von Alexander Sosnowski, Chefredakteur von World Economy
Nach Angela Merkels Aussage, der Blogger sei vergiftet worden und dass sich "der Arm Moskaus" dahinter vermuten lässt, ergossen sich die Forderungen von hochrangigen deutschen Politikern nach der Schließung des Nord-Stream-2-Projekts wie aus dem Füllhorn. Es ist wohl das erste Mal in der zeitgenössischen Geschichte, dass deutsche Politiker sich dermaßen selbst ins Knie schießen – und Maßnahmen zum Schaden des eigenen Landes ergreifen wollen.
Die Geschwindigkeit, mit der sie das tun, ist überraschend und berührend zugleich. Man könnte denken, weder die Kanzlerin noch ihr Gefolge wären an der genauen Diagnose der Erkrankung des russischen Bloggers interessiert. Wichtig ist, eine Erklärung über die Schuld Moskaus an der angeblichen Vergiftung abzugeben und den Bau von Nord Stream 2 zum Stillstand zu bringen. Ob es wohl daran liegt, dass der Druck, den Washington in dieser Frage ausübt, alle diplomatischen Regeln sprengt?
"Staatliche Mordaufträge gehörten zum Auftragsprofil bestimmter Dienste im Osten. Man mag sich das nicht vorstellen: Aber wir sind da wieder angekommen", sagte der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, Armin Schuster (CDU), dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Es ist angebracht zu fragen, über welche toxikologischen oder kriminologischen Kenntnisse ein Politiker wie Schuster wohl verfügt, dass er eine solche Aussage treffen kann, obwohl sie seine professionellen Fähigkeiten bei weitem übersteigt.
Niemand hat bis jetzt die Ergebnisse der Analysen des "Vergifteten" zu Gesicht bekommen, niemand weiß, wo sich Nawalny, der auf persönliche Einladung der Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Deutschland gebracht wurde, jetzt befindet.
Man erinnere sich daran, dass der Blogger Alexei Nawalny sich auf dem Weg nach Tomsk (Russland) an Bord des Flugzeugs unwohl gefühlt und das Bewusstsein verloren hat. Nach einer Untersuchung stellten russische Ärzte eine schwere Stoffwechselstörung fest. Angela Merkel bot an, ihn nach Deutschland in die Charité zu bringen, wo seine Behandlung fortgesetzt werden sollte. Nawalny wurde in einem Privatflugzeug nach Berlin gebracht, und innerhalb weniger Stunden machten erste absurde Versionen die Runde, dass er mit einem Nervengift wie Nowitschok vergiftet wurde.
Kaum war diese "Nachricht" erschienen, schrieb der bekannte Grünen-Politiker Cem Özdemir eine kurze Kolumne in der Bild. Was er darin über Nawalny schreibt, spielt keine Rolle, denn besonders wichtig war ihm die Forderung, dass Nord Stream 2 gestoppt werden muss.
Ist es nicht seltsam, dass es ein Vertreter der Grünen ist, der den Stopp eines für Deutschland wichtigen kommerziellen Projektes fordert? Schließlich sind es grade die Grünen, die daran interessiert sind, ihre eigenen Projekte in Bezug auf Klima, Windenergie, Sonnenenergie und anderes voranzutreiben. Sobald man also Grünen-Politiker hört, die die Gasversorgung Deutschlands und des restlichen Europas stoppen wollen, dann kann man sich sicher sein, dass sie dabei nur ihre eigenen Interessen bedienen. Und schon gar nicht interessieren sie die Belange der Bevölkerung, die in diesem Fall ohne Heizwärme auskommen müsste.
Nicht alle deutschen Politiker sind bereit, so schnell auf Anschuldigungen zu reagieren, die übrigens bis jetzt von niemandem bewiesen werden konnten. Wolfgang Kubicki von der FDP äußerte sich beispielsweise ganz offen. Er äußerte Zweifel daran, dass Moskau den Blogger vergiften und damit das milliardenschwere Nord-Stream-2-Projekt riskieren würde. "Das wäre wie ein Sandkorn gegen einen Elefanten", sagte Kubicki.
"Wir sind besorgt darüber, wie dieses Verbrechen passiert ist", sagte der oben bereits erwähnte Armin Schuster. Woher hat er das mit dem "Verbrechen"?
Es gibt kein Strafverfahren, es gibt keine Erklärung der Staatsanwaltschaft, es gibt keine Erklärung der Ärzte der Charité. Und trotzdem beschuldigt Schuster Russland unbeirrt eines Verbrechens. Es wäre wohl angebracht, ihn daran zu erinnern, dass gerade einige Stunden vor der oben erwähnten Rede von Angela Merkel Vertreter der Staatsanwaltschaft sagten, dass es keine besonderen Umstände gebe, um die Frage von Nawalny in einem separaten Fall zu behandeln.
"Diese Methoden erinnern mich an das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und den sowjetischen KGB", sagt Schuster weiter. Vielleicht weiß der Herr Schuster das ja besser, er ist wahrscheinlich mit den Arbeitsmethoden der Stasi gut vertraut. Da möchte man doch fragen – woher eigentlich?
Währenddessen übertrifft sich Cem Özdemir mit der faktischen "Lobbyierung" der grünen Interessen selbst. Anders kann man seine Verlautbarungen zum Fall Nawalny gar nicht nennen – es ist ein offensichtlicher Versuch, die Nord Stream 2 zugunsten der eigenen politischen Interessen zu torpedieren. Er sagt, wir unterscheiden nicht zwischen dem Putin, der uns das Gas verkauft und dem Putin, der die Opposition vergiften lässt. Soll das eine Aussage von einem deutschen Politiker sein? Oder doch nur eines Menschen, der eine Bild-Kolumne zum Besten gibt? Eher sind es jedoch die letzten und viel zu voreiligen Schlüsse eines grünen Abgeordneten, die jedoch einen Schaden am eigenen Land anrichten. Das sollte man immer im Hinterkopf haben, wenn man sich deren Anschuldigungen und Forderungen nach dem Stopp der Nord Stream 2 anhört.
Die vielleicht nüchternste Einschätzung der Situation kam vom brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke. Während er Russland für etwaige Aktionen verurteilte, betonte er dennoch, dass man nicht am Ast sägen sollte, auf dem man grade sitzt.
Übrigens, wo wir gerade von diesem Ast sprechen. Angela Merkel hat den Blogger Nawalny eingeladen, der kein Staatsmann, Diplomat oder Vertreter einer anderen Regierungsebene ist. Darüber hinaus wird in Russland gegen Alexei Nawalny ermittelt, und er wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Wenn die deutsche Bundeskanzlerin ihn als einen Staatsmann eingeladen hat, wäre es interessant, die Gründe dafür zu erfahren. Wenn Angela Merkel ihn zur Behandlung als Privatperson eingeladen hat, dann ist die Frage berechtigt, wer die Kosten dafür übernimmt, die sich auf hunderttausende Euro belaufen könnten.
Wahrscheinlich hat die Kanzlerin ihre Gründe für solche Aktionen, allerdings hat die Gesellschaft auch das Recht, detaillierte Erklärungen zum Fall Nawalny zu erhalten. Wer hat ihn ins Land eingeladen, wer trägt die Kosten für diesen Transport und seine Behandlung? Warum wurde ihm staatlicher Schutz gewährt? Wo versteckt er sich all die Tage nach seiner Einreise nach Deutschland? Was ist der Grund für solch harte Sicherheitsmaßnahmen – wer könnte Nawalny in Deutschland gefährlich werden?
Es sind genau diese Fragen, die für die Bürger, für die Zivilgesellschaft in Deutschland von besonderer Bedeutung sind und keine Allgemeinplätze von Politikern, die den Stopp eines notwendigen, wichtigen und verantwortungsvollen Projekts fordern.
RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Mehr zum Thema - Nowitschok – Rückkehr eines Phantoms