von Wladislaw Sankin
Die schwere politische Krise in Weißrussland ist in Deutschland schnell zu einer innenpolitischen Frage geworden. Mutmaßliche Wahlfälschung und Polizeigewalt sind willkommener Anlass nicht nur für die Regierung, sondern für alle Bundesparteien, Zeichen zu setzen und womöglich auch politisches Kapital daraus zu schlagen. Während die Bundesregierung die Gewalt scharf verurteilte und Sanktionen gegen die "Verantwortlichen" im osteuropäischen Land ins Spiel brachte, wetteifern auch die übrigen Parteien um eine "angemessene" Reaktion.
Einer der Gründe dafür sind die Annäherungsversuche zwischen SPD und Linkspartei. Als am 9. August die Wahlberechtigten in Weißrussland noch vor den Wahllokalen Schlangen standen, ging durch die deutschen Medien die Nachricht, dass das SPD-Vorstandsduo einer Bündnisoption mit den Linken offen gegenüberstehe. Linken-Parteichefin Katja Kipping brachte ihrerseits bereits Anfang des letzten Jahres die Bereitschaft zum Ausdruck, ein Bündnis mit SPD und Grünen zu schließen.
In den folgenden Tagen gab der eher konservative SPD-Finanzminister Olaf Scholz seine Kanzlerkandidatur bekannt. Scholz ist für seine Abneigung gegen die Linke bekannt. "Ich mag die Linke nicht", betitelte die Bild am Dienstag das jüngste Interview mit Scholz. Über den weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko sagte er kürzlich, dieser sei "ein schlimmer Diktator", habe "jede Legitimation verloren" und müsse abtreten.
Aber zurück zur vorigen Woche. Als die Polizei in Weißrussland noch dabei war, sowohl friedliche als auch gewalttätige Proteste zu zerschlagen, meldete sich der Vizevorsitzende der Linksfraktion im Bundestag Andrej Hunko mit Kritik an möglichen Sanktionen zu Wort. Im Gegenzug legte er selbst einen Regulierungsplan vor und skizzierte mögliche Szenarien der politischen Entwicklung im Land. "Diplomatie statt Sanktionen gegen Belarus", schrieb der europapolitische Sprecher der Partei und schlug OSZE und Europarat als "ost-west-übergreifende Institutionen" als Vermittler in der Krise vor.
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Hunko kennt sich aus mit Krisengebieten und Wahlsituationen, er war nach eigenen Angaben bei mehr als 20 Wahlen als Wahlbeobachter tätig. Regelmäßig bricht er auch die Regeln der "Kontaktschuld", was ihm bei seinen Gegnern das Image des "Putinverstehers" und "Diktatoren-Freundes" einbrachte. Auch diesmal wurde er schwer angegriffen, vor allem in der Springer-Presse. Sein Herz sei "wie ein leerer Kühlschrank", schrieb die Welt, ihm seien Menschenrechte egal. Die logische Konsequenz: Die Linke sei nicht regierungsfähig.
Hunko wehrte sich: "Meine Sympathie und Solidarität gehört natürlich klar den Menschen in Belarus, die um eine demokratische Zukunft des Landes kämpfen", schrieb er in einer weiteren Mitteilung und wies darauf hin, dass auch Mitglieder einer Partnerpartei der Linken in Weißrussland von der Polizei festgenommen worden seien.
Ende der Woche, als das weißrussische Innenministerium die Sicherheitskräfte von den Straßen zurückzog und Hunderte Festgenommene freiließ, kamen zahlreiche Meldungen über schwere Misshandlungen und Folter durch Sondereinheiten der Polizei auf. Für die Partei war das offenbar der letzte Tropfen gewesen.
Der Bundesgeschäftsführer der Linken, Jörg Schindler, hatte am Freitag erklärt, die "erschütternden Berichte über Wahlfälschung, Gewalt und Folter in Belarus" erforderten "eine entschiedene und koordinierte Antwort der europäischen Staaten". Die Bundesregierung müsse "alle diplomatischen Mittel ausschöpfen". Zudem müsse "die politische Verfolgung von Regimegegnern in Belarus in Deutschland und Europa als Asylgrund anerkannt werden". Am nächsten Tag sprach sich der Vorstand der Linken für Sanktionen aus.
Die für die Repression Zuständigen müssen zur Verantwortung gezogen werden, auch mit individuellen Sanktionen, die sich aber nur direkt gegen sie richten sollen und nicht gegen die ganze Bevölkerung", heißt es in dem Beschluss der Parteispitze.
Brachen die Linken damit ein eigenes politisches Tabu? Denn sie lehnen Sanktionen als Mittel der Politik eigentlich grundsätzlich ab. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch musste sich erklären. Es sei "relativ klare Haltung" seiner Partei, dass diese zu nichts führten und "immer die Falschen" träfen, sagte er noch am selben Tag im Deutschlandfunk. Im Hinblick auf Weißrussland hieß es dennoch:
In dieser Situation kann das als politisches Symbol Sinn machen.
Den Vorschlag Hunkos, OSZE und Europarat zusammen mit der Opposition zu den Verhandlungen mit Lukaschenko hinzuzuziehen, übernahm der Vorstand. Doch musste Hunko selbst in der Sanktionsfrage einlenken? In den Medien war von einem Beschluss des 44-köpfigen Gremiums die Rede.
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Im Gespräch mit RT Deutsch sagte der Abgeordnete, dass es durchaus Leute im Vorstand gab, die mit ihm dagegen stimmten. Insgesamt habe weniger als die Hälfte der Vorstandsmitglieder an der Videokonferenz teilgenommen. Hinsichtlich der Sanktionen will Hunko differenzieren. Der Begriff der Sanktionen sei im Deutschen unscharf und schließe sehr viele Maßnahmen ein. Individuelle Strafmaßnahmen wie Kontosperrungen und Einreiseverbote gegen Einzelpersonen seien ganz anders zu bewerten als großer Druck durch Sanktionen, der breite Schichten der Bevölkerung trifft. Dennoch:
Ich bin dagegen, ich möchte nicht, dass EU sich als Gericht aufführt. Sanktionen verhängen kann nur die UNO.
Trotz solcher Stimmen schwenkt die Linke auf die Linie von EU und Bundesregierung ein und befürwortet Sanktionen. Was für die Linke geradezu ein Tabubruch war, ist für die EU eine eher "moderate" Lösung – um Lukaschenko nicht womöglich mit allzu großem Druck in "Putins Arme zu treiben". Damit folgt die Partei, die eigentlich für eine unteilbare Sicherheitsarchitektur in Europa eintritt, der auf Konfrontation basierenden geopolitischen Logik – um ihre Regierungsfähigkeit zu beweisen. Dabei gleicht auch die offizielle Rhetorik jener von Grünen oder SPD – auch wenn es hinter vorgehaltener Hand anders klingt.
Politikern wie Hunko ist durchaus bewusst, welche geopolitische Brisanz die innenpolitische Krise in Weißrussland hat. "Ich sehe die Gefahr der geopolitischen Überlagerung. Der Westen hat durchaus ein Interesse daran, dass Russland durch die Destabilisierung Weißrusslands geschwächt wird. Und aus russischer Sicht ist es undenkbar, dass sich Belarus in Richtung NATO bewegt. Andererseits hat Putin auch kein Interesse, in den Strudel von Lukaschenko zu geraten", sagt Hunko. In seiner Pressemitteilung nennt er Lukaschenko "Machthaber".
Angesichts der mutmaßlichen massiven Wahlfälschungen und Polizeibrutalität der ersten Tage nach den Wahlen fällt das aber nicht mehr so schwer. Aber das Gebot der Nichteinmischung brach die Linke mit ihrem Vorstoß trotzdem. Und welchen Menschen will die Partei Asyl gewähren? Sind sie auch für die Linken politisch vertretbar? Sind sie wenigstens für einen Sozialstaat in ihrem Land, oder sind sie etwa Nationalisten? Die jetzige Opposition, die die Straßenproteste für sich beansprucht, setzt klar auf im Land bislang marginale prowestliche nationalistische Kräfte, die den Bruch mit Russland anstreben und bei Belarussen eine nationale Gesinnung wecken wollen. Wirtschaftspolitisch setzen sie auf radikale liberale Reformen und Privatisierung der staatlichen Industrieunternehmen.
Lukaschenko, der das Land seit 26 Jahren mit harter Hand regiert, ist trotz seiner autoritäreren Methoden schwer in eine politische Schublade zu stecken. Er ist stolz darauf, dass er die Industrie des Landes vor großem Ausverkauf und Zerschlagung bewahrt hat, das Land baute sogar eine eigene IT-Sparte auf. Außenpolitisch balanciert er geschickt zwischen dem Westen und Russland, was aber vor allem Russland nervös macht. Hunko bezeichnet Weißrussland als "einen autoritären Sozialstaat".
Nun droht Lukaschenko sein Sturz. Die Protestmethodik und die Zerrüttung seines Systems – mit massiver Unterstützung von außen – erinnern an den ukrainischen Maidan der Jahre 2013/2014 und den anschließenden Staatsstreich – mit schwerwiegenden Folgen für Wirtschaft, Demokratie, inneren Frieden und europäische Sicherheit. Das Abkommen zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch und der Opposition unter Vermittlung von Frank-Walter Steinmeier und zwei weiteren EU-Außenministern brachen die bewaffneten Aufständischen schon nach wenigen Stunden.
Die Fähigkeit, solche Parallelen zu erkennen und darüber zu sprechen, gehörte lange zum außenpolitischen Profil der Linkspartei. Nun will sie in die Regierung. Wie viel bleibt dann noch von den Kernkompetenzen der Partei übrig? Die Krise in Weißrussland wird das zeigen.
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