Corona, Sputnik V und die deutschen Medien 

Über den russischen Impfstoff berichten die deutschen Medien kaum noch. Was sie bisher berichteten, legt nahe, dass der Impfstoff gefährlich, unausgereift und vermutlich ein Flop ist. Die Realität außerhalb der deutschen Medien sieht allerdings anders aus. 

von Gert Ewen Ungar

Als ich vor einigen Wochen zur Grippeimpfung bei meinem Hausarzt war, war die COVID-19-Pandemie natürlich ein Thema, das sich in dem geführten Small-Talk fast schon selbstverständlich entwickelte. Ich erzählte dem Arzthelfer, wie mein Freund Dima in Moskau an der Phase-III-Studie für den Corona-Impfstoff Sputnik V teilnimmt, dass er die erste Impfung bereits erhalten hat und die zweite in Kürze bevorsteht. Die Reaktion darauf war erwartbar. "Also, dieses russische Zeug würde ich mir nicht spritzen lassen. Da habe ich nur Negatives darüber gehört."

Nun ist ein medizinischer Fachangestellter in einer Berliner Hausarztpraxis sicherlich nicht das Maß aller Dinge im Hinblick auf medizinisches Fachwissen. Aber davon abgesehen war die Meinung des Arzthelfers gefestigt, denn er fühlte sich offenkundig zum Thema gut und umfassend informiert. Schon ein kurzer Blick in deutsche Mainstream-Medien zeigt unmittelbar, wie sein Eindruck entstanden sein muss, beim russischen Impfstoff handele es sich um irgendein minderwertiges Zeugs.

Eine Suche auf tagesschau.de zum Schlagwort Sputnik V liefert ausschließlich negative, kritische und skeptisch stimmenden Überschriften und Teaser. "Der russische Impfstoff ist international höchst umstritten", heißt es da. "Ausliefern, während noch geforscht wird", "Corona-Impfung in Russland: 40.000 Freiwillige und viele Skeptiker", "Impfstofftest in Venezuela: 'Wir sind hier die Versuchskaninchen'".

Die Gegenprobe liefert die Suche nach dem Schlagwort BioNTech. "Das Mainzer Unternehmen Biontech hat im Rennen um den Corona-Impfstoff eine weitere Hürde genommen." "Die Mainzer Pharmafirma Biontech und ihr US-Partner Pfizer können einen Durchbruch vermelden", "Der Impfstoff-Vertrag zwischen EU und Biontech/Pfizer ist unter Dach und Fach." Beim Impfstoff der Firma BioNTech läuft im Gegensatz zu seinem russischen Konkurrenten Sputnik V alles ziemlich gut und glatt – zumindest bei der Tagesschau.

Dabei ließen sich auch für den BioNTech-Impfstoff die gleichen Überschriften wie für Sputnik V generieren, denn das Umfeld ist absolut identisch. Auch für Biontech gibt es ein vereinfachtes, gleitendes Zulassungsverfahren, es gibt gegenüber dem Impfstoff viel Skepsis, denn es handelt sich um einen gegenüber Sputnik V wesentlich experimentelleren mRNA-Impfstoff, und auch BioNTech hat seinen Impfstoff an "Versuchskaninchen" im Ausland getestet – vornehmlich in Brasilien und Argentinien. Sputnik V dagegen ist ein Vektorimpfstoff, der auf einer tausendfach erprobten Impfplattform aufgesetzt wurde. Das wirkt erst mal vertrauenswürdiger.

Wichtig ist zu verstehen: Die Berichterstattung der Tagesschau ist im Zusammenhang mit Sputnik V eindeutig tendenziös. Das wäre nicht weiter schlimm, würden andere Medien diese einseitige Berichterstattung ausgleichen, indem dort positiver oder zumindest objektiver berichtet wird. In einer freien Presselandschaft wäre das erwartbar, denn dass alle den gleichen Blick auf die gleiche Sache haben und die gleiche Meinung entwickeln, ist in einem freien Umfeld absolut unwahrscheinlich. Aber auch in anderen deutschen Medien wird nicht anders berichtet, als es die Tagesschau tut.

Die Frankfurter Rundschau suggeriert, Russland könnte die Forschungsergebnisse gefälscht haben. Die taz sieht einen kalten Corona-Krieg aufziehen und meldet Zweifel am russischen Impfstoff an. Das Handelsblatt benennt einen Schuldigen für Probleme in der Produktion: Es ist Putin selbst, der wieder einmal die Entwicklung Russlands hemmt. Auch die Zeit vermeldet Rückschläge, die Welt verkündet gar "Die Wahrheit über Putins Impfstoff", und die ist nicht schön. Wer den Artikel liest, der die angebliche Wahrheit über den Impfstoff allerdings hinter einer Paywall verbirgt, bekommt den Eindruck der Korruption. Die Tochter Putins ist irgendwie involviert. Außerdem erfahren wir, dass das Attribut "russisch" ein Manko ist.

Die deutschen Medien arbeiten hart daran, dass das auch so bleibt, auch wenn selbst die russlandfreundlicher Umtriebe völlig unverdächtige Welt ganz am Ende des Artikels kleinlaut eingestehen muss, dass der russische Impfstoff vermutlich gar nicht so schlecht und konkurrenzfähig ist.

Aber auch im Zusammenhang mit der Lieferverzögerung, die es bei Sputnik V gab, gilt: Auch das hätte man über den Impfstoff von BioNTech schreiben können, denn dessen Auslieferung war bereits für Oktober angekündigt. Zudem gibt es beim BioNTech-Impfstoff das Problem von Transport und Lagerung. Der Impfstoff braucht, um stabil zu bleiben, eine Umgebungstemperatur von minus 70 Grad Celsius. Eine gewöhnliche Arztpraxis kann diese Bedingungen nicht zur Verfügung stellen. Ein Problem, das der russische Impfstoff nicht hat. Er kann in einem handelsüblichen Gefrierschrank bei minus 18 Grad gelagert werden und bleibt auch im Kühlschrank mehrere Tage stabil.

Angedacht ist darüber hinaus, den russischen Impfstoff gefrierzutrocknen, so dass er einfacher gehandhabt werden kann. Zudem wird Sputnik V deutlich kostengünstiger. Eine Impfdosis soll unter 10 US-Dollar kosten, das BioNTech-Produkt dagegen zwischen 25 und 37 US-Dollar. Die Wirksamkeit der beiden Impfstoffe ist dabei vergleichbar. Unter objektiven Gesichtspunkten gibt es also einige Gründe, die für den russischen Impfstoff sprechen, von denen der deutsche Medienkonsument allerdings nichts erfährt.

Die Reaktion des Arzthelfers in meiner Hausarztpraxis zeigt dabei, wie erfolgreich die deutschen Medien bei ihrer Arbeit sind: Er war über den Sputnik V ganz im Sinne der deutschen Medien bestens informiert, allerdings leider auch völlig einseitig und damit falsch. Dabei wird auch deutlich: Deutsche Medien haben klammheimlich ihren Auftrag gewechselt. Sie informieren seit einigen Jahren nicht mehr, sie führen einen Informationskrieg an der Heimatfront und manipulieren ihr Publikum.

Dabei machen deutsche Medien die Deutschen zunehmend zu Idioten, die vom faktischen Weltgeschehen keine Ahnung haben. Das Tal der Ahnungslosen hat sich seit 1990 deutlich verbreitert und reicht jetzt vom Rhein bis an die Oder.

Wie schon in anderen Zusammenhängen, in der Ukraine- und Griechenland-Krise beispielsweise, erweisen sich deutsche Medien auch in der Berichterstattung über den russischen Impfstoff wieder einmal als merkwürdig gleichgeschaltet.

So kann erneut festgestellt werden: Der deutsche Journalismus ist in einem erschreckenden Zustand. Seine Berichterstattung ist einseitig, die Realität verzerrend. Er ist in seiner aktuellen Ausprägung einer Demokratie unwürdig. Das eigentlich Bemerkenswerte daran ist, dass er seine Einseitigkeit immer wiederholt. Er erweist sich seit Jahren als nicht reformfähig. Die Seilschaften, durch die die relevanten Posten besetzt werden, sind immer die Gleichen, die mit den Chefredaktionen vernetzten NGOs und Elitenzirkel ebenfalls. In denen kursieren offenkundig die immer gleichen ökonomischen und geopolitischen Weisheiten, die allerdings mit der Realität immer weniger zu tun haben.

Nach der Logik in den Kreisen, die für eine entsprechende Dauerberieselung mit gelenkten Informationen sorgen, hätte es den Erfolg von Sputnik V gar nicht geben dürfen. Sputnik V wurde vom russischen Gamaleja-Institut entwickelt. Das Gamaleja-Institut ist eine Forschungseinrichtung, die vom russischen Staat finanziert wird. Keine Public-Private-Partnership, keine Synergieeffekte mit der Privatwirtschaft, keine Drittmittel-Einwerbung, nichts von all dem, was in Deutschland und anderen westlichen Ländern in den letzten Jahren als alternativlos eingeführt wurde, findet sich dort. Das Gamaleja-Institut betreibt einfach staatlich finanzierte und abgesicherte Forschung. Es gibt keine Aktien, die man jetzt kaufen könnte, es gibt keine steigenden Kurse, keine Mitnahmeeffekte, keine Aktionäre, die man mit durchfüttern muss.

Unterstützt wird das Gamaleja-Institut lediglich vom ebenfalls staatlichen russischen Investitionsfonds. Der ist zwar international sehr aktiv, investiert und unterstützt Projekte in China, Frankreich, Italien, Saudi-Arabien und vielen anderen Ländern. Ziel des Fonds ist dabei immer die Investition in die Realwirtschaft zu fördern. Mit dieser Verbindung bleibt auch das Sputnik-V-Projekt vor Spekulation dauerhaft geschützt. Es ist westlichem Marktradikalismus entzogen. So ist es nur konsequent, wenn Putin den russischen Impfstoff weniger finanzstarken Ländern in Solidarität kostengünstig anbietet.

Sputnik V ist ein staatliches Projekt und damit ein staatlicher Erfolg. Das kollidiert mit dem seit Jahren gesungenen westlichen Credo, dass der Staat eigentlich gar nichts kann und sich am besten aus allem heraushält.

Das Personal in den deutschen Redaktionen steht für genau dieses wirtschaftliche Modell. Allerdings wird auch immer offenkundiger, dass dieses neoliberale Modell nicht das hält, was es verspricht. Der Westen, die EU und Deutschland fallen zurück, Länder wie China und eben auch Russland, die ihre Ökonomien wesentlich stärker steuern und regulierend eingreifen, bewältigen Krisen besser, sind insgesamt dynamischer und innovativer. Sputnik V ist dafür ein Beispiel unter ganz vielen.

Dieser Aspekt ist sicherlich mit einer der Gründe, warum in deutschen Redaktionen, die die Agenda 2010, die Schuldenbremse, die Zerstörung der gesetzlichen Rente, die schädliche Austeritätspolitik aktiv befördert haben, den russischen Impfstoff in schlechtem Licht erscheinen lassen. Sie müssten angesichts der Entwicklungen zugeben, das jenes Modell des Wirtschaftens, das sie in den letzten Jahrzehnten an die Macht geschrieben haben, zum Abstieg führt. Die Ideologie, für die die deutsche Presse steht, funktioniert nicht. In Russland entwickelte man inzwischen den dritten Impfstoff – alle in staatlichen Instituten. Davon hat mein Arzthelfer mit ziemlicher Sicherheit noch nie etwas gehört, denn es taucht in deutschen Nachrichten nicht auf.

Mein russischer Freund Dima jedenfalls hat inzwischen sein Zertifikat über die Teilnahme an der Phase-III-Studie ausgehändigt bekommen. Er hat beide Komponenten des Impfstoffs erhalten, hatte keine Nebenwirkungen und eine gute Immunantwort. Er kann sich nicht mehr mit dem Coronavirus anstecken. Würde mir die Wahl zwischen dem BioNTech-Impfstoff und Sputnik V gelassen, würde ich mich vor dem Hintergrund, was ich über beide Impfstoffe weiß, für Sputnik V entscheiden. Das darf in der Breite natürlich auf gar keinen Fall passieren. 

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