von Scott Ritter
Das kürzlich abgeschlossene virtuelle Treffen der Verteidigungsminister der NATO war Präsident Joe Bidens erste Gelegenheit, ein Versprechen einzuhalten. Er will den Schaden wiedergutmachen, den die umstrittene Politik seines Vorgängers Donald Trump dem Militärbündnis zugefügt hat.
Der Vereinigung der NATO unter neuer, integrativerer US-amerikanischer Führung wurde große Aufmerksamkeit geschenkt. Doch die harten Realitäten der politischen Prioritäten von Verteidigungsminister Lloyd Austin und seiner zugrunde liegenden Wirtschaft deuten auf etwas anderes hin. Die geschwächten USA wollen eine europäische Militärallianz weiter ausnutzen, um ein im Niedergang begriffenes Amerika zu stützen.
Finanzielle Bedenken blieben eines der zentralen Probleme des Bündnisses. Austin setzt den Druck der Trump-Ära auf die Mitgliedsstaaten fort, die im Jahr 2014 festgelegte BIP-Schwelle von zwei Prozent für Verteidigungsausgaben zu erreichen (derzeit haben nur neun der 28 NATO-Mitglieder diese Anforderung erfüllt).
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg unterstützte Austins Forderung nach verstärkten Investitionen in die sogenannten Kernabschreckungs- und Verteidigungsaktivitäten der NATO. Er schlug vor, dass das Bündnis die verschiedenen bataillonsgroßen Kampfgruppen, die die Mitgliedsstaaten nach Polen und in die baltischen Staaten entsandt hatten, gemeinsam finanzieren soll. Das soll angeblich als Abschreckung gegen russische militärische Aggression dienen.
Die derzeitige Vereinbarung sei, so Stoltenberg, dass "das Land, das die Fähigkeiten bereitstellt, auch die Finanzierung bereitstellt."
"Wenn Sie also wie Norwegen einige Truppen zur NATO-Kampfgruppe nach Litauen schicken, zahlt Norwegen dafür. Ich denke, wir sollten das ändern", sagte er gegenüber Reportern.
Stoltenberg zufolge würde der Prozess der gemeinsamen Finanzierung ein gegenseitiges Engagement für die Art der gemeinsamen Verteidigung demonstrieren, die im Artikel 5 der NATO-Charta verankert ist. Dieser wird oft als Herz und Seele des Bündnisses bezeichnet.
Das Konzept der gemeinsamen Finanzierung verbirgt jedoch eine schmerzhaftere Realität – der Einsatz von militärischen NATO-Kampfgruppen in Polen und im Baltikum ist an und für sich militärisch bedeutungslos. Eine kürzlich durchgeführte RAND-Analyse ergab, dass Russland diese Streitkräfte besiegen und das Baltikum innerhalb von 60 Stunden nach Beginn der Feindseligkeiten überrennen würde. Die Menge an Kampfkraft, die im Baltikum eingesetzt werden müsste, um dieses Ergebnis zu ändern, liegt derzeit außerhalb der Fähigkeit der NATO, sie einzusetzen und aufrechtzuerhalten.
Nur die Vereinigten Staaten sind in der Lage, die erforderliche nachhaltige, ausgebildete und ausgerüstete Kampfkraft bereitzustellen, um eine tragfähige Bodenkampagne gegen russische Streitkräfte im Baltikum oder in Polen zu führen. Aus heutiger Sicht sind die USA nicht bereit und nicht in der Lage, die Kosten für solch einen Einsatz zu tragen. Dieser würde über eine Panzerbrigade hinausgehen, die die USA auf Rotationsbasis in Polen unterhalten, und über ein Hauptquartier in Korpsgröße, das kürzlich auf polnischem Boden eingerichtet wurde. Die USA haben Verstärkungsübungen durchgeführt, bei denen eine zweite Panzerbrigade nach Deutschland geflogen wird, sich mit in Deutschland gelagerten Vorräten ausrüstet und über Schiene und Straße nach Polen entsandt wird.
Bei diesem Szenario gibt es folgende Probleme: Erstens die Tatsache, dass zwei Brigaden keine Division bilden, geschweige denn ein Korps (normalerweise zwei bis drei Divisionen). Zweitens erfordert der Einsatz dieser zweiten Brigade Kommunikationswege (Flugplätze, Häfen, Straßen und Schienen), die in Kriegszeiten leicht verboten werden könnten. Es besteht kaum eine Chance, dass diese Truppen jemals das Schlachtfeld erreichen. Schließlich dauert diese Bereitstellung einige Zeit – Tage, wenn nicht Wochen. Selbst wenn sie es an die Front schaffen würden, hätten die russischen Truppen ihre Ziele bereits erreicht.
Die einzige Möglichkeit zur Änderung dieser Gleichung ist, dass die USA mehr Truppen auf Vollzeitbasis in die Region entsenden und ihre Bemühungen im Sinne des REFORGER-Programms (Rückkehr der Streitkräfte nach Deutschland) der 1980er-Jahre verstärken. Dies kostet jedoch Geld, das das US-Militär derzeit nicht bereitstellen möchte/kann. Nach Stoltenbergs Schema der geteilten Kosten würden sich diese Kosten jedoch auf die NATO-Mitglieder verteilen und als solche für die USA schmackhafter werden.
Die USA ziehen auch die Möglichkeit in Erwägung, die NATO im Pazifik einzusetzen, wo sich Amerika auf einen möglichen militärischen Konflikt mit China vorbereitet. Die Biden-Administration hat vor Kurzem eine spezielle Arbeitsgruppe eingerichtet, die unter anderem Empfehlungen hinsichtlich der militärischen Strategie und der Struktur der US-Streitkräfte in Bezug auf die Konfrontation mit China und dessen Eindämmung aussprechen soll.
Die NATO verfügt über Erfahrungen aus der Vergangenheit, ihre militärische Reichweite über die Grenzen Europas hinaus auszudehnen, vor allem im Irak und in Afghanistan, aber auch in Nordafrika und im Persischen Golf. Zum ersten Mal aber wird eine größere Diskussion über einen möglichen militärischen Einsatz der NATO im Pazifik geführt.
Die Möglichkeit eines Einsatzes der Allianz in der Region schien für Stoltenberg attraktiv zu sein. Er nannte dies "eine einmalige Gelegenheit, ein neues Kapitel in den transatlantischen Beziehungen aufzuschlagen". Hinzu fügte er, dass China eine legitime Sorge für die NATO ist, weil es, zusammen mit Russland, "an der Spitze eines autoritären Vorstoßes gegen die regelbasierte internationale Ordnung" steht.
Die "regelbasierte internationale Ordnung", auf die sich Stoltenberg bezieht, geht auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und die verschiedenen Institutionen sowie Normen zurück. Diese wurden damals geschaffen und drehen sich um die Idee der Vereinten Nationen. In Wirklichkeit werden sie aber von Washington diktiert und verwaltet.
Über diese Regeln wird oft gesagt, sie hätten während der 75 Jahre seit dem Ende jenes Konflikts für Frieden und Wohlstand gesorgt. Jeder Geschichtsstudent weiß jedoch, dass die Welt während dieser Zeit nicht in Frieden gedieh, sondern vielmehr in einen nahezu ständigen Konflikt verwickelt war. Dieser wurde von dem Wunsch der USA und derer Verbündeten angetrieben, dem Rest der Welt eine "regelbasierte Ordnung" aufzuzwingen. Die NATO ist eine Erweiterung dieses Bestrebens, wobei ihr aggressives Auftreten nach dem Kalten Krieg durch ihre Rolle im Kosovo und in Libyen unterstrichen wird.
Die bedauerliche Realität besteht darin, dass die NATO eine Institution des Krieges ist und nicht in der Lage, nichtmilitärische Lösungen zu finden. Angesichts ihres militärischen Schwerpunkts definiert die NATO alle Probleme so, dass sie eine militärische Lösung erfordern. Dies gilt sowohl für den Irak als auch für Afghanistan, wo fast jeder Experte festgestellt hat, dass es keine militärische Lösung gibt. Dennoch plädiert Stoltenberg weiterhin für den Verbleib der NATO-Truppen, bis eine solche Lösung gefunden ist.
Das Gleiche gilt für die Militarisierung der politischen Probleme in Osteuropa, die die NATO betreibt und die den Einsatz von Kampftruppen der Entsendung von Diplomaten vorzieht. Die Tendenz zur Definition Russlands und Chinas als potenzielle Gegner beruht weniger auf einer realen Bedrohung durch eine der beiden Länder als vielmehr auf der Unsicherheit der Vereinigten Staaten im Niedergang. Indem die USA die NATO ins Spiel bringen, wenn es um China geht, stellen sie sicher, dass jede "Lösung", auf die man sich einigt, nur dafür sorgen wird, die militärische Lebensfähigkeit eines Bündnisses aufrechtzuerhalten, das sein logisches Verfallsdatum längst überschritten hat.
Scott Ritter ist ein ehemaliger Geheimdienstoffizier des Marinekorps der Vereinigten Staaten und Autor des Buches "SCORPION KING: America's Suicidal Embrace of Nuclear Weapons from FDR to Trump". Er diente in der Sowjetunion als Inspektor zur Umsetzung des INF-Vertrages, im Stab von General Schwarzkopf während des Golfkrieges und von 1991 bis 1998 als UN-Waffeninspektor. Folgen Sie ihm auf Twitter @RealScottRitter
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