und China an, die als autoritäre Staaten und damit als Gegenentwürfe zum freien, westlichen Liberalismus identifiziert werden. Demgegenüber soll das transatlantische Bündnis gestärkt und vertieft werden.
Es soll im Folgenden um die Frage gehen, ob das auf dem Parteitag der Grünen verabschiedete Programm zur Bundestagswahl in dieser thematischen Spreizung überhaupt geeignet ist, einen wesentlichen klimapolitischen Beitrag zu leisten. Die Antwort lautet: nein.
Die Antwort lautet nein, denn die Grünen zeigen, dass sie wichtige Mechanismen globaler Märkte nicht verstanden haben. Ohne deren Verstehen jedoch lassen sich keine effektiven Maßnahmen erdenken, die einen Wandel im Wirtschaften herbeiführen, der notwendig wäre, um eine tatsächliche Reduktion des Kohlendioxid-Ausstoßes zu realisieren. Man kann sich da mit der heimischen Industrie verabreden, wie man will, Selbstverpflichtungen und grüne Bonds zur hippsten Erfindung erklären – das funktioniert alles nicht, wenn man nicht die globale Kooperation sucht und Lagerdenken überwindet. Insbesondere von Letzterem sind die Grünen weiter entfernt als jede andere Partei in der Bundesrepublik.
Das große Manko grüner Programmatik soll an zwei Beispielen aufgezeigt werden. Zunächst geht es um Erdöl, dann um Erdgas. Die Welt verbraucht aktuell rund 100 Millionen Fass Erdöl jeden Tag, damit der Laden so läuft, wie er gerade läuft. Auf Deutschland entfallen dabei rund 2,5 Millionen Fass. Dieser Anteil soll nach dem Willen der Grünen massiv reduziert werden. Dazu sollen die Spritpreise kräftig steigen, der Verbrennungsmotor soll ab 2030 nicht mehr neu zugelassen werden, Inlandsflüge sollen verboten, Fliegen insgesamt deutlich unattraktiver werden. Stattdessen wollen die Grünen die Bahn "massiv ausbauen".
Die Zertifizierung von Kohlendioxid soll generell den Verbrauch fossiler Brennstoffe und damit die Erzeugung von Kohlendioxid teuer machen. Die Idee hinter diesen ehrgeizigen Zielen ist einfach. Deutschland reduziert seinen Anteil am Verbrauch und nimmt eine Vorreiterrolle ein. Es wird so Beispiel für andere Länder, die sich dann am deutschen Weg orientieren können, ebenfalls ihren Anteil reduzieren und ihre Gesellschaften nach deutschem Vorbild umbauen.
Angenommen, es sollte in einer ganz enormen Kraftanstrengung gelingen, den deutschen Anteil am globalen Verbrauch innerhalb von kurzer Zeit, das heißt innerhalb von wenigen Jahren, zu halbieren, dann passiert auf dem globalen Erdölmarkt genau eins: absolut nichts. Der von Deutschland nicht gekaufte Teil bleibt dann nicht im Boden, es kauft ihn jemand anders.
Der globale Erdölmarkt wird jeden Tag leergekauft. Alles, was gefördert wird, wird auch verkauft. Wird mehr gefördert als nachgefragt wird, sinkt der Preis, wird mehr nachgefragt als gefördert, steigt er. Ist die Nachfrage hoch, steigt der Preis und es können kostenintensivere Fördermethoden wie Fracking zum Einsatz kommen, um die globale Nachfrage zu bedienen. Es ist einzelnen Marktteilnehmern über ihre Nachfrage nicht möglich, die Förderungsmenge zu regulieren. Das ist ein zentrales Missverständnis vieler Aktivisten, die gedanklich in der neoliberalen Logik gefangen sind und meinen, der einzelne Verbraucher könne mit seinem Konsumverhalten den Markt beeinflussen und sogar steuern. Das ist falsch. Der Verzicht einzelner Marktteilnehmer auf den Kauf von einzelnen Produkten aus beispielsweise ethischen Überlegungen bewirkt im Gesamtsystem nichts. Vor allem wird es dadurch nicht ethischer. Das gilt auch für Länder von der Größe Deutschlands. Ihr Gewicht ist zu gering.
Dieses grundlegende Missverständnis in Bezug auf Marktmechanismen hat sich in grüne Programmatik geschlichen. Wichtig ist zu verstehen, eine deutsche Verzichtspolitik hat keine Auswirkungen auf die Fördermenge.
Es gibt aber noch eine andere Seite. Denn innerhalb Deutschlands hätten die Maßnahmen massive Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft. Transport und Verkehr würden teurer, Energiekosten würden steigen, damit würde unter anderem Heizen teurer. Auf die Gesamtnachfrage wirkt sich das dämpfend aus. Was man fürs Heizen ausgeben muss, kann man nicht mehr für ein neues E-Bike ausgeben. Ein gesetzliches Durchpeitschen höherer Preise bei Produkten aus Erdöl würde die deutsche Gesellschaft weiter spalten. Ungleichheit würde zunehmen.
Zwar sprechen die Grünen in ihrem Programm von einem "sozial gerechten" Einsatz der CO2-Bepreisung, durch den "soziale Unwuchten" vermieden werden sollen. Das von den Grünen geplante Instrument, die Einnahmen aus dem Verkauf von CO2-Zertifikaten in Form einer Kopfpauschale an die Bürger auszuschütten, ist allerdings viel zu unscharf, um soziale Verwerfungen abzufedern.
Dafür ein plastisches Beispiel: Der einkommensstarke Haushalt, der sich ein Nullenergiehaus leisten kann, der Solarpanels auf dem Dach und einen Tesla in der Garage hat, zudem nah am Arbeitsplatz wohnt oder gar von zu Hause aus arbeitet, würde von dieser Kopfpauschale weit mehr profitieren als der einkommensschwache Haushalt, der in einer gemieteten Wohnung mit einer Heizöl betriebenen Zentralheizung in einem Vorort lebt und mit einem Diesel täglich eine weite Strecke zur Arbeit zurückzulegen hat. Das Beispiel, das vom Umbau der deutschen Gesellschaft ausginge, wäre also ein zweifaches. Zum einen wäre kein Beitrag zu einer faktischen Senkung des weltweiten Verbrauchs an Rohöl geleistet worden, zum anderen würde die deutsche Gesellschaft sichtbar absteigen und sozial zerfallen. Der deutsche Weg wird sich als nicht gangbar erweisen. Jeder Staat, der das Wohl seiner Bürger im Sinn hat, wird vom deutschen Weg die Finger lassen.
Was für das Beispiel Erdöl gezeigt wurde, gilt selbstverständlich auch beim Thema Gas. Hier zeigt sich sogar noch deutlicher, wie wenig die Grünen Marktmechanismen verstanden haben. Das Projekt Nord Stream 2 ist den Grünen aus mehreren Gründen ein Dorn im Auge. Sie halten Russland für einen autoritären, hoch korrupten Staat, der Menschenrechte nicht achtet und nach imperialer Ausweitung strebt, weshalb sich aus ethischen Gründen Geschäfte mit ihm verbieten. Zudem halten sie den Gastransport via Pipeline durch die Ostsee für ökologisch bedenklich. Ob das alles stimmig ist, soll hier nicht diskutiert werden, wichtig ist die Folgerung. Aus den genannten Gründen lehnen die Grünen das Projekt ab und streben Versorgungsverträge mit den USA an. Aber auch hier gilt, dass durch diese Weichenstellung kein einziger Kubikmeter russischen Gases im Boden bleiben würde. Wenn es Deutschland nicht kauft, kauft es eben jemand anders. Man braucht in diesem Zusammenhang gar nicht an China denken. Als Käufer kämen vorrangig die USA bzw. US-amerikanische Energiekonzerne infrage, die das verflüssigte russische Gas in Tanker füllen und nach Deutschland liefern könnten. Der verkürzte Transportweg und der gegenüber gefrackten US-Gas günstigere Preis in Verbindung mit einer faktischen Monopolstellung in der Versorgung würde die Gewinnmarge erhöhen. Russisches Gas werden wir auf jeden Fall verbrauchen, es ist lediglich die Frage, zu welchem Preis und wer alles daran verdient. Für die Unkenntnis der Grünen über die Funktionsweise globaler Märkte würde der deutsche Verbraucher das Lehrgeld bezahlen. Dass nun ausgerechnet die US-hörigen Grünen den Mut und die Durchsetzungskraft aufbringen würden, ein Verbot dieser Praxis in die Verträge mit den USA zu schreiben, kann getrost bezweifelt werden. Aber selbst dann würde ein Verzicht Deutschlands auf die Lieferung kostengünstigen Gases aus Russland nicht zu einem dauerhaften Rückgang der Förderung dort führen. In einer Welt mit steigendem Energiebedarf kauft es einfach jemand anders.
Noch eine Randbemerkung in diesem Zusammenhang: Statt Nord Stream 2 streben die Grünen eine Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten an. Diese könnten, so die Vorstellung, aus Sonnenenergie sogenannten grünen Wasserstoff produzieren, der dann nach Deutschland transportiert wird. Abgesehen davon, dass die dazu notwendige Infrastruktur erst aufgebaut werden müsste, ist dazu anzumerken: Wer in Bezug auf Russland wegen der angeblich dort herrschenden Menschenrechtslage, des dortigen politischen "Regimes" sowie der Korruption die Zusammenarbeit scheut, sollte sich in Bezug auf genau diese Kriterien die afrikanischen Länder anschauen, mit denen einen Kooperation dann notwendig wäre. Vielleicht nicht dann doch lieber Russland?
Allerdings lässt sich hieraus auch folgern, wie ein wirklicher Wandel tatsächlich funktionieren kann. Eine Änderung des Wirtschaftens geht ausschließlich transnational, in einer umfassenden globalen Kooperation aller Staaten mit verbindlichen, langfristigen Verabredungen und der Unterordnung der globalen Energiewirtschaft unter das Primat der Politik. Das ist eine enorme Aufgabe, die eine enorme Kraftanstrengung braucht. Ob das, was da am Ende herauskommt, noch Marktwirtschaft genannt werden kann, wird zu diskutieren sein. Der Umbau der Wirtschaft weg vom Verbrauch fossiler Energieträger kann nur ein globales Projekt sein. Es lässt sich nur global umsetzen. Dazu ist globale Zusammenarbeit notwendig. Verabredungen müssen global verbindlich getroffen werden. Nicht wie beim Pariser Klimaabkommen, das lediglich eine unverbindliche Absichtserklärung darstellt. Institutionen, die die Einhaltung der Verabredungen überwachen, müssen geschaffen und mit entsprechenden Mitteln ausgestattet werden. Es muss für Länder, die auf Einnahmen aus dem Verkauf fossiler Energieträger angewiesen sind, verbindliche und verlässliche Verabredungen getroffen werden, die sicherstellen, dass es dort keine gesellschaftliche Verwerfungen gibt, weil die Einnahmen wegbrechen. Es braucht einen globalen Lastenausgleich. Es muss international dafür gesorgt werden, dass auch bei steigenden Preisen für fossile Energieträger nicht Fördertechnologien zum Einsatz kommen, durch deren Verwendung dann wieder die Märkte mit fossilen Energieträgern überschwemmt werden. Die USA werden sich hierbei als besonders harter Brocken erweisen. Es braucht insgesamt großes diplomatisches Geschick und einen ganz langen Atem, es braucht den Willen, Allianzen einzugehen, ohne auf bisherige Blockzugehörigkeit zu schielen. Doch gerade im Hinblick auf diplomatisches Geschick ist bei den Grünen nur weite Brache. Zwar ist das Grundsatzprogramm inzwischen begrifflich etwas entschärft worden, aber es bleibt konfrontativ angelegt. Russland ist rückständig und nationalistisch, ist da zu lesen. Auf dieser Grundlage zur Zusammenarbeit zu kommen, ist sicherlich schwierig.
Mit den Grünen wird ein globaler Umbau der Wirtschaft nicht gelingen. Zu verhaftet sind sie neoliberalen Ideen, zu träumerisch glauben sie an eine Vorbildfunktion Deutschlands, die dann von allen nachgeahmt wird. Das ist absolut naiv. Deutschland ist zu bedeutungslos, als dass dies gelingen könnte. Außenpolitisch hat es kein Gewicht. So bleibt von grüner Programmatik nur, dass sie zu einer Belastung für die deutsche Gesellschaft werden wird. Ein wirklicher Beitrag zum Wandel ist nicht zu erwarten.
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