von Mark Hadyniak
Die dritte Corona-Welle wird bereits angekündigt und medial vorbereitet – in zahlreichen Varianten, Wiederholungen und querbeet durch den deutschen Mediengarten. Bei der Tagesschau verkündet der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach: "Wir sind am Beginn der dritten Welle". Im MDR wird gewarnt: "Beginn der dritten Corona-Welle steht bevor" und bei der Deutschen Welle wird gefragt: "Rollt die dritte Corona-Welle auf Deutschland zu?". Der Tagesspiegel sieht bereits "Anzeichen für die dritte Welle". Die FAZ fragt: "Baut sich langsam die dritte Welle auf?". Im Bayerischen Rundfunk wird nicht nur von einer möglichen "dritten Corona-Welle" berichtet, sondern direkt von einer befürchteten "vierten oder fünften Welle".
Der Aufhänger ist bei den verschiedenen Medienakteuren ähnlich (hier am Beispiel des MDR dargestellt): Die "britische Mutante B.1.1.7" sei "in Deutschland auf dem Vormarsch". "Ihr Anteil in untersuchten positiven COVID-19-Proben verdoppelt sich hierzulande relativ regelmäßig von Woche zu Woche, steigt also exponentiell an. Schon bald wird sie die herkömmliche Variante, den sogenannten Wildtyp, verdrängt haben". Das sei deswegen bedenklich, weil diese Variante des Coronavirus "wahrscheinlich 35 bis 40 Prozent ansteckender als der Wildtyp" ist. Damit könne der Reproduktionswert (R) deutlich ansteigen.
Das Robert Koch-Institut gab den Sieben-Tage-R-Wert am Samstag mit 1,07 an. RKI-Präsident Lothar Wieler warnt:
"Wir stehen möglicherweise erneut an einem Wendepunkt. Der rückläufige Trend der letzten Wochen setzt sich offenbar nicht mehr fort."
Der MDR argumentiert, "ein konstant über 1 stehendes R" ziehe "einen exponentiellen Anstieg der Neuinfektionen nach sich". Steht also "die befürchtete dritte Welle unmittelbar bevor?" Genau die sieht Lauterbach nun beginnen:
"Ich halte es für gesichert, dass die Zahlen darauf hindeuten, dass wir am Beginn einer dritten Welle sind."
Der Lockdown sei zwar stark genug gewesen, "um die alte Wildtyp-Variante zu verdrängen". Aber nun "dehnen sich die neuen Varianten weiter aus". Die britische Mutation sei deutlich ansteckender, dies begünstige die Ausbreitung:
"Die dritte Welle ist gleichzeitig auch der Beginn einer neuen Pandemie."
Die FAZ berichtet bereits am 16. Februar von einer "beunruhigenden Entwicklung" bei "ansonsten durchaus ermutigend wirkenden Zahlen". "Der Anteil der leichter übertragbaren Mutanten" steige "immer stärker". Die neuen Virusvarianten könnten laut einigen Prognosen zu einem "exponentiellen Anstieg der Zahl von Infektionen" führen. Demnach könnte "schon Anfang März […] eine dritte Welle beginnen, deren Bekämpfung ungleich schwieriger sein würde als die bisherigen Ausbrüche" – "bei gleichbleibendem Verhalten der Bevölkerung".
Die FAZ beruft sich auf "bisherige Schätzungen" zur britischen Corona-Variante B.1.1.7, demnach diese "sich gegenüber der Wildform in einer um mindestens einen Faktor von 1,4-mal höheren Reproduktionszahl" ausdrücke. Damit stehe bei einer weiten Verbreitung dieser Virus-Variante eine rasante Ausbreitung bevor: "Wären gestern, in vorsichtiger Schätzung, nur zehn Prozent der gemittelt rund 7.200 Neuinfektionen auf die ansteckenderen Mutanten zurückzuführen gewesen, dann wäre ihr Anteil schon in gut drei Wochen auf 50 Prozent gestiegen."
Experten warnen vor Lockerungen
Zur Absicherung der angekündigten dritten Welle werden von den verschiedenen Medienakteuren diverse Experten herangezogen – angefangen bei dem Charité-Virologen Christian Drosten, der dem Spiegel bereits Ende Januar von seinen "schlimmen Befürchtungen" bezüglich des Frühjahrs und des Sommers berichtete, die nun von der Schweriner Volkszeitung aufgegriffen wurden als Drostens "düstere Corona-Prognose für den Sommer".
"Wenn die alten Menschen und vielleicht auch ein Teil der Risikogruppen geimpft sein werden, wird ein riesiger wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, politischer und vielleicht auch rechtlicher Druck entstehen, die Corona-Maßnahmen zu beenden. Und dann werden sich innerhalb kurzer Zeit noch viel mehr Leute infizieren, als wir uns das jetzt überhaupt vorstellen können. Dann haben wir Fallzahlen nicht mehr von 20.000 oder 30.000, sondern im schlimmsten Fall von 100.000 pro Tag."
Im RedaktionsNetzwerk Deutschland warnt die Mathematik-Professorin und Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik, Anita Schöbel, vor der möglichen dritten Infektionswelle im Frühjahr.
"Der Impfeffekt und auch der saisonale Effekt können die neue Dynamik durch die Virusmutation noch nicht ausgleichen. B.1.1.7 wird sich weiter ausbreiten, insbesondere, wenn wir ab März wieder lockern. Wie immer bei Corona dauert es zwar noch ein bisschen, bis das sichtbar wird. Das Virus schleicht sich erst langsam an – und dann kommt es plötzlich dicke."
In Simulationen haben Schöbel und ihre Kollegen errechnet, dass die Sterblichkeit im Frühsommer zurückgehen werde – "durch die Impfungen". Aber, "wenn die Neuinfektionen bei Lockerungen drastisch steigen, werden sie auch wieder Erkrankungen und Todesfälle nach sich ziehen". Es hänge maßgeblich davon ab, "wie sich die Menschen verhalten". Von Lockerungen rät Schöbel dringend ab, zumindest "noch nicht jetzt". Für sie gilt:
"Je kleiner die Inzidenzen, umso leichter ist das Virus zu kontrollieren, umso mehr Freiheiten gibt es und umso weniger Menschen sterben."
Wenn etwa "Schulen, einzelne Geschäfte und Friseure wieder in einen eingeschränkten Regelbetrieb gehen", dann werden "wieder viel mehr Kontakte da sein" – mit unabsehbaren Folgen. Die "neue Variante" schleiche sich gerade an und kann "die Fallzahlen leicht wieder zum Explodieren bringen".
"Wenn wir aber so weitermachen würden wie bisher, hätten wir bessere Chancen, gegen die neue Variante anzukommen, weil wir dann die Fallzahlen durch Nachverfolgung kontrollieren können."
Zwar gibt Schöbel zu, dass die Corona-Einschränkungen "nach einem Jahr nur noch schwer zu ertragen" seien. Es sei aber ihrer Meinung nach "auf lange Sicht besser, jetzt noch etwas länger die Maßnahmen durchzuhalten und dann nachhaltiger öffnen zu können". Ihr Wunsch wäre eine "No-COVID"-Lösung. Diese sei aber derzeit "unrealistisch": "Dafür müssten alle Grenzen geschlossen werden und die ganze Welt mitmachen". Daher empfiehlt sie eine Beibehaltung des Lockdowns und "bundesweit, eine Sieben-Tages-Inzidenz von 10 anzustreben". Und wenn es Lockerungen geben sollte, "muss man sofort bereit sein, die Lockerungen zurückzunehmen", wenn es die Infektionszahlen erfordern.
Masken auf und testen, testen, testen
Ähnlich argumentiert auch der vom MDR zitierte Mathematik-Professor Kristan Schneider. Zwar werden die wärmeren Temperaturen "die Ansteckungsgefahr langsam sinken" lassen. Dennoch hält er eine Fortführung des Lockdowns bis etwa Ostern für unausweichlich. Bis dahin sollten auch die Schulen geschlossen bleiben. Kinder und Jugendliche seien zwar in der Regel symptomlos, aber sie fungieren als "heimliche" Überträger des Coronavirus.
Schneider plädiert für einen umfangreichen Einsatz von FFP2-Masken und bemängelt, "dass fast niemand sie korrekt aufsetzt". Als Ausweg aus der Corona-Krise sieht er die Impfkampagne. Aus einem Modell ergibt sich ihm, "dass der Nutzen der Impfung ungleich größer ist als der potenzielle Schaden": "Die Impfung ist die sicherste und kostengünstigste Strategie, das Virus wieder los zu werden". Allerdings gibt er zu, dass "neue Mutationen auftreten" könnten, "vor denen die Impfung nicht schützt, und das ganze Spiel würde von neuem losgehen". Der Mathematiker ist sich sicher:
"Am meisten kommt es darauf an, dass die Bevölkerung sich rasch impfen lässt und die Kontaktbeschränkungen einhält. Hätten alle die Maske richtig getragen und hätten alle sich verhalten, als ob sie bereits ansteckend sein könnten, dann gäbe es das Virus schon längst nicht mehr."
Vom Bayerischen Rundfunk (BR) wird Dirk Brockmann, Professor am Institut für Biologie der Humboldt-Universität zu Berlin, zu Rate gezogen. Er ist ein Vertreter der "No-COVID"-Strategie und votiert für einen umfangreichen Einsatz von Corona-Tests:
"Mehr Testen, das wird einen enormen Effekt haben. Davon gehe ich aus. Testen ist eine 'Impfung', die nur eine Woche anhält, oder zwei. Wenn man jemanden positiv getestet hat, kann er sofort zu Hause bleiben."
Ob es zu einer dritten Welle kommen wird, will Brockmann im BR nicht fix prognostizieren. Die Ansteckungsdynamik sei "extrem schwer zu verstehen" – ähnlich "wie Aktienkurse". Allerdings hält er laut BR die dritte Welle für nicht unwahrscheinlich. Der BR geht darüber hinaus und zitiert den Infektiologen Clemens Wendtner von der München Klinik Schwabing, der bereits Ende Januar eine vierte und fünfte Corona-Welle für möglich erklärte.
Linksaußen ist die "dritte Welle" schon angekommen. Das Nachrichtenportal der MLPD Rote Fahne News titelt: "Stoppt die dritte Welle! Echter Lockdown sofort!" Gefordert wird ein "sofortiger und konsequent harter Lockdown" mit der "Schließung aller nicht lebensnotwendigen Produktionsbetriebe und Betriebsferien für die ganze Republik". "Der von Anfang an realistische Karl Lauterbach" habe zu Recht vor der "dritten Welle" gewarnt.
Epilog
Am 18. November 2020 titelte der Deutschlandfunk Nova in Bezug auf neurowissenschaftliche Forschungen: "Wiederholungen lassen uns falsche Aussagen glauben". Das sei zurückzuführen auf den sogenannten "Wahrheitseffekt".
"Je öfter wir Aussagen hören, desto eher neigen wir, sie zu glauben – dafür sorgt unser Gehirn. Das macht uns manipulierbar. Aber wir können uns schützen."
Der Deutschlandfunk zielte mit dem Bericht auf Donald Trump ab und dessen Behauptungen, die US-Präsidentenwahl sei ihm gestohlen worden. Die Erkenntnisse lassen sich aber beliebig auf andere Bereiche anwenden, in denen mit massiven Wiederholungen gearbeitet wird.
Der Neurowissenschaftler Henning Beck erklärt, dass Unsicherheit Menschen anfälliger für den Wahrheitseffekt macht – sie werden "verführbar". Entscheidend sei dabei die Häufigkeit einer Aussage. Wenn das Gehirn viele ähnliche Informationen erhalte, müsse es sich in einem Moment der Unsicherheit Klarheit bieten. Häufigkeit und Wiederholungen würden dann als Wichtigkeit interpretiert, andere Informationen zunehmend ausgeblendet. Schutz vor der Manipulation bietet laut Beck lediglich eine solide Allgemeinbildung: "Allgemeinbildung, Grundwissen macht Menschen weniger verführbar".
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