von Kani Tuyala
Wie um alles in der Welt ist es angesichts des Genozids an der amerikanischen Urbevölkerung, Sklaverei und jahrhundertealtem Rassismus möglich, dass die Vereinigten Staaten von Amerika sich je als "land of the free" bezeichnen durften? Mehr braucht es eigentlich nicht, um zu verdeutlichen, dass die Angehörigen der "first nations", Afroamerikaner, aber auch Latinos bis heute nur Menschen zweiter Klasse sind. Die Unfreiheit der einen ist die Freiheit der anderen, und diese ist es, die zählt.
Und jetzt also erneut ein Mord an einem schwarzen US-Bürger durch die Polizei. Diesmal traf es den zweifachen Vater George Floyd, der mutmaßlich eine falsche 20-Dollar-Note benutzen wollte und das am Ende mit dem Leben bezahlte.
Ein neues tragisches Einzelschicksal und doch gleichzeitig auch ein Symptom für eine zutiefst schizophrene Gesellschaft, die den eigenen Selbstbetrug mehr schlecht als recht zugunsten eines Zerrbilds der eigenen Geschichte und Gegenwart verdrängt hat. Ob eine demokratische oder republikanische Regierung in Washington an der Macht war, hatte auf das entsprechende Phänomen immer nur kosmetische Auswirkungen.
Derweil ist man auf dem Kapitol von einer differenzierten Analyse der aktuellen Ereignisse und dem Ziehen angemessener Schlüsse so weit entfernt wie eh und je. Man widmet sich selektiv den Symptomen und nicht der Krankheit. US-Präsident Donald Trump droht in Cowboymanier mit dem Einsatz der Kavallerie, Entschuldigung, des Militärs natürlich, während er sich zuletzt offenbar vor der eigenen Bevölkerung in einem Bunker versteckte.
Wohl auch um seine Stammwählerschaft nicht zu verprellen, ist sich der US-Präsident nicht zu schade, auf Twitter martialische Sprüche zu klopfen:
Wenn das Plündern beginnt, beginnt das Schießen", drohte er vor wenigen Tagen.
Eine makabre Referenz an Walter Headley, einen ehemaligen Polizeichef Miamis, der folgende Worte demnach im Jahr 1967 benutzte und sich dabei auf Ausschreitungen am Rande von Protesten der Bürgerrechtsbewegung bezog.
Es gibt nur eine Möglichkeit, mit Plünderern und Brandstiftern während eines Aufruhrs umzugehen, und das ist, sie zu erschießen. (...) Wenn das Plündern beginnt, beginnt das Schießen", so Headley.
Ja, auch im Fall des Mordes an George Floyd kam es zu mutwilliger Zerstörung, doch die allermeisten Proteste sind nach wie vor friedlich und längst auf andere Teile der Welt übergesprungen. In Amsterdam, London, Paris, Sydney und Berlin, überall zieht es zum Teil zehntausende Menschen zu friedlichen Protesten auf die Straße. Dabei bricht sich nicht nur Zorn über die grassierende Polizeigewalt gegen Afroamerikaner Bahn.
Derweilgerieren sich Washington und seine transatlantischen "Partner" auf geradezu täglicher Basis als globale Verteidiger von Freiheit und Menschenrechten. Doch um wessen Freiheit und wessen Rechte geht es?
Amerika befindet sich weltweit in der Defensive wegen des Mordes an George Floyd und all dem, was der Mord über Rasse, Werte und Führung – ganz zu schweigen vom allgemeinen Anstand – in den Vereinigten Staaten impliziert", heißt es online beim New Yorkerüber den Grund für die weltweiten Proteste nach dem Mord an George Floyd.
"Werte"... Es braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, wie man in Washington reagieren würde, wenn die aktuellen Bilder von zigtausenden Verhaftungen und Polizeigewalt nicht aus den USA selbst, sondern etwa aus Venezuela, Russland, dem Iran, Hongkong oder sonst einem Winkel der Welt stammen würden, in dem Washington geopolitische Interessen verfolgt.
"Wenn das Plündern beginnt, beginnt das Schießen"... Ganz sicher gilt dieses Recht nicht für die Länder, die bislang im Namen von Zivilisation, Freiheit, Demokratie und Menschenrechten geplündert, destabilisiert und gefügig gemacht wurden.
Wohl auch nicht von ungefähr wartet man bislang vergebens auf eine offizielle Stellungnahme der Bundesregierung zum Mord an George Floyd und der grassierenden Polizeigewalt, die sich nun flächendeckend Bahn bricht. Wenn es den eigenen Interessen dient, ist man üblicherweise schnell mit hemdsärmeligen Solidaritätsbekundungen mit Demonstranten jeder Art zur Hand, doch im aktuellen Fall hörte man tagelang nichts weiter als ein lautes Schweigen. Erst am Dienstag äußerte sich Bundesaußenminister Heiko Maas, der sich nach eigener Aussage dem Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Verfolgung verschrieben hat.
"In der Krise zeigt sich der wahre Charakter", prangt aktuell als Slogan über Maas' Twitterprofil. Klar, das auch das eine oder andere blacklivesmatter-Hashtag jetzt ebenfalls nicht fehlen darf.
Ich hoffe, dass die Proteste in den USA, die friedlich sind, nicht weiter in Gewalt münden, aber noch viel mehr, dass diese Proteste etwas bewirken. JournalistInnen, die von vor Ort berichten, müssen ihre Arbeit tun können – das muss ein Rechtsstaat garantieren", twitterte ein handzahmer Maas am Dienstag. Klartext sieht, na ja, anders aus.
Klartext, mit dem Washington, Berlin, London und Paris üblicherweise nicht geizen, wenn es darum geht, andere Länder wegen mutmaßlicher oder tatsächlicher Verstöße gegen die Menschenrechte oder demokratische Prinzipien oberlehrerhaft auf das Schärfste zu tadeln. Am 28. Mai widmete sich Maas dem Thema Hongkong
Meinungs- und Versammlungsfreiheit und auch die demokratische Debatte in #Hongkong müssen auch in Zukunft respektiert werden", erklärte der deutsche Außenminister routiniert und vergleichsweise diplomatisch.
Derweil herrschen aktuell in diversen US-Städten Ausgangssperren, während die schon längst militarisierte Polizei mit äußerster Härte, samt Tränengas, Blendgranaten und Gummigeschossen, auch gegen friedliche Demonstranten und Medienvertreter vorgeht. Wie war das gleich mit Pressefreiheit? Oder bezieht sich diese Freiheit vor allem darauf, Washingtons geopolitische Narrative von Unterdrückung und Befreiung in anderen Teilen der Welt nachzubeten? Wenn es darauf ankommt, erweisen sich die vielzitierten Werte und Bürgerrechte als Schimäre.
Was den gezielten Beschuss offensichtlich auch deutscher Journalisten mit Gummigeschossen der Polizei angeht, will sich die Bundesregierung demnach "um Aufklärung bemühen".
Die Kunst der selektiven Empörung, für die Maas symbolisch steht, ist einmalig, einmalig beschämend, einmalig peinlich und unvergleichlich heuchlerisch.
Natürlich sind nicht alle US-Polizisten Rassisten und Mörder, doch wenn die Mehrzahl der Polizeibeamten angesichts der Brutalität einer Minderheit die Augen verschließt und dadurch das Vorgehen deckt, machen sich die entsprechenden Beamten zu Mittätern. Das gilt im aktuellen wie im generellen Fall auch für das komplizenhafte Gebahren der transatlantischen "Partner" gegenüber dem Weltpolizisten mit Sitz in Washington.
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