von Vanessa Beeley
Nur wenige Tage vor Joe Bidens Amtsantritt als US-Präsident gab es widersprüchliche Berichte zu einem Ausbau des US-Militäraufgebots im erdölreichen Nordosten Syriens. Was auch immer im Vorfeld des Machtwechsels in Washington geschah: Tatsache ist, dass dieses Gebiet bereits zuvor von US-Koalitionskräften und ihren kurdisch-separatistischen Stellvertretertruppen besetzt und geplündert wurde. Einige Berichte deuteten auf die Ankunft von LKW-Konvois mit Waffen, Militärgerät und verschiedener Ausrüstung in der Region hin.
Bereits im September "stationierte das US-Zentralkommando (CENTCOM) Sentinel-Radargeräte, erhöhte die Häufigkeit von Patrouillen von US-Kampfflugzeugen über den US-Streitkräften und disponierte Bradley-Schützenpanzer zur Verstärkung der US-Streitmacht", so Captain Bill Urban, ein Sprecher des US-Militärs.
Der britisch-syrische Journalist Richard Medhurst kommentierte diesen Vorgang auf Twitter voll bitterer Entrüstung und Sarkasmus:
"Ein Konvoi von 40 Lastwagen und gepanzerten Fahrzeugen der USA fährt illegal nach Syrien ein, um ihre Präsenz im Nordosten des Landes zu verstärken und weiterhin unser Öl zu stehlen.
Kommt, erzählt mal: Wie klappt es so mit dem 'Biden nach links drücken'? Habt ihr vor, das zurückzuzahlen? 'Das kleinere von zwei Übeln!', ich muss lachen. Ihr müsst gerade so stolz auf euch sein."
Das Wiederaufleben des "Islamischen Staates"(IS) kann für Analytiker des Syrien-Konflikts keine Überraschung sein. Im Dezember 2018 kündigte Donald Trump unverhofft an, dass er die US-Truppen aus Syrien abziehen würde. Einen Monat später verübte der IS in Manbidsch einen Selbstmordanschlag im Nordosten Aleppos, bei dem vier US-Amerikaner getötet und drei verwundet wurden. Das ermöglichte der Kriegsfalken-Fraktion in Trumps Regierungsapparat, dessen Pläne für einen Truppenabzug aus Syrien zu vereiteln.
Syrien im Fadenkreuz von Joe Biden
Die Biden-Regierung ist ein Rückfall in die Ära des Globalismus nach der Art von Obama/Clinton. Diejenigen, die Bidens Sieg über Trump feierten, haben zugleich eine neue Ära des "Krieges gegen den Terror" eingeläutet: Der wird gegen all jene geführt werden, die die Narrative des Establishments infrage stellen. Die US-amerikanische "Linke" mit ihren Vertretern wie Hilary Clinton oder Joe Biden hat faktisch eine neue Welle neokonservativer militärischer Kampagnen für eine "Full-spectrum dominance" ("Überlegenheit auf allen Ebenen") abgesegnet.
Biden ist kein Neuling auf dem Gebiet rechtswidriger US-Militärinterventionen. Im Jahr 2002 machte er sich für den Krieg gegen den Irak stark, der mit der "Massenvernichtungswaffen"-Lüge begründet wurde. Biden vermarktete den Krieg als einen "Marsch hin zu Frieden und Sicherheit". Den Millionen von Irakern, die infolge von George W. Bushs "Schrecken und Furcht"-Kampagne verhungerten, verstümmelt, ermordet und entrechtet wurden, brachte der militärische Feldzug eindeutig keinen Frieden und keine Sicherheit. Und Bidens Rolle war ausschlaggebend dafür, dass Bush die Unterstützung des Senats für den Kriegseintritt erhielt.
Biden war derjenige, der im Jahr 2014 durchblicken ließ, dass die Golfstaaten, die Türkei und Jordanien terroristische Organisationen bewaffneten und finanzierten, die dann in Syrien eindrangen, ganze Landstriche besetzten und verwüsteten. Doch er ließ die Tatsache unerwähnt, dass dies zweifellos von den USA gebilligt worden sein dürfte.
Biden war Vizepräsident unter Obama, als die CIA im Rahmen ihres Timber-Sycamore-Programms begann, Waffen und Hilfsgelder in Milliardenhöhe an Al-Qaida und an mit der IS-Terrormiliz verbündete "gemäßigte Rebellen" in Syrien zu schleusen.
Die jüngste Flut von Operationen des IS erfolgt allerdings – um es diplomatisch auszudrücken – zu einem äußerst günstigen Zeitpunkt: Günstig dann, wenn man eine Verstärkung der Aggression gegen Syrien und eine Verdoppelung der US-Militärpräsenz im benachbarten Irak anstrebt. Wir sollten nicht vergessen, dass den USA vorgeworfen wird, in die Unterstützung von Terrorgruppen wie Al-Qaida oder dem IS verwickelt zu sein. Und die IS-Operationen sollten immer als im Gleichschritt marschierend mit der räuberischen US-Außenpolitik in dieser Region betrachtet werden.
Es gibt Berichte, dass die USA seit Langem IS-Kämpfer über die Grenze in den Irak transportieren, wo sie aufgefrischt und wieder ausgerüstet werden, bevor man sie wieder als eine Art "Super-IS" nach Syrien einsickern lässt, um die Destabilisierung des Landes fortwährend aufrechtzuerhalten.
Wir wissen, dass Biden die volle Unterstützung seitens der im Geiste der Operation Mockingbird gleichgeschalteten westlichen Medien genießt und zugleich großen Einfluss auf die einflussreichsten Online-Plattformen der sozialen Medien – Twitter und Facebook – ausübt, was es ihm leicht macht, die öffentliche Unterstützung für seine militaristische Politik zu gewinnen.
Trump war der ökonomische Vorschlaghammer, der Syrien durch wirtschaftlichen Ruin zu einem gescheiterten Staat machen wollte, dessen Ressourcen raubte und durch Angriffe auf die Landwirtschaft und Infrastruktur des Landes die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung zu beeinträchtigen versuchte. Biden dagegen ist die Kriegsmaschine, auf die die Neokonservativen so geduldig gewartet haben.
Bidens holt die Kriegsfalken in sein Kabinett
Biden hat William Burns zum CIA-Direktor auserwählt. In seinem Buch "The Back Channel: A Memoir of American Diplomacy and the Case for its Renewal" plädiert Burns für den Einsatz von Soft Power, und dafür, verdeckte paramilitärische und nachrichtendienstliche Operationen zum vornehmlichen Werkzeug der Staatskunst zu machen. Burns wird als Karrierediplomat beschrieben, mit der Auffassung, Diplomatie und Spionage seien zwei Seiten derselben Medaille. Burns ist ein US-Diplomat der alten Schule mit engen Verbindungen zu Hillary Clinton.
Burns befürwortete die US-Intervention in Libyen; auch bedauert er, dass weder Syriens Präsident Baschar al-Assad gestürzt noch eine direkte US-Militärintervention größeren Umfangs in Syrien gebilligt wurde. In einem Interview aus dem Jahr 2019 während der Konferenz des "Truman Centre" über die globale Führungsrolle der USA, stellte er in den Raum, dass ein "maximalistischer" Ansatz gegenüber Syrien effektiver gewesen wäre und dass es ein Fehler gewesen sei, Obamas "rote Linie" über den angeblichen Einsatz von "chemischen Waffen" nicht durchzusetzen. Die USA hätten eine Gelegenheit verpasst, so Burns, als sie im Jahr 2012 kein Kapital daraus schlugen, dass Assad an "Flughöhe" ebenso wie an syrischem Territorium einbüßte. Er argumentierte, dass die militärische Unterstützung für die "gemäßigten" Rebellen zu diesem Zeitpunkt hätte erhöht werden müssen.
Trotz seiner früheren Zurückhaltung gegenüber einer Intervention im Irak ist Burns kein Geheimdienstchef, der Diplomatie über militärische Intervention stellt – und er ist der Ansicht, mit der syrischen Regierung noch ein Hühnchen rupfen zu müssen. Überhaupt hängen aus seiner Sicht Frieden und Sicherheit weltweit gänzlich von der Vormachtstellung der USA ab. Burns ist die Art CIA-Chef, der sich bemüht, Bidens Versprechen – "Amerika ist wieder da und bereit, die Welt zu führen" – zu erfüllen. "Wieder da" ist aber in Wirklichkeit Hillary Clinton, und sie wird an der Stelle weitermachen, wo Obama vor dem Trump-Intermezzo aufgehört hatte – mit potenziell verheerenden Folgen für Syrien.
Samantha Power, die ehemalige US-Vertreterin bei der UN während der Obama-Regierungszeit, wurde zur Leiterin der CIA-Außenstelle mit dem klangvollen Namen "Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung" (USAID) ernannt. Mit einem Budget von über 27 Milliarden US-Dollar ist USAID heute eine der mächtigsten Agenturen für "Hilfe und Entwicklung" auf der Welt. Sie zeichnet "für mehr als die Hälfte der gesamten US-Auslandshilfen" verantwortlich.
Powers Stimme gegen Syrien war während Obamas Präsidentschaft eine der lautesten. Sie war eine UN-Botschafterin, die Geschichten von Syriens angeblichen "Chemiewaffen" in die mediale Stratosphäre katapultierte – komplettiert durch emotional aufgeladene Anschuldigungen und unterstützt durch "Aussagen" von mit den britischen und US-Geheimdiensten verbundenen "Weißhelm"-Aktivisten sowie von Medizinern, die, mit bewaffneten Gruppen verbündet, ihrerseits eindeutige Verbindungen zu der aus dem Ausland geführten "Opposition" aufwiesen.
Joe Biden lobt sie folgendermaßen:
"Botschafterin Samantha Power ist weltweit als Stimme des Gewissens und der moralischen Klarheit bekannt – sie fordert die internationale Gemeinschaft heraus und versammelt sie um sich, um für die Würde und Menschlichkeit aller Menschen einzutreten. Als USAID-Administratorin wird sie eine starke Kraft im prinzipientreuen US-amerikanischen Engagement sein."
Zudem hat der neue US-Präsident Power einen Sitz im Nationalen Sicherheitsrat gegeben, was sie in die Umgebung des Nationalen Sicherheitsberaters Jake Sullivan und des CIA-Direktors Burns rückt. Zusammen bilden sie eine tödliche Allianz zugunsten einer direkten Aggression gegen Syrien und zum Sturz der syrischen Regierung, die bereits durch den Druck von Trumps Wirtschaftsblockade und der Schließung der Grenzen aufgrund der Corona-Pandemie ins Wanken geriet, während die internationale "Hilfe für Syrien" ausschließlich in die von Terroristen gehaltene Enklave Idlib fließt.
Übung in Doppelsprech: Weißes Haus und Denkfabriken übersetzen
Eine kürzlich veröffentlichte Nationale Sicherheitsdirektive des Weißen Hauses über eine "globale Führungsrolle" der USA im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise war eine klare Gelegenheit für Washington, die brutalen Sanktionen, die von früheren Regierungen gegen Syrien verhängt wurden, einer Revision zu unterziehen. Peter Ford, der britische Botschafter in Syrien während der Jahre 2003 bis 2006, kommentierte die Direktive folgendermaßen:
"Mit Samantha Power an der Spitze von USAID (...) befürchte ich, wird der unvermeidliche Widerstand gegen alles, was den 'von der Regierung kontrollierten Gebieten' (in Syrien) helfen würde, außerordentlich schwer zu brechen sein. Am Ende dürfte dabei einzig und allein eine Lockerung jener Sanktionen herauskommen, die gegen die nicht von der Regierung kontrollierten Gebiete bestehen – und das dürfte in der Tat auch schon alles gewesen sein, was damit beabsichtigt wird.
Nichtregierungsorganisationen aus den angelsächsischen Ländern beklagen, dass die Sanktionen die Hilfslieferungen in die von Dschihadisten kontrollierten Gebiete und das kurdische Herrschaftsgebiet behindern. Und mit der Direktive signalisiert die neue Regierung, dass sie erhört worden sind."
Ein Bericht der Denkfabrik Responsible Statecraft (dt.: Verantwortungsvolle Staatskunst) mit dem Titel "Die Vereinigten Staaten brauchen eine neue Syrien-Politik" sieht auf den ersten Blick wie eine umgeschriebene Roadmap für Syrien aus – doch der Schein kann trügen. In Wirklichkeit ist er nichts weiter als ein taktischer Versuch, die Grausamkeit der Wirtschaftssanktionen zu beschönigen.
Peter Ford beschreibt die Vorschläge der Denkfabrik als "vergifteten Kelch", "den entgegenzunehmen einer Kapitulation gleichkäme". Als listig präsentierter Hieb einer Faust, die einem Samthandschuh trägt, fordert das Dokument integrierte (sprich – aufdringliche) Überwachungsmechanismen, die Freilassung sogenannter "politischer Gefangener" und ungehinderten "humanitären" Zugang zum ganzen Land.
Das Letztgenannte könnte zur Wiederbelebung der CIA-Operation Timber Sycamore ausgenutzt werden, um die verbleibenden bewaffneten Gruppierungen innerhalb Syriens zu bewaffnen, auszurüsten und zu finanzieren. Noch besorgniserregender ist, dass der Bericht für eine stärkere "Dezentralisierung" Syriens plädiert – was ohne Weiteres als Wiederbelebung alter Aufteilungspläne übersetzt werden kann, an deren Ausarbeitung Jeffrey Feltman, US-Botschafter in Beirut in den Jahren 2004 bis 2008 und ein Erzfeind der Assad-Regierung, beteiligt war, der die US-Operationen in Syrien wieder aufnehmen und intensivieren will.
Unter der Biden-Regierung wird es wahrscheinlich zu einer verstärkten Militärpräsenz der US-geführten Koalition in Syrien kommen, insbesondere im Nordosten des Landes.
Eine Arbeit der Rand Corporation mit dem Titel "Swarming and the Future of Conflict" beschreibt mögliche Taktiken der Biden-Regierung beim Einsatz ihrer zahlreichen Stellvertreter-Armeen im Rahmen isolierter Angriffe – auf wichtige Infrastruktur, auf das syrische Militär und zivile Ziele –, mit denen die Instabilität aufrechterhalten und der Druck auf die syrische Regierung erhöht werden könne.
Eines ist klar: Biden wird die Verwüstungen, die der zehnjährige "Regimewechsel"-Krieg bisher anrichtete, keineswegs beheben. Er wird Armut, Elend und Leid des syrischen Volkes ausnutzen, um für die USA und Israel die Vorherrschaft in der Region zu sichern. Eine solche Entwicklung hätte das Potenzial, die USA in Syrien in eine direkte Konfrontation mit Russland, dem Iran und der Hisbollah zu treiben. Wir sollten uns auf eine turbulente Zukunft in der Region unter Joe Biden einstellen. Ob Demokrat oder Republikaner: Die Roadmap ist dieselbe. Der einzige Unterschied liegt in den Methoden, mit denen einem widerspenstigen Volk das Halsband angelegt werden soll.
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Übersetzt aus dem Englischen. Vanessa Beeley ist eine unabhängige Journalistin und Fotografin, die ausgiebig im Nahen Osten gearbeitet hat – vor Ort in Syrien, Ägypten, Palästina und im Irak – und die seit 2015 auch über den Konflikt im Jemen berichtet. Folgen Sie ihr auf Twitter unter @VanessaBeeley
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