von Jürgen Cain Külbel
Russland begann in der vergangenen Woche mit der Rückführung seiner Militärärzte, Epidemiologen, Spezialisten der russischen ABC-Schutztruppe und der biologischen Verteidigungskräfte des russischen Verteidigungsministeriums aus Italien. Sechs Wochen lang hatten die russischen Einsatzkräfte das italienische Militär bei der Eindämmung des Corona-Virus in dem südeuropäischen NATO-Land unterstützt. Verteidigungsminister Sergei Schoigu ordnete einen feierlichen Empfang für die Helfer an.
Präsident Wladimir Putin war am 21. März 2020 der Bitte des italienischen Premierministers Giuseppe Conte gefolgt, operative Hilfe bei der Bekämpfung der Pandemie zu leisten. Schon am nächsten Tag starteten erste Iljuschin-Transportflugzeuge; bis zum 25. März 2020 beförderten die Flüge 122 Militärfachleute, acht medizinische Teams, Fahrzeuge, Laboratorien, Desinfektionsmittel, Schutzausrüstung sowie 600 Beatmungsgeräte nach Italien. Auch China schickte Schutzanzüge, Gesichtsmasken, Beatmungsgeräte, ebenso Kuba, das 52 Mediziner einflog.
Russische Ärzte, Schwestern und Spezialisten entkeimten gemeinsam mit dem italienischen Militär vor allem Pensionen für ältere Menschen in etwa 100 Ortschaften der Lombardei, jener Region in Norditalien, die am stärksten vom Virus heimgesucht worden war.
Die Einsatzkräfte desinfizierten breitflächig insgesamt 119 Gebäude, 1,2 Millionen Quadratmeter Innenraum sowie 450.000 Quadratmeter Asphaltstraßen. Russische Militärärzte kümmerten sich zudem in einem Feldlazarett in Bergamo um Erkrankte. Die Italiener wussten die mehrwöchige Hilfe sehr zu schätzen, bedankten sich herzlich bei den russischen und italienischen Militärspezialisten; überall waren Plakate mit Dankesworten zu lesen, die Menschen klatschten Beifall, mancherorts hingen russische Flaggen von den Balkonen, auch die Staatshymne war zu hören.
Doch die Solidarität Moskaus mit Italien kam nicht überall gut an. Das russische Verteidigungsministerium musste Vorwürfe zurückweisen, es beabsichtige mit der Hilfe für Italien, die NATO und die Europäische Union spalten zu wollen; es musste auch "Befürchtungen" entkräften, Militärspione und Experten für biologische Kampfeinsätze hätten sich konspirativ unter die Helfer gemischt. Vize-Verteidigungsminister Alexander Fomin stellte klar: Es gibt keine geheimen Hintergedanken für Hilfe in der Not.
Mark Urban von der BBC verunglimpft Italien-Hilfe
Kaum hatte das Equipment die Frachträume der Iljuschins verlassen, tauchten am 25. März 2020 auf Twitter Videos auf, die mit russischen Flaggen geschmückte Lastkraftwagen auf italienischen Landstraßen zeigten. Im tausend Kilometer entfernten London stieß das dem 59-jährigen BBC-Redakteur Mark Urban heftig auf:
Russland und China haben Hilfe nach Italien geschickt. Man könnte sagen, dass diese nicht sehr umfangreich ist und aus politischen Gründen angeboten wurde. Aber wenn sich die Italiener an diese Krise erinnern, werden sie sich fragen, was die USA in dieser Stunde der Not für sie getan haben.
Mark Urban, Ex-Offizier des britischen Royal Tank Regiment, einst "embedded journalist" im Irak, veröffentlichte am 2. Oktober 2018 sein Buch The Skripal Files: The Life and Near Death of a Russian Spy (Die Akte Skripal: Das Leben und der Beinah-Tod eines russischen Spions). Das Werk basiert auf Interviews, die Urban mit dem britischen MI6-Agenten Sergei Skripal im Jahre 2017 führte; also noch vor dessen angeblicher Vergiftung mit dem Nervengift Nowitschok im März 2018 in Salisbury. Skripals Verbindungsoffizier zum MI6, den Urban wohl nicht umgehen konnte, um die Interviews führen zu können, war Pablo Miller – so wie Urban ein ehemaliges Mitglied des Royal Tank Regiments. Die "Familie" also unter sich, Panzerfahrer, die sich vor nichts fürchten, denn das Motto des Regiments ist: Fear Naught!
Das Netzwerk um den BBC-Journalisten Urban lässt sich noch detaillieren: Der wie Skripal in Salisbury wohnhaft gewesene Miller arbeitete auch für Orbis Business Intelligence, eine Firma, die vom Ex-MI6 Christopher Steele mitbegründet wurde und das Steele-Dossier – auch als Trump-Russland-Dossier bekannt – verfasst hatte: jenen privaten und berüchtigten Geheimdienstbericht, der auf Halb- und Unwahrheiten beruht, der eine Unzahl schlüpfriger und unhaltbarer Vorwürfe gegen den US-Präsidenten Trump enthält, jedoch nicht beweisen kann, dass sich Trump mit der russischen Regierung während der Wahlen 2016 verschworen hatte und mit ihr zusammenarbeitete.
Jacopo Iacoboni von La Stampa im Gleichschritt mit Mark Urban
Am 25. März 2020, dem Tag, an dem der Brite Urban gegen die russische Hilfeleistung aufbegehrte, erschienen in der italienischen Tageszeitung La Stampa gleich zwei Beiträge des transatlantischen Journalisten Jacopo Iacoboni. Im ersten Artikel zitierte der Autor "hochrangige politische Quellen", die behaupteten, "80 Prozent der russischen Lieferungen sind völlig nutzlos oder für Italien von geringem Nutzen. Kurz gesagt, kaum mehr als ein Vorwand". Diese "Großzügigkeit bringt jedoch einen hohen Preis mit sich: Russische Verteidiger bewegen sich frei auf italienischem Territorium, nur wenige Schritte von den NATO-Stützpunkten entfernt."
Im zweiten Beitrag fragte er:
Wird Italien zu einer gemischten italienisch-russischen Front des Geheimdienstes und des Studiums des bakteriologischen Krieges? ... in einer Zeit, in der Russland in England wegen chemischer Operationen wie der Vergiftung des ehemaligen KGB-Agenten Sergei Skripal mit Nowitschok angeklagt wird (der Kreml lehnt jede Verantwortung ab).
Der westliche transatlantische Mainstream atmete auf; endlich konnte er gegen Moskaus unsägliche Corona-Hilfe für Italien anschreiben: Russisches Zeugs halt, das ohnehin nichts taugt – Russen eben! Und natürlich die akute Russen-Gefahr beschwören: Der Geheimdienst unterwandert Italien, die NATO und die EU.
Iacobonis Beitrag war ganz im Sinne des Atlantic Council, jener NATO-nahen Denkfabrik mit Sitz in Washington, die auf die Führungsrolle der USA in internationalen Angelegenheiten pocht und für deren "Disinfo Portal" der italienische Journalist als "Experte" aktiv ist.
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Das "Disinfo Portal" fungiert als eine Art Sammelbecken für ehemalige Mitstreiter der britischen "Integrity Initiative". Diese wurde 2015 vom Institute for Statecraft (IfS) ins Leben gerufen, einer von Mitarbeitern britischer Geheimdienste gegründeten Stiftung. Angedacht war das Geheimprojekt als wichtige Speerspitze im Propagandakrieg gegen Russland. Transatlantische Denkfabriken, PR-Organisationen, anti-russische Organisationen, Medien usw. sollten ein Netzwerk spinnen, das im westeuropäischen Binnenraum für die erwünschte Konditionierung der öffentlichen Meinung gegen den Kreml sorgt. Nachdem die Hackergruppe Anonymous 2018/19 zahlreiche Dokumente veröffentlichte, die ein grelles Licht auf die Truppe warfen, wurde die "Integrity Initiative" aufgelöst. Jacopo Iacoboni war Mitglied des italienischen "Clusters" dieses im Verborgenen agierenden Projekts.
Seine "Erkenntnisse" hinsichtlich der angeblich untauglichen russischen Corona-Hilfe für Italien mussten selbstverständlich weiter befeuert werden: Am 2. April 2020 twitterte Natalia Antelava, Chefredakteurin des US-amerikanischen Online-Mediums Coda Story:
Wir haben uns mit @LaStampas @jacopo_iacoboni zusammengetan, um herauszufinden, was russische Generäle in Italien wirklich vorhaben.
Sie verlinkte auf das mit Iacoboni produzierte MachwerkThe influence operation behind Russia's coronavirus aid to Italy (Die Einflussoperation hinter Russlands Corona-Hilfe für Italien).
Oberst Hamish de Bretton-Gordon schlägt zu – wieder einmal
In der La Stampa/Coda Story "Die Einflussoperation hinter Russlands Corona-Hilfe für Italien" kommt Mark Urbans Ex-Panzerfahrer-Kumpel und Kollaborateur in Sachen Skripal-Ermittlungen zu Wort: Hamish de Bretton-Gordon. Der Ex-Militärnachrichtendienstler gilt als "Großbritanniens führender Experte für chemische Waffen", war zudem Chef der Abteilung für chemische und biologische Kriegsführung der britischen Armee und Kommandeur vom NATO's Rapid Reaction CBRN Battalion.
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Aber er ist auch Londons Propaganda-Superwaffe, wenn es darum geht, Moskau und Damaskus Chemiewaffeneinsätze zu unterstellen. Für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 war er deswegen heimlich in Syrien unterwegs, um "Proben" zu sichern. Ganz eng auch seine Zusammenarbeit mit dem langjährigen Freund, dem Ex-NATO-Geheimdienstkoordinator und Gründer der "Weißhelme", James Le Mesurier, der 2019 Suizid verübte. Bislang unbekannt: auch Hamish de Bretton-Gordon und seinen "Hintermännern" im britischen Geheimdienstsumpf scheint es zu verdanken zu sein, dass der Brite Eliot Higgins ab 2014 mit seinem "Bellingcat"-Projekt in den transatlantischen Medien-Himmel gehievt werden konnte. De Bretton-Gordon und Higgins kennen sich nämlich seit 2013 – da gab es Bellingcat noch nicht; seither ist die Kooperation zwischen beiden auf höchstem Niveau.
Der umtriebige de Bretton-Gordon, der auch Gasmasken verkauft – egal ob an OPCW oder Weißhelme, Hauptsache die Pfunde stimmen – leidet an der britischen "GRU-Paranoia": An allen Ecken und Enden des Erdballs sieht er – wie auch seine Bellingcat-Kumpane – Geister des russischen Militär-Nachrichtendienstes. In der La Stampa/Coda Story heißt es:
Die 122 Offiziere der Abteilung für radiologische, chemische und biologische Waffenverteidigung (RChBD) werden von Generalmajor Sergei Kikot geführt, dem stellvertretenden Kommandeur der russischen RChBD-Truppen.
De Bretton-Gordon entrüstet sich:
Es ist sehr beunruhigend, dass ein russischer General, der über Duma gelogen hat, soweit es die britische Regierung und die [Organisation für das Verbot chemischer Waffen] betrifft, jetzt in Italien herumtollt.
Was Duma betrifft: für den mutmaßlichen Giftgaseinsatz in Duma in 2018 machte die OPCW in ihrem Abschlussbericht Syriens Militär verantwortlich, doch OPCW-Experten, die vor Ort Untersuchungen führten, widersprachen dem heftig. Vor wenigen Tagen erlitt die OPCW in der Sache eine Schlappe. Der Chef wurde, den Abschlussbericht betreffend, der Lüge überführt.
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Zurück zu Bretton-Gordon, der Moskaus Italien-Hilfe in der La Stampa/Coda Story natürlich nicht gutheißen konnte:
Das wäre in jeder anderen Situation unvorstellbar, wenn so viele gut ausgebildete russische Truppen in einem NATO-Land wären. Es ist wahr, dass diese Arten von Truppen die Fähigkeit zur Dekontamination haben, aber Italiener haben diese Fähigkeit auch und sie ist moderner. Die Italiener sind führend in der Verteidigung chemischer und biologischer Waffen in der NATO und brauchen kaum Rat von den Russen.
Prompt bringt er den russischen Militärnachrichtendienst (wieder) ins Spiel: "Zweifellos sind derzeit in Italien GRU-Mitarbeiter vor Ort. Jeder Geheimdienst würde diese Situation ausnutzen, insbesondere die Russen. Sie werden so viel wie möglich über die italienischen Streitkräfte erfahren wollen. Sie werden Nachrichtennetze aufbauen, es wird momentan eine enorme Menge an Aktivitäten geben."
Futter für den transatlantischen Mainstream, die Experten des Disinfo-Portals des Atlantic Council, die nahezu sämtlich mit Medien- und Publikationstätigkeit verbunden sind; dankend verbreiteten sie de Bretton-Gordons Unterstellungen. Die La Stampa/Coda Story schaffte es dann auch folgerichtig am 16. April 2020 in die ARD-Sendung Kontraste unter dem Titel: "Falsche Helden – Wie Russland versucht, mit Corona die EU zu spalten".
Die britischen Russland-Ankläger haben sich längst mit gleichgesinnten "Wahrheitssuchenden" in der transatlantischen Medienlandschaft verkuppelt, allen voran Bellingcat und Mentor Hamish de Bretton-Gordon, die Disinfo-Kämpfer des NATO-affinen Atlantic Council, diverse anti-syrische und anti-russische Nichtregierungsorganisationen, die trotz finanzieller Lohnabhängigkeit von westlichen, nicht gerade Kreml-freundlichen Geldgebern vorgeben, "frei und objektiv" zu angeblichen kapitalen Verbrechen der Russen (und Syrer) in der Neuzeit zu "ermitteln" und zu "berichten".
In Deutschland beispielsweise mit der Hamburger Zeitschrift Der Spiegel, wo auch die GRU-Pandemie Einzug gehalten hat, die im britischen Propaganda-Labor um de Bretton-Gordon ihren Ursprung hat: GRU-Täter allerorten – im März 2018 in Salisbury beim Nowitschok-Mordversuch an den Skripals, beim Mordversuch an Emilian Gebrew 2015 in Sofia, der 2019 ebenfalls als "möglicher" Nowitschok-Angriff deklariert wurde, beim Mord an Selimchan Changoschwili im Kleinen Tiergarten in Berlin vergangenen Sommer, in der Saga um den mutmaßlichen Rizin-Killer in der Goldenen Stadt Prag jüngst erst und so weiter und so fort. Nun auch in Italien. Doch die Propaganda-Schallplatte wurde zu oft aufgelegt, sie hat einen Sprung bekommen, wodurch der GRU als Schreckensgespenst langsam an Wirkung einbüßen dürfte.
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