von Gert Ewen Ungar
Es ist in diesen Tagen nicht schwer, Menschen zu finden, die sich angesichts der ökonomischen Verwerfungen im Stich gelassen fühlen, die sich durch den weltweiten Shutdown wegen der Corona-Pandemie ergeben. Die ARD-Korrespondentin Ina Ruck hat in Moskau gleich mehrere gefunden und interviewt. Allen gemeinsam ist, dass sie sich über die Zukunft Sorgen machen.
Das ist nicht verwunderlich, denn auch für Regierungen gibt es aufgrund der Einzigartigkeit der Situation kein erprobtes Patentrezept, auf das man zurückgreifen könnte. Der Shutdown löst gleichzeitig einen Angebots- und einen Nachfrageschock für die Wirtschaft aus. Weltweit. Das hat es in der Geschichte in dieser Form noch nicht gegeben. Entsprechend groß sind die Verunsicherungen – bei Bürgern, Unternehmen und Entscheidern in der Politik.
Was allerdings journalistisch unlauter ist, ist ausschließlich diese Stimmen zu transportieren und die Bemühungen zu unterschlagen, die unternommen werden, um den Schock abzumildern. Was zudem unlauter ist, zu suggerieren, die Probleme wären auf einzelne Nationen begrenzt.
Genau das aber macht Ina Ruck in ihren aktuellen Beiträgen, in denen sie über die Entwicklungen in Russland berichtet. Sie emotionalisiert ihr Publikum und unterschlägt alle Maßnahmen, die versuchen, den Schock abzufedern. Zudem fehlt der Vergleich mit Deutschland und der Währungsunion. Schnell würde dann deutlich, wie sehr sich die Maßnahmen ähneln.
Auch in Deutschland sind kleine und mittelständische Betriebe in besonderer Weise betroffen, da es ihnen meist an Rücklagen fehlt, um aus eigener Kraft Einnahmeausfälle zu überbrücken. Aber auch in der Währungsunion sind die heraufziehenden ökonmoschen Probleme mit denen in Deutschland und Russland weitgehend identisch.
Doch während man auf der Ebene der Währungsunion schon jetzt darüber streitet, in welchem Umfang Länder wie Italien und Spanien überhaupt Maßnahmen finanzieren dürfen, wo sie doch bereits jetzt hohe Schuldenstände aufweisen, hat Russland dieses Problem nicht. Währungssouveränität ist in diesen Tagen ein entscheidender Vorteil.
Aber es ist natürlich richtig, was Ruck schreibt. Die eigentliche Erschütterung durch die Cornona-Krise steht noch bevor, denn der allgemeine Shut-Down bringt Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Aber eben nicht nur in Russland – weltweit.
Schade ist daher, dass Ina Ruck ihre gewonnene Einsicht in ökonomische Zusammenhänge ausschließlich auf Russland anwendet. Ruck suggeriert, Russland sei in einer besonderen Weise betroffen. Das ist nicht der Fall. Der ökonomische Schaden, der in vollem Umfang erst nach dem Shutdown zu ermessen sein wird, trifft die gesamte Welt.
Schade ist auch, dass Ina Ruck mit ihrem Bericht die Leser ziemlich in die Irre führt, indem sie Fakten verschweigt und ziemlich viel auslässt, was nicht ins Bild passt, das sie gerne zeichnen möchte. Und dieses von ihr so gern gezeichnete Bild ist, dass eine vollkommen inkompetente Regierung unter Wladimir Putin nichts für die heimische Wirtschaft und für kleine und mittlere Unternehmen tut.
Ruck weist zwar ganz richtig darauf hin, dass Putin die arbeitsfreie Zeit bis Ende des Monats verlängert hat. Sie weist auch darauf hin, dass Entlassungen verboten sind. Wenn es dann aber um die sich daran anschließende Frage geht, wie die russische Regierung die Unternehmen dabei unterstützt, diese Vorgaben tatsächlich auch umsetzen zu können, da suggeriert Ruck, es gäbe eine solche Unterstützung nicht. Das ist natürlich falsch.
Auf der Webseite des russischen Wirtschaftsministeriums wird man fündig. Dort sind die Maßnahmen aufgelistet. Auch informiert die russische Zentralbank regelmäßig über Maßnahmen, die sie ergreift, um das russische Finanzsystem und die russische Ökonomie zu stabilisieren. So gibt es beispielsweise die Möglichkeit, für die Auszahlung der Löhne von Angestellten zinslose Kredite in Anspruch zu nehmen. Die Rückzahlung von Krediten wurde ausgesetzt, ebenso die Zahlung von Steuern und Mieten. Für kleine und mittlere Unternehmen gibt es zahlreiche Hilfen bis hin zu einem Moratorium für Anträge auf Gläubigerschutz.
Im Moment kann kein Unternehmen in Russland pleite gehen. Ob das alles reicht, ob es alles richtig ist, ob die Hilfen nicht noch aufgestockt werden müssen? Das ist für Russland genauso schwer zu sagen, wie es schwer zu sagen ist, ob die Maßnahmen für die Eurozone und Deutschland ausreichen werden. All das wird die Zukunft zeigen. Es vergeht allerdings auch in Russland kein Tag, an dem nicht nachgebessert und neu ausgerichtet wird. So wird derzeit ein neues Maßnahmenpaket in der Duma diskutiert.
Die Situation in Russland ist genauso wie in Deutschland. Die russische Regierung fährt hier ebenso auf Sicht, wie alle anderen Regierungen dieser Welt. Und all die regierungsseitig ergriffenen Maßnahmen werden in Russland ebenso breit diskutiert, wie das hier in Deutschland der Fall ist.
Wenn Ruck dann in ihrem Beitrag eine Unternehmerin anführt, die meint: "Der Staat habe es Unternehmern noch nie leicht gemacht – es herrsche noch immer die Ansicht, dass man die Privatwirtschaft 'melken' könne, sagt sie. Unternehmertum gebe es ja erst seit 30 Jahren. Und in der Regierung säßen vor allem Beamte, oft über Generationen, die davon nichts verstünden. Anders kann sie sich auch die neuen Regelungen nicht erklären", dann unterlässt es Ruck darauf hinzuweisen, welche Maßnahmen es in den letzten Jahren gab, um Geschäftsgründungen zu erleichtern, um einfacheren Zugang zu Geschäftskrediten zu ermöglichen, wie Bürokratie abgebaut wurde und Förderprogramme insbesondere zur Unterstützung junger Unternehmen aufgelegt wurden.
Ina Ruck erwähnt das mit keinem Wort. Sie suggeriert im Gegenteil, der Staat habe ein Interesse an der Drangsalierung des Mittelstandes. Das ist unglaublicher Unsinn. Doch diesem Unsinn entsprechend lässt sie die russische Handelskammer zu Wort kommen, die angeblich von bis zu 3 Millionen möglichen Insolvenzen berichtet. Eine solche Zahl zum jetzigen Zeitpunkt zu nennen, ist unseriös.
Auch in Deutschland ist eine Pleitewelle abzusehen, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland informiert, aber es wäre unlauter, jetzt eine Anzahl von Unternehmen anzugeben, die Konkurs anmelden müssen. Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt einfach nicht absehen und hängt zudem von vielen Faktoren ab, unter anderem von kommenden staatlichen Unterstützungsmaßnahmen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Ina Ruck als Korrespondentin in Moskau zu all diesen Informationen problemlosen Zugang hat. Es ist wichtig zu verstehen, dass sie diese Information nicht weiter gibt. Das mag man wohlwollend als journalistische Schlampigkeit auslegen. Allerdings ist Ruck in dieser Hinsicht Wiederholungstäterin. Sie manipuliert durch Auslassung. Bereits am 31. März beispielsweise wartete Ruck mit einem Bericht auf, der sich in den breiten Strom antirussischer Berichterstattung nahtlos einfügt.
Man gewinnt den Eindruck, je deutlicher wird, wie sehr Deutschland und die EU bei der Seuchenbekämpfung versagen, desto schriller agitiert der deutsche Mainstream gegen Länder, die das deutlich besser im Griff haben. Die erste Meldung eines Corona-Falls gab es in Russland und Deutschland nahezu zeitgleich. Doch in Russland bleiben die Fallzahlen hinter denen in Deutschland weit zurück. Die EU wurde zum Epizentrum der Pandemie. Dennoch ist für Ina Ruck klar: In Russland versagt das Krisenmanagement der Regierung. Eine ganz erstaunliche Sicht auf die Dinge.
Generell berichtet Ruck über Russland nicht den Fakten und Problematiken angemessen. Dass dieses permanente fachliche Versagen offenkundig keine Auswirkungen auf ihre Stellung innerhalb der ARD hat, lässt den Schluss zu, dass dies auch gar nicht ihre Aufgabe ist. Ihre Aufgabe ist es wohl, konform zu berichten und ein etabliertes Bild über Russland immer weiter auszumalen. Dieses Bild orientiert sich mehr an dem, was als politisch opportun gilt, weniger an der tatsächlichen Problem- und Faktenlage in Russland. Sonst hätte sie festgestellt, dass sich die Maßnahmen in Russland zur Abfederung der Krise mit denen Deutschlands sehr ähneln.
Es lässt sich daher schließen: Die Aufgabe des ARD-Studios in Moskau ist nicht die Berichterstattung über Russland, sondern in einem Krieg der Narrative die Zuschauer in Deutschland möglichst lange in der Sicherheit der Überlegenheit des westlichen Narrativs zu wiegen. Und das macht es ganz gut. Mit Journalismus hat das allerdings wenig zu tun. Und mit dem Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen auch nicht.
Für die Einseitigkeit durch Auslassung noch ein abschließendes Beispiel: Es ist in der Berichterstattung des deutschen Mainstreams zu ökonomischen Belangen von Ländern gängige Praxis, auf die Schuldenstände des jeweiligen Landes zu verweisen. Erstaunlicherweise lässt Ruck diesen sonst üblichen Verweis hier aus. Er fehlt hier aus gutem Grund, denn Russland ist eins der am geringsten verschuldeten Länder der Welt. Doch während man den Zuschauer des Mainstreams jahrelang darauf konditioniert hat, wie das Kaninchen auf die Schlange auf Schuldenstände von Nationen zu schauen, fällt er hier unter den Tisch.
Das ist kein Zufall. Ruck müsste dann nämlich einräumen, dass selbst bei der von deutschen Journalisten gepflegten, sehr schlichten ökonomischen Weltsicht, Russland noch ganz viel Spiel hat. Über die Idiotie, Schuldenstände von Nationen für einen aussagekräftigen Indikator für auch nur irgendwas zu halten und den damit verbundenen makroökonomischen Analphabetismus des deutschen Mainstreams wird an anderer Stelle zu berichten sein. Aber dass nun ausgerechnet im Zusammenhang mit dem Heraufziehen einer unglaublichen ökonomischen Krise der Schuldenstand Russlands unerwähnt bleibt, ist bezeichnend für die Einseitigkeit, der sich die ARD verschrieben haben. Ina Ruck manipuliert durch Auslassung.
Man kann sich sicher sein. Das Crescendo der deutschen Medien wird in dem Maße immer weiter zunehmen und immer noch ein bisschen schriller und hysterischer werden, in dem sich zeigt, wie die EU und Deutschland beim Krisenmangement versagen und die EU durch die Corona-Krise weiter auseinander driftet, weil sich jede Solidarität schon EU-vertraglich verbietet. Und so können wir uns darauf einstellen, dass das Bashing gegenüber Ländern wie China und Russland immer lauter wird, während sich die Nachrichten im Ressort Inland mit Meldungen wie dieser hier füllen werden. Da kann auch der ein oder andere Journalist im nordkoreanischen Pjöngjang an regierungstreuer Berichterstattung von den hiesigen Jubelmeldungen sicherlich noch einiges lernen.
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