von Darius Shahtahmasebi
Neuseeland ist zum Anlaufpunkt für Milliardäre geworden, die einem möglichen apokalyptischen Szenario entfliehen wollen. Über das Land verstreut gibt es eine Reihe von unterirdischen Bunkern, in denen sich die Superreichen im Notfall in Sicherheit bringen können.
Die internationalen Medien haben den Umgang von Premierministerin Jacinda Ardern mit der Corona-Krise gepriesen. Neuseeland wurde als Beispiel dafür ins globale Rampenlicht gerückt, wie echte Führung in der Trump-Ära aussehen sollte und wie man erfolgreich eine gesunde Demokratie führen kann.
Stellt man Arderns Bemühungen der Art und Weise, wie die Corona-Krise in den USA gehandhabt wurde, gegenüber, wo im Zusammenhang mit ihr Zehntausende Menschen gestorben sind, so überrascht es mich nicht, dass Neuseeland wie ein Ort in einem utopischen Roman aussieht – zumindest von außen betrachtet. Doch während die Mehrheit der US-Amerikaner keine andere Wahl haben wird, als das Versagen ihrer Regierung in Kauf zu nehmen, scheint es einige zu geben, die ganz andere Pläne haben.
Laut Bloomberg gibt es unweit meines Wohnortes, nördlich von Christchurch, ein ausgedehntes unterirdisches Netz an Schutzräumen, das vom Unternehmen Vivos gebaut wurde und 300 Menschen aufnehmen kann. In der Zwischenzeit hat ein anderes solches Unternehmen, Rising S Company, angeblich zehn private Bunker im ganzen Land gebaut und Dutzende weitere ausgestattet. Der Bau dieser Bunker kann bis zu acht Millionen US-Dollar kosten und umfasst unter anderem Spielzimmer, Schießstände, Turnhallen und Operationstische. Ein saudischer Staatsangehöriger plant angeblich die Errichtung eines Hubschrauberlandeplatzes in seinem unterirdischen Versteck im James-Bond-Stil, das auch über eine Moschee verfügt. Der Preis für das Ganze war mit etwa 60 Millionen US-Dollar angesetzt.
Bis heute waren die neuseeländischen Medien nicht in der Lage, diese Behauptungen unabhängig zu überprüfen. So existieren offenbar in einem Gemeinderat keine Aufzeichnungen über Genehmigungen, die in den letzten fünf bis zehn Jahren für Anträge auf den Bau von Bunkern oder unterirdischen Unterkünften in dem Gebiet erteilt wurden.
Nichtsdestotrotz wird vermutet, dass einige Angehörige der Silicon Valley-Eliten bereits aus den USA geflohen sind und in Neuseeland Unterschlupf gesucht haben. Und im Gegensatz zu uns anderen horten die Superreichen keine Lebensmittel oder zanken sich untereinander im Supermarkt um Toilettenpapier und Handdesinfektionsmittel. Der US-Geschäftsmann Mihai Dinulescu und seine Frau kümmern sich um die Corona-Krise auf der neuseeländischen Insel Waiheke, wo er der Presse gegenüber verlauten ließ, sie wollten auf "Milliardärsjagd" gehen. Gott bewahre, dass sie bei ihrem Versuch, dem Schicksal vieler ihrer Mitmenschen, Frauen und Kinder, zu entkommen, tatsächlich einem Menschen aus der Mittelschicht oder gar einem Armen begegnen.
Offenbar ist ein Migrant auf der Flucht vor einer Katastrophe, in der er sich nicht sicher genug fühlt, um den Schutz seines eigenen Landes in Anspruch zu nehmen, in einer westlichen Nation akzeptabel, solange er überreich ist. Im Gegensatz dazu ist ein Flüchtling, der versucht, dem vom Krieg zerrütteten Syrien oder Afghanistan zu entkommen, etwas, das zu fürchten, lächerlich zu machen und letztlich abzulehnen ist.
Vor etwas mehr als einem Jahr eröffnete ein in Australien geborener bewaffneter Mann, der sich zum Hass auf Neuankömmlinge bekannte, das Feuer auf zwei Moscheen in Christchurch, Neuseeland. Er tötete 51 Menschen und verwundete Dutzende weitere. Seine Handlung fand Nachahmer sowohl in Europa als auch in den USA. Dies verdeutlicht sehr die reale Bedrohung, die der weiße Nationalismus für die Sicherheit von Migrantengemeinschaften darstellt.
Obwohl es sich eindeutig um eine extreme (und extremistische) Reaktion handelte, erstaunt doch die Heuchelei und unterschiedliche Behandlung, die diesen verschiedenen Kategorien von Migranten zuteil wird. Niemand scheint mit der Wimper zu zucken, wenn die Ultrareichen an einem Ort, der Tausende von Kilometern von ihrem Heimatland entfernt ist, unterirdische Bunker für mehrere Millionen US-Dollar bauen. Ganz sicher kann ich mich nicht im Geringsten daran erinnern, dass im Manifest der Bewaffneten eine Abneigung gegen die parasitären Ultrareichen, die die westliche Gesellschaft plagen, zum Ausdruck kam.
Und was hat es überhaupt mit der internationalen Faszination für Neuseeland auf sich? Haben diese technikbegeisterten CEOs und ultrareichen Kriecher nicht den Beitrag des ehemaligen Parlamentsabgeordneten Peter Dunne gelesen, in dem er Neuseeland als eine "zunehmend orwellsche Gesellschaft" beschrieb? Haben sie nicht den Artikel des Politikanalytikers der Victoria-Universität, Dr. Bryce Edwards, im The Guardian gelesen, der die Frage nach der langsamen, aber sehr realen Erosion der neuseeländischen Demokratie stellt? (Ich nehme an, sie haben auch meine Meinung zu diesem Thema nicht gelesen). Das Neuseeland, das die Superreichen inzwischen bewundern, unterscheidet sich stark von dem, in dem Polizeibeamte Anfang dieser Woche einen mutmaßlichen Kriminellen erschossen hatten. Oder von dem, in dem die Polizei im vergangenen Jahr einen 13-jährigen Jungen geschleift, geschlagen und getreten hatte. Wenn sie jedoch in ihrer unterirdischen Fitnesscentern trainieren, brauchen sie sich wohl nicht allzu sehr darum zu kümmern, was in der Außenwelt passiert.
Manche würden sagen, wir haben PayPal-Mitbegründer Peter Thiel für den aktuellen Stand der Dinge zu danken. Thiel, der eine 193 Hektar große ehemalige Schafweide in Neuseeland besitzt, hat die Regierung über seine Data-Mining-Firma Palantir auch bei der Nutzung und Verwaltung von Tracking-Daten während der Corona-Krise beraten. Interessant, wie das alles abläuft.
Die Ironie besteht darin, dass diese Silicon-Valley-Tech-Mogule den Vereinigten Staaten entfliehen – der Symbolfigur des guten Kerls in Hollywood-Filmen, der in Krisenzeiten für die Sicherheit aller sorgt. Wenn die US-Regierung nicht einmal ihr eigenes Volk beschützen kann, nach Jahrzehnten schrecklicher Filme, die uns vom Gegenteil überzeugen sollten, ist es vielleicht an der Zeit, den Untergang des sogenannten "amerikanischen Traums" und den Zusammenbruch ihrer Führungsrolle zuzugeben.
Wenn es jemals eines Beweises für den Zusammenbruch der USA als Beschützer von Freiheit, Chancen und Gleichheit bedurfte, dann ist es dieser. Und solange es keine Berichte über Neuseeländer gibt, die vor der Corona-Krise fliehen, um in den USA Zuflucht zu suchen, wird man kaum zu einem anderen Urteil kommen können.
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Darius Shahtahmasebi ist ein in Neuseeland ansässiger Rechts- und Politikwissenschaftler, der sich derzeit auf Einwanderung, Flüchtlinge und humanitäres Recht spezialisiert hat.
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