Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) machte den Weg für Ermittlungsverfahren zu Kriegsverbrechen im knapp 20 Jahre andauernden Konflikt in Afghanistan frei. Die Richter urteilten am Donnerstag in Den Haag, dass Ermittlungen gegen afghanische und Taliban-Truppen sowie gegen Angehörige des US-Geheimdienstes CIA möglich seien. Zu dem Verdacht von Kriegsverbrechen in mutmaßlich geheimen Gefangenenlagern der US-Streitkräfte außerhalb Afghanistans darf die Anklage nun ebenfalls offiziell ermitteln.
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Es ist das erste Mal, dass es vor dem Gericht Ermittlungen gegen US-Bürger geben soll. Die US-Regierung reagierte empört. US-Außenminister Mike Pompeo, der von 2017 bis 2018 Direktor des umstrittenen US-Geheimdienstes CIA war, zeigte sich prompt empört:
Dies ist eine wirklich haarsträubende Aktion einer nicht rechenschaftspflichtigen politischen Institution, die sich als juristische Instanz ausgibt", wütete Pompeo auf einer Pressekonferenz nach dem Urteil.
Pompeo ging auch auf die jüngste Errungenschaft Washingtons – das kürzlich geschlossene Friedensabkommen mit den Taliban – ein, erwähnte jedoch nicht, dass die US-Streitkräfte kurz darauf einen Luftangriff gegen die Taliban flogen.
Es ist umso unverantwortlicher, da dieses Urteil nur wenige Tage nach der Unterzeichnung des historischen Friedensabkommens der Vereinigten Staaten über Afghanistan ergeht, das die beste Chance für Frieden seit einer Generation darstellt.
Die Chefin der unabhängigen Menschenrechtskommission von Afghanistan Schaharsad Akbar twitterte dagegen, die Ankündigung des Gerichts sei "eine willkommene Nachricht für Afghanistan und Gerechtigkeit für Opfer des Krieges". Sie dankte auch jenen Opfern, die schon Aussagen zur Verfügung gestellt hatten.
Der US-Außenminister kündigte an, die USA würden alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um US-Bürger vor diesem "unrechtmäßigen sogenannten Gericht" zu schützen. "Ich will nicht vorgreifen, welche Schritte wir gehen werden." Mit einer Ankündigung dazu sei "wahrscheinlich in mehreren Wochen" zu rechnen.
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Der Internationale Strafgerichtshof verfolgt Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. 123 Staaten haben den Grundlagenvertrag des Gerichtes ratifiziert, darunter auch Afghanistan. Die USA sind kein Vertragsstaat des Gerichtshofes.
Chefanklägerin Fatou Bensouda hatte die richterliche Zustimmung beantragt, um gegen Verantwortliche für Folter, willkürliche Tötungen, sexuelle Gewalt und andere Kriegsverbrechen vorzugehen, die im Zusammenhang mit dem Krieg in Afghanistan seit 2003 verübt worden seien. Bensouda will gegen mutmaßliche Täter bei den Taliban und den afghanischen Streitkräften ermitteln. Aber auch US-Soldaten und Mitglieder des US-Geheimdienstes CIA sind im Visier der Anklage. Die Chefanklägerin sagte, es gebe Informationen, dass Mitglieder des US-Militärs und der US-Geheimdienste Folter und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Gefangenen in Afghanistan und anderen Orten begangen hätten. Zudem haben die Taliban und andere aufständische Gruppen laut Bensouda seit 2009 mehr als 17.000 afghanische Zivilisten getötet, die afghanischen Sicherheitskräfte werden verdächtigt, Gefangene in staatlichen Gefangenenlagern zu foltern.
Die Vorbereitungen für den Schritt ziehen sich schon länger hin. Zunächst hatte eine Kammer des Gerichts den Antrag der Anklage abgelehnt. Damals war die Argumentation, dass es kaum Aussicht auf eine Kooperation der Betroffenen, darunter die USA, die afghanischen Behörden und die Taliban, gebe und deshalb der Erfolg der Ermittlungen unwahrscheinlich sei. Bereits bei diesem Anlauf drohte Pompeo, dass Washington den in die Aufklärung möglicher Kriegsverbrechen von US-Truppen involvierten Mitarbeitern des IStGH die Visa entziehen oder verweigern würde. Bensouda bestätigte später, dass ihr US-Visum tatsächlich widerrufen worden war.
Die Richter in Den Haag stimmten auch zu, dass die Untersuchung auch die schwarzen Standorte der CIA in Polen, Litauen und Rumänien einschließen sollte, an denen die Gefangenen festgenommen wurden.
Ermittlungen beim Weltstrafgericht ziehen sich in der Regel über Jahre hin. Es ist nicht abzusehen, ob sie in diesem Fall auch zu Haftbefehlen oder einem Prozess führen werden.
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