Meinung

Wer macht Propaganda? "EU-Bericht" über "russische Desinformation" gegen Deutschland existiert nicht

Seit Wochen ist von einem EU-Bericht die Rede, der vor einer russischen Desinformationskampagne gegen Deutschland warnt. Manch ein deutscher Politiker will inzwischen zur Abwehr Geheimdienste einschalten. Aber wie ernst sind die Hinweise auf "russische Desinformation"?
Wer macht Propaganda? "EU-Bericht" über "russische Desinformation" gegen Deutschland existiert nichtQuelle: Reuters © Evgenia Novozhenina

von Wladislaw Sankin

Die Bundesregierung müsse eine Taskforce mit Beteiligung des Auswärtigen Amtes, des Bundesinnenministeriums, des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes bilden, forderte der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff am Montag im Hinblick auf "Analysen der Europäischen Union", wonach es eine nachhaltige, anhaltende und umfassende Desinformationskampagne gegen Deutschland aus Russland gebe.

Auch zuvor hatten mehrere deutsche hochrangige Politiker die erwähnten Analysen kommentiert, darunter Außenminister Heiko Maas. Er hat Russland mit Maßnahmen gegen russische Desinformationskampagnen gedroht. "Gezielte Einflussnahmen und Desinformationskampagnen von russischer Seite (...) müssen unterbleiben. Und wenn das nicht der Fall ist, werden wir uns auch dagegen wehren", sagte der SPD-Politiker in einem DW-Interview im Hinblick auf bevorstehende Bundestagswahlen.

Doch, worauf baut sich diese Drohkulisse gegen Russland auf? Viele große deutsche Medien wie das ZDF, die FAZ, die DW, die WiWo oder die Zeit haben in der Tat über einen "EU-Bericht" berichtet, wonach Deutschland wie kein anderes EU-Land von russischer Desinformation betroffen sei. In keinem der Artikel wurde der Bericht allerdings verlinkt. Es hieß nur wie etwa beim ZDF, dass "der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) in Brüssel diesen Bericht veröffentlichte".

Doch für einen durchschnittlichen Bürger ist es nicht leicht, bei den zahlreichen mit der EU in Verbindung stehenden Webseiten zurechtzukommen, was die Verifizierung dieser Informationen wesentlich erschwert. Einem geübten Faktenchecker sollte dies allerdings nicht allzu schwer fallen, die Quelle der Nachricht ausfindig zu machen: Eine Veröffentlichung gibt es wirklich. Der Befund sieht aber alles andere als spektakulär aus: Es geht um eine Kurzmeldung in einem Layout der 1990er-Jahre.

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Der EU-Pressedienst selbst nennt das Dokument "EU-Bericht" und verlinkt in seinem Artikel auf einen Bericht der Taskforce Desinformation des Europäischen Auswärtigen Dienstes ("EUvsDisinfo"). Spätestens hier entpuppt sich der "EU-Bericht" als ein gewöhnlicher, äußerst polemisch verfasster journalistischer Meinungsbeitrag mit 1.500 Wörtern Umfang, was einer Länge von knapp drei DIN-A4-Seiten entspricht.

Der nicht namentlich genannte Verfasser widmet den ersten Teil seines Artikels der Polemik mit der russischen Diplomatin Maria Sacharowa – in einer recht emotionalen Art und Weise. "Sacharowa vermeidet es dabei sorgfältig, die aggressiven Handlungen Russlands zu erwähnen", schreibt er und zählt alle westliche Vorwürfe gegen Russland auf, von der "der Besetzung der georgischen Gebiete seit 2008" bis auf "den Mord am tschetschenischen Dissidenten Changoschwili (der als "Dissident" geadelte Changoschwili gilt in Russland von Amts wegen als Schwerverbrecher und Terrorist – Anm. des Verfassers) in Berlin im August 2019, das Attentat auf Alexei Nawalny im Jahr 2020 sowie die brutale Gewalt gegen friedliche Demonstrierende". Der Verfasser empört sich über Sacharowas Einseitigkeit:

"In Sacharowas Universum reagiert Deutschland nicht auf russische Verstöße gegen internationales und nationales Recht, sondern wählt lediglich 'einen Kurs', um Russland 'vollständig in die Schranken zu weisen'."

Mit diesem Beitrag scheint "EUvsDisinfo" sogar den eigenen angeblichen Grundsätzen zuwiderzuhandeln, wonach die East StratCom Task Force laut dem Leiter für strategische Kommunikation des EAD Lutz Güllner keine Gedankenpolizei und kein Geheimdienst sei, der gegen einzelne Meinungen kämpft.

Dann stellt der Verfasser fest: "Der Kreml vermittelt die Vorstellung von einem Deutschland, in dem ein paar vernünftige Stimmen inmitten eines Chors unvernünftiger 'Russophobie' erklingen." Dies will er an zwei Beispielen festmachen. Das erste ist die Berichterstattung in russischen Medien über ein Familiendrama in Berlin-Hohenschönhausen, bei dem drei Kinder einer russischstämmigen Familie nach einem Gerichtsbeschluss gegen den Willen der Eltern in ein Waisenhaus geschickt wurden. Ein anderer Fall erzählt, wie mehrere russische Medien der Falschmeldung aufgessen sind, dass die Frau des inhaftierten Politbloggers Alexei Nawalny Julia einen deutschen Pass besitzen soll.

Im Zirkelschluss würde das bedeuten, dass eine (in Wirklichkeit nicht existente!) "Sondereinheit für strategische Kommunikation in Westfragen" sich im Dienste des russischen Außenministeriums in einem "Bericht" über die Berichterstattung der Bild beschwert hätte, um daraus zu schließen, dass das Kanzleramt dadurch eine massive Medienkampagne gegen Russland steuere. Man stelle sich nur vor, wie die Medien hierzulande Russland als unbelehrbar in Sachen Demokratie und Pressefreiheit dafür verspotten würden! Die Russen würden sicherlich wieder einmal vom Regierungssprecher Steffen Seibert zu hören bekommen, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland ein hohes Gut sei, und wie selbstentlarvend es sei, Meinungen in Medien mit einer offiziellen Politik gleichzusetzen.

Im letzten Abschnitt seines Artikels räumt der Verfasser ein, dass "die meisten der oben genannten Themen in den deutschsprachigen russischen Medienkanälen wie RT DE oder SNA nicht aufgegriffen wurden". Obwohl der "Kreml" mit keinem einzigen Wort im Artikel zitiert wird, warnt er:

"Es ist verlockend, die aggressive Sprache des Kremls als für ein innerstaatliches Publikum bestimmt 'abzuschreiben'."

Vor wem soll dann die bevorstehende Bundestagswahl denn geschützt werden, wenn das deutsche Publikum von all der gefährlichen Desinformation, die es im Beitrag von "EUversDisinfo" zu kritisieren gab, gar nichts mitbekommt? Diese Frage ist an diejenige deutschen Politiker gerichtet, die aufgrund eines Meinungsbeitags des vom Europäischen Auswärtigen Dienst bezahlten "Faktenfinders" nun mal weitreichende politische Entscheidungen planen. 

Offenbar lesen sowohl Herr Maas als auch Herr Lambsdorff, wie auch alle anderen, die den "EU-Bericht" kommentierten, nur die Schlagzeilen und geben sich nicht einmal die Mühe, den oben zitierten dreiseitigen Urhebertext im Internet ausfindig zu machen und ihn komplett durchzulesen.

Wenn man bedenkt, wie Medien in der EU funktionieren, ist das offenbar zu viel verlangt, denn die Irreführung beginnt schon beim EU-Pressedienst, der den Text der "Task Force" selbst als "EU-Bericht" titelt. Denn bei dem vom EU-Pressedienst verlinkten Artikel von "EUvsDisinfo" findet sich nämlich ganz unten der rechtliche Hinweis, wonach Informationen von "EUvsDisinfo" nicht als offizielle Position der EU betrachtet werden können. Außerdem folge daraus auch nicht zwangsläufig, dass die betroffenen Medien Verbindungen zum Kreml hätten oder den Kreml unterstützten, oder dass sie absichtlich Desinformation verbreiten wollten.

Auf diesen wesentlichen Umstand wies am Montag auch die russische Botschaft auf ihrer Facebok-Seite hin. "Es geht beim Beitrag, der gerne als ernst zu nehmende Studie dargestellt wird, in Wirklichkeit um eine Zusammenstellung oberflächlicher statistischer Daten, die nach undurchsichtigen und schlichtweg subjektiven Kriterien erhoben wurden", kritisierte die Botschaft und warf deutschen Politikern vor, selbst Desinformation zu betreiben:

"Indem deutsche Politiker und Medien von gegen Deutschland gerichteten 'russischen Desinformationskampagnen' sprechen und sich dabei auf einen 'EU-Bericht' berufen, desinformieren sie selbst die Öffentlichkeit, da sie dadurch eine parteiische, verzerrte oder falsche Sicht vermitteln."

Die russische Behörde empfahl des Weiteren "allen Interessenten", Beiträge deutscher und europäischen Medien "nach denselben Kriterien, die gegenüber russischen Medien angewendet wurden", zu beurteilen und die Webseite "EUvsDisinfo" genauer zu studieren.

Man muss nicht alles toll und richtig finden, was die russischen Politiker sagen und schreiben, und man kann gegen sie oder ihnen angeblich nahestehende Medien durchaus polemisieren – in den dafür vorgesehenen Rahmen, in sozialen Medien, in Blogs oder journalistischen Kommentarspalten.

Wenn aber die Polemik – der "Kampf der Narrative" – auf einer offiziellen Webseite der EU stattfindet, wird sie zu schlecht getarnter Propaganda. Denn dann wird ein äußerst tendenziöser Artikel eines namenlosen Schreibers mit absurden Vorwürfen wie etwa, der Kreml setze seine Aggressionen gegen das russische Volk (!) und gegen die Nachbarn Russlands fort, zu einer vermeintlich wahrhaftigen Aussage erhoben, die nicht nur öffentliche Meinung, sondern auch die Politik unmittelbar beeinflusst.

Mit einer demokratischen Entscheidungsfindung und Diplomatie hat diese Tätigkeit nichts zu tun. Eine im Halbgeheimen agierende "Sondereinheit" für Propaganda, die heutzutage euphemistisch als "strategische Kommunikation" bezeichnet wird, darf nicht in irgendeiner Art und Weise mit einer demokratischen Institution in Verbindung gebracht werden. Oder sieht sich die Europäische Kommission nicht als demokratische Institution? 

Denn es muss möglich sein, dass alle politisch relevanten Inhalte einer Kritik oder Überprüfung unterzogen werden können. Kritik an der Taskforce des Europäischen Auswärtigen Dienstes findet aber nicht statt, deren Inhalte werden übernommen und trotz anderslautender Hinweise quasi als Meinung der EU "in letzter Instanz" unhinterfragt wiedergegeben.

Deutsche Politiker demokratisch gewählter Parteien setzen ein beunruhindes Zeichen, wenn sie, von einem Meinungsartikel inspiriert, nun auch in Deutschland bereit sind, die Deutungshoheit im politisch-medialen Raum komplett an eine Kreatur der Geheimdienste abzutreten.

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