von Dr. Karin Kneissl
Ob in Syrien oder im Libanon, vor allem aber im Iran: Peking mischt im Nahen Osten mit
Der Turbo der chinesischen Außenpolitik in der Kombination aus Rohstoffimporten und strategischer Partnerschaft bahnt sich seinen Weg durch den Nahen Osten. Die Devise Pekings lautet: "Wir verstehen uns mit allen gut." Egal ob es sich um das wahhabitische Königreich Saudi-Arabien, die Islamische Republik Iran, Israel oder krisengerüttelte Länder wie Syrien und den Libanon handelt – mit allen unterhält China enge Handelsbeziehungen. Zudem ergreift die chinesische Diplomatie ihre Initiativen diskret und setzt neben viel Geld für Infrastruktur auf "soft power".
Die China-Connection gefällt dem sonst so argwöhnischen Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah ebenso wie Stipendiaten aus Ägypten. Chinesische Arbeiter arbeiten sechs Tage in der Woche auf den Erdgasfeldern und beim Straßenbau, in ihrer Freizeit führen sie diverse Geschäfte und Bars. Diese Art Durchdringung der Gastgeberländer trifft nicht immer auf Wohlwollen.
Zeitgleich will China weder die USA noch Russland, die in der Region historisch präsent sind, verprellen. Wenn also Washington den Import von iranischem Erdöl untersagt, dann hält sich China daran. Offenbar will man die Interessen chinesischer Unternehmen auf dem US-Markt nicht gefährden. Der Fall Huawei wirft seine Schatten, denn der Vorwurf aus den USA gegen das Management bezieht sich auf Geschäfte mit dem Iran. Wenn es um Syrien und Libyen geht, agieren die russische und chinesische Diplomatie im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen oft im Einklang.
Die Region ist ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt für die Belt and Road Initiative (BRI), die neue chinesische Seidenstraße und den dazu gehörigen Seeweg. Die chinesische Scheckbuchdiplomatie dominiert, wie sie auch Deutschland gerne praktiziert. Doch viele der von China vergebenen Kredite lassen die Partner in Schuldenfallen tappen. Das gilt auch für europäische Staaten wie Montenegro und Serbien. Das militärische Engagement Chinas konzentriert sich noch auf den Ausbau von Militärbasen. Ob chinesische Streitkräfte im Falle eines Konflikts die von China errichteten Projekte auch tatsächlich verteidigen, wird sich zum gegebenen Zeitpunkt erweisen.
Wo westliche Investoren abziehen, rücken chinesische Staatskonzerne nach
Mit dem Austritt der USA aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran im Mai 2018 stieg der Druck der USA auf europäische Unternehmen, die bereits mit der Umsetzung von Großverträgen begonnen hatten. So zum Beispiel in der Automobilindustrie und im Energiesektor. Binnen Tagen rückten chinesische Staatskonzerne nach. Hatten die USA mit ihren militärischen Invasionen in den vergangenen Jahrzehnten den Aufstieg des Irans zur einflussreichen Regionalmacht ermöglicht, so erweitern sie aktuell den chinesischen Radius, da europäische Konzerne so mancher Sanktionsdrohung weichen.
Nun plant Peking ein neues Kapitel anhand eines umfassenden Kooperationsabkommens mit dem Titel "25 Jahre Programm für die Zusammenarbeit zwischen Iran und China". Es geht um 400 Milliarden US-Dollar, die China in den Ausbau von Straßen, Bahnlinien und Häfen investieren will. Der seit Jahren isolierte Iran sieht im chinesischen Angebot einen Rettungsanker, vielleicht auch mit Blick auf alternative Zahlungssysteme jenseits des vom US-Dollar dominierten Finanzmarkts. Die EU hatte solches geplant, aber nicht realisiert. Iranischen Basare werden schon lange von chinesischer Massenware überschwemmt.
Diese wachsende chinesische Präsenz sehen viele Iraner mit Argwohn. Seltsame Gerüchte köcheln, wonach chinesische Soldaten die Straße von Hormus kontrollieren wollen. Auf meinen Reisen durch den Iran beobachtete ich über die Jahre hinweg großen Unmut über den chinesischen Einfluss. Der Iran ist nach China der zweitälteste Nationalstaat in der Geschichte. Vorschreiben lassen sich iranische Regierungen wenig, auch wenn sie in einem absoluten finanziellen Dilemma stecken.
Auf der anderen Seite des Persischen Golfes befindet sich mit Saudi-Arabien ein wichtiger Erdöllieferant Chinas. Bis zu Beginn der 1990er-Jahre bestanden zwischen der saudischen Theokratie und der kommunistischen Volksrepublik keine diplomatischen Beziehungen. Dann ging es aber Schlag auf Schlag. Riad und Peking betreiben intensive Besuchsdiplomatie, das Handelsvolumen vergrößert sich infolge starker Erdölexporte und chinesischer Güter.
Auch hier gelingt es China im großen Stil, eine Balance zwischen den sunnitischen Saudis und den schiitischen Iranern zu halten. Für konfessionelle Details und innerislamische Dispute interessiert man sich im Politbüro der Kommunistischen Partei ohnehin nicht. Dieser unbelastete Zugang kann sich als vorteilhaft erweisen. Dennoch stellte ich in Gesprächen mit chinesischen Entscheidungsträgern fest, dass sie Gefahr laufen könnten, sich im Dickicht der Religionen im Nahen Osten zu verirren. Ein solcher Mikrokosmos ist der Libanon.
Peking hat großes Interesse an der Levante
Mit seinen knapp 10.000 Quadratkilometern Fläche und 18 Religionsgruppen versinkt der Libanon erneut im Chaos. Doch niemand scheint dies zu kümmern. War es in den 1970er-Jahren die "palästinensische Sache", die Kämpfer aus allen Ecken der Welt anzog, so tragen nun Regionalmächte wie Saudi-Arabien und der Iran Rivalitäten über ihre Beiruter Günstlinge aus. Der Stellvertreterkrieg in Syrien geht de facto zu Ende, doch die tägliche Gewalt hört deswegen nicht auf. China mischt mit, ob im Scheinwerferlicht mit humanitärer Hilfe oder diskret hinter den politischen Kulissen.
Der Raum des östlichen Mittelmeers, poetisch die Levante genannt, ist für China nützlich. So bilden die Häfen von Beirut, Tripolis und Latakia wichtige Stationen für die Belt and Road Initiative. Hier geht es zudem nicht nur um Geschäftsanbahnung, sondern um handfeste geopolitische Dimensionen. Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping sprach Anfang 2017 von einer "Globalisierung unter chinesischen Vorzeichen". In einen Containerhafen im völlig verarmten Nordlibanon zu investieren, ist schlau, baut man damit doch eine Alternative zum Suezkanal. Das hätten auch die EU-Staaten machen können – taten es aber nicht.
China schafft den vielen arbeitslosen Männern Perspektiven, während die Bevölkerung zwischen Islamisten und Flüchtlingsmisere aufgerieben wird. Es ist damit auch eine zusätzliche Route der Seidenstraße in die Levante entstanden, die jene durch die Türkei ergänzt. Was China aber unterschätzt, ist die Komplexität der ethnischen und konfessionellen Konflikte. Gerade hier prallen sunnitische IS-Anhänger und schiitische Radikale aufeinander. Mit religiösen Slogans haben die Chinesen zu keinem Zeitpunkt ihrer Geschichte etwas anfangen können. Ihr Zugang ist ein pragmatischer: Geld verdienen, Einfluss vermehren.
China genießt Ansehen
Vor bald 15 Jahren haben sich die Konfuzius-Institute, eine praktische Variante der chinesischen Auslandskultur, an den libanesischen Universitäten niedergelassen. Ich unterrichtete damals an der von Jesuiten gegründeten USJ in Beirut und beobachtete mit Staunen die akademischen Aktivitäten Chinas. Es waren einst auch Jesuiten, die den Kulturaustausch mit dem Reich der Mitte begannen. Das Ansehen Chinas steigt in politischen Kreisen wie auch in der öffentlichen Meinung. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah empfahl öffentlich, sein Land möge sich doch Peking zuwenden. Das Schicksal der muslimischen Uiguren in Westchina, das die USA und die Türkei stark bewegt, kümmert die schiitischen Revolutionäre offenbar weniger.
Ob chinesische Energiekonzerne, die heute zu den weltweit größten zählen, bei der Erdgas-Exploration in der Region mitwirken, ist noch kein Thema. China kann aber den Libanon bei der Reorganisation der Stromversorgung unterstützen. Versunken in Korruption und Vetternwirtschaft muss eine Zäsur erfolgen. Die Bevölkerung protestiert seit Monaten gegen die politische Klasse, denn die soziale Frage schlägt mit aller Wucht durch. Wiederkehrende Stromausfälle zermürben die Menschen und die Pandemie verschärft dies alles. China greift hier großzügig mit dem Scheckbuch ein. Gleich am 21. Februar, als der erste Corona-Fall im Libanon bekannt wurde, begann Peking mit seiner "Maskendiplomatie". Während man in manchen Teilen Europas China nunmehr als "systemischen Rivalen" begreift, setzen der Libanon und Syrien auf chinesische Partner. Das ist nachvollziehbar.
Den totalen Kollaps in Syrien verhindern
Ohne stete chinesische Zuwendung hätte die syrische Regierung die Jahre des Krieges kaum überstanden, denn die Gehälter von Lehrern, Beamten und anderer Staatsdiener mussten bezahlt werden. Die Wiederaufbaukonferenzen, die Damaskus regelmäßig ausrichtet, werden gerne von asiatischen Unternehmen besucht. Wiederaufbau erfolgt überall dort, wo die syrische Regierung dank russischer Militärintervention die Kontrolle über Staatsgebiet zurückerlangt hat. Bereits im Jahr 2017 investierte Peking zwei Milliarden US-Dollar in einen Industriepark, der Telekommunikationskonzern Huawei erneuert in Syrien Telefonie und Internet.
Syriens Präsident Baschar al-Assad erklärte in einem Interview Mitte Dezember 2019 die vielen Möglichkeiten für wirtschaftliche Partnerschaften mit China. Nur westliche Nachrichtendienste, nicht aber die Außenministerien der EU-Staaten, interessieren sich seit dem Jahr 2014 zunehmend für Syrien, um Informationen über IS-Rückkehrer einzuholen. Das machen die chinesischen Dienste ebenso, aber parallel mischt China wirtschaftlich und diplomatisch mit. Der Nahe Osten könnte für Europa langfristig in die Ferne rücken.
Dr. Karin Kneissl, ehemalige österreichische Außenministerin, ist Energie-Analystin und Autorin mehrerer Bücher.
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