von Helen Buyniski
Man kann den mikroskopisch kleinen "Feind" nicht sehen. Und ein wissenschaftlich erwiesenes Heilmittel gegen ihn ist bisher ebenso wenig in Sicht. So bleibt all denjenigen, die sich von dem neuen Coronavirus befreien wollen, nur der Glaube, dass die von Gesundheitsexperten – unserer wissenschaftlichen Priesterklasse – vorgeschriebenen Maßnahmen dazu beitragen werden, ihn in Schach zu halten. Das ist soweit alles schön und gut. Bis schließlich diejenigen, die sich der neuen Orthodoxie widersetzen, für diese neue Pest zum Sündenbock gemacht werden.
Gesichtsmasken – das visuelle Symbol der Corona-Krise – haben für die Betroffenen aufgrund der vielen Unbekannten über das Virus (die Zuverlässigkeit der Tests, die Frage, ob "geheilte" Patienten wirklich für immer geheilt werden, und die vielen anderen Fragezeichen, die mit neu registrierten Krankheiten einhergehen) den Status eines religiösen Fetischs erlangt. In einem Meer von Unsicherheit ist die Gesichtsmaske eine Konstante, auf die man sich verlassen kann.
Zwar gibt es eine wachsende Zahl von Orten, an denen die Gesichtsbedeckung vorgeschrieben ist, weil an ihnen die "soziale Distanzierung" unmöglich ist. Allerdings fällt es schwer, nicht all jene zu bemerken, die dem Ritual des Maskentragens derart ergeben sind, dass sie die Gesichtsbedeckung in ihren eigenen Autos, bei hochgezogenen Fenstern oder beim Spaziergang durch risikolose Straßen tragen.
Schuld daran ist zum Teil die schlechte Informationsvermittlung. So haben die US-Behörden für Krankheitskontrolle und -prävention (Centers for Disease Control and Prevention) wiederholt ihre "Erzählung" diesbezüglich geändert, wer Masken tragen sollte: von "kranken Menschen" zu "nur Mitarbeitern des Gesundheitswesens" bis schließlich zu "allen". Aber auch dünne chirurgische Masken, die wenig bis gar keinen Schutz vor dem Coronavirus bieten, haben eine talismanische Qualität angenommen. So wie in früheren Zeiten Knoblauch und ein Kreuz Vampire abwehren sollten. Man mag sich etwas albern vorkommen, wenn man mit einer Maske herumfährt (oder eine Knoblauchzehe über dem Fenster auffängt). Aber Vorsicht ist besser als Nachsicht.
Sogar die einfachsten, wissenschaftlich fundiertesten Maßnahmen wie das Händewaschen haben rituelle Züge erlangt, da die Angst vor dem Virus sie mit furchtsamem Eifer erfüllt. Wie sonst ließe sich die Beliebtheit Dutzender "Handwasch-Apps" für Smartphones erklären – wenn nicht der Schock der Epidemie uns allen Ernstes das als eine Frage erscheinen lässt, was wir einst für selbstverständlich hielten? So wie die Bauern einer früheren Ära durch das Gespenst des Schwarzen Todes zum regelmäßigen Kirchenbesuch verschreckt worden sein könnten, so grübeln ihre Nachkommen über Videos vom Händewaschen auf Youtube – entschlossen, ein "saubereres" Leben zu führen.
Es ist nichts Falsches daran, sich in einer Zeit der Ungewissheit an Rituale zu klammern, insbesondere an Rituale wie das Händewaschen und Tragen von Masken, die von den Gesundheitsbehörden für die Fälle sehr empfohlen werden, in denen sie nachweislich die Ausbreitung der Ansteckung bei tatsächlich vorliegendem Husten und Niesen verlangsamen.
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Die Wissenschaft ist jedoch weit davon entfernt, sich über die Wirksamkeit sozialer Distanzierung und des weitreichenden Herunterfahrens der Wirtschaft einig zu sein [so beurteilte insbesondere die WHO selbst im Oktober 2019 die Wirksamkeit ebenjener "Corona-Maßnahmen" als wissenschaftlich kaum belegt, die wenige Monate später nahezu weltweit im Rahmen von Ausnahmezuständen verhängt und durchgesetzt werden – Anm. Red.]. Während einige Experten schwören, dass sie uns vor dem Virus retten werden, hat das Weltwirtschaftsforum die Anordnungen des Hausarrests, die mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in ihren vier Wänden eingesperrt haben, als "das größte psychologische Experiment der Welt" bezeichnet und davor gewarnt, denn "wir werden den Preis dafür zahlen" in einer sekundären Epidemie psychologischer Krankheiten. Einsamkeit und Vitamin-D-Mangel – zwei Zustände, die durch eine verlängerte Quarantäne in Innenräumen noch verschlimmert werden – senken die Immunität selbst gesunder Menschen und machen sie anfälliger für das gleiche Virus, vor dem sie durch die massiven Abriegelungsmaßnahmen geschützt werden sollen.
Die Erwähnung all dessen birgt die Gefahr, die Eiferer der Virus-Furcht auf den Plan zu rufen. Die Nachrichtenkanäle quellen über mit Geschichten von "Virusleugnern", die für ihre Ketzerei mit einer Dosis COVID-19 bestraft werden – von abtrünnigen "Spring Breakers" (Frühlingsausflüglern) bis hin zu Angebern in sozialen Medien, die sich mit ihrem Regelbruch brüsten. Das öffentliche Geißeln der "COVIDiots", die sich weigern, sich hinzusetzen, den Mund zu halten und drinnen zu bleiben, ist in den sozialen Medien sehr populär geworden. Dort gehen einige sogar so weit zu erklären, dass diese Menschen es verdienen, krank zu werden und zu sterben, weil sie der herrschenden Orthodoxie widersprechen.
John McDaniel, ein Mann aus Ohio, der seinen Gouverneur für die Schließung des Bundesstaates kritisierte, starb Berichten zufolge vor wenigen Tagen im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Prompt tanzte der Mob in den sozialen Medien auf seinem Grab herum und konnte seinen Tod dafür nutzen, andere "Zweifler" anzugreifen (darunter – natürlich – US-Präsident Donald Trump, dessen unzureichende Ehrfurcht vor dem Altar des Virus die COVID-19-Eiferer vor Wut schäumen lässt).
Jake Tapper von CNN behauptete, er habe "praktisch jeden Tag" von einem Corona-Zweifler gelesen, der dem Virus erlag. Er macht konservative Medien und Politiker für ihren Tod verantwortlich – Ketzerei, so scheint es, ist genauso ansteckend wie das Virus.
Einige Kanäle haben sogar COVID-19-Eiferer ermutigt, nicht darauf zu warten, dass das Virus die Ketzer zur Strecke bringt. Die Daily Mail feuerte eine ältere Frau an, die damit drohte, einer Fremden "in den Arsch zu treten", weil sie die Pandemie als "Schwindel" bezeichnete. Die Bevölkerung wird darin geschult, ihre Nachbarn rituell an den Pranger zu stellen und zu verraten. In Neuseeland wie im US-Bundesstaat Washington – in vielen Teilen der Welt werden spezielle Hinweistelefone dafür eingerichtet.
Wenn ein Abweichen von der sogenannten "neuen Normalität" mit Körperverletzung oder sogar mit dem Tod bestraft wird, hat sich die Gesellschaft auf einen rutschigen Abhang begeben, den sie nicht so leicht wieder zurück hinaufkommen wird. Die mittelalterliche Inquisition dauerte Jahrhunderte und tötete Tausende. Und diejenigen, die der Meinung sind, dass die Gesellschaft über eine solch irrationale, auf Gruppendenken basierende Barbarei hinausgekommen ist, wurden noch nie Opfer des Mobs in den sozialen Medien.
Religiöser Eifer gedeiht verständlicherweise in Zeiten der Unsicherheit. Das Zeitalter des Coronavirus ist hier keine Ausnahme. Aber können wir die Hexenverbrennungen dieses Mal bitte auslassen?
Helen Buyniski ist eine US-amerikanische Journalistin und politische Kommentatorin bei RT.
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