Israels Angriffe in Syrien stellen Moskaus Geduld auf die Probe – "Ein Gegenschlag wird bald folgen"

Wie Russland auf Israels Angriffe auf iranische Ziele in Syrien reagiert, könnte den Unterschied ausmachen, ob die Lage in der Region zu einem ausgewachsenen Krieg überkocht oder weiterhin auf dem aktuellen Niveau köchelt – welches an sich schon gefährlich genug ist.

Ein Meinungsbeitrag von Scott Ritter

In einer offiziellen Erklärung von Ende Februar deutete der Sondergesandte des russischen Präsidenten für Syrien Alexander Lawrentjew an, dass Moskau zusehends die Geduld mit Israel wegen dessen Luftangriffe gegen angebliche iranische Ziele auf syrischem Boden verliert. So zitiert ihn das offizielle Blatt des russischen Militärs Krasnaja Swesda:

"Früher oder später könnte das Fass der Geduld – darunter jenes der syrischen Regierung – überlaufen, und ein Gegenschlag irgendwelcher Art wird folgen, was entsprechend zu einer neuen Runde von Spannungen führen wird. Diese Angriffe müssen eingestellt werden, sie sind kontraproduktiv. Wir hoffen, dass die israelische Seite unsere Bedenken doch noch erhört – einschließlich der Bedenken über eine mögliche Eskalation der Gewalt auf Syriens Staatsgebiet."

Die zwar diplomatische Sprache lässt dennoch nur wenig Raum für jegliche Fehlinterpretation. Durch die Verwendung des Ausdrucks "darunter" bezogen auf die syrische Regierung, die da ihre Geduld verliere, ließ Lawrentjew keinen Zweifel daran, dass die andere Partei, die man in seiner Aussage "darunter" verstehen soll, Russland ist. Diese Verknüpfung überträgt sich denn auch auf die nicht gerade verblümte Androhung eines "Gegenschlags" und einer "möglichen Eskalation der Gewalt". Kurz gesagt war Lawrentjews Warnung die offenste Drohung gegen Israel, die er anbringen konnte, ohne gleich das Offensichtliche auszusprechen: Falls Israel weiterhin Syrien bombardiert, wird Russland keine andere Wahl haben, als israelische Flugzeuge abzuschießen.

Ab dem Moment, als Russland im September 2015 seine Streitkräfte nach Syrien entsandt hatte, um den Zusammenbruch der syrischen Regierung von Präsident Baschar Assad durch Handlungen der von den USA unterstützten islamistischen Terroristen zu verhindern, befand es sich im Zentrum untereinander konkurrierender geopolitischer Spiele.

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So war eines der Hauptprobleme, denen sich Russland gegenübersah, die Vermeidung von Konflikten im syrischen Luftraum zwischen seiner Luftwaffe und den Luftstreitkräften der Anti-IS-Koalition unter US-Leitung. Dass die USA den Feldzug gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" in Wirklichkeit als Deckmantel für die Ausbildung und Ausrüstung radikalislamischer Kräfte missbrauchten, die sich einem Sturz von Präsident Assad verschrieben hatten, erschwerte diese Aufgabe.

Auch versuchten die USA, ihren Einfluss bei den syrischen Kurden geltend zu machen, um eine autonome Region im Nordosten Syriens zu erschaffen, die außerhalb der Kontrolle von Damaskus operierte.

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Mit einem ähnlichen Problem sah sich Russland mit der Türkei konfrontiert, einem NATO-Mitglied, dessen osmanisch anmutende  Ambitionen es zu einer Politik bewogen, deren Erfolg zur Aufnahme der syrischen Provinz Aleppo in die türkische politische Sphäre geführt hätte. Wie schon die USA war auch die Türkei in einen jahrelangen Prozess der Organisation und Bewaffnung von Anti-Assad-Kräften involviert: Diese Gruppierungen operierten unter unmittelbarer Kontrolle der türkischen Streitkräfte, und als Russland die Bemühungen der syrischen Regierung unterstützt hatte, diesen Gruppen die an sie verlorenen Gebiete abzuringen, wurden seine Flugzeuge häufig in direkte Militäroperationen gegen türkische Streitkräfte verwickelt.

Auch Iran fasste in Syrien längst fest Fuß. Ebenso wie Russland hatte Iran seine Einsätze auf ausdrückliche Einladung der syrischen Regierung hin begonnen. Das iranische Engagement in Syrien hatte früher begonnen als das russische; tatsächlich half Iran sogar mit, die Russen von der Notwendigkeit einer Intervention zu überzeugen. Insofern haben Russland und Iran ein gemeinsames Ziel, wenn es darum geht, die Sicherheitslage in Syrien zu stabilisieren. Der Einsatz Irans geht jedoch über bloße Hilfe für Syrien hinaus: Er ist stattdessen Teil einer größeren regionalen Strategie, um das Konzept einer "Achse des Widerstands" aufbaut, die die regionale Sicherheit ebenso wie Ambitionen Irans in der Region fördern soll.

So hat Iran den Syrienkonflikt als Deckmantel für die militärische Unterstützung der Hisbollah im Libanon genutzt: Dies betrifft sowohl die angebliche Versorgung dieser Organisation mit präzisionsgelenkter Munition, die israelisches Staatsgebiet erreichen kann, als auch die Errichtung einer De-facto-Zweitfront, indem er der Hisbollah half, sich in der Golanregion im Süden Syriens zu etablieren.

Diese Schritte Irans empfand man in Israel als bedrohlich – und reagierte mit einer konzertierten Kampagne von Luftangriffen, um alles zu zerstören und vor allem abzuschrecken, was es als zu "böswilligen iranischen" Aktivitäten zugehörig ansieht.

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Russland, das die unbedingte Notwendigkeit der iranischen Einsätze in Syrien anerkennt, versuchte eindringlich, Iran dazu zu bewegen, dass dieser seine Präsenz entlang der umstrittenen syrischen Grenze zu Israel reduziert. Doch Russland hatte den Anstrengungen Irans zum Bewaffnen der Hisbollah nur wenig entgegenzusetzen: Der Iran versorgt die Hisbollah parallel zu anderen proiranischen Kräften, die innerhalb Syriens operieren. Als solches nahm Russland daher eine "Hände weg"-Haltung ein, wenn es um israelische Militärschläge gegen Ziele geht, die mit iranischen Aktivitäten verbunden sind – und dabei nicht unmittelbar mit der Unterstützung der syrischen Regierung zusammenhängen. Und obwohl Russland Israel wiederholt vor der destabilisierenden Wirkung von dessen Luftangriffen gewarnt hatte, vermied es Russland tunlichst, direkte Drohungen gegen Israel auszusprechen. Nun ändert sich mit Lawrentjews Äußerung diese Mathematik.

Israel bereitet sich seit Langem auf einen Konflikt mit Iran auf breiterer Front vor. Einige israelische Sicherheitsexperten sagen voraus, "Südsyrien könnte zum Schauplatz des ersten Krieges im Norden zwischen Israel und den iranischen Streitkräften werden" – irgendwann im laufenden Jahr 2021.

Eine wichtige Variable in Israels Kalkül zum Bewerten der Durchführbarkeit eines solchen Konflikts lautet: Wie würde Russland darauf reagieren? Derzeit hält sich Russland beim Einsatz seines Luftverteidigungsnetzes in Syrien stark zurück und hinderte Berichten zufolge auch Syrien daran, die fortschrittlichen Boden-Luft-Raketensysteme einzusetzen, die ihm Russland selbst zur Verfügung gestellt hatte. Ebenso ließ Russland seine Kampfflugzeuge bis jetzt nicht in Gebieten operieren, in denen sie auf israelische Flugzeuge treffen könnten. Aus dieser russischen Politik der Zurückhaltung scheint Israel Mut geschöpft zu haben – und vergrößerte jüngst sowohl die Intensität als auch das Operationsgebiet bei seinen Luftangriffen gegen iranische Stellungen innerhalb Syriens.

Mit der Erklärung, dass Russlands "Fass der Geduld" in Bezug auf Israels Aktionen in Syrien bald überlaufen werde, hat Lawrentjew deutlich gemacht: Israel kann bei fortgesetzten Angriffen auf iranische Ziele innerhalb Syriens nicht länger von russischer Untätigkeit ausgehen. Die Frage ist nun, ob man in Israel tatsächlich glaubt, dass Russland blufft, beziehungsweise ob man dort meint, alle russischen Reaktionen auf die fortgesetzten Luftangriffe in Syrien abwehren zu können. Dabei täte man in Israel gut daran, über Russlands jüngste Geschichte nachzudenken: Denn "bluffen" gehört nicht zum Wortschatz des russischen Militärs. Auch täte man gut daran, die möglichen Auswirkungen dessen zu bedenken, was die Auswirkungen eines russischen "Gegenschlages" und einer "Eskalation der Gewalt" wären. In Russland ist man sich bewusst, dass eine Lösung der Probleme in Syrien nur nach einer langen Periode politischen Wandels in Begleitung der Diplomatie möglich sein wird. Indem Russland nun Israel mit Gewalt droht, sendet es ein Signal aus, dass es von Israel klug wäre, sich die gleiche Logik anzueignen. Denn es mag vielleicht keine militärische Lösung für das syrische Rätsel geben – doch militärische Konsequenzen einer jeden Fehlkalkulation Israels dort sind umso wahrscheinlicher.

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Übersetzt aus dem Englischen

Scott Ritter ist ein ehemaliger Offizier für Aufklärung der US-Marineinfanterie. Er diente den USA in der Sowjetunion als Inspektor für die Umsetzung der Auflagen des INF-Vertrags, während des Zweiten Golfkriegs im Stab von General Norman Schwarzkopf und war danach von 1991 bis 1998 als Waffen-Chefinspekteur bei der UNO im Irak tätig. Derzeit schreibt Ritter über Themen, die die internationale Sicherheit, militärische Angelegenheiten, Russland und den Nahen Osten sowie Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung betreffen.