Von Chris Sweeney
Die US-Präsidentschaftswahl ist niemals eine Wahl zwischen Donald Trump oder Joe Biden gewesen. Wie wir alle sehr wohl wissen, hat der Erste, der 270 Stimmen im Wahlleutekollegium erreicht hat, Anspruch auf die Schlüssel zum Weißen Haus.
Das Wahlleutekollegium wurde eingerichtet, um dem US-amerikanischen Föderalismus zur Blüte zu verhelfen. Jeder US-Bundesstaat liefert eine unterschiedliche Anzahl von Stimmen, die man dann addiert, um die Gesamtzahl der Kandidaten zu ermitteln.
Befürworter des Systems sagen, es erhalte die politische Stabilität und bewahre den Wahlen ihr verfassungsmäßiges Element. Kritiker argumentieren, es sei weniger demokratisch als etwa das Konzept "eine Person, eine Stimme".
Aber jedenfalls können wir deshalb Situationen beobachten, in denen etwa Hillary Clinton zwar bei der Volksabstimmung von 2016 gewinnt, aber weniger Stimmen im Wahlleutekollegium erhält als Trump.
Über die Verdienste und Vorteile sowie die Aktualität und Stichhaltigkeit dieses Systems lässt sich trefflich streiten – wofür sich aber sicherlich noch eine andere Gelegenheit bieten wird. Jedenfalls haben sich die Vereinigten Staaten von Amerika infolge der Anwendung des Systems künstlich geographisch selbst gespalten.
Das bedeutet, dass der Name auf dem Wahlzettel keine Rolle spielt. Es kommt nur darauf an, ob ihm das Wort "Republikaner" oder das Wort "Demokrat" folgt.
Nehmen wir zum Beispiel Texas. Bei den letzten elf Wahlen seit dem Jahr 1980 war der Staat des einsamen Sterns republikanisch rot. Er hat 29 Millionen Einwohner und Großstädte wie Houston, Austin, El Paso, San Antonio und Dallas. Der Bundesstaat verfügt über eine große Erdölindustrie und ist auch ein Zentrum der Luftfahrt; daneben hat er eine eigene aufblühende Computerindustrie, die als Silicon Hills bekannt ist.
Er beherbergt zudem zwei der größten US-Militärstützpunkte: Fort Hood und Fort Bliss.
Es könnte keinen größeren Wechsel des Klimas oder des Lebensstils von dem trockenen und erdrückenden Texas zu der klirrenden Kälte Alaskas geben. Es ist nicht einmal mit einem anderen Staat verbunden und teilt sich eine Grenze mit Kanada.
Die Bewohner Alaskas leben ein radikal anderes Leben als jene aus Texas, doch was verbindet sie? The Last Frontier, wie Alaska genannt wird, hat ebenfalls eine lange Reihe von Republikanern gewählt (14 Wahlen und Auszählungen).
Dasselbe gilt auch für Idaho. Und Kansas. Und Nebraska. Und North Dakota. Und South Dakota. Und Utah. Und Wyoming. Und Oklahoma. 14 Mal hintereinander haben sie rot gewählt.
Ein Ort, der es mit 15 in einer Reihe noch weiter auf die Spitze treibt – dabei allerdings spiegelverkehrt –, ist die Hauptstadt und der Regierungssitz des Landes, der District of Columbia, wo Washington liegt. Es ist eine Hochburg der Demokraten. Der Trend setzt sich im Bundesstaat Minnesota im Gebiet der Großen Seen fort. Dieser Staat läuft seit zwölf Wahlen in Folge blau an. Washington, Oregon, Massachusetts und Rhode Island legten bisher eine Reihe von neun hin.
Drehen wir die Uhr nun zurück auf das Jahr 1992. Seitdem hat sich gesellschaftlich und politisch viel verändert.
Die Homo-Ehe ist zur Norm geworden, Marihuana ist vielerorts legalisiert worden, und "Fake News" sind nunmehr ein Thema. Netflix oder Amazon gab es damals noch nicht, und Elektroautos waren der Stoff für Science-Fiction-Filme.
Aber Connecticut, Kalifornien, Delaware, Illinois, Maine, New Jersey und Vermont stimmten alle auf die gleiche Weise ab – für die Demokraten.
Sogar das kulturelle Epizentrum der USA, New York City – das mit 9/11 sein wohl bisher größtes Ereignis des 21. Jahrhunderts erlebte und ein wahrer Schmelztiegel von Individuen ist, wo millionenschwere Finanzmakler neben Mindestlohn-Baristas U-Bahn fahren – schwingt seit dem Jahr 1988 nur in eine Richtung aus.
Um dem einen Kontext zu geben: Damals gab es die Sowjetunion noch. Während sie in viele Staaten zerfiel, die seitdem eigenhändig die Art und Weise bestimmen, wie und was sie zu tun und zu lassen haben, hat der Big Apple "auf Pause" geschaltet und wählt immer wieder demokratisch blau.
Welchen Bundesstaat man auch betrachtet: Dieser Trend ist perplex. Er deutet darauf hin, dass Sie – egal, wie Sie sich entwickeln und Ihre Ansichten ändern – zusammen mit einer stagnierenden Mehrheit in einen Topf geworfen werden. Es gibt keine sinnvolle Möglichkeit, die eigenen Wünsche demokratisch zu äußern.
Und das alles in einem Zeitraum von drei Jahrzehnten, in dem sich die Welt wohl schneller verändert hat als zu jedem anderen Zeitpunkt in der Geschichte.
Nun wird dieses Phänomen natürlich zum Teil auch dadurch verursacht, dass viele US-Amerikaner in Staaten leben – oder in solche ziehen –, in denen sie die gleichen Interessen, Lebensweisen und daher im weiteren Sinne wahrscheinlich auch die gleichen politischen Zugehörigkeiten haben wie ihre neuen Nachbarn.
Das ist zwar gut für den Einzelnen – doch es verfestigt nur die Ghettoisierung der USA. Die Menschen sind in einem Käfig des Absolutismus gefangen.
Die USA sind ein Ort von so großer Diversität, der in so vielen Bereichen eine Vorreiterrolle spielt. Ihre Gesellschaft ist vielschichtig, zum Teil wegen der Größe des Ortes, aber auch wegen der vielfältigen Einflüsse, die dort zum Tragen kommen. Und dennoch ist ihr Volk bei Wahlen durch die Grenzen der Bundesstaaten gefesselt.
Ob Trump oder Biden Präsident wird, ist irrelevant – da die Hälfte der Bevölkerung ohnehin nicht glücklich sein wird. Und vergessen Sie unsinnige Theorien über russische Einmischung oder andere "Schurkenelemente", die bei den Wahlen im Spiel sind. Das ist alles ein Nebenschauplatz.
Der eigentliche Grund zur Besorgnis liegt darin, wie viele Wahlstimmen sinnlos werden – einfach aufgrund des Ortes, an dem sie abgegeben werden. Die Vereinigten Staaten von Amerika nennen sich selbst "das Land der Freien und die Heimat der Tapferen". Aber wie frei oder mutig kann man überhaupt sein, wenn die Postleitzahl bestimmt, wer einen vertritt?
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Übersetzt aus dem Englischen. Chris Sweeney schrieb für verschiedene britische Zeitschriften und Zeitungen – darunter The Times, The Sun und The Daily Record.