von Jochen Mitschka
Es gibt in Deutschland ungefähr 30.000 bis 40.000 Menschen, die an einer durch einen Gendefekt verursachten Erkrankung, genannt Lupus erythematodes, leiden. Diese Autoimmunerkrankung wird durch Rheumatologen behandelt. Ungefähr ein Drittel der Patienten werden mit Hydroxychloroquin dauerhaft therapiert. Dies ist ein uraltes und preiswertes Medikament, das ursprünglich als Mittel gegen Malaria entwickelt worden war, inzwischen dort aber wegen der Nebenwirkungen kaum noch eine Rolle spielt.
Schon in der Vergangenheit hatte es immer wieder Versorgungsprobleme gegeben. Möglicherweise weil der Markt zu klein und die Profite zu gering waren. Nachdem aber bekannt wurde, dass das Mittel, in Kombination mit anderen Präparaten, eine positive Wirkung bei der COVID-19-Erkrankung zeigt, verschwanden innerhalb von Wochen sämtliche Vorräte aus dem deutschen Markt.
Herr Dr. Schäfer, Internist und Rheumatologe an der Universitätsklinik Bonn, bestätigte einem Patienten, der sich hilfesuchend an ihn wandte, dass es derzeit keine Alternative für diesen Wirkstoff gibt und dass der Patient leider auf sich gestellt ist, bis das Präparat wieder verfügbar ist.
Nachfragen bei verschiedenen Online-Apotheken und Apotheken in Berlin, Hamburg und Köln ergaben, dass niemand mehr über lieferbare Mengen des Wirkstoffes in Arzneimittelform verfügt. Bestände der Medikamente wurden, zum Beispiel von Novartis, "im Kampf gegen das Coronavirus" gespendet.
Unter permanenter Kontrolle und Behandlung können Lupus-Erkrankte ein weitgehend normales Leben führen, auch wenn sie in der Regel als Behinderte anerkannt werden. Wird die Erkrankung Lupus allerdings nicht behandelt, besteht die äußerst große Gefahr, dass sie sich zu einem systemischen Lupus erythematodes (SLE) ausweitet und dass erhebliche Nebenerkrankungen wie Krebs, Nierenversagen usw. hinzukommen.
Der SLE kann jedes Organ und Organsystem befallen und schwer schädigen. Da das späte Krankheitsstadium heute medikamentös fast immer vermieden werden kann, tritt das Vollbild nur noch sehr selten auf. (Quelle)
Eine 50-jährige Lupus-Patientin berichtete, dass ihre Zwillingsschwester im Ausland leider in diesen Zustand geriet, daraufhin mehrere weitere Nebenerkrankungen entwickelte und nun von den Ärzten eine Lebenserwartung von sechs Monaten bekannt gegeben wurde.
Schon am 6. Februar wurde auf dem Nachrichtenportal rbb24 von Arzneimittelengpässen berichtet. Dort wurde mitgeteilt, dass in Deutschland aktuell 260 Medikamente nur eingeschränkt oder gar nicht lieferbar sind. In dieser Phase waren vermutlich die Gründe in der globalisierten Lieferkette zur Profitmaximierung zu sehen gewesen. Länder, in denen staatliche Gesundheitssysteme für die Arzneimittelversorgung verantwortlich sind, scheinen durch entsprechende Vorratshaltung zumindest zu dem Zeitpunkt im Februar noch nicht von den Versorgungsproblemen betroffen gewesen zu sein.
Droht sich in Deutschland eine Situation anzubahnen, wie sie zum Beispiel in Syrien und im Iran wegen der US-Sanktionen zu beobachten ist? Wo lebensrettende Arzneimittel nur noch über den Schwarzmarkt zu überhöhten Preisen bezogen werden können? Im Guardian konnte man schon am 13. Januar 2013 lesen, was heute noch stärker Gültigkeit hat und durch COVID-19 noch verschärft wird:
Hunderttausende schwer kranke Iraner sind durch die unbeabsichtigten Folgen der internationalen Sanktionen, die zu einem gravierenden Mangel an lebensrettenden Medikamenten wie Chemotherapeutika gegen Krebs und Blutgerinnungsmitteln für Hämophiliepatienten geführt haben, unmittelbar gefährdet. (Quelle)
Zurück nach Deutschland. Der Bundestag hatte am 13. Februar bereits ein Gesetz erlassen, das als Reaktion auf die Arzneimittelknappheit gedacht war: das sogenannte Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz. Es soll den Apothekern ermöglichen, auf Medikamentenmangel schnell und unbürokratisch zu reagieren, verschiebt aber damit die Verantwortung von der staatlichen Gesundheitsvorsorge auf die Berufsgruppe der Apotheker.
Und so wird das Gesetz auch vorsichtig und diplomatisch von Friedemann Schmidt, dem Präsidenten der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, kritisiert:
Lieferengpässe müssen an mehreren Fronten bekämpft werden.
Denn das Gesetz sieht in erster Linie vor, dass Ärzte und Apotheker schneller und einfacher auf Alternativen zu den knappen Arzneimitteln zurückgreifen können. Nicht aber, dass diese Arzneimittel strategisch bevorratet werden.
Fälle, in denen eine Substitution, wie bei den oben erwähnten Lupus-Patienten, nicht möglich ist, werden durch das Gesetz ganz offensichtlich nicht abgefangen, und die Bundesregierung sieht sich anscheinend nicht in der Pflicht, die Versorgung mit möglicherweise lebenssichernden Arzneimitteln in Deutschland sicherzustellen.
Prof. Dr. Aringer, Leiter des Bereiches Rheumatologie an der TU Dresden und Beisitzer in der Lupus-Selbsthilfegemeinschaft, teilte mir telefonisch mit, "es gibt keine verfügbare Alternative mit vergleichbarer Datenlage" für die Behandlung von Lupus zur Verhinderung des Abgleitens in voll entwickelten systemischen Lupus erythematodes (SLE). Außerdem wies er darauf hin, dass es schon seit längerer Zeit immer wieder Versorgungsengpässe gegeben hätte. Und auch nur ganz entfernt mögliche Substanzen, allerdings mit höherer Toxizität, am Markt nicht verfügbar waren.
Der Fall von Hydroxychloroquin ist nur stellvertretend zu sehen. Die Frage, die sich an dem Beispiel stellt, ist, ob der deutsche Staat für die Gesundheitsversorgung der deutschen Bevölkerung verantwortlich ist oder "die Märkte".
Einer der Hauptlieferanten für den Wirkstoff ist eine indische Firma. Ein Artikel in The Economic Times berichtet nun von einer ungewöhnlich schnellen Aufhebung von Beschränkungen durch die US-Aufsichtsbehörde FDA, nachdem ursprünglich wegen Verunreinigungen und 21 Verwarnungen eine Importwarnung ausgesprochen worden war. Allerdings hatte die indische Regierung vor wenigen Tagen mit einem Exportverbot reagiert, vermutlich, um die eigenen COVID-19-Fälle behandeln zu können. Was auf nicht absehbare Zeit dazu führt, dass der Rohstoff zur Herstellung des Fertigarzneimittels nur beschränkt verfügbar sein wird.
Telefonisch erhielt ich die Auskunft, dass in Dänemark, wo es anscheinend noch kleinere Mengen des Medikaments gibt, ebenfalls vor wenigen Tagen Hydroxychloroquin auf eine Liste von Medikamenten gesetzt wurde, die ausschließlich von Rheumakliniken bzw. Rheumatologen verordnet werden dürfen. Möglicherweise ein Versuch, die vorhandenen Restbestände für die Versorgung der bisherigen Patienten in Dänemark zu sichern.
So stellt sich die Frage, welche Maßnahmen die Bundesregierung ergriffen hat, um die Versorgung sicherzustellen. Durch die Erlassung des oben genannten Gesetzes wird das Problem sicher nicht aus der Welt geschafft werden, und viele Tausend Lupus-Patienten droht das Abgleiten in eine wesentlich schlimmere Form der Krankheit. Was, abgesehen von den persönlichen Schicksalen, eine enorme zusätzliche Belastung für das Gesundheitssystem werden könnte.
Die Herstellung von Tabletten ist sicher nicht das Problem, sondern die Beschaffung der Rohstoffe. Und der Rohstoff für das Medikament wird anscheinend derzeit von keinem deutschen Chemieunternehmen produziert. Vielleicht sollte ein Staat, der sich für die Gesundheitsversorgung seiner Bürger verantwortlich fühlt, in solchen Fällen die Initiative ergreifen.
Während große Pharmakonzerne ihre Bestände für die Behandlung von COVID-19 spenden, werden die auf das Präparat angewiesenen Menschen mit existentiellen Sorgen alleine gelassen. Und wenn davon die Rede ist, dass die Produktion der Medikamente gesteigert wird, sollte nicht vergessen werden, dass lediglich das Pressen des Rohstoffes in Tablettenform gemeint ist, während die Frage der Herstellung des Wirkstoffes oft unbeantwortet bleibt.
Durch die Panik bei einigen Patienten hatten sich meinen Recherchen zufolge mehrere wichtige Rheumatologen an den Hersteller des ursprünglichen Originalpräparates Quensyl gewandt. Auf Druck der Ärzte, die wiederum unter dem Druck von Patienten standen, hatte Sanofi angeblich bereits in Einzelfällen Präparate direkt Apotheken zur Verfügung gestellt.
Die Informationen, die mich vor ungefähr einer Woche erreichten, besagten, dass die Firma Sanofi für die oben genannte Patientengruppe, die auf das Medikament angewiesen ist, einen Sonderservice eingerichtet hat. Wenn eine Apotheke das Rezept mit geschwärzten Patientendaten an die Firma sendet, kann sie das Präparat während der Krise direkt beziehen.
Die offizielle Stellungnahme der Presseabteilung war zunächst negativ, dann aber erfolgte am 30. März doch eine positive Rückmeldung, die eine erhebliche Erleichterung für zehntausende von chronisch kranken Patienten in Deutschland bedeutet:
Quensyl® ist in den oben genannten zugelassenen Indikationen [Anmerkung: rheumatoidee Arthritis, juvenile idiopathische Arthritis und systemischer Lupus erythematodes] für chronisch kranke Patienten mit dem regelmäßigem Bedarf in Deutschland verfügbar und lieferfähig. Apotheken, die vom Großhandel nicht beliefert werden können und die sich bei Sanofi melden, werden, wenn sie einen konkreten Bedarf mit einem Rezept belegen können, direkt beliefert.
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