von Andreas Richter
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am vergangenen Wochenende eine offizielle Trauerfeier für die Opfer der COVID-19-Pandemie angeregt. Zur Begründung führte Steinmeier zum einen die Zahl der Toten ins Feld:
Wir haben 9.300 Tote zu beklagen.
Diese Zahl sei zwar niedriger als anderswo:
Aber es sind in sechs Monaten dreimal so viel wie die jährlichen Verkehrstoten.
Zum anderen müsse man das Leid der Angehörigen bedenken, die keine Möglichkeit gehabt hätten, Abschied zu nehmen:
Der Corona-Tod ist ein einsamer Tod.
Dazu ist einiges anzumerken. Zunächst zu den Zahlen: Es ist unklar, wie viele der 9.300 Toten an dem Virus und wie viele mit dem Virus gestorben sind. Klar ist, das bis Anfang September in diesem Jahr in Deutschland etwa 650.000 Menschen gestorben sind, in etwa so viele wie im Vergleichszeitraum der Vorjahre.
Etwa zwei Drittel der Toten dürften an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und an Krebs gestorben sein. Weniger als 1,5 Prozent der Todesfälle wurden positiv auf das Coronavirus getestet und gelten damit als "Corona-Tote".
Auf individueller Ebene ist jeder Todesfall schmerzlich und für die Angehörigen in der Regel schwer zu verkraften. Nur war eben aufgrund der in der Krise getroffenen politischen Entscheidungen nicht nur der COVID-19-Tod einsam. Wer im Altersheim, im Pflegeheim oder im Krankenhaus starb, und das dürfte die übergroße Mehrheit der Moribunden gewesen sein, trat seinen letzten Gang an, ohne seine Lieben bei sich zu haben. Auch diese Toten und ihre Angehörigen verdienen die Anteilnahme der Allgemeinheit.
Dem Bundespräsidenten geht es bei seinem Vorschlag offenkundig weniger um die Angehörigen der "Corona-Toten" als darum, die von dem Virus ausgehende Gefahr noch einmal zu betonen und die Maßnahmen der Regierung noch einmal zu rechtfertigen. Ehrlicher wäre es, man würde sich endlich um eine Gesamtbilanz dieser Maßnahmen bemühen, deren Schäden den behaupteten Nutzen weit übersteigen dürften.
Was Steinmeier von den Kritikern der Corona-Maßnahmen hält, war bereits vor über einer Woche zu beobachten, als er die zahlreichen friedlichen Demonstranten in Berlin für den angeblichen "Sturm auf den Reichstag" durch eine kleine Gruppe von Extremisten und Spinnern in Mithaftung nahm:
Wer sich über die Corona-Maßnahmen ärgert oder ihre Notwendigkeit anzweifelt, kann und darf dagegen demonstrieren. Mein Verständnis endet aber dort, wo Demonstranten sich vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen lassen.
Wie praktisch, über die inhaltlichen Anliegen der Demonstranten brauchte der Bundespräsident auf diese Weise kein Wort zu verlieren.
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