von Nebojsa Malic
"Wir beabsichtigen, jetzt ein neues Rüstungskontrollregime zu errichten – gerade, um ein ausgewachsenes Wettrüsten zu verhindern." Dies erklärte Botschafter Marshall Billingslea, Sonderbeauftragter des US-Präsidenten für Rüstungskontrolle, am Donnerstag während eines halbstündigen Interviews im Hudson Institute, einer Denkfabrik in Washington. Für den Fall, dass es ein Wettrüsten gibt, fügte er hinzu, habe US-Präsident Donald Trump deutlich gemacht:
Wir haben hierfür eine wohlerprobte Vorgehensweise. Wir wissen, wie man solch ein Rennen gewinnt, wir wissen, wie man den Gegner bewusstlos wettrüstet.
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Für Vipin Narang, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), der Studien zur Verbreitung von Nuklearwaffen und zu Nuklearwaffenstrategien betreibt, offenbart diese Aussage hingegen eine nur dürftig verdeckte Absicht, ein erneutes Wettrüsten anzufachen:
Wer stellt sich gegen New START? Nicht die Rüstungskontrolleure, nicht die Gegenkräfte, sondern die Vollgas-Wettrüster. Diejenigen, die die Idee, wahnsinnig viel Geld auszugeben, um Russland und China bei Fuß zu brüllen, für etwas anderes halten als für blanken Wahnsinn – vor allem angesichts der größten Wirtschaftskrise seit einem Jahrhundert.
Billingsleas Aussage gründet auf der zu Washingtoner Allgemeinwissen gehörenden These, dass die USA den Kalten Krieg "gewonnen" hätten – sie hätten Geld in Waffen investiert und die Sowjetunion so gezwungen, es ihnen gleichzutun. Das habe die UdSSR schließlich in eine Wirtschaftskrise geführt, die den Zusammenbruch des sozialistischen Systems ausgelöst habe. Dieser Standpunkt ist jedoch zum Beispiel in Russland alles andere als unumstritten.
Billingslea wurde frisch auf seinen neuen Posten berufen, nachdem er zuvor im US-Finanzministerium für die Bekämpfung der "Terrorismusfinanzierung" zuständig gewesen war. In der neuen Rolle kündigte er bereits die Aufnahme von Verhandlungen mit dem russischen Vizeaußenminister Sergei Rjabkow an – "so bald wie möglich". Während Moskau jedoch den START-III-Vertrag von 2002 – der im Februar 2021 auslaufen soll – verlängern möchte, scheint Billingslea kein Interesse daran zu haben und zieht dem stattdessen ein völlig neues "trilaterales Abkommen" vor, das auch China einschließen soll.
Dummdreiste Rechnung ohne den Wirt
Im Interview am Donnerstag stellte Billingslea klar, dass die USA erwarten, dass Russland "China an den Verhandlungstisch holt". Er deutete an, dass Moskau dies durchaus versuchen könnte, weil man auch dort über das Verhalten Pekings besorgt sei. China wiederum könnte Billingslea zufolge zustimmen, weil man dort wünsche, den "Status einer Großmacht zuerkannt zu bekommen" und die USA ihrerseits "bereit sind, [China] diesen Respekt zu erweisen". Die Tatsache, dass Peking bereits mehrmals desinteressiert abwinkte, scheint Washington dabei nicht sonderlich zu stören.
Mich interessiert weitaus weniger, was China will, als vielmehr, was China tun soll.
Dabei sind doch gerade bei Unterfangen wie dem Aufbau eines trilateralen Rüstungskontrollabkommens Chinas Wünsche alles andere als vernachlässigbar, gibt David Santoro von der Analytikplattform Pacific Forum mit Verweis auf Tim Morrison, Fellow am Hudson Institute, Sicherheitsanalytiker mit den Schwerpunkten Asien und Pazifik, nukleare Abschreckung, Raketenabwehr und Rüstungskontrolle, zu bedenken.
Gute Frage von @Tim_Morrison: Was will China?
Diese Frage wurde allerdings nicht wirklich beantwortet. Wir müssen da schon etwas mehr tun – nicht bloß "China den Weltmachtstatus gewähren".
Schizophrene Vertragsscheue als Vorwand zur Wettrüstung
In seinem gesamten Interview ging Billingslea von Prämissen aus, die in Washington weithin geteilt werden: Russland habe gegen jeden Vertrag verstoßen, und seine Nukleardoktrin sehe unter anderem eine nukleare Eskalation vor. Indes legten die USA nie Beweise für eine dieser Behauptungen vor, bestehen aber dennoch weiterhin auf deren angeblicher Wahrheit.
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Diese Behauptungen wurden sogar in die Nukleardoktrin der USA in der aktuellen Revision vom Februar 2018 eingearbeitet – und diese Revision erweitert die Bereitschaft Washingtons zum Einsatz von Atomwaffen im Konfliktfall drastisch. Tatsächlich ist es jedoch die US-Militärdoktrin, die davon ausgeht, dass der Einsatz von Atomwaffen "die Voraussetzungen für entscheidende Ergebnisse und die Wiederherstellung strategischer Stabilität schaffen könnte". Dies ist der Wortlaut eines Dokuments, das im Juni 2019 von den Joint Chiefs of Staff (Vereinigter Generalstab der US-Streitkräfte) veröffentlicht und danach hastig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen wurde.
Derweil stimmt Billingsleas Behauptung, dass die USA lediglich ihr Atomwaffenarsenal modernisieren, während Russland und China ihr Arsenal ausbauen, nicht mit dem jüngsten Bericht der ICAN (Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen) überein. Aus diesem geht hervor, dass allein die Hälfte der weltweiten Ausgaben für Nuklearwaffen auf die USA entfällt – und dabei der Gesamtanstieg vom Jahr 2018 auf das Jahr 2019 erstaunliche 82 Prozent beträgt.
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Ein trilaterales Rüstungskontrollabkommen mit Russland und China scheint die Idee von US-Präsident Trump zu sein. Er erwähnte es wiederholt, und zwar seit er im April 2019 erklärte, Atomwaffen gänzlich abschaffen zu wollen.
Nachdem die USA unter Trump zuvor einseitig aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran von 2015 ausgestiegen waren, folgte auch der US-Ausstieg aus dem INF-Vertrag von 1987, der seinerzeit bodengestützte Mittelstreckenraketen aus Europa verbannte. Und schließlich kündigte Trump wenige Stunden vor Billingsleas Interview an, dass die USA aus dem Vertrag über den Offenen Himmel ebenfalls austreten werden. Bei beiden Gelegenheiten begründete er seine Schritte mit "Vertragsbrüchen Russlands", andererseits bezeichnete er die Verträge aber auch als Relikte des Kalten Krieges, die den neuen Realitäten nicht gerecht würden.
Billingslea ging in seinem Interview nicht darauf ein, wie die USA Moskau oder Peking davon überzeugen wollen, dem Wort der USA zu vertrauen – ob nun Trump im Weißen Haus oder jemand anders dieses Wort gab. Er schien einfach von der Selbsteinschätzung der USA als vertrauenswürdig auszugehen; den beiden anderen Seiten dichtete er hingegen einen diesen angeblich innewohnenden Hang zum Vertragsbruch an und brachte diesen mehrfach zur Sprache.
Trump seinerseits verdoppelte bisher lediglich immer wieder die Einsätze in der von seinem Vorgänger geprägten Konfrontationspolitik der USA gegenüber Russland – und das sogar, nachdem der Skandal um die sogenannte "Russlandaffäre", mit dem er aus dem Amt gedrängt werden sollte, als böswillige Verleumdung seitens seiner einheimischen Gegner entlarvt wurde. Er führte auch China gegenüber eine harte Verhandlungspolitik – und beschuldigte Peking obendrein, es habe das Coronavirus absichtlich zu einer Pandemie werden lassen.
Derweil tötete das besagte Virus bisher fast 100.000 US-Amerikaner, und die zur Verlangsamung seiner Ausbreitung verhängten Maßnahmen lähmen die US-Wirtschaft, wodurch fast 40 Millionen US-Bürger ihren Arbeitsplatz verloren. Doch zumindest bietet diese Tatsache die Aussicht, dass die von Billingslea verlautbarte Absicht der USA, "den Gegner bewusstlos wettzurüsten", derzeit wohl nicht umsetzbar ist, wenn es überhaupt jemals möglich war.
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Übersetzt aus dem Englischen. Nebojsa Malic ist ein serbisch-US-amerikanischer Journalist, Blogger und Übersetzer, der in den Jahren 2000 bis 2015 eine regelmäßige Kolumne für Antiwar.com schrieb und jetzt als leitender Autor bei RT International tätig ist. Folgen Sie ihm auf Twitter @NebojsaMalic.
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