von Peter Schmidt
Wie heißt es so schön: "Der Reihe nach!" Dies ist, wie sich gleich zeigen wird, im vorliegenden Falle besonders wichtig.
Der Kurzfilm zeigt das Folgende: Ein Golf steht vor einem Haus, über dessen Eingang der Schriftzug "PETIT COLON" steht. Ein schwarzer Mann in einem braunen oder orangenen Anzug wird von einer weißen Hand – die durch Kameraführung, Perspektive und Schnitt überlebensgroß erscheint – kurz herumgeschoben und dann in den Hauseingang geschnippt. Dies ist mit Clownerie-Geräuschen sowie Gelächter unterlegt. Im Bild werden in drei Zeilen Buchstaben in vier Sequenzen eingeblendet und bilden am Ende den Schriftzug: "DER NEUE GOLF".
Selektive Wahrnehmung als neue gesellschaftliche Norm
Nun wollen aufmerksame Internetexperten und Sittenwächter in der Folge der Einblendungen nacheinander als erstes die Buchstaben für das Wort "NEGER" erkannt haben. Und auch der Schriftzug "Petit Colon" schien irgendwie quer zu sitzen, denn einige fühlten sich in die Kolonialzeit zurückversetzt. Was jener Schriftzug über dem Hauseingang in diesem Kontext bedeuten soll, bleibt allerdings vollkommen offen.
Jedoch liegt die Vermutung nahe, dass dieser Clip in Argentinien gedreht wurde, wo es ein gleichnamiges Café gibt. In dem Gebäude soll sich zuvor ein Autohändler befunden haben. Tatsächlich gibt eine Bildersuche im Internet mittels einer Suchmaschine hierüber interessanten Aufschluss.
Ohne Umwege, ohne weitere Faktenchecks und ohne Gnade wurde der VW-Konzern wegen Rassismus an den Pranger gestellt. Man trat einen Shitstorm los, und die Beteiligten durften sich ihrer fünf Minuten in der Sonne der "sozialen Medien" erfreuen. So weit, so schlecht.
Ein paar Fragen: Warum müssen manche Menschen ständig als Anwälte anderer Menschen auftreten? Kann der Einzelne nicht für sich selbst sprechen? Haben wir es möglicherweise vor dem Hintergrund dieses inhärenten Helfersyndroms mit einem unbehandelten, nicht verarbeiteten Trauma zu tun, das die Betroffenen zwanghaft handeln lässt? Wobei Traumata durchaus infolge von Indoktrination entstehen können.
Fakt ist: Indoktrinierte Menschen neigen zu einer selektiven Wahrnehmung. Je nach Schwere und Wiederkehr bestimmter Reize werden im Gehirn neuronale Verbindungen zwischen dem Stammhirn (wo die Reize ankommen und verarbeitet werden) und dem Frontallappen (wo Entscheidungen getroffen werden) gelegt – sogenannte neuronale Brücken. Was nichts anderes bedeutet, als dass bestimmte äußere Reize über diese Brücken ohne Umwege und ohne weitere Aufarbeitung sofortiges Handeln auslösen: einen Affekt. Diesem können sich die Betroffenen kaum entziehen.
Druck der unkritischen Masse auf den gesellschaftlichen Konsens
Warum dieser kurze Exkurs in die Neurologie? Ganz einfach: um den Beißreflex jener Menschen verstehen zu können, die in der folgenden Sequenz das Wort "NEGER" ausgemacht haben wollen. Hier die zeitliche Sequenz des Erscheinens der Buchstabens des Slogans: GER NEL DOE UF
Das Problem in dieser Sache liegt aber nicht in dieser abenteuerlichen Interpretation obiger Buchstabengruppen. Das Problem ist, dass sich Menschen scharenweise einer solchen Fehlinterpretation anschließen, ohne kritisches Überprüfen und Hinterfragen. Wir wissen, wohin es führt, wenn Individualnarzissmus auf fruchtbaren Boden fällt und sich zu einem Gruppennarzissmus auswächst. Dies ist es, was diese Sache so problematisch und gruselig macht. Der Druck einer offensichtlich nicht klar denkenden Masse auf die Nahtstellen zwischen individuellen, menschlichen Wahrnehmungen, Auffassungen, Ausrichtungen, Religionen und Meinungen.
Dass der Volkswagenkonzern sich für seinen Werbespot entschuldigen musste, zeugt von der Macht eines kritiklosen und offensichtlich zombifizierten Teiles der Gesellschaft, für den es kein Halten mehr gibt.
Geh einen Kaffee trinken – ich dreh mal eben eine Runde
Es gibt noch weitere Komponenten in dieser Situation, die den Tunnelblick und die in Teilen der Gesellschaft versteckten Fehlkonzeptionen offenbaren: die Akzeptanz von Sexismus gegen Männer.
Die ganze Szenerie des Werbespots ist auditiv mit Geräuschen aus der Clownerie und einem Lachen, das ohne Zweifel einer Frau zugeordnet werden kann, unterlegt. Der Rückschluss, dass es sich bei den übergroßen Händen um die einer Frau handeln könnte, liegt nahe. Die Szene gibt – so oder so – den kleinen, dunkelhäutigen Mann einer ins Groteske übersteigerten Lächerlichkeit preis. Aber warum, wofür? Was hat er getan – oder unterlassen, um von dieser Frau derart vorgeführt und ausgelacht zu werden? Wir wissen es nicht und werden es wohl auch nie erfahren. Was wir sehen können ist, dass ihn eine Frau auslacht, während er unwürdig behandelt und noch unwürdiger aus dem Bild geschnippt wird. Und es ist eine Frau, die den Schriftzug "DER NEUE GOLF" vorliest. Bei allem Respekt den männlichen Golf-Fahrern gegenüber: Die Zielgruppe der Golf-Käufer ist – nun ja: auch weiblich. So ist vermutlich auch dieser Werbespot einzuordnen.
Was wir hier haben, ist die audiovisuelle Interaktion zwischen einem Mann und einer übergroßen, die Szenerie beherrschenden Frau. Wobei der Mann – ein schwarzer Mann – eine äußerst unwürdige Behandlung durch diese Frau erfährt. Doch wo bleiben der Aufschrei und die Hexenjagd wegen des offensichtlich von Misandrie geprägten Sexismus? Moment: Misandrie, Männerfeindlichkeit, Sexismus gegen Männer? Ja! Denn wenn das Lachen von einem Mann mit dunkelhäutigen Händen käme, die Gedemütigte in der Szene aber eine weiße Frau wäre, so wäre hier von breiten gesellschaftlichen Kreisen nicht für eine Millisekunde Rassismus, sondern ganz klar Sexismus unterstellt worden – Sexismus gegen Frauen!
Der in dem Clip aber tatsächlich gezeigte Sexismus gegen Männer wird in der Gesellschaft schlichtweg nicht einmal wahrgenommen, allenfalls fehlinterpretiert und schnellstens politisch korrekt umgemünzt.
Das Video sollte als das gesehen werden, was es ist: ein misslungener, misandrischer Werbespot – für ein "Frauenauto". Dass dem Volkswagenkonzern dieser Clip – wenn auch aus vollkommen anderen Gründen – um die Ohren fliegt, kommt nicht völlig unverdient.
RT bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Mehr zum Thema - Kotau vor der Political Correctness: Xavier Naidoos Rauswurf bei RTL