von Andreas Richter
Im Zuge der sogenannten Black-Lives-Matter-Proteste gaben die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in der vergangenen Woche bekannt, den U-Bahnhof Mohrenstraße umzubenennen:
Aus Verständnis und Respekt für die teils kontroverse Debatte um den Straßennamen hat die BVG sich nun entschieden, ihn nicht weiter für die Benennung des U-Bahnhofs zu verwenden. Als weltoffenes Unternehmen und einer der größten Arbeitgeber der Hauptstadt lehnt die BVG jegliche Form von Rassismus oder sonstiger Diskriminierung ab.
Der Bahnhof sollte stattdessen den Namen der angrenzenden Glinkastraße tragen, die nach dem russischen Komponisten Michail Iwanowitsch Glinka benannt ist. Doch auch daran gab es Kritik. Vom Springer-Blatt Bild hieß es schnell:
Berliner U-Bahnhof soll nach Antisemiten benannt werden.
"Fürst Cholmski", eines von Glinkas berühmtesten Werken, sei antisemitisch, weil es von einer jüdischen Verschwörung handle, so Bild nach einer offensichtlich oberflächlichen Betrachtung des Werks. Immerhin, der Senat hat diese Umbenennungsfarce erst einmal gestoppt. Doch die Debatte geht weiter.
Es könnten doch noch viel mehr Namen Berliner Bahnhöfe getilgt werden. Etwas weiter westlich liegt ebenfalls auf der U2 der Bahnhof Bismarckstraße. Hatte Bismarck nicht einst gesagt: "Haut die Polen!"?
Dann, eine Station nördlich auf der U7, der Bahnhof Richard-Wagner-Platz, benannt nach dem Lieblingskomponisten mehrerer deutscher Politiker. War der nicht wirklich Antisemit? Dann weiter östlich auf dieser Linie, die Bahnhöfe Kleistpark, Yorckstraße und Gneisenaustraße: Hatten die anno dazumal nicht alle böse Sachen über die Franzosen gesagt?
Dann, am Übergang zur U8: der Hermannplatz. Hermann der Cherusker, in der DDR-Geschichtsschreibung Arminius, – hatte der seinerzeit nicht die Römer, äh, diskriminiert? Also die Vorfahren der Latinos? Und diskriminiert ein Name wie Stadtmitte nicht die weitläufige Peripherie der Hauptstadt?
Viel zu tun für die politisch Korrekten. Doch nicht einmal der Rückzug auf so vermeintlich unverfängliche Bahnhofsnamen wie Taka-Tuka-Land bietet einen Ausweg. Schließlich machte die Autorin den Vater ihrer Pippi Langstrumpf zum "Negerkönig" und sah auch der militärischen Niederlage Nazi-Deutschlands 1945 mit Bangen entgegen.
Die ganze Debatte um angeblich nicht mehr tragbare Namen für Straßen und Bahnhöfe ist so sinnlos wie sinnbildlich für unsere Zeit. Historische Namen und Persönlichkeiten streng nach aktuellen Kriterien zu beurteilen, ist an sich schon geschichtsvergessen. Zu glauben, das Ändern von Namen oder das Stürzen von Denkmälern ändere etwas an den beklagenswerten Zuständen der Gegenwart, ist gelinde gesagt naiv.
Dass eine derartige Debatte ernsthaft geführt wird, zeigt zum einen, wie es um die Bildung auch derer steht, die sich für die Gebildeten halten. Zum anderen ist der Vorgang ein Beleg dafür, wie losgelöst die politischen Debatten der Gegenwart von der Realität sind.
Denn Eines sollte doch jedem klar sein: Die Ungerechtigkeiten der Gegenwart, auf nationaler Ebene wie auf internationaler, gehen nicht auf irgendwelche menschenfeindlichen Vorstellungen in den Köpfen der Menschen zurück, sondern auf den fortgesetzten Kampf der Mächtigen gegen ihre Untertanen, bei dem es um Kontrolle, Ausbeutung und Knechtschaft geht. Dass diese Auseinandersetzung unter dem Banner der Menschenfreundlichkeit geführt wird, – für Vielfalt, für das Klima, gegen Diskriminierung et cetera – macht sie nicht weniger real und grausam.
Symptome dieses Kampfes sind wachsende Armut, die Verwahrlosung des öffentlichen Raums, Unsicherheit, die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge mit ihren Folgen, Krieg, Terror, wirtschaftliche Abhängigkeit, Zerstörung von Lebensraum, Migration. Die Wirklichkeit spricht den ständig proklamierten humanistischen Idealen Hohn. Wer diese größeren Zusammenhänge nicht erkennen will und meint, mit der Umbenennung von Bahnhöfen die Welt zu verbessern, geht den bunten Kulissen der Mächtigen auf den Leim und betreibt letztlich deren Spiel.
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