Vor zwei Jahren, am 4. März 2018, wurde auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter Julia im englischen Salisbury ein Anschlag mit dem Nervengift "Nowitschok" verübt, den beide überlebten. London machte sofort die russische Regierung für das Attentat verantwortlich. Während der anschließenden antirussischen Medienkampagne im Fall Skripal diente "Bellingcat" stets als Stichwortgeber. Die private Rechercheplattform will gar die wahre Identität der mutmaßlichen Täter ermittelt haben.
Auch im Fall des im August im Berliner Tiergarten ermordeten Tschetschenen Selimchan Changoschwili legte Bellingcat – in Kooperation mit dem Spiegel – die Spur nach Russland beziehungsweise zu dessen Inlandsgeheimdienst FSB. Dabei verknüpft Bellingcat den Fall Skripal mit Changoschwili und einem früheren Attentat in Bulgarien. Doch die Arbeitsmethoden von Bellingcat sind ebenso fragwürdig wie der Gehalt der gegen Russland erhobenen Vorwürfe, wie diese Spurensuche des ehemaligen Kriminalbeamten Jürgen Cain Külbel darlegt.
von Jürgen Cain Külbel
Es kracht im Gebälk von Bellingcat. Der Niederländer Daniel Romein, der eigentlich Danyo Romijn heißt und "Hauptermittler" jenes Bellingcat-Ermittlungsteams war, dass medienwirksam "nachwies", Russland sei für den Abschuss des Malaysia-Airlines-Fluges MH17 am 17. Juli 2014 über der Ukraine verantwortlich, wurde am 27. Dezember 2019 vom "großen Führer" der Plattform – gemeint ist offenbar Eliot Higgins, Gründer und Kopf der Truppe – aus dem internen Kommunikationskanal geworfen. Romein schrieb dazu:
Unglaublich, aber wahr: Nach fünf Jahren sehr loyalen Dienstes gegenüber meinem Arbeitgeber wurde ich soeben auf unserem gemeinsamen Kommunikations-Tool gesperrt. Anscheinend passiert das, wenn du mit 'dem großen Führer' nicht einverstanden bist, der das Symbol für Demokratie und Redefreiheit ist.
Romeins Twitter-Account mit dem Bellingcat-Branding – ein auf dem Kopf stehendes weißes Fragezeichen vor schwarzem Grund – verschwand in der Versenkung. Der Grund für den Zoff ist unklar; doch publizierte WikiLeaks an jenem Tag die dritte Tranche von Dokumenten, die die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in den Verdacht rückten, den Abschlussbericht über den angeblichen Giftgasangriff im syrischen Duma vom 7. April 2018 aus politischem Kalkül heraus manipuliert zu haben: Damaskus sollte der Tat bezichtigt und die nachfolgende Bombardierung Syriens durch Amerikaner, Briten und Franzosen somit legitimiert werden.
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Immerhin steht damit auch Bellingcats Glaubwürdigkeit auf dem Spiel, da die Plattform der mediale Stichwortgeber schlechthin ist, wenn es darum geht, die syrische Regierung für Giftgaseinsätze verantwortlich zu machen – auch wenn wie im Fall von Duma die Fakten für eine Täterschaft der "Rebellen" sprechen.
In einem Interview mit der Deutschen Welle räumte Higgins 2016 ein, dass sich Bellingcat ganz bewusst auf Russlands "Lügen" fokussiere. Diese Zielvorgabe zahlt sich buchstäblich aus: Bellingcat wird unter anderem von George Soros' "Open Society Foundation" (OSF) und vom National Endowment for Democracy (NED) finanziert, einer vom US-Kongress gesponserten Stiftung, die unter dem Deckmantel der "Demokratieförderung" verdeckte Operationen im Ausland durchführt.
Ein weiterer interessanter Finanzier ist die extrem antirussisch aufgestellte US-Denkfabrik Atlantic Council, die sich für die globale Vorherrschaft der USA starkmacht und beispielsweise zu Terroranschlägen auf die Krim-Brücke aufruft. Higgins selbst war noch bis Anfang 2019 "Senior Fellow" des vom Atlantic Council gegründeten "Digital Forensic Research Lab", das von Facebook beauftragt wurde, die Plattform von "Fake News" zu befreien.
Um Bellingcats fragwürdigen Umgang mit Beweismitteln im Fall des am 23. August 2019 im Berliner Tiergarten erschossenen tschetschenischen Asylbewerbers Selimchan Changoschwili verstehen zu können, ist eine Revision des Modus Operandi der Laien-Ermittler, die auch in anderen Kapitalverbrechen mitmischen, anhand repräsentativer Fallbeispiele vonnöten.
Journalistische Wahrheit am Fallbeispiel "versuchtes Tötungsdelikt Skripal"
Am 4. März 2018 wurden der ehemalige russische Doppelagent Sergei Skripal und dessen Tochter Julia in der englischen Stadt Salisbury Opfer eines vermeintlichen Giftanschlages. Großbritanniens damalige Premierministerin Theresa May sah es als "sehr wahrscheinlich" an, dass Russland für den Mordversuch verantwortlich sei – und zwar mit dem geächteten Nervenkampfstoff Nowitschok.
Bellingcat unterfütterte prompt das antirussische Narrativ und fand in Windeseile "schlüssige und endgültige Beweise" für die Täterschaft zweier Russen: Alexander Mischkin alias Alexander Petrow sowie Anatoli Tschepiga alias Ruslan Boschirow. Der Mainstream griff die Nachricht fast schon mit Begeisterung auf; die Briten beantragten Europäische Haftbefehle und erwirkten bei Interpol eine Festnahmeersuchen ("Red Notice") für Boschirow und Petrow, die noch Ende 2018 im Netz standen. Doch inzwischen wurden die Haftbefehle offenbar stillschweigend entfernt; die Suche nach Haftbefehlen für Boschirow und Petrow bei Europol läuft heute ins Leere! Ebenso für Mishkin und Chepiga. Gleiches gilt für die Red Notice bei Interpol.
Am 7. August 2019 verbreitete der Guardian, so Florian Rötzer von Telepolis, "dass die britischen Geheimdienste davon ausgingen, dass Putin 'wahrscheinlich' den Anschlag gebilligt habe, um dann Neil Basu, den Leiter der britischen Antiterroreinheit der Polizei, zu zitieren, nach dem die Ermittlungen weiter gingen. Die letzte Pressemitteilung über den Fall wurde im November 2018 veröffentlicht. Anklagen seien eine komplexe Angelegenheit: 'Man muss beweisen, dass er (Putin) direkt beteiligt war.'" Weiter schreibt Rötzer dazu:
Man geht also davon aus, dass Putin direkt verantwortlich war, oder ist eben daran interessiert, es so erscheinen zu lassen. Das Problem sei, so Basu, dass es eigentlich keine gerichtsfesten Beweise gibt, um einen europäischen Haftbefehl auszustellen: 'Wir haben bislang keinen Fall für eine Anklage.' Ob Basu damit nur die Drahtzieher meint oder auch die der Tat Verdächtigen, ist nicht so ganz klar. Für die angeblichen GRU-Agenten Alexander Petrow und Ruslan Boschirow (…) hat die Staatsanwaltschaft aber kein Auslieferungsgesuch an Russland gestellt, da es darüber keine Vereinbarungen gibt.
Die Staatsanwaltschaft geht trotz der Behauptungen von Bellingcat, die die Täter mit richtigen Namen identifiziert haben wollen, nur davon aus, dass die Namen Pseudonyme sind. Den dritten Verdächtigen (den Bellingcat identifiziert haben will) hat die Staatsanwaltschaft nicht beschuldigt. 'Wir sind Polizeioffiziere', sagte Basu, 'daher müssen wir Beweise suchen. Es gab eine riesige Menge an Spekulationen, wer verantwortlich ist, wer die Befehle gab, alles auf dem Expertenwissen von Menschen über Russland. Ich brauche Beweise.'
Mit seiner Aussage habe sich Basu offenbar von der politischen Interessenlange entfernt, schlussfolgert Rötzer. Der Guardian wolle aus dessen Äußerungen hingegen das westliche Narrativ verstärken, wonach den Angriff mit dem Nervengift angeordnet habe.
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Bellingcats "schlüssige und endgültige" Beweise hinterließen bei den Scotland-Yard-Profis offenbar keinen nachhaltigen Eindruck. Das Skripal-Verfahren gegen die Russen ist "heruntergekocht", doch der Mainstream stemmt sich mit aller Kraft gegen diese Tatsache, ignoriert den Ermittlungsstand von Scotland Yard und poltert bei jeder Gelegenheit in Sachen Skripal: Der Russe war's, Putin!
Journalistische Wahrheit am Fallbeispiel "versuchtes Tötungsdelikt Gebrew"
Aber auch im Fall des bulgarischen Waffenhändlers Emilian Gebrew, der 2015 vergiftet wurde und nur knapp überlebte, lebt die Causa Skripal weiter. Der Spiegel übte sich am 23. November 2019 in Konjunktiv-Superlativen:
Recherchen von 'Bellingcat' und dem Spiegel zeigen: Dahinter steckt wohl ein Killerteam des russischen Militärgeheimdienstes.
Autoren des Stückes sind Fidelius Schmid, Roman Lehberger und Christo Grozev, Bellingcat-Mann der ersten Stunde. Grozev scheint in seiner bulgarischen Ex-Heimat nicht besonders gelitten. Miroljuba Benatowa, eine bekannte bulgarische Journalistin mit 26 Jahren Erfahrung in den größten Rundfunkgruppen des Landes, sagte am 6. Februar 2020, dass Christo Grozev gar kein Journalist, sondern "ein Briefkasten der Dienste" sei.
Grozev war 2011 und 2012 zudem in große Skandale verwickelt, er wollte die auflagenstärksten bulgarischen Zeitungen kaufen, hatte aber keinen Cent in der Tasche. Dann verschwand er, widmete sich der Anti-Russland-Propaganda, bis er als "investigativer Journalist" bei Bellingcat aufpoppte. Schmid und Lehberger vom Spiegel bilden mit Grozev seit geraumer Zeit ein Team; sozusagen Bellingcats deutsche Abteilung.
Die drei "klären" zeitgleich und wie von Zauberhand Kapitalverbrechen in Deutschland und Bulgarien auf – ohne auch nur in die Nähe eines der Tatorte, der Opfer, der Verdächtigen oder der gesicherten Beweismittel gekommen zu sein. Während sich in der kriminalistischen Praxis an einem Mordfall mit unbekanntem Täter Dutzende Ermittler abarbeiten (es gibt die kleine und die große Mordkommission, letztere mit 20 und mehr Ermittlern), genügen dem Dreier-Dreamteam warme Sessel, Laptops und Datenbanken. Was braucht es da noch Mordermittler, Kriminaltechnik, Vernehmer, Gerichtsmediziner, das ganze kriminalistische und forensische Besteck, wenn der Hobbyermittler das im Alleingang schafft?
Im Fall Gebrew beruft sich das Team auf "vertrauliche Dokumente aus Flugdatenbanken, Passagierlisten, russische Passdatenbanken". Aus der Analyse des Materials konstruierte es den Zusammenhang zwischen dem Mordversuch an Skripal im März 2018 und dem an Gebrew im April 2015:
Eine zentrale Rolle in den Enthüllungen um Skripal und Gebrew spielt ein Geheimdienstler mit dem Decknamen 'Sergej Fedotov', ein Russe mit grauen Schläfen und bulligem Gesicht. Kurz vor dem Skripal-Attentat im März 2018 reiste 'Fedotov' mit einem auf diesen Namen ausgestellten Ausweis nach England. Von einem Londoner Hotelzimmer aus fungierte er mutmaßlich als lokaler Koordinator des Giftanschlags in Skripals Wohnort Salisbury. Nachforschungen – unter anderem in russischen Passdatenbanken – führten im Februar dieses Jahres schließlich zur Enttarnung des Mannes: bei 'Sergej Fedotov' handelt es sich tatsächlich um den 45-jährigen GRU-Agenten Denis Sergejew. (…)
Am 24. April 2015, drei Tage vor dem Giftanschlag auf Waffenhändler Gebrew, reiste 'Fedotov' per Flugzeug nach Burgas, einem Badeort an der Schwarzmeerküste. Seinen Rückflug hatte er für eine Woche später gebucht. Doch schon am späten Abend des 28. April nahm 'Fedotov' einen Last-Minute-Flug über Istanbul zurück nach Moskau – genau an jenem Tag, an dem Emilian Gebrew im Restaurant kollabierte und ins Koma fiel.
Auch das Gift, mit dem Gebrew 2015 kontaminiert wurde, wurde benannt:
Gebrew drängt nun darauf, die Proben des verwendeten Gifts weiter von Speziallaboren untersuchen zu lassen. Erste Ergebnisse deuten auf Ähnlichkeiten mit einem Nervengift aus der Nowitschok-Gruppe hin. Die Substanz, die auch Sergej Skripal fast das Leben kostete.
Seltsam nur: Bulgarien verzichtete im Unterschied zu den Briten auf eine Dekontaminierung der verseuchten Örtlichkeiten. Und was ist mit all den Personen und Medizinern in Bulgarien, die mit dem Nowitschok-Vergifteten in tödlichen Kontakt gerieten? Wurden sie klammheimlich unter die Erde gebracht? Wohl kaum, wahrscheinlicher ist, dass die Nowitschok-Spur gar nicht existiert.
Bald schusterte das Spiegel-Team ein mehrköpfiges russisches Mordkommando, das auf Gebrew angesetzt gewesen sein soll, auf der Basis der erwähnten "vertraulichen" Datenbanken zusammen. Ich empfehle dringend einen Blick in Wikipedia, denn dort ist idiotensicher dargelegt, wie mit Daten und Spuren umzugehen ist, die Beweiskraft vor Gericht haben sollen:
Die Beweismittelkette dokumentiert den Fluss von Spuren oder Spurträgern über mehrere Stationen bis zur Einbringung eines Beweismittels. Sie soll die Nachvollziehbarkeit und Prüfung der Authentizität und gegebenenfalls der Integrität ermöglichen. Die Beweismittelkette soll also sicherstellen, dass z.B. einem Gericht nur 'originale' Beweismittel vorgelegt werden, an denen keine Manipulationen stattgefunden haben. Von einer lückenlosen oder geschlossenen Beweismittelkette spricht man dann, wenn der Fluss und alle durchgeführten Handlungen, wie beispielsweise Übergaben, Versiegelungen, Kontrollen oder Analysen nach allgemein anerkanntem Verfahren durchgeführt und dokumentiert wurden. In der Praxis werden hierzu akkreditierte Labore beauftragt, deren Prozesse regelmäßig geprüft werden.
Das gilt auch für Dokumentation und Berichte über gesicherte Daten und Datenmengen. Was, liebe Leute vom Spiegel, wenn ein "Schlapphut" Bellingcat mit Material versorgte und die Daten vielleicht zuvor verfälschen ließ? Oder wenn ein erpessbarer russischer Informant mit Zugang zu Datenbanken die Daten im Auftrag Dritter fälschte oder falsche Daten platzierte, damit die "Experten" bei Bellingcat das gewünschte Ergebnis konstruieren?
Wie dreist Bellingcat objektive Daten und Originaldokumente im Fall Gebrew missbrauchte, wies die bulgarische Journalistin Diljana Gaitandschijewa am 28. November 2019 in ihrem Artikel "Exposed: Bellingcat fabricate evidence, deliberately hide documents in new 'Russian spy plot'" nach.
Gaitandschijewa veröffentlichte am 2. Juli 2017 in der bulgarischen Zeitung Trud Daily einen Bericht über Waffenschmuggel an Terroristen in Syrien, der über 350 diplomatische Flüge abgewickelt wurde. Ihre Quellen waren "diplomatische Dokumente der aserbaidschanischen Botschaft in Bulgarien und des bulgarischen Außenministeriums, die nach einem Cyberangriff online durchgesickert waren. Die Echtheit der durchgesickerten Dokumente wurde später von der aserbaidschanischen Botschaft bestätigt". Die staatliche Agentur für "Nationale Sicherheit" in Bulgarien übte danach Druck auf die Journalistin aus, schließlich verlor sie ihren Job bei Trud Daily.
Am 23. November 2019 übernahm Bellingcat und versuchte in dem Pamphlet "The Dreadful Eight: GRU's Unit 29155 and the 2015 Poisoning of Emilian Gebrev", die Ermittlungen der Journalistin laut ihrer Aussage "absichtlich falsch" darzustellen, indem es "vorsätzlich und mit böswilliger Absicht Beweise manipulierte, wichtige Dokumente verbarg". Gaitandschijewa hielt dagegen:
Nach Angaben des Bellingcat-Ermittlungsteams wurde der bulgarische Waffenhändler Emilian Gebrev 2015 von GRU-Agenten vergiftet. Bellingcat geht noch weiter und unterstellt mir als Journalistin, ich würde vorsätzlich versuchen, Herrn Gebrev international zu diskreditieren, da seine Firma Emco Ltd. in einer früheren Untersuchung über Diplomatenflüge mit Waffen für Terroristen in Syrien auftaucht.
Der Bellingcat-Artikel enthält insgesamt sechs handfeste Lügen; repräsentativ sei nur eine zitiert. Gaitandschijewa:
Laut meiner Untersuchung flog am 6. Mai 2015 ein aserbaidschanisches Militärflugzeug von Burgas (Bulgarien) nach İncirlik (Türkei). Es beförderte Militärfracht von Bulgarien in die Türkei mit dem Versender Emco Ltd., Sofia, und dem Verteidigungsministerium Aserbaidschans als Empfänger. Bellingcat schreibt, dass dies falsch sei, und fabriziert Lügen, indem es den tatsächlichen diplomatischen Vermerk (vom 5. Mai 2015), mit dem bulgarische Beamte diesen diplomatischen Flug genehmigt haben, nicht vorzeigt.
Bellingcat zeigt fälschlicherweise eine frühere diplomatische Notiz (30. April 2015) über Waffenexporte von anderen Unternehmen (…). Bellingcats Lüge Nr. 1: 'Wir haben die Korrespondenz zwischen dem bulgarischen Außenministerium und der Botschaft von Aserbaidschan vom April 2015 überprüft, die zeigt, dass der Name Emco in betrügerischer Absicht – oder fälschlicherweise – in den Exportantrag aufgenommen wurde'. (…) Dies ist eine Erfindung von Bellingcat. (Anm. d. Red.: Gaitandschijewa hat die entsprechende Dokumente in ihrem Artikel veröffentlicht.)
Diljana Gaitandschijewa nimmt Bellingcats Bericht professionell Stück für Stück auseinander; es ist eine Wonne, ihre Replik zu lesen, die mittels Originaldokumenten Bellingcats fragliche Argumentation entkräftet. Dem Autor dieses Artikels schrieb sie:
Alles ist sehr schockierend für mich. Ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand so lügen und internationale Auszeichnungen erhalten und seine Fehler nicht eingestehen kann, wenn er falsch liegt. Die einzige Erklärung ist, dass Bellingcat absichtlich lügt.
Journalistische Wahrheit am Fallbeispiel "Chemiewaffenangriffe in Syrien"
Über Chemiewaffen-Fakes in Syrien gibt es unendlich viel zu berichten. Ich möchte mich auf zwei Vorgänge beschränken, die die Arbeit der Fälscherwerkstatt Bellingcat entlarven. Philip Watson, Datenanalyst aus Nordirland, Betreiber der Webseite Hidden Syria, auf der er Ermittlungen zu den angeblichen Chemiewaffenangriffen in Syrien publiziert, twitterte am 10. Dezember 2019 über einen Bellingcat-Betrug:
Während einer Untersuchung von 'Chlorflaschen' stellte ich fest, dass Eliot Higgins ein Bild von einem mutmaßlichen Angriff von 2016 nahm und es benutzte, um einen Angriff von 2017 zu behaupten. Interessanter ist, dass die Behauptung aus dem Jahre 2016 und das Bild von Bellingcat stammen. Er hat sein eigenes Foto recycelt!
Am 19. Dezember 2016 hatte nämlich Bellingcat-Mitglied Christiaan Triebert den Beitrag "The CL2 Before the Storm — Alleged Chemical Attacks in Aleppo in the Last Months of 2016" verfasst. Darin listete er angebliche Chemiewaffenangriffe in Syrien auf; unter "Incident 11" dokumentierte er einen Chlorgas-Vorfall vom 8. Dezember 2016 in den Bezirken Bustan Al-Qaser und Al-Fardous in Aleppo und bezichtigte die syrische Regierung der Täterschaft. Passend dazu veröffentlichte Triebert ein Foto, das eine Chlorgasflasche zeigt, die zur Anwendung gekommen sein soll.
Ebendieses Foto aus 2016 benutzte Bellingcat-Chef Eliot Higgins am 23. Januar 2018 in einem von ihm verfassten Bericht über angebliche chemische Angriffe in Syrien; diesmal als Beweismittel für einen anderen Vorfall: "Die Überreste einer Chlorflasche, die bei einem Angriff im März 2017 verwendet wurden". Philip Watson schrieb dem Autor: "Ich hatte zu diesem Zeitpunkt auf der Bellingcat-Webseite darüber gepostet, meine Beiträge wurden entfernt." Erst im Juli 2019 sah sich Higgins gezwungen, die Bildunterschrift zu revidieren. Das ist kein fahrlässiger handwerklicher Schnitzer, eher eine vorsätzliche Fälschung, die Higgins erst nach massivem Druck klammheimlich "bereinigte".
Aber auch Triebert übte sich in "kriminalistischer" Stümperei. In seinem Artikel dokumentierte er unter "Incident 4" einen anderen, angeblich von Damaskus exekutierten Chlorgasangriff im Bereich der Al-Bab-Road nahe Aleppo vom 20. November 2016. Als Beweis postete er ein Video, auf dem der abgeworfene Chlorzylinder gezeigt wird. Watson ermittelte nun, dass eben dieser Chlorzylinder, der signifikante Merkmale (Farbzeichnungen, Aufdrucke etc.) aufzeigt, in mindestens zwei anderenAktivisten-Videos als Tatwaffe vorgestellt wurde. Offenbar haben die syrischen "Aktivisten" das Ding mühselig hin und her geschleppt, um diverse "Chemiewaffen-Tatorte" zu produzieren. Watson an den Autor:
Ich nahm mit Triebert Kontakt auf, aber er antwortete mir erst, nachdem er Bellingcat verlassen hatte. Es benötigte einen monatelangen Nachrichtenaustausch, bis er schließlich ein einziges Wort änderte: aus 'das Video (…) zeigt den angegriffenen Standort' wurde 'das Video (…) zeigt den vermutlich angegriffenen Standort'.
Journalistische Wahrheit am Fallbeispiel "Tötungsdelikt Changoschwili"
Im Falle Selimchan Changoschwili erreicht der a-kriminalistische Modus Operandi von Bellingcat seinen vorläufigen Höhepunkt. Der tschetschenische Asylbewerber wurde am 23. August 2019 im Berliner Tiergarten von einem russischen Täter namens Sokolow alias Krasikow erschossenen. Es dauerte nicht lange, da entdeckte Bellingcat die "russische Spur", und publizierte dazu mit dem Spiegel; zuletzt am 17. Februar 2020. Bei Bellingcat liest sich das so:
Eine monatelange Untersuchung von Bellingcat und seinen Partnern The Insider und Der Spiegel hat ergeben, dass die Ermordung von Selimchan Changoschwili (…) vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB geplant und organisiert wurde. Die Vorbereitung des Mordes wurde direkt von Eduard Bendersky, Vorsitzender des Vympel Charitable Fund für ehemalige Spetsnaz-Offiziere des FSB, und anderen hochrangigen Mitgliedern des Fonds überwacht. (…) Wir haben jedoch festgestellt, dass die wesentliche Unterstützung für die Operation – sowohl für die Ausbildung des Attentäters als auch für die Ausstellung falscher Ausweispapiere – direkt vom FSB und auf der Grundlage des sogenannten Zentrums für Spezialoperationen des FSB bereitgestellt wurde.
Bellingcat behauptet kühn, der Verdächtige Krasikow war "in wenigstens zwei Auftragsmorde involviert". Das ist steil, hat der sich doch zu den Tatvorwürfen noch gar nicht geäußert. Wurden der oder die Auftraggeber der Morde etwa von Bellingcat-Spezialisten oder von Spiegel-Journalisten vernommen? Sind sie dann vor den Laien-Ermittlern eingeknickt, haben die Mordaufträge samt Entlohnung des Täters im Detail zu Papier gegeben? Wohl eher nicht.
Bellingcat argumentiert, der Täter Krasikow agierte unter der falschen Identität Sokolow:
Wir (Bellingcat) kamen zu dem Schluss, dass das ausgeklügelte Verfahren zur Ausstellung gültiger Dokumente im Namen einer falschen Person zusammen mit der vollständigen Registrierung einer solchen nicht existierenden Person in allen Regierungsdatenbanken ohne die direkte Beteiligung des russischen Staates nicht möglich gewesen wäre.
Und analog zum Fall Skripal ("endgültige Beweise") spricht Bellingcat das Urteil:
Diese Untersuchung zeigt schlüssig, dass der Hauptsicherheitsdienst des russischen Staates das extraterritoriale Attentat 2019 in der deutschen Hauptstadt geplant, vorbereitet und durchgeführt hat. Alternative Hypothesen, die den Mord in kriminellen Gruppen mit dem tschetschenischen Herrscher Ramsan Kadyrow oder sogar mit einer persönlichen Rache ehemaliger oder aktueller Sicherheitsbeamter in Verbindung bringen, können nun als unwahrscheinlich ausgeschlossen werden.
Was sind die Quellen von Bellingcat im Fall Changoschwili wert? Von "Informanten" erhielt die Plattform Steuer- und Wohnregister, Telefon-Metadaten, Anrufprotokolle, Abrechnungsunterlagen von Telekommunikationsfirmen, Unterlagen aus Flugdatenbanken, Passagierlisten etc. Das mag stimmen, doch existiert keine Beweismittelkette ("Chain of Custody"), die die Kriminalisten und Juristen brennend interessiert: was wurde wann von wem wo und wie übergeben oder abgekauft? Sind die erhaltenen Daten echt oder manipuliert? Alle Welt weiß doch, wie das läuft: Hat ein Informant Blut geleckt hat, verkauft er, was gewünscht wird. Dabei ist er äußerst erfindungsreich – der tägliche Alptraum der Polizei im Umgang mit Informanten.
Auch bleibt die Frage: Wer hat den oder die Informanten rekrutiert, wer führt ihn? In der Regel Geheimdienste. Sind es sporadische Tippgeber oder sind sie mittel- bis langfristig angelegt? Trotz allem: Ich glaube, dass sich Bellingcat oder deren "geheime" Zuarbeiter in Russland Informationen erkaufen können. Aber andersherum: Wer einmal Daten geliefert hat, bleibt erpressbar. Er wird auf Weisung auch Daten fälschen, löschen, produzieren. Die Daten von Bellingcat sind nichts wert, denn sie kommen aus anonymen Quellen, deren Echtheit nicht überprüft wurde!
Gleiches gilt für die Anrufprotokolle des angeblichen Mobiltelefons des Täters. Bellingcat stellte fest, "dass die Daten stark manipuliert worden waren, wobei sowohl die Zeitstempel der Verbindung als auch die Standorte der Mobilfunkmasten geändert wurden. Wir konnten jedoch den Datenänderungsalgorithmus zurückentwickeln und einen großen Teil der Bewegungen des Attentäters am Vorabend der Berliner Operation rekonstruieren".
Aha, sie erhielten also gefälschte Daten und produzierten daraus "richtige". Davon abgesehen, Daten vom PC aus der Ferne zu manipulieren, ist seit über einem Jahrzehnt geheimdienstlicher Alltag. Es ist relativ trivial, in Telekommunikationssysteme einzudringen, Aufzeichnungen von Anrufdetails zu ändern, sobald der Zugriff auf Datenbanken hergestellt ist. Ebenso können aus der Ferne mit Telefonnummern verknüpfte Namen sowie die mit IMEIs (eindeutige Identifikationscodes, die ein mobiles Gerät verifizieren) verknüpfte Telefonnummern und vieles andere mehr geändert werden. Das macht der Mossad auf regelmäßiger Basis im Libanon. Die Bellingcat-Daten taugen juristisch zu rein gar nichts.
Sie bleiben Fantasie, solange Herkunft und Authentizität nicht verifiziert sind. Ungeachtet der erwähnten Tatsache, dass solche Daten leichterhand manipuliert werden können, winkt jeder Jurist lächelnd ab, kann doch Bellingcat nicht darlegen, mit wem sich der Verdächtige denn wo und wozu getroffen haben soll: am Prospekt Wernadskogo, nahe jener von Bellingcat nicht näher bezeichneten Funkzelle, finden sich neben anderen Funkzellen auch viele öffentliche Einrichtungen, Geschäfte und Büros, tatsächlich aber auch die FSB-Direktion für Terrorismusbekämpfung, die Hauptdirektion für Sonderprogramme des Präsidenten der Russischen Föderation (GUSP), das Überwachungsprogramm des FSB, das Telefon- und Internet-Daten in Russland abfängt und speichert (SORM), die Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen und vieles andere mehr.
Ja, wo lief er denn hin, der Verdächtige, wenn er überhaupt je dort war? Denn wer garantiert, dass das untersuchte Handy stets in seinen Händen war? Bellingcat kann es nicht wissen; zudem haben seine "Ermittler" zugegeben, an verpfuschten Daten selbst herumgepfuscht zu haben.
Was bleibt: Es muss noch mehr krachen im Gebälk von Bellingcat – der investigative Journalismus, der sich wahrer Aufklärung verschrieben hat, muss die Namen der Fälscher, ihre Strukturen und Tätigkeit punktgenau dokumentieren. Denn: Sie haben sich schuldig gemacht. Das sind wir auch Aufklärern wie Julian Assange und all den anderen mutigen Anti-Mainstream-Journalisten schuldig, die im Gefängnis sitzen.
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