Krieg gegen die Armen statt Krankheitsbekämpfung? – oder: Nietzsche und die Lockdowns

Was haben die staatlich verordneten Lockdowns mit einem Genozid zu tun? Und welche Rolle spielt dabei der berühmte deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche? Prof. Dr. Christian Kreiß versucht den Spagat zwischen Dichtung und Realität, Vergangenheit und Gegenwart.

von Prof. Dr. Christian Kreiß

In einem seiner letzten Werke, "Der Antichrist. Fluch auf das Christentum", schreibt Friedrich Nietzsche 1888 auf den ersten Seiten:

"Was ist gut? – Alles, was das Gefühl der Macht, den Willen zur Macht, die Macht selbst im Menschen erhöht. […] Was ist Glück? – Das Gefühl davon, dass die Macht wächst. […] Die Schwachen und Missratenen sollen zugrunde gehen: erster Satz unserer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen. Was ist schädlicher als irgendein Laster? – Das Mitleiden der Tat mit allen Missratenen und Schwachen, das Christentum …"

Ich habe den Eindruck, dass diese Zeilen von Nietzsche seit 2020 eine ungeahnte Aktualität gewonnen haben.

Lockdown-Politik in Entwicklungsländern 

In einer Ende Januar erschienenen Studie mit dem Titel "The Inequality Virus" geht Oxfam auf die gravierenden negativen Auswirkungen der staatlichen Zwangs-Lockdownmaßnahmen in den Entwicklungsländern ein. Weltweit seien etwa 1,7 Milliarden Kinder von den Schulen ausgesperrt worden, in den Entwicklungsländern beinahe vier Monate, in den Industrieländern etwa sechs Wochen. In den Entwicklungsländern traf es also die Kinder sehr viel schlimmer als in den Industrieländern.

Da die Internet- und Technikausstattung in den armen Ländern und insbesondere in den Unterschichten oft sehr schlecht ist, hieß das für ein Millionenheer von unterprivilegierten Kindern das Ende der Bildung, das Ende der Hoffnung auf ein besseres Leben. Oxfam weist ausdrücklich vielfach darauf hin, dass die Lockdown-Politik im Wesentlichen die Unterprivilegierten dieser Erde trifft. 

Durch die Lockdowns verloren hunderte Millionen von Menschen ihre Arbeit und wurden in Entbehrung und Hunger gestürzt. Die Zahl der in Armut lebenden Menschen dürfte sich daher seit März 2020 laut Oxfam um 200 bis 500 Millionen erhöht haben. Die Zahl der akut Hunger leidenden Menschen soll sich 2020 um 82 Prozent auf 270 Millionen beinahe verdoppelt haben. Selbst in den USA wird die Zahl der Erwachsenen, die nicht ausreichend zu essen haben, mit 29 Millionen angegeben.

Oxfam schätzt, dass durch die Pandemie Ende 2020 6.000 bis 12.000 Menschen zusätzlich pro Tag an Hunger sterben. Gleichzeitig habe das Vermögen der Milliardäre von März bis Ende 2020 um 3.900 Milliarden auf nun etwa 12.000 Milliarden US-Dollar zugenommen. Die zehn reichsten Menschen der Welt sind in diesem Zeitraum demnach um 540 Milliarden US-Dollar reicher geworden. 

COVID-Tote und Hungertote 

Ende Januar/Anfang Februar 2021 starben an oder mit COVID etwa 14.000 Menschen pro Tag. Das Median- und Durchschnittsalter der sogenannten "COVID-Toten" liegt bei etwa 80 Jahren oder darüber. Das entspricht grob der durchschnittlichen Lebenserwartung in den meisten Industrieländern. Unterstellt man, dass die an oder mit COVID Verstorbenen ohne das Coronavirus zwei bis fünf Jahre länger gelebt hätten, so wurden durch das Virus Ende Januar etwa 28.000 bis 70.000 Lebensjahre pro Tag vernichtet.

Die Hungertoten in den armen Ländern sind fast alle Kinder. Unterstellt man, dass das Durchschnittsalter der durch die Corona-Maßnahmen zusätzlich verhungernden Menschen fünf Jahre beträgt und deren Lebenserwartung 70 Jahre gewesen wäre, so werden durch die Corona-Maßnahmen pro Tag etwa 390.000 bis 780.000 Lebensjahre vernichtet. Durch die Lockdowns werden also etwa 6 bis 28 Mal so viele Lebensjahre vernichtet wie gerettet. Ich vermute, dass die tatsächliche Zahl am oberen Ende der Rechnung liegt. Die Kur ist also um ein Vielfaches schlimmer als die Krankheit. Dabei sind in diesen Zahlen noch nicht die ganzen Folgekosten des heutigen Elends enthalten. 

Am Rande sei bemerkt, dass auch der Ökonom und Rentenexperte Bernd Raffelhüschen, Leiter des Instituts für Finanzwissenschaft und Sozialpolitik an der Uni Freiburg, für Deutschland zu einem ähnlichen Ergebnis kommt. Er errechnete, dass durch die Corona-Lockdowns in Deutschland sehr viel mehr Lebensjahre vernichtet als gerettet würden. Die Kur sei auch in Deutschland sehr viel schlimmer als die Krankheit, es würden 10 bis 100 Mal mehr Lebensjahre vernichtet als gerettet. 

Zurück zu den Entwicklungsländern. Der Blick auf die vielen elendig verhungernden Kinder ist nicht alles. Das ganze Leid vor dem grausamen Hungertod, die hunderte Millionen Arbeitslosen, das Elend, die Verwahrlosung großer Bevölkerungsteile unserer Erde sind in diesen trockenen Zahlen nicht enthalten. Man kann die Lockdown-Politik der Entwicklungsländer fast schon als einen Genozid betrachten, einen Genozid an den Unterprivilegierten dieser Welt. Diese Lockdown-Politik hat System, ist nicht etwa Zufall. Geldzahlungen an Entwicklungsländer durch den IWF und Unterstützung durch die WHO sind stark an eine Bedingung geknüpft: harte Lockdowns einzuführen. Das kommt in den armen Ländern einem Serienmord an den Unterprivilegierten gleich. Gleichzeit steigen die Vermögen der Reichen und Mächtigen in immer neue Höhen.

Und hier kommt Nietzsche ins Spiel. Man kann den Eindruck bekommen, dass die staatlich verfolgte Lockdown-Politik stark von Nietzsches Antichrist inspiriert ist. Noch mal drei Kernsätze der Nietzsche-Moral: "Was ist gut? – Alles, was das Gefühl der Macht, den Willen zur Macht, die Macht selbst im Menschen erhöht. […] Was ist Glück? – Das Gefühl davon, dass die Macht wächst. […] Die Schwachen und Missratenen sollen zugrunde gehen: erster Satz unserer Menschenliebe."

Diesem Motto scheint ein großer Teil der Corona-Politik auf unserer Erde zu folgen. Durch die politischen Corona-Maßnahmen werden Schäden, Leid, Elend, Hunger und Tod bei den Schwächsten unserer Erde in einem solchen Ausmaß herbeigeführt, dass Nietzsche seine Freude daran hätte. lm Namen der Rettung von Menschenleben werden in Wahrheit Menschenleben in ungeheurem Ausmaß vernichtet, unterprivilegierte Menschenleben, Leben der Schwachen. Gleichzeitig steigt die Macht der Mächtigen ungeheuer. "Was ist Glück? Das Gefühl davon, dass die Macht wächst." 

Das große Wegschauen und Irreführen

Die allererste Gegenmaßnahme, die man ergreifen müsste, wäre daher naheliegenderweise ein sofortiger Stopp der fatalen staatlichen Lockdown-Maßnahmen, die so viel mehr Leid, Elend und Tod in die Welt bringen, als sie verhindern. Die politischen Zwangsmaßnahmen sind die Ursache dieser schlimmen Entwicklungen, nicht das Virus.

Was dagegen predigt Oxfam? Die Organisation führt fünf Gegenmaßnahmen auf, aber was nicht darunter ist, ist der eigentliche Grund des Elends: die vollkommen unverhältnismäßigen Anti-Corona-Maßnahmen. Dazu schweigt sich Oxfam aus. Das empfinde ich in ungeheurem Ausmaß als unseriös und heuchlerisch. 

Oxfam ist mit dieser Heuchelei nicht allein. Das Gleiche macht beispielsweise die Süddeutsche Zeitung (SZ). Sie berichtete am 25.1.2021 über die Oxfam-Studie unter dem Titel: "Corona-Pandemie: Globale Armut steigt dramatisch an". Darin schildern die beiden SZ-Journalisten Brinkmann und Pfeifer mit Verweis auf Oxfam das dramatisch gestiegene Elend in den Entwicklungsländern. Was in dem Artikel vollkommen fehlt, ist die einzig sinnvolle Gegenmaßnahme: Der sofortige Stopp der staatlichen Lockdownmaßnahmen. Daher ist auch dieser Artikel in meinen Augen ungeheuer heuchlerisch und ausweichend. Das beginnt bereits bei dem irreführenden Titel. Nicht die COVID-19-Pandemie ist an all dem Elend schuld, wie ständig geschrieben wird, sondern die unverhältnismäßigen staatlichen Lockdown-Maßnahmen. Ähnlich irreführend und ausweichend berichten in meinen Augen praktisch alle deutschen Mainstreammedien. 

Nicht nur die Medien, auch die Politiker gehen heuchlerisch mit dem Elend in der Dritten Welt um. Im September sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU):

"An den Folgen der Lockdowns werden weit mehr Menschen sterben als am Virus".

Ein wahrer Satz. Seine politischen Gegenmaßnahmen als Schlussfolgerungen: ein Stabilisierungsprogramm über 50 Milliarden Euro und ein neues Afrika-Abkommen. Kein Wort über die einzig sinnvolle Sofortmaßnahme, die das Elend sofort kurieren würde: Stopp der staatlichen Lockdownmaßnahmen. In meinen Augen ist das eine ungeheure Heuchelei. Man mimt Betroffenheit und tut nichts gegen die wahren Ursachen. 

Solange so viel Unehrlichkeit und Heuchelei in unseren Leitmedien sowie bei den Politikern herrscht, ist keine Aussicht auf Besserung zu erwarten. Nietzsche, der Antichrist und Mephisto haben ihre Freude daran. Das Mephisto-Prinzip ist auf dem Vormarsch.

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Prof. Dr. Christian Kreiß, Jahrgang 1962: Studium und Promotion in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Neun Jahre Berufstätigkeit als Bankier, davon sieben Jahre als Investment Banker. Seit 2002 Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre.

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