von Niko Vorobyov
Viele Polizeichefs, mich eingeschlossen, wollen sicherstellen, dass ihre Beamten den automatischen Waffen, mit denen sie konfrontiert werden, angemessen entgegentreten können. Das Problem dabei ist, dass wir uns eigentlich gar nicht erst in einem Krieg mit unserem eigenen Volk befinden sollten.
Dies teilte mir der frühere Polizeipräsident von Seattle, Norm Stamper, vor drei Jahren mit, als ich ihn zum Thema Polizeigewalt in den USA interviewte.
Washington steht in Flammen. Der Tod von George Floyd hat die Aufmerksamkeit erneut auf die Tötung und Ermordung von Afroamerikanern durch die Sicherheitsdienste gelenkt. Doch während alle Kameras auf die Proteste und Ausschreitungen gerichtet sind, scheinen nur Wenige die langfristigen, systemischen Gründe dafür zu erwähnen, dass es immer wieder dazu kommt.
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Am 13. März brach die Polizei in eine Wohnung in Louisville, Kentucky, ein. Angeblich gaben sie sich nicht als Polizisten zu erkennen (die Polizisten behaupten, sie hätten es sehr wohl getan, der Angeklagte behauptet, sie hätten es nicht getan). Und als die überraschten Bewohner von ihrem Recht auf Verteidigung der Wohnung Gebrauch machten und auf die bewaffneten, in ihre Wohnung einbrechenden Eindringlinge Feuer eröffneten, ließen die Beamten einen Kugelhagel auf die 26-jährige Notfallmedizinerin Breonna Taylor niederprasseln. Breonna war nur das jüngste Opfer der "No-Knock"-Razzien (Razzien ohne an der Tür zu klopfen beziehungsweise zu klingeln): Der Gedanke dahinter ist das Überraschungsmoment, das den Verdächtigen keine Chance gibt, Drogen die Toilette herunterzuspülen. Tatsächlich aber wurden am Tatort keine Drogen vorgefunden.
Der Krieg gegen Drogen ist die Hauptursache für rassistische Profilerstellung und Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten. Heute sitzen mehr schwarze US-amerikanische Männer hinter Gittern oder sind lediglich auf Bewährung oder Kaution auf freiem Fuß, als von ihnen im Jahr 1850 als Sklaven gehalten wurden. Ein größerer Prozentsatz von ihnen ist inhaftiert als in Südafrika in den letzten Tagen der Apartheid. Doch warum?
Heutzutage zeigen Umfragen: Immer weniger US-Amerikaner glauben, dass Gras strenger behandelt werden sollte als Alkohol. Doch im Jahr 1937 war Harry Anslinger der Chef des Federal Bureau of Narcotics (FBN) – und es gab eine Sache, die er wirklich nicht mochte: Jazz. "Wie im Dschungel mitten in der Nacht", pflog er die Musik zu beschreiben. Viele Jazzmusiker gönnten sich dann und wann den ollen Joint (damals reefer genannt), also drängte er darauf, Cannabis verbieten zu lassen – um junge Weiße davon abzuhalten, in Jive-Bars zu gehen und sich (Oh Schreck!) unter die Farbigen zu mischen. In der Zwischenzeit wurde Kokain verboten, nicht weil man davon Herzinfarkte bekam, sondern nach einer Behauptung in der New York Times, dass es die "Neger im Süden" zu Berserkern mache, und außerdem, weil es auch ein Aphrodisiakum ist. Naja... "notgeile schwarze Typen", "unschuldige" weiße Mädchen... Sie verstehen schon.
Anderen Rassen erging es nicht viel besser: Opium-Rauchen wurde als ein finsteres chinesisches Hobby angesehen. Sie benannten Cannabis sogar in "Marihuana" um (an Tijuana erinnernd), um es "mexikanischer" klingen zu lassen. Sogar die Alkoholprohibition, die Al Capone reich machte, kam infolge des jingoistischen Hetze gegen die Deutschen in der Zeit des Ersten Weltkrieges zustande.
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Die entsprechenden Gesetze wurden von Anfang an ungleichmäßig angewandt. Wie Johann Hari in Chasing the Scream erklärt, hatte Billie Holiday eine schwere Kindheit, wuchs in einem Bordell auf und wurde im Alter von 10 Jahren vergewaltigt, kämpfte dann den Rest ihres Lebens mit Alkoholismus und Heroinsucht. Doch sie hatte eine Engelsstimme und sang Lieder wie Strange Fruit über Lynchmorde im tiefen Süden. Anslinger befahl, an ihr ein Exempel zu statuieren, um schwarzen Musikern ihren Platz zu zeigen. FBN-Agenten kamen als Fans zu ihren Shows und missbrauchten dann ihr Vertrauen, indem sie ihr Drogen unterschoben. Sie hetzten gegen die Sängerin bis zum Ende – selbst im Sterben lag sie mit Handschellen an ihr Krankenhausbett gefesselt, und sie befragten sie nach dem Namen ihres Lieferanten. Sie starb während ihrer Entzugsbehandlung. Währenddessen erhielten mächtige Weiße wie Senator Joe "Red Scare" McCarthy einen Freifahrtschein für ihre eigene Morphinsucht. Unter Nixon wurde der "Krieg gegen die Drogen" dazu benutzt, von dem zunehmend unpopulären Krieg in Vietnam abzulenken – und zur Waffe gegen schwarze Aktivisten sowie Mitglieder der Antikriegslinken wie John Sinclair von der White Panther Party erhoben. Das FBN wurde zur DEA, und der Kongress gab grünes Licht für "Razzien ohne Anklopfen". Trotz aller Horrorgeschichten von Polizisten, die die Türen zum falschen Haus eintreten, Feuer eröffnen und die Familien darin töten oder verletzen.
Nixon erklärte offiziell den "Krieg gegen die Drogen", doch es war Reagan, der ihn auf die Spitze trieb. Drogengesetze sind hinterhältig, weil es kein offensichtliches Opfer gibt (wer verpfeift sich selbst beim Kauf einer Tüte Koks?), und oberflächlich betrachtet sie erscheinen sie zunächst rassenneutral. Im Jahr 1986 verabschiedete Reagan das als Anti-Drugs Abuse Act 1986 bekannte Gesetz gegen Drogenmissbrauch, das für nur fünf Gramm Crack, verglichen mit einem halben Kilo Kokainpulver, mindestens fünf Jahre ohne Bewährung vorsah. Es ist kein Zufall, war doch normales Koks der bevorzugte Muntermacher für weiße Führungskräfte und hochpreisige Anwälte, während Crack, obwohl es weniger rein war, ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis bot und damit im Ghetto beliebter war. Mit anderen Worten: In Jahren gerechnet saßen Schwarze damit einhundertmal so lang ein wie Weiße.
Nixon und Reagan waren beide Republikaner – doch die Demokraten waren trotz all ihrer "fortschrittlichen" Referenzen genauso schlimm. Präsident Clinton versuchte, im harten Rennen gegen die Kriminalität einen Schritt voraus zu sein: Er unterzeichnete im Jahr 1994 das von einem gewissen Joe Biden entworfene Bundeskriminalgesetz – und zwischen 1990 und 2000 verdoppelte sich die Zahl der Gefängnisinsassen fast.
Auch wenn die meisten Polizisten für sich genommen keine Rassisten sind, so sind sie doch Teil eines rassistischen Systems. Der "Krieg gegen Drogen" hat junge Afroamerikaner zu verlockenden Zielen für jeden örtlichen Sheriff gemacht, wenn dieser auf der Suche nach einfachen Methoden zum Hochziehen der Verhaftungsstatistiken aus ist und Geld beschlagnahmen will. Für die Beschlagnahme ziviler Vermögenswerte müssen Sie lediglich eines Verbrechens verdächtigt werden, damit die Polizei Ihre Habseligkeiten beschlagnahmen kann. Das ist nichts anderes als staatlich sanktionierter Raub. Die Möglichkeit, konfisziertes Drogengeld (und "Drogengeld") zu behalten, bietet einen perversen Anreiz für unterfinanzierte Polizeidienststellen, mehr Verhaftungen vorzunehmen. Dies nutzen sie auch, indem sie einfach die üblichen Verdächtigen verfolgen, das heißt junge schwarze Männer. Dies führt zu tödlichen Begegnungen mit der Polizei und zur größten Gefängnispopulation auf dem Planeten, noch vor solchen in vermeintlich "tyrannischen Regimes" wie Russland und China. Obwohl Studien zeigen, dass jeder in etwa gleich häufig Drogen verkauft und konsumiert, sind mehr als die Hälfte der Gefangenen, die in Staatsgefängnissen für Drogendelikte saßen, und fast 80 Prozent in Bundesgefängnissen, Schwarze oder Latinos. Und war man einmal drinnen, ist es schwer, einen normalen Job zu finden. Also kehrt man wieder zum Spiel um den Stoff zurück. Ist es dann wirklich so überraschend, dass bei so vielen eingesperrten Müttern und Vätern die erfolgreicheren Kriminellen die einzigen im Ghetto sind, zu denen man aufschauen kann?
Die Kriminalität in den Innenstädten wird zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, die die Nachbarschaften in nicht enden wollende Zyklen von Angst und Verzweiflung versetzt. Man nehme etwas, das viele Menschen wollen, verbiete es, treibe den Preis in die Höhe und sorge dafür, dass es sich lohnt, dafür zu erschießen, zu erstechen und zu stehlen – was in den 1920er-Jahren auch wegen Schnaps passiert ist. Jetzt haben Teile von Städten wie Baltimore und Chicago Mordraten, die den Todesopfern in echten Kriegsgebieten entsprechen. Die meisten Opfer sind junge schwarze Männer. Und wenn es auch wahr sein mag, dass Bandenmitglieder jeweils den Abzug drücken: Wer hat denn die Umstände dafür erschaffen? Nixon, Reagan, Clinton und Anslinger.
Wie die Anwältin Michelle Alexander in The New Jim Crow erklärt, verlieren ehemalige Sträflinge in mehreren US-Bundesstaaten ihr Wahlrecht. Dadurch wird einem von 13 schwarzen US-Amerikanern effektiv das Wahlrecht entzogen – so ähnlich war es in der Geltungszeit der Gesetze vor den Erfolgen der Bürgerrechtsbewegung in den 1950er-Jahre. Außerdem wird hierdurch, wenn man so will, der Brunnen vergiftet. Konnte man in Vergangenheit auf respektable Aktivisten wie Rosa Parks und den Prediger Martin Luther King verweisen, wo findet man einen "respektablen" Drogenmann oder Ex-Knacki? Wer will ihnen schon Gehör schenken oder sich für ihre Rechte einsetzen?
Auch heute noch wird das Andenken an unschuldig ums Leben gekommene Schwarze wie Philando Castile, der bei einer routinemäßigen Straßenkontrolle vor den Augen seiner Freundin niedergeschossen wurde, Botham Jean, der in seinem eigenen Haus von einem Polizeibeamten außer Dienst aus Dallas erschossen wurde, und Sandra Bland, die sich angeblich nach einem Streit mit einem Verkehrspolizisten in einer Zelle erhängt haben soll, beschmutzt: Man bringt vor, dass sie Gras intus oder in ihrer Wohnung gelagert hatten. Als ob das irgendetwas mit ihrem Tod zu tun hätte. Offensichtlich sind die Märchen vom "verrückten Neger auf Drogen" immer noch nicht aus der Welt geschafft.
Schließlich sind die Vereinigten Staaten von Amerika das Land der großen Big Macs und der ganz großen Gewehre. Die Polizei vor Ort wird aus Armee-Altbeständen ausgestattet, um schwer bewaffnete Drogendealer zu bekämpfen – buchstäblich mit Kriegswaffen. Doch im Gegensatz zur Figur des Granatwerfer schwingenden Bandenbosses in Filmen wie "Scarface" bleiben die meisten Bandenmitglieder im wirklichen Leben bei Faustfeuerwaffen, Pistolen und Revolvern. Die Drogenbedrohung hat bei den Strafverfolgungsbehörden eine kriegerische Mentalität geformt, mit der man Operationen im militärischen Stil und "Razzien ohne Anklopfen" wie die, bei der Breonna Taylor getötet wurde, rechtfertigt. Stamper erklärte mir:
"Sie gehen nicht auf die Straße und denken: 'Heute töte ich Afroamerikaner' – doch ihre Mentalität ist von der Art, 'wir sind die Polizei und ihr nicht', von der Art 'Wir haben hier das Sagen'. Und diese Mentalität macht sie gleichermaßen zu willkürlichen Bestimmern in Sachen Recht, Politik und Vorgehensweise.
Es reicht nicht aus, ein paar brutale oder rassistische Polizisten rauszuschmeißen und Feierabend zu machen – wo doch das ganze System das Problem ist. Die Vereinigten Staaten befinden sich im Krieg gegen ihre eigenen Bürger.
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Übersetzt aus dem Englischen
Niko Vorobyov ist der Autor von Dopeworld, einer Geschichte des Krieges gegen Drogen in der ganzen Welt. Seine Arbeit ist unter anderem bei VICE und The Independent erschienen. Sie können ihm auf Twitter @Lemmiwinks_III folgen.
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