von Dr. Karin Kneissl
Sanktionen sind für die einen außenpolitisches "Werkzeug", um ein bestimmtes Verhalten zu erzwingen. Für andere wiederum fallen diese internationalen Strafmaßnahmen unter den Titel "Ersatz für nicht vorhandene Außenpolitik". Was völkerrechtlich in der Satzung der Vereinten Nationen dem UN-Sicherheitsrat in Abstimmung mit der Staatengemeinschaft vorbehalten war, ist in den letzten Jahrzehnten inflationär, willkürlich und vor allem völkerrechtswidrig geworden.
Exterritoriale Jurisdiktion – eine dubiose Praxis der USA
Einen UN-Sicherheitsratsbeschluss zu erreichen, ist nicht einfach. Im Umgang mit dem Irak und dessen Waffenprogrammen in den 1990er Jahren sowie ab 2005 gegenüber dem Iran waren solche stringenten UN-Sanktionen, die der Sicherheitsrat beschließt und die für alle UNO-Mitglieder rechtsverbindlich sind, in Kraft. Mit dem Abschluss des Iran-Atomabkommens im Juli 2015 folgte dann auch die Aufhebung der UN-Sanktionen. Nur die USA setzten alles daran, diese wieder zu reaktivieren. Sie scheiterten am Einwand fast aller anderen UNO-Sicherheitsratsmitglieder, den sogenannten Ständigen mit Veto-Recht und auch jener, die nur für zwei Jahre an Bord sind, aber keine Resolution blockieren können.
Dass es im Falle des Irans ab 2015 nicht zu den erhofften Investitionen kam, hatte und hat mit den nationalen US-Sanktionen zu tun, die weiterhin gültig sind. Keine Bank von Rang traut sich, Projekte eines Unternehmens mit Sitz in einem EU-Staat zu finanzieren, denn die Furcht von US-Sanktionen getroffen zu werden, ist groß. Diese sind aber völkerrechtswidrig, denn die USA erstrecken ihre Jurisdiktion, also die Gültigkeit ihrer Strafrechtsordnung zum Beispiel, über ihr Staatsgebiet hinaus und auch auf Nicht-US-Bürger.
In den 1990er Jahren beschloss der US-Kongress ILSA, den Iran-Libya-Sanction-Act: Unternehmen, die in diesen beiden Staaten z.B. in der Erdölförderung tätig waren, wurde u.a. das Einfrieren ihrer Guthaben angedroht. Dutzende internationale Konzerne waren in beiden Staaten aktiv, es passierte nichts. Ich erinnere mich, dass damals Vertreter solcher Firmen selbstbewusst meinten, dass sie einen Prozess in Kauf nehmen würden.
Dreißig Jahre später hat sich das Blatt gewendet. Die Angst, aus dem US-Finanzmarkt zu fliegen, ist groß. 2012 machten die USA ernst mit dem Ausschluss des Irans aus dem Swift-Zahlungsverkehr. Das Land war fortan von allen Möglichkeiten, Geld ins Ausland zu überweisen bzw. Geld zu erhalten, ausgeschlossen. Der Iran exportierte weiter Erdgas im Rahmen des Volumens, das der UN-Sicherheitsrat gesetzt hatte. Die Zahlungen erfolgten erst 2015.
Es ging um Milliarden bzw. es wurde viel "gebartert", also Tauschhandel betrieben. Türkische Einkäufer zahlten eine Weile mit physischem Gold, bis die USA auch dies abdrehten. Auf dem Finanzplatz Dubai entwickelten dann findige Iraner alternative Möglichkeiten, um diesen Finanzboykott zu umgehen. Schmuggel und Kreativität im Allgemeinen sind in solchen Zeiten einer fast schon grenzenlosen Lust des Sanktionierens keine Grenzen gesetzt. Der Schwarzmarkt blüht dann auch in der Finanzwelt.
Smart sanctions – not so smart
Um die sogenannten Kollateralschäden geringer zu halten – man erinnere sich der Aussage der einstigen US-Außenministerin Madeleine Albright, dass der Hungertod der irakischen Kinder infolge der Sanktionen eben in Kauf zu nehmen sei –, wurden die "smart sanctions" entworfen. Nicht mehr die gesamte Wirtschaft und Bevölkerung sollte getroffen werden, sondern vielmehr wurden einzelne Personen ins Visier genommen. Dies war u.a. der Fall bei den diversen US- und auch EU-Sanktionen im Zuge der Krimkrise vom Sommer 2014. Die betroffenen Personen, ob nun in der Verwaltung, an der Spitze von Energiekonzernen oder in politischen Ämtern, werden seither am Reisen gehindert.
Ein besonders absurdes Beispiel: Der russische Botschafter in den USA darf aufgrund von EU-Sanktionen nicht nach Brüssel reisen. Die Liste solcher smart sanctions wird immer länger, zuletzt wieder vor zwei Wochen. Selbst wenn die Personen nicht mehr die Aufgaben innehaben, derentwegen sie sanktioniert wurden, verharren sie dennoch lange auf diesen Listen der US-Behörden.
Dialog statt Sanktion
Wenn nun im Falle Russlands manche Stimmen wieder mehr Kooperation statt Konfrontation einfordern, ist dies nichts anderes als diplomatisches Basiswissen. Will man Diplomatie auf eine mathematische Formel bringen, dann würde diese in etwa lauten: Diplomatie = im Gespräch bleiben + unter allen Umständen.
Diese Forderungen einiger europäischer Politiker sind wichtig und richtig, doch im Allgemeinen dominiert die Emotion. Zudem der mächtige US-Kongress, der noch zu allen Zeiten Präsidenten vor sich hergetrieben hat. Ein Blick auf den Kalender des Projekts Nord Stream 2, das in den nächsten zwei Monaten fertigsein wird, zeigt die nächsten Sanktionsspiralen. Wären nicht die Sanktionen der letzten Jahre gewesen, wäre die Erdgaspipeline von Russland nach Deutschland, die parallel zu dem bestehenden Nord Stream-Strang gebaut wird, schon längst fertig. Doch es zogen sich Unternehmen zurück, die Pipelines am Meeresboden verlegen, oder Firmen, die diese wiederum versichern. Der US-Kongress ist offenbar fest entschlossen, Nord Stream 2 zu Fall zu bringen. Ich verwies als Außenministerin in Interviews auf das Risiko, dass die Stränge zwar fertig gebaut sein könnten aber dann nicht befüllt werden dürften – weil zum Beispiel keine technische Firma oder Behörde die Zertifizierung ausstellt, dass die Röhren operativ werden dürfen.
Es ist nicht auszuschließen, dass die USA die deutsche Bundesregierung noch vor die Wahl stellt: entweder Autoimportzölle von 25 Prozent oder die Pipeline. Der Kurs von Donald Trump wird hier jedenfalls beibehalten. Am Ende könnten also um die 20 Milliarden Euro an Baukosten versenkt werden. Das Prinzip "pacta sunt servanda", also der Vertragstreue, wäre mit Blick auf deutsche Unternehmen, aber auch den Staat, auf Jahre hinaus schwer beschädigt. Die Schadenersatz-Prozesse würden Gerichte und Anwaltskanzleien sehr lange beschäftigen. Einen Exit-Plan zu haben, erweist sich nicht nur beim Kriegsgang als unentbehrlich. Jede Sanktionsspirale benötigt eine solche Rückabwicklung ohne Gesichtsverlust.
Sanktionen und der Bumerang-Effekt
Die Tatsache, dass Sanktionen mittlerweile sehr inflationär eingesetzt werden und das Wirtschaftsleben zum Erliegen bringen können, kann aber auch andere Dinge lostreten. Eine Möglichkeit der Abkopplung vom US-dominierten Zahlungsverkehr, ob es nun um Kreditkarten oder das Swift System geht, ist ein Weg, den immer mehr Staaten in bilateralen oder multilateralen Partnerschaften suchen.
Mit den jüngsten EU-Sanktionen gegen China und Russland hat Brüssel einen Zweifrontenkrieg begonnen. Neue Kreditkartenfirmen beginnen sich zu etablieren. Für einen europäischen Swift warb der frühere Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker inmitten der Finanzkrise 2008/2009. Bis heute ist es nicht dazu gekommen, die EU ist in all diesen Sanktionsfragen sehr verwundbar. Europäische Unternehmen zahlen einen hohen Preis für die Russland Sanktionen.
Vielleicht haben wir in diesen Umbruchszeiten auch den Höhepunkt von Sanktionen bereits überschritten, manches deutet darauf hin. Das Geplänkel um Nord Stream 2 könnte einen Wendepunkt einläuten, in welche Richtung auch immer. Mehr Ratio und weniger Emotio wären jedenfalls ein praktischer Anfang. Doch es fehlen an vielen Schaltstellen die Erwachsenen, die im Sinne eines Zu-Ende-Denkens von Entscheidungen entsprechend vorausschauend handeln. Wollte man die Sanktionspraxis auf EU-Ebene endlich beschränken, müsste man sich zudem eine handfeste außenpolitische Linie ausdenken. Dazu bedarf es nicht des Endes der Einstimmigkeit, vielmehr ginge es dann um Substanz anstatt bloßer außenpolitischer Lektionen.
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Dr. Karin Kneissl, ehemalige parteilose Außenministerin Österreichs, gab im Juni 2020 ihr Buch "Diplomatie Macht Geschichte – Die Kunst des Dialogs in schwierigen Zeiten" (Olms Verlag, Hildesheim) heraus. Die wesentliche Aussage lautet: Diplomatie ist Dialog unter allen Umständen.
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