von Wladislaw Sankin
Aufs Neue haben die Grünen auf ihrem Online-Parteitag gezeigt: Ihre transatlantischen Netzwerke sind für sie das A und O. Stolz haben sie am dritten Tag der Veranstaltung die prominente Gastrednerin aus den USA für einen "Impuls-Beitrag" präsentiert – die Geschäftspartnerin und US-Kollegin des bislang einzigen grünen Außenministers Joschka Fischer, Madeleine Albright. So wie er beschäftigt sie sich mit ihrer Consultingfirma auch 20 Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt mit politischem Lobbyismus im Sinne einer transatlantischen, US-dominierten Politik.
Die nunmehr 84-Jährige war in der zweiten Amtszeit des demokratischen Präsidenten Bill Clinton zwischen 1997 und 2001 als erste Frau in den USA an der Spitze des Außenamtes tätig – auch diese Tatsache hoben die grünen Gastgeber in ihrem Einleitungssatz hervor. Damit vertrat sie die USA auf dem Höhepunkt ihrer Weltmacht. Auch wenn sie später ihre berühmt-berüchtigte Aussage, der Tod einer halben Million irakischer Kinder rechtfertige das US-Embargo gegen das Land, als "Fehler" bezeichnete, ändert dies nichts daran, dass ausgerechnet sie die Ruchlosigkeit der westlichen Sanktionspolitik und Völkerrechtsbrüche verkörpert.
Das gilt zumindest für viele derjenigen, die außerhalb der Reichweite der elitären Propaganda der Grünen leben, die Interventionen und die Regime-Change-Politik als "humanitäre" Einsätze verklärt. Für die Grünen ist sie dagegen die Grand Dame der Politik, eine hohe moralische Instanz, die alle fünf Jahre einen Bestseller mit politischen "Weisheiten" zu Papier bringen weiß.
Deshalb – wenig überraschend – hat sie in ihrem Beitrag als Erstes an ihre gemeinsame Zeit mit Joschka Fisher gedacht. Natürlich waren es nur lobende Worte, denn er hat sich in der Zeit ihrer Zusammenarbeit vor allem als großer Befürworter des NATO-Militäreinsatzes gegen Jugoslawien für US-Interessen nützlich gezeigt:
"Wir haben mit Joschka Fischer zusammengearbeitet, um die NATO auszuweiten, die ethnischen Säuberungen auf dem Balkan zu beenden und die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der EU zu stärken."
Kein einziger Staat der Erde konnte sich damals der Politik der USA und ihrer Partner ernsthaft widersetzen. Dieses System nennt Albright "kooperativ". Ihr zufolge sei sie es gewesen, die das "internationale kooperative System" als Erbe hinterlassen habe.
Seitdem habe sich alles grundlegend geändert, und die internationalen Spannungen hätten sich "vervielfacht": Sicherheit und Wohlstand seien bedroht, das Risiko eines Zusammenpralls der Großmächte habe sich erhöht. Und das Schlimmste: Die Zeit der historischen Rivalität zwischen Demokratie und Autoritarismus sei zum ersten Mal seit 30 Jahren nach dem Mauerfall zurückgekommen. In düsteren Tönen beschreibt Albright die Welt, die "Despoten" ausgeliefert sei, die Bevölkerung müsse zwischen Chaos und Unterdrückung wählen.
Was aber tun, um "den Niedergang der Demokratien" umzukehren? Albright weiß Bescheid. Als Erstes müsste die Führerschaft der USA und Europas einschließlich Deutschlands wiederhergestellt werden. Ja, die Ex-Außenministerin sagte genau das: "The USA and Europe must lead." In Abwesenheit eines Wahlsystems, das diese "Führerschaft" irgendwie legitimieren könnte, bedürfte es immerhin einer Begründung. Und die Expertin liefert sie.
"Keine andere Gruppe von Nationen hat sowohl die historische Identifikation mit der Freiheit als auch die geographische Reichweite, um demokratische Institutionen in jeder Region zu inspirieren und zu stärken."
Offenbar bedürfte nun der (un-)gute alte westliche Interventionismus eines neuen Euphemismus – "geografische Reichweite". Warum? Nun ja, um in "jeder Region" etwas "inspirieren" und "stärken" zu dürfen, denn wenn man so groß sei, ist die ganze restliche Welt nur eine "Nachbarschaft", für die man als Nachbar natürlich Mitspracherecht hat. Reicht die reine Ausstrahlung der demokratischen Werte nicht mehr, möchte man fragen? Doch, doch, die Werte, die Ideologie müssten jetzt sogar im Vordergrund stehen – aber dazu später mehr.
Das Sprachbild einer Räumlichkeit ist nicht zufällig gewählt. "Wenn die Vereinigten Staaten und Europa nicht vorausgehen, werden die anderen unseren Platz einnehmen: Entweder Despoten, die mit eiserner Faust regieren, oder Extremisten, die überhaupt keine Regeln anerkennen." Hat Albright sich hier nicht versprochen und zufällig ukrainische Nationalisten erwähnt, die infolge eines US-geführten bewaffneten Putsches in Kiew seit sieben Jahren ihre politischen Gegner mit Terror und Einschüchterung überziehen? Nein, das sind doch "unsere Schurken", die bleiben unerwähnt.
Erwähnt werden dagegen die Chinesen – wohl als Beispiel für eine "Despotie". Aufgrund seiner Größe könne China "nicht ignoriert" werden. Dessen Methoden seien "zynisch" und die interne Politik "verwerflich". Außerdem sei die Unehrlichkeit seiner frühen Reaktion auf das Coronavirus "unentschuldbar".
"Es ist daher unerlässlich, dass eine neu belebte transatlantische Allianz, die an diese Ära angepasst ist, voranschreitet."
Die Ex-Außenministerin erinnert an dieser Stelle an die Hochzeiten der europäisch-amerikanischen Partnerschaft, noch vor den "Turbulenzen", als es darum ging, gemeinsam "äußeren Bedrohungen entgegenzuwirken und demokratische Institutionen und Werte zu stärken". Nun, mit der neuen US-Administration des Präsidenten Joe Biden geht es darum, die gleichen Prinzipien nur noch stärker als bisher zu pflegen.
"Demokratische Nationen müssen den Aufbau und die Aufrechterhaltung der Demokratie zu ihrem wichtigsten Grundsatz machen und nicht zu einem nachträglichen Gedanken ihrer Außen- und Sicherheitspolitik."
Ja, das ist das Zitat, das das Primat der Ideologie begründet, das Prinzip, das die Grünen an ihrem dritten Parteitag auch umgesetzt haben, als Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock betonte, dass Menschenrechte in der Außenpolitik grundsätzlich mehr Gewicht haben sollen als wirtschaftliche Interessen.
Und wieder eine Prise Nostalgie. "Als ich Außenministerin war, habe ich die sogenannte Gemeinschaft der Demokratien organisiert. (...) Es geht jetzt darum, dieses Gefühl der Solidarität wiederzubeleben."
Albright weiß, dass die Welt sich in den letzten zwei Jahrzehnten geändert hat, und zwar auf grundlegende Weise. Aber sie will es nicht wahrhaben, und deshalb dämonisiert sie die geopolitischen Rivalen der Transatlantiker, anstatt die Existenz einer neuen und – zugegeben – nicht mehr nach Westen orientierten Weltordnung anzuerkennen.
Sie bietet alte Rezepte, die im Kern darin bestehen, einfach die westliche Hegemonie und die US-Führerschaft wiederherzustellen und unter dem Vorwand der "Demokratie"-Stärkung zu zementieren – mit all deren "Blüten" wie Diktat, Sanktionen und Interventionismus einer Regime-Change-Politik. Es ist fast schmerzhaft zu beobachten, mit welcher Ehrfurcht die sich als "jung" und "progressiv" anschickende Partei einer rückwärtsgewandten Altpolitikerin auf ihrer wichtigsten Vorwahlveranstaltung lauscht.
Das mag schmerzen, überraschen tut es aber nicht. Ihrem geopolitischen Grundverständnis nach verstehen sich die deutschen Grünen als eine Art deutsche Filiale der Demokratischen Partei der USA, was hier besonders deutlich wurde.
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