von Richard McColl
Während Venezuelas Präsident Nicolás Maduro durch das jüngste Gerichtsurteil in Großbritannien gepiesackt wurde, genießt er zu Hause eine Position der Stärke. Der selbsternannte Interimspräsident Juan Guaidó verliert unterdessen weiter an Unterstützung in der Bevölkerung. Nur noch 20 Prozent der befragten Venezolaner glauben, dass ein Regierungswechsel möglich ist. Vor 14 Monaten glaubten dies noch 63 Prozent.
Hinzu kommt, dass der US-Söldner Jordan Goudreau, der den gescheiterten Putschversuch gegen Maduro organisierte, zugegeben hat, dass der Vertrag für die militärische Intervention von zwei Guaidó-Verbündeten unterzeichnet wurde. Was nahelegt, dass Guaidó selbst etwas von dem Plan gewusst hatte.
Präsident Donald Trump mag zwar trotz des Bedeutungsverlusts des venezolanischen Politikers immer noch öffentlich hinter Guaidó stehen. Doch die US-Außenpolitik unter Trump war und ist unstet. Gegenwärtig beschäftigt er sich zudem mehr mit Problemen im eigenen Land und den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im November.
Blockierte Goldreserven
Die venezolanische Regierung hatte die Herausgabe von rund einer Milliarde US-Dollar ihrer derzeit von der Bank of England gehaltenen Goldreserven gefordert. Ein Richter des Londoner High Court entschied jedoch am vergangenen Donnerstag, dass die Maduro unterstützende venezolanische Zentralbank nicht berechtigt sei, den Antrag auf die Herausgabe des Goldes zu stellen, da die britische Regierung Juan Guaidó – und nicht Präsident Maduro – als legitimes Staatsoberhaupt Venezuelas anerkenne.
Nach der Ankündigung des Richters kommunizierte Juan Guaidó, von dem angenommen wird, dass er sich in eine ausländische Botschaft in Caracas geflüchtet hat, über Twitter:
Wir haben die Goldreserven vor den Klauen der Diktatur geschützt. Wir erhielten Anerkennung von den Gerichten in England. Unsere Reserven werden als solche und in England zu ihrem Schutz, dem Gerichtsverfahren und ihrer Integrität verbleiben. Gold vor Plünderungen durch das Regime geschützt!
Guaidó wird von fast 60 Ländern als der verfassungsmäßige Interimspräsident Venezuelas anerkannt.
Sarosh Zaiwalla, ein Anwalt für die venezolanischen Zentralbank, erklärte umgehend, dass seine Klienten Berufung einlegen und das Gerichtsurteil anfechten werden, weil es "die Realität der Situation vor Ort völlig ignoriert".
Iranische Tanker und Wahlen im Dezember
Anlass zu weiterem Kopfzerbrechen für Präsident Maduro ergibt sich daraus, dass Staatsanwälte des US-Justizministeriums ebenfalls am vergangenen Donnerstag eine Anordnung zur Beschlagnahme von vier iranischen Öltankern erließen, die auf dem Weg nach Venezuela sind.
Die geplante US-Intervention gegen die Öltanker und die britische Entscheidung über venezolanisches Gold scheinen eine Verstärkung der Bemühungen um den Sturz von Maduro zu bedeuten. Dieser bleibt jedoch fest auf seinem Platz, zudem angesichts der für Anfang Dezember angesetzten verfassungsgemäßen Wahlen, aus denen er nach allgemeiner Erwartung als Sieger hervorgehen wird.
Guaidó und die Opposition haben erklärt, dass sie die Wahlen im Dezember boykottieren werden. Doch obwohl dies in internationalen und diplomatischen Kreisen kurzfristig Auswirkungen haben könnte, haben sein Ansehen und seine Autorität seit dem gescheiterten internationalen Versuch, Maduro im März 2019 zu stürzen, deutlich abgenommen.
Es scheint keine langfristigen Optionen für die venezolanische Opposition zu geben. Denn wenn Trump die US-Präsidentschaftswahlen im November verliert, wird Guaidó einen neuen Präsidenten davon überzeugen müssen, dass er die vereinigende Kraft sein kann, um Veränderungen herbeizuführen. Was ihm über einen längeren Zeitraum allerdings nicht gelungen ist. Wenn Trump die Wahl gewinnt, werden seine unberechenbaren außenpolitischen Entscheidungen und seine schwankende Unterstützung jedoch wahrscheinlich nur dazu beitragen, dessen Vertrauen in Guaidó zu verringern.
Die lähmenden US-Handelssanktionen schaden weiterhin der leidgeprüften venezolanischen Öffentlichkeit, indem sie ihr lebenswichtige Medikamente und Nahrungsmittel vorenthalten. Sie haben sich allerdings als unwirksam erwiesen, um Maduro aus dem Präsidentenamt zu drängen.
Unter Trump werden diese Sanktionen wahrscheinlich zunehmen, da er versucht, Maduro zu destabilisieren. Doch die iranischen Tanker werden weiterhin Venezuela erreichen, genau wie im Mai, da die Reedereien cleverer agieren. Was das Gold anbelangt, so wird es in Großbritannien verbleiben. Sollte Guaidó allerdings sein politisches Ansehen verlieren und als Oppositionsführer zurücktreten, wird Maduro als unangefochtener Präsident in einer rechtlichen Position sein, von der aus er die Herausgabe der Goldreserven beanspruchen kann.
Machtlose Opposition
Da die Opposition offenbar nicht in der Lage ist, eine Regierung unter Juan Guaidó zu bilden oder sich mit ihrer vollen und bedingungslosen Unterstützung hinter ihn zu stellen, kann Präsident Maduro diese politische Ohnmacht in den Monaten vor den Wahlen im Dezember ausnutzen, um einen durchschlagenden Sieg zu erringen.
Mit der Unterstützung Russlands, Chinas und Kubas sowie auch der unerschütterlichen Rückendeckung seitens seines Militärs scheint es klar, dass Nicolás Maduro seine Widerstandsfähigkeit unter Beweis gestellt hat und vorerst nirgendwo hingehen wird.
Richard McColl ist Doktorand in Sozial- und Humanwissenschaften an der Universität Javeriana in Bogotá. Als freiberuflicher Auslandskorrespondent mit Sitz in Kolumbien wurden seine Beiträge in Print- und Rundfunkmedien in der ganzen Welt veröffentlicht. Er moderiert den beliebten wöchentlichen Podcast Colombia Calling.
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