von Scott Ritter
Hört man Joe Biden und seine engsten nationalen Sicherheitsberater reden, so könnte man meinen, mit nur ein paar Federstrichen könne man die vier Jahre Trump-Ära in der US-Außenpolitik rückgängig machen. Der Plan sieht vor, dass Biden als US-Präsident eine Reihe von Erlassen unterzeichnet, die den zuvor unter Trump eingeschlagenen Kurs umkehren und die Vereinigten Staaten wieder auf den "Pfad der Größe" zurückführen – der sich aus der unangefochtenen globalen Führung ableite, die das Markenzeichen der Obama-Jahre war, als Biden als Vizepräsident und Baracks rechte Hand regierte.
Wiedereintritte – zum Pariser Klimaabkommen, zum Atomabkommen mit Iran und zur Weltgesundheitsorganisation – sind alles Maßnahmen, die Biden sofort nach Amtsantritt ergreifen kann. Auch die Rücknahme von Trumps Truppenabzug aus Afghanistan und der Stopp der Verlegung von US-Streitkräften aus Deutschland stehen ganz oben auf Bidens Agenda.
Doch die bloße Umkehrung einer Entscheidung, die in den vergangenen vier Jahren getroffen wurde, spult die Zeit beileibe nicht zurück. So hat sich die Welt beispielsweise in Bezug auf den Klimawandel weiterentwickelt, wobei Staaten wie China bei der Verkündung von Plänen zur Erreichung einer "Kohlenstoff-Null"-Position bis 2060 die Führung übernahmen. Biden behauptet, dass er dies bis 2050 schaffen könne – aber die innenpolitische Realität in den USA, geprägt von einer von Trump feinjustierten Wirtschaft und bereits von Natur aus resistent gegen die Art wirtschaftlicher Veränderungen, die erforderlich wären, um Bidens Klimaplan durchführbar zu machen, könnte diesen Zeitplan gefährden.
Der Iran-Atomdeal
Bezüglich des Nuklearabkommens mit Iran ist Biden in seiner eigenen Hardliner-Rhetorik gefangen: Stellte er selbst doch seinerzeit Bedingungen, die ebenso unrealistisch wie unerreichbar waren (etwa die Forderung an Iran, Schlüsselaspekte des Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplans 2015 (JCPOA) als Vorbedingung für den Wiedereintritt der USA in diesen Pakt neu zu verhandeln). Der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif wies in einem Interview, in dem er die schlechte Lage kommentierte, in die sich Biden manövriert hatte, klugerweise darauf hin, dass Iran zu seinen JCPOA-Verpflichtungen zurückkehren kann, wenn Biden einfach eine Ausführungsverordnung zur Aufhebung der unter Trump verhängten Sanktionen unterzeichnet. Eine solche Anordnung wird Biden wahrscheinlich nicht unterzeichnen, da sie von ihm verlangt, den JCPOA so, wie er geschrieben steht, gutzuheißen – wogegen er sich bereits aussprach.
Truppenabzug aus Afghanistan
Eine der ersten Entscheidungen, die Biden bei der Übernahme der Präsidentschaft treffen muss, ist das weitere Vorgehen in der Frage zum Verbleib der aktuell in Afghanistan befindlichen US-Truppen. Wenn die unter Trump beschlossenen Truppenreduzierungen wie geplant bis zum 15. Januar abgeschlossen sind (unter ganz großem Fragezeichen angesichts der Neigung des US-Militärs, Trump zu laufenden Truppeneinsätze zu belügen), wird Biden vom Pentagon unter Druck gesetzt werden, dorthin unverzüglich bis zu 5.000 neue Soldaten zu entsenden. Ziel wird sein, die Streitkräftestruktur zu schaffen, die man im Pentagon zur Gewährleistung der Stabilität beim Übergang Afghanistans zum Frieden für notwendig hält. Dies würde natürlich den gemeinsamen Friedensplan der USA mit den Taliban zunichtemachen – und die Voraussetzungen für noch mehr "ewige Kriege" schaffen.
Krieg, Regimewechsel, noch mehr Krieg
Andere regionale Themen treten hervor – die anhaltenden Bemühungen, in Venezuela Nicolás Maduro zu stürzen, und der andauernde Krieg unter saudi-arabischer Führung im Jemen, um nur zwei zu nennen. Bidens Anti-Maduro-Rhetorik ist genauso hart wie die von Trump – das heißt, die Chancen auf eine Neuausrichtung der Politik an dieser Front sind gering. Falls Trump seine Drohungen wahrmacht, die Huthi-Rebellen im Jemen als terroristische Organisation anzuerkennen, wird es für Biden schwierig, diese Entscheidung politisch rückgängig zu machen – zumindest ohne dass es aussieht, als führe er damit den Willen Irans aus. Der Jemen-Konflikt wird ein weiteres Beispiel für einen "ewigen Krieg" werden, der seinem Namen alle Ehre macht.
Peinlichkeiten in Europa
Ein weiteres Thema, mit dem sich Biden befassen muss, ist die laufende Verlegung US-amerikanischer Truppen aus Deutschland. Trump sicherte zu, Tausende Mann dieser zu verlegenden Truppen nach Polen zu entsenden. Diesen Schritt kann Biden nur schwer rückgängig machen. Am Ende wird Biden unter Druck gesetzt werden, nicht nur den Abzug der US-Streitkräfte aus Deutschland aufzuhalten, sondern auch neue Truppen zu finden, die das nach nach Polen zu verlegende Kontingent ersetzen sollen. Aber derartige Entschlüsse müssen in Verbindung mit der anhaltenden Kontroverse über die Gaspipeline Nord Stream 2 gesehen werden, die Russland mit Europa verbindet. Trump verhängte Sanktionen, um die Fertigstellung der Pipeline zu verhindern. Biden ist ebenfalls dagegen, dass die Pipeline zu Ende gebaut wird. Deutschland dazu zu bringen, sich zur (weiteren) Aufnahme von US-Truppen zu verpflichten, während die USA unverhohlen in die deutsche wirtschaftliche Souveränität eingreifen, ist ein Balanceakt, dem Biden möglicherweise nicht gewachsen ist.
Mechanismen der Rüstungskontrolle blockiert
Ebenso deutete Biden an, dass er geneigt wäre, eine Verlängerung des demnächst auslaufenden New-START-Vertrags zu unterzeichnen. Russland besteht seit Langem darauf, dass künftige Rüstungskontrollabkommen Fragen der Raketenabwehr berücksichtigen müssen. Unter der Trump-Regierung wiederum haben die USA gerade einen Abfangflugkörper in der Konfiguration zur Abwehr interkontinentalen ballistischer Raketen getestet – dieser Abfangflugkörper ist integraler Bestandteil des in Rumänien und Polen aufgebauten Raketenabwehrsystems Aegis Ashore.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Russland irgendwelchen neuen Rüstungskontrollmaßnahmen zustimmt, ohne dass sich eine Biden-Administration verpflichtet, die in Europa stationierten Raketenabwehrsysteme zu reduzieren oder sie ganz zu beseitigen, ist gleich null. Ebenso sind die Chancen einer Biden-Administration, die Raketenabwehr in Europa abzuschaffen, gleich null. Als Ergebnis droht ein teures Wettrüsten – zu einer Zeit, in der die USA es sich am wenigsten leisten können.
Keine Tauwetterperiode im neuen Kalten Krieg
Letztendlich erbt Biden eine politische Haltung sowohl gegenüber Russland als auch gegenüber China, die sich in einer ebenso feindseligen Beziehung niederschlägt, wie seit Beginn des Kalten Krieges zu beobachten ist. Russlands Streitkräfteaufstellung in Europa ist derart, dass die NATO Hunderte von Milliarden Dollar ausgeben müsste, um es realistischerweise mit dem russischen Militär in jedem konventionellen Bodenkonflikt in Europa aufnehmen zu können.
Darüber hinaus ist es unwahrscheinlich, dass Europa der formellen Billigung eines solchen Ziels oder dem zum Erreichen dieses Ziels erforderlichen wirtschaftlichen Einsatz zustimmen wird. Erschwerend kommt hinzu, dass China und Russland auf die aggressive Politik der USA, die der Trump-Ära vorausging, reagierten, indem sie die Möglichkeit eines formellen Bündnisses gegen die von ihnen so genannte "westliche Hegemonie" in Erwägung zogen. Ein solches Bündnis würde jede Bemühung einer Biden-Administration erschweren, seine kleinmütige Rhetorik in der Rolle des Präsidenten mit jeglicher tatsächlicher Stärke zu untermauern – zumal jeder Konflikt in Europa automatisch eine Reaktion im pazifischen Raum auslösen würde und umgekehrt.
Die Dominanz Chinas
Unabhängig von allem anderen wird die vielleicht größte Herausforderung für eine Biden-Administration der Umgang mit den Folgen der Entscheidung Trumps sein, sich aus der Trans-Pazifik-Partnerschaft (TTP) der Obama-Ära zurückzuziehen. Dieses Freihandelsabkommen, das unter Ausschluss von China eine wirtschaftliche Führung der USA fördern sollte, ist mittlerweile gescheitert: China unterzeichnete kürzlich zusammen mit 14 anderen asiatisch-pazifischen Staaten das weltweit größte Freihandelsabkommen.
Zu den Unterzeichnern dieses Abkommens, das als RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership, dt.: Regionale, Umfassende Wirtschaftspartnerschaft. Anm. d. Red.) bekannt ist, gehören die zehn Länder der ASEAN (Association of Southeast Asian Nations, dt.: Verband Südostasiatischer Nationen) sowie darüber hinaus China, Japan, Südkorea, Neuseeland und Australien. Zusammen erwirtschaften sie rund 30 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts. Das RCEP zementiert Chinas Status als dominierende Wirtschaftsmacht im asiatisch-pazifischen Raum – und stellt eine erstaunliche Wende für die USA dar: War es doch deren überstürzter Rückzug aus der TPP im Jahr 2017, der den Weg für Chinas atemberaubenden diplomatischen Coup in dieser Region ebnete.
Mehr zum Thema – Neue indopazifische Strategie der USA gegen China: USA und Indien unterzeichnen Militärabkommen
Der Zusammenbruch der TPP in Verbindung mit der Wirtschaftskrise, die durch die COVID-19-Pandemie ausgelöst wurde, machte das RCEP für Staaten attraktiv, in denen Handel mit China als der einzig gangbare Weg zum Wiederaufbau der angeschlagenen Volkswirtschaft angesehen wird. Die RCEP trägt zur Festigung der regionalen geopolitischen Ziele der chinesischen Belt-and-Road-Initiative ("Neue Seidenstraße") bei, indem sie die Volkswirtschaften der asiatisch-pazifischen Region für chinesisch finanzierte Entwicklungsprojekte öffnet. Der diplomatische Sieg Chinas bei der Verwirklichung des RCEP stellt eine verblüffende Niederlage für die USA dar, die in ihrem andauernden Handelskrieg mit China regionale Unterstützung gesucht hatten.
Angesichts der Verknüpfung von Wirtschafts- und Sicherheitsfragen untergräbt zudem die Tatsache, dass wichtige regionale Verbündete wie Japan, Südkorea, Neuseeland und Australien ihre Volkswirtschaften so entschieden an Chinas Wirtschaft anschlossen, die laufenden Bemühungen der USA um den Aufbau einer regionalen Koalition zur Eindämmung und schließlich zum Zurückdrängen der Präsenz Chinas im Südchinesischen Meer. Während sich Biden als gewählter US-Präsident an Japan und Südkorea wandte, um ihnen den Einsatz seiner Regierung für ihre Sicherheit zuzusichern, ist eine künftige Biden-Regierung schlecht positioniert, um dem wirtschaftlichen Einfluss Chinas entgegenzuwirken, den es sich durch das RCEP gesichert hat. Aus wirtschaftlicher Sicht wurde der US-"Pendelschlag nach Asien" im Endeffekt aufgehalten, und die asiatisch-pazifischen Staaten gehören nun fest zu Chinas Einflusssphäre.
Von Europa über Südamerika, den Nahen Osten, Südwestasien bis hin zum Pazifik wird Biden als Präsident eine Welt erben, die durch vier Jahre Trump-Politik verändert wurde. Biden hat zwar angedeutet, dass er geneigt ist, viele, wenn nicht sogar alle "Katastrophen" der Trump-Außenpolitik rückgängig zu machen, sobald dies nach seinem Amtsantritt praktisch möglich ist. Aber in Wirklichkeit werden ihm die Hände gebunden sein: Dafür sorgt die kombinierte Wirkung seiner eigenen aggressiven Rhetorik, die in vielen Fällen parallel zu der von Trump betriebenen Politik verlief, und der Tatsache, dass die heutige geopolitische Lage eine Rückkehr zur Außenpolitik von früher nicht zulässt.
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Übersetzt aus dem Englischen. Scott Ritter ist ein ehemaliger Offizier für Aufklärung der US-Marineinfanterie. Er diente den USA in der Sowjetunion als Inspektor für die Umsetzung der Auflagen des INF-Vertrags, während des Zweiten Golfkriegs im Stab von General Norman Schwarzkopf und war danach von 1991 bis 1998 als Waffen-Chefinspekteur bei der UNO im Irak tätig. Derzeit schreibt Ritter über Themen, die die internationale Sicherheit, militärische Angelegenheiten, Russland und den Nahen Osten sowie Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung betreffen. Auf Twitter findet man ihn unter @RealScottRitter